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Eine attraktive Adresse

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Montreux ist zu dieser Zeit eine der angesagtesten Adressen für Europas Neu- und Altreiche. Hier stieg einst Reformpädagoge Jean-Jacques Rousseau ab oder der romantisch dichtende Lord Byron. Entsprechend der zahlungskräftigen Klientel entstanden im Laufe des 19. Jahrhunderts unzählige Grandhotels, Hotels, Pensionen und Sanatorien für Lungenkranke; die bekanntesten Etablissements sind das «Montreux Palace», das «Continental», das «Grand Hotel» in Territet und das «Palace» in Caux. In Letzterem logierte 1898 Kaiserin Elisabeth von Habsburg-Österreich, die Frau von Kaiser Franz Joseph, mit der sich Leopold immer gut verstanden hatte. Auch sie markierte immer mal wieder Distanz zum Hof und mokierte sich über die «qualvolle Schaustellung». Nach ihrem Tod in Genf setzte eine unglaubliche Mystifizierung ihres eigentlich unglücklichen Lebens ein. (Noch heute findet sich in Montreux-Territet ein Denkmal von Elisabeth; sie sitzt in der Pose einer Dichterin mit einem Buch in der Hand.)

Angesichts des Bekanntheitsgrads von Montreux, Territet und Caux kann man sich gut vorstellen, dass sich Leopold und Wilhelmine in Montreux mit bekannten Wiener Persönlichkeiten treffen, die damals regelmässig dort verkehren, beispielsweise dem bekannten Stararchitekten und Vorreiter der Moderne, Adolf Loos, der gerade zu dieser Zeit für den vermögenden Wiener Physiologen und Naturforscher Prof. Theodor Beer die Villa Karma («La Maladaire») in Clarens bei Montreux plant und baut. In Forschung und Literatur hat bisher keine Beachtung gefunden, dass Loos und Beer Kindern sexuell zugetan waren. Beer wurde zwar vom Vorwurf der Schändung freigesprochen, aber 1905 wegen Homophilie verurteilt; Loos wurde der «Verführung zur Unzucht» schuldig gesprochen, nachdem er sich mit Mädchen unsittlich vergnügt hatte.

So wie Loos und Beer mit ihrer Sexualität und in ihren Berufen nicht stromlinienförmig durchs Leben gehen, suchen auch Leopold und Wilhelmine ihren eigenen Weg. Sie befassen sich mit den neuen Möglichkeiten und ihrer offenen Zukunft.

Dagegen fühlt sich Luise seit der Abreise ihres Bruders und seiner Geliebten in Genf einsam und etwas allein gelassen, trotz der Anwesenheit Girons. Luise und ihr André räumen eines der vier Hotelzimmer und wohnen nun in drei Räumen; sie vermisst den Luxus einer Kronprinzessin am königlichen Hofe und hat Sehnsucht nach ihren fünf Kindern, zudem macht sich das sechste Kind in ihrem Bauch immer mehr bemerkbar.


Das «Continental» in Montreux: Hier kommt Leopold mit Wilhelmine unter.

Deshalb tut es ihr gut, dass sie zwei Mal Besuch bekommt: Am 28. Dezember reist die ehemalige Kammerdienerin Hanny Grissmann aus Freiburg im Breisgau an; die befreundete Frau hat derart Mitleid mit Luise, dass sie ihr Geld und Hilfe anbietet – die Kammerfrau will ihrer ehemaligen Dame helfen; so sehr haben die letzten Ereignisse die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. An Silvester bekommt Luise Besuch von einer «Frau Müller», die in Wahrheit ihre Freundin Anna Bamberger ist, eine Pianistin aus Mainz. Doch auch diese Zerstreuung vermag Luises traurige Stimmung nur wenig aufzuhellen, sie fühlt sich gemäss eigenem Bekunden «elend und traurig».

In der Zwischenzeit haben ihre Rechtsanwälte weiterverhandelt. Sie haben erwirkt, dass sie jährlich eine Rente von 30 000 Mark erhält. Luise freut sich über die ansehnliche Summe. Etwas vorschnell anerkennt sie deshalb am 9. Januar 1903 die Klage ihres Ehegatten Friedrich August: Mit ihrer Unterschrift beeidet sie schriftlich, «daher hiermit dem Stande, dem Titel und dem Wappen einer Kronprinzessin von Sachsen» zu entsagen; zudem verzichtet sie auf weitere Ansprüche finanzieller Art, beispielsweise auch auf die in die Ehe eingebrachten Güter, also ihre Mitgift. Als Zeugen des verhängnisvollen Zugeständnisses fungieren um 14.35 Uhr der Besitzer des Hotel d’Angleterre, August Reichert, sowie Kriminalinspektor Arthur Schwarz, der sie in den letzten Wochen auf Schritt und Tritt begleitet hat. Was genau diese eidesstattliche Erklärung bedeutet, zum Beispiel in Bezug auf das Sorgerecht für ihre Kinder, ahnt sie nicht – oder sie verdrängt es. Später wird sie es bereuen.

Der Chemnitzer Zeitung legt sie die Beweggründe für ihre Unterschrift dar: «Was ich getan habe, das musste ich tun!» Sie meint damit den Ehebruch und fährt weiter: «Ich weiss, dass ich den Sachsen eine herbe Enttäuschung bereitet habe. Ich weiss, dass mich das Volk dort, wie ich bin, geliebt hätte. Ich weiss, dass ich viel Gutes hätte stiften können, und die Sachsen wissen auch, was sie von mir als Königin zu erwarten hatten. Aber es sollte nicht sein! […] Ich will nichts als meine Liebe leben und mein Glück in aller Stille, in aller Verborgenheit und in aller Einfachheit geniessen.»

Luise agiert geschickt: Mit solchen Aussagen nimmt sie sich zurück und schmeichelt der sächsischen Bevölkerung, bei der sie nach wie vor beliebt ist. Dagegen hat es ihr Schwiegervater, König Georg, in der Öffentlichkeit schwer: Er sitzt erst seit dem 19. Juni 1902 auf dem Thron, den er von seinem verstorbenen und beliebten Bruder Albert übernommen hat. In Dresden hatte man damals erwartet, dass der 70-jährige Georg zugunsten seines Sohnes Friedrich August auf den Thron verzichten würde, so wie es frühere Könige Sachsens auch schon getan hatten. Doch Georg hat auf der Thronbesteigung beharrt und gilt in der Folge als sehr unpopulär; bei seinen Auftritten wirkt er militärisch steif und schroff, er bietet keine Visionen ausser strenge Kirchenregeln. Er selbst sagt zu seiner Regierungszeit, dass er «zu spät» an die Macht gekommen sei. Luise mochte ihren Schwiegervater nie, sie nennt ihn in ihren Memoiren «intolerant wie bigott, geistig beschränkt und engherzig».

Seine Intoleranz stellt König Georg von Sachsen unter Beweis, als er sich weiterhin daran ergötzt, sich an der gefallenen Schwiegertochter zu rächen. Am 13. Januar 1903 verfügt er ganz offiziell den Ausschluss Luises aus dem sächsischen Königshaus. Sie darf sich fortan nicht mehr Kronprinzessin von Sachsen nennen. Sie ist also auf ihren Titel zurückgeworfen, den sie seit ihrer Geburt trägt: Erzherzogin von Österreich-Toskana.

Luise und Leopold

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