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Ein hohes Lebensideal

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Wenn Nando nach aussen grosszügig bis grössenwahnsinnig wirkte, gab er sich gegenüber seiner Tochter aus erster Ehe und seinen zehn Kindern aus zweiter Ehe ausserordentlich knausrig. Die Kinder wuchsen ohne Luxus auf, mehr noch: Nando pries die Einfachheit, die er selbst so gar nicht lebte, als grosse Tugend und als hochzuhaltendes Lebensideal. So mussten sich die Kinder mit einer einfachen Kammer und einem schmalen Bett, mit einem dünnen Kopfkissen und einer einzigen Decke für Sommer und Winter begnügen, während ihre Cousins und Cousinen ganze Schlossflügel mit eigenen Bediensteten bewohnten.

Nando liess Leopold, Luise und ihre Geschwister jeden Morgen mit eiskaltem Wasser abduschen, was er als hygienisch und charakterbildend erachtete. Er geisselte jede Art von Verweichlichung, was seine Kinder zu spüren bekamen; sie mussten jeden Morgen pünktlich antreten, um zu turnen; erst danach, um 7 Uhr, gab es Frühstück. Der Tag der Kinder war minutengenau getaktet. Nach dem Frühstück stand eine halbe Stunde Spielen auf dem Programm. Dann, Punkt 7.55 Uhr, begann der Unterricht; um 12 Uhr gab es Mittagessen, hinterher einen Spaziergang. Von 14 bis 17 Uhr war wieder Lernen angesagt. Danach versammelten sich alle im Salon, um den Eltern in aller Förmlichkeit zu begegnen und sie mit einem Handkuss zu begrüssen. Das Abenddiner dauerte bis 19 Uhr, um 20 Uhr war Zeit, zu Bett zu gehen.

Luise und Leopold durchlebten keine glückliche Kindheit. Leopold nennt das Aufwachsen unter diesen Umständen «mehr Zwingburg als Fürstenschloss», während Luise meint: «Meine Kindheitserinnerungen knüpfen sich an die dunkle, traurige Residenz, die bedrückend auf mein Kindergemüt wirkte, ein Wohnsitz, grossartig und vornehm zwar, aber von unwohnlicher Steifheit.»

Über diese Kindheit wird Luise eingehend mit ihrem Psychiater Auguste Forel gesprochen haben. Das Aufrechthalten der Fassade, hinter der keine Gebäude mehr stehen, dürfte in dem Kind, das Luise damals in Salzburg war, widersprüchliche Gefühle ausgelöst haben. Ihre Eltern gaben vor, wichtige Royals zu sein, aber sie waren es längst nicht mehr, sie führten eine Art Geisterhof.

Forel verwendet in seinem Gutachten die Sprache des Fachmanns: Um Luise zu verstehen, müsse man ihre Familie mit der dort vorkommenden «Inzucht mit der erwähnten, zu impulsiven Handlungen führenden Charaktereigentümlichkeit berücksichtigen, welche vielfach bekanntlich zu ausgesprochenen Psychopathien ausarten». Kurz gesagt: Das Aufwachsen in einem solchen Umfeld macht krank.

Dennoch galt Luise als ein ausgesprochen munteres, heiteres Kind, das sich dem höfischen Gehabe nicht unterordnen wollte, gerade weil die Salzburger Residenz offensichtlich schon an allen Ecken und Enden knirschte und morsch war; der ganze Prunk und Pomp war nur noch brüchige Fassade. «Ihr Wesen», bilanziert Forel, «war von einer in Hofkreisen sehr ungewohnten Burschikosität, welche sich keiner Etikette fügen wollte und bei ihren Eltern auch nicht fügen musste.» Sie wird verwöhnt, gehätschelt und flüchtet in Fantasiegebäude, um den Widersprüchen der Gegenwart zu entkommen. Deshalb entwickelt sie einen «Hass gegen alle Pedanterie, allen Formalismus und alle Heuchelei». Sie gibt sich impulsiv und spontan, wenn Zurückhaltung angesagt ist; sie benimmt sich vorlaut und witzig, wenn Diplomatie gefragt wäre; sie entschwindet in romantische Vorstellungen, wenn sie auf dem Boden der Realität erwartet wird. Sie erfüllt keine der in sie gesetzten Erwartungen.

Zudem sprechen Forel und seine Patientin über die starke Religiosität ihres Elternhauses. Ihre Halbschwester aus der ersten Ehe des Vaters, die fromme Maria Antonia, ging ins Kloster und wurde schon in jungen Jahren Äbtissin des Theresianischen Damenstifts in Prag. Doch als Luise elf Jahre alt war, starb die Nonne, erst 25-jährig, an einer Lungenentzündung, aller Frommheit zum Trotz. Dieses Erlebnis bewegte Luise tief, und nach der Desillusionierung der höfischen Welt bekam dadurch auch ihr Gottvertrauen einen Dämpfer und liess sie am Glauben zweifeln.

Angesichts dieser Vorgeschichte scheint Psychiater Forel seiner Patientin viel Mitgefühl und auch Sympathie entgegenzubringen. Er stellt «ungemein mildernde Umstände» fest und lädt sie sogar zu sich nach Hause nach Chigny bei Morges ein – aufgrund der klassischen Arzt-Patientin-Beziehung fast schon eine Grenzüberschreitung. Auch Luise fühlt sich in den Gesprächen mit dem Nervenarzt verstanden, der mit seinem Alter, der hohen Stirn und dem weissen Bart ihrem Vater gleicht; und ihr doch so viel empathischer vorkommt als dieser.

Doch Forel ist weder Freund noch Ersatzvater, sondern der Gutachter. Selbstverständlich kommt er auch auf die Affäre mit André Giron und das Im-Stich-Lassen ihres Gatten und ihrer Kinder zu sprechen. Um sich hier zu erklären, holt Luise weiter aus und schildert ihre ganze Liebesbiografie.

Luise und Leopold

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