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Eine öffentliche Anerkennung der Schuld
ОглавлениеDenn die Zeitungen sprechen eine andere Sprache. Unzählige direkte Zitate von Luise, die nicht erfunden sein können, liest man in den nächsten Tagen in den Blättern vieler Länder. In den Berichten werden jetzt auch ihre verlassenen Kinder ein Thema. «Meine Kinder sind das einzige, was ich auf dieser Erde bedauere … Ich bin entschlossen, alle meine Mutterrechte aufrechtzuerhalten. Eine Mutter hat selbst, wenn sie schuldig ist, das Recht, ihre Kinder zu lieben und zu sehen», sagt sie dem Neuen Wiener Tagblatt. Dass sie sich in den Zeitungen öffentlich des Ehebruchs schuldig bekennt, wird ihr später zum Verhängnis werden.
André Giron gefällt sich in der Rolle als Ansprechpartner für die Journalistenschar, ihm schmeichelt das grosse Interesse an seiner und Luises Geschichte. Er gibt gerne Auskunft, ermöglicht sogar Einblicke in sein Tagebuch, das allerdings nur ein trockenes Journal mit wenig aufregenden Kurznotizen ist. Dem Wiener Neuigkeits-Welt-Blatt fällt auf: «Speziell der Herr Giron nahm kein Blatt vor den Mund. Er rühmte sich seiner Beziehungen zu der Gattin des sächsischen Kronprinzen in geradezu abscheulicher Weise. Schmählicher hat noch kein Galan die Frau, die ihm Ehre und Familie geopfert, öffentlich blossgestellt.»
Besonders gerne empfängt der Belgier Giron Korrespondenten von Pariser Blättern, um sich von ihnen interviewen zu lassen. Der junge Mann entwickelt sich zum Deuter der offensichtlich kompromittierenden Situation. Er stellt Luises Ehegatten als gütig, aber dumm dar: Friedrich August ist aus seiner Sicht ein einfacher, grobschlächtiger Soldat; Luise, seine Geliebte, verkörpere hingegen die reinste Poesie, begeistere sich für Kunst, Schönheit und edelste Empfindungen, schwärmt er dem Echo de Paris vor, «sie litt ein Martyrium».
Von seinen eigenen Worten berauscht, lässt es der junge Lehrer auch zu, dass ein Fotoreporter der Pariser Wochenzeitschrift L’Illustration ihr gemeinsames Hotelzimmer betritt. Der Fotograf stellt die beiden für ein Brustbild schräg hintereinander: Vorne ist Luise zu sehen, mit einer hochgeschlossenen Bluse und dem Blick nach rechts; hinter ihr steht André Giron, ebenfalls den Blick nach rechts gerichtet – ihre Wangen sind so nahe beieinander, dass das Bild eine grosse Vertrautheit der Abgebildeten zeigt, mehr noch: Es macht die ungebührliche Intimität der Ehebrecherin mit ihrem Geliebten auf einen Blick sichtbar.
Als dann die Fotografie am 3. Januar 1903 als Titelbild der auflagenstarken Pariser L’Illustration erscheint, ist der Eklat erneut perfekt: Das skandalöse Liebesverhältnis offenbart sich schlagartig aller Welt. Das Foto kursiert später als gedruckte Postkarte, auch in Sachsen.
Es lässt sich nicht verharmlosen: Die zuerst geheim gehaltene Affäre ist eine öffentliche Peinlichkeit sondergleichen, das Königshaus von Sachsen blamiert sich in ganz Europa. Luise treibe «täglich den offenbarten u ungenierten Ehebruch», fasst es der Dresdner Polizeichef Le Maistre mit Abscheu zusammen. Auch die Kirche Sachsens muss eine klare Reaktion zeigen: Statt dass wie sonst alle Kirchen für das Königshaus Sachsens und ihre Vertreter beten, schliessen sie nun die Kronprinzessin ausdrücklich aus dem Kirchengebet aus.
Die königstreuen Dresdner Nachrichten geben sich empört: «Mit Recht wird es jeder natürlich und feiner denkende Mensch zu den Unbegreiflichkeiten rechnen, dass die Kronprinzessin, bevor ihre Angelegenheit einen tatsächlichen Abschluss in offizieller Form gefunden hat, es für angemessen hält, mit Giron weiter zusammenzuleben. Es schliesst dies eine Pflichtvergessenheit gegen ihre Familienangehörigen und ihre ganze Vergangenheit in sich, eine grobe Verirrung gegen den guten Geschmack und den Anstand, wie sie nicht stärker denkbar sind.»
«Eine grobe Verirrung»
Starke Worte!
Der Adel empört sich.
Die Emotionen gehen hoch.
Stellvertretend sei zitiert, was Diplomatengattin Baronin Hildegard von Spitzemberg unmissverständlich über diese Zeit schreibt: «Alle waren sie erfüllt wie wir von dem entsetzlichen Skandale am sächsischen Hofe, der wirklich an Widerlichkeit seinesgleichen sucht! Fünf Kinder, einen Mann, einen Thron zurückzulassen, um mit zweiunddreissig Jahren, in der Hoffnung von einem Lehrer eben dieser Kinder, durchzugehen – es ist geradezu entsetzlich!»
König Georg, der seinem Beinamen «der Grämliche» einmal mehr gerecht wird, steht unter grossem Druck seiner adeligen Entourage und muss weiter den starken Mann markieren. Er will reinen Tisch machen, deshalb beruft er noch am 30. Dezember ein Sondergericht mit sieben ihm genehmen Richtern ein, um die Scheidung von der Kronprinzessin einzuleiten. Er will möglichst bald die «Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft» beschlossen haben. Eigentlich hatte man die abgeschwächte, sonst übliche Form erwartet, nämlich die «Trennung von Tisch und Bett».
Doch Georg ärgert sich so sehr, dass er aufs Ganze geht. Luise und Friedrich August hatten nur kirchlich geheiratet, weshalb eine Scheidung nicht möglich ist. Friedrich August hätte wegen geistiger Umnachtung seiner Frau auf Nichtigkeit der Ehe plädieren können. Das kommt aber nicht infrage, weil dann seine Kinder illegitim gewesen wären und von der Erbfolge ausgeschlossen würden. Deshalb wählt Georg den Weg einer Klage wegen «Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft», allerdings vor einem parteiischen Sondergericht.