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Die Adventsmütterchen

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Den Tod seiner Mutter und die anschließende Beerdigung erlebte Willi wie in einem bösen Traum. Mutter Johanna lag aufgebahrt im Wohnzimmer. Überall leuchteten Kerzen und erhellten den dunklen Raum. Sie trug ein weißes Kleid, und man hatte ihr einen geflochtenen Blumenkranz um den Kopf gelegt. Wie schön sie ist, dachte Willi. Immer noch! Auch im Tod! Es kamen viele Verwandte, Bekannte und Nachbarn, die ihr Beileid kundtaten. Willi wusste am Abend nicht mehr, wie viele Hände er geschüttelt hatte. Es war ihm auch egal. Als sie den Sarg ins Grab ließen, wollte er nichts mehr wissen von dieser Welt oder von den Fürbitten des Pfarrers. Der Tod, er war ihm unheimlich. Er hatte ihn zuvor noch nicht gekannt, und er hatte ihm das Liebste genommen, das er besaß auf dieser Welt: seine Mutter. Seine Anwesenheit, er konnte sie nicht ertragen. Willi starrte unentwegt auf das Kreuz, das der Pastor ihm in die Hand gedrückt hatte. Wäre der Tod eine Person aus Fleisch und Blut, in diesen Minuten hätte er ihn mit dem Kruzifix erschlagen wie einen räudigen, tollwütigen Hund.

Beim Beerdigungskaffee im Gasthaus »Zum Schützenhof« saß die Trauergemeinde lange zusammen und tratschte. Sie lobten Johanna in höchsten Tönen. Welches zarte Wesen sie besessen habe, dass sie immer bester Laune war und wie gut sie zu den Kindern gewesen sei. Selbst diejenigen, die zu Lebzeiten kein gutes Haar an ihr gelassen hatten, wie die Witwe Kaminski, fanden nur Gutes an der Verstorbenen. Als Willi wieder nach Hause kam, zog er sich zurück in sein Zimmer, legte sich aufs Bett und dachte an seine Mutter. Als es dunkel geworden war, stand er auf und ging zum Fenster. Er öffnete es und blickte in den Abendhimmel. Es war kalt draußen und eine sternenklare Nacht. Ob Mutter nun da oben ist?, dachte er. Ob sie dort auf mich wartet? Oder gibt es vielleicht überhaupt keinen Himmel? Willi stiegen die Tränen in die Augen. Viele Gedanken gingen ihm durch den Kopf, so dass er nicht bemerkte, wie sich zwei Gestalten dem Fenster näherten.

»Na Krabutzke, biste am Träumen?«

Willi erschrak.

»Keine Angst, wir tun keinem nuscht.«

Willi hatte die zwei Frauen nicht kommen gesehen. Es waren Adventsmütterchen, Frauen aus den umliegenden Altenheimen und Hospitälern, die noch bis zum Heiligabend durch die Straßen Elbings von Haus zu Haus zogen und milde Gaben sammelten. Diese Sitte stammte aus dem Mittelalter, als die Frauen in Laken eingehüllt für die Kranken Gaben sammelten.

Willi kannte die Mütterchen noch aus dem vergangenen Jahr. Da hatte Mutter ihnen zehn Pfennige gegeben, und er hatte seine Wünsche zu Weihnachten aufgesagt. »Wenn du fest daran glaubst«, hatte ihm Johanna gesagt, »dann werden sich deine Wünsche auch erfüllen.«

Die beiden Adventmütterchen trugen lange dicke wollene Röcke, offenbar mehrere übereinander. Darüber waren große helle, buntgestreifte Schürzen gebunden. Über ihre Schultern hatten sie ein schneeweißes großes Laken gelegt. Die Köpfe zierte jeweils ein großer, breitrandiger Hut, wie er im Sommer von den Landarbeitern auf dem Feld getragen wurde. Darüber befand sich ein unter dem Kinn zusammengebundenes Kopftuch.

»Möchtest du uns denn nicht deine Wünsche sagen?«, fragte die eine. Sie hielt einen aus Weiden gebundenen Deckelkorb im Arm. Darin, das konnte Willi erkennen, befanden sich Kuchen, Äpfel, Mehl und Pflaumenmus.

»Ich habe für Weihnachten keinen Wunsch!«

»Keinen Wunsch zum Weihnachtsfest? Das gibt es doch gar nicht! Alle Kinder haben doch Wünsche zu Weihnachten!«

Willi überlegte kurz.

»Ach, wenn ich mir etwas wünschte, dann wünschte ich, dass meine Mutter wieder zu uns zurückkäme.«

Eines der Adventsmütterchen mit einer mittelgroßen Knollennase schaute ihn fragend an.

»Wo ist sie denn, deine Mutter? Hat sie dich alleine gelassen?«

»Die ist im Himmel, falls es ihn denn wirklich gibt.«

»Du vermisst sie sicher sehr, deine Mutter?«

»Ja!«

»Ach, das tut mir ja so leid. Aber wenn sie im Himmel ist, dann kann sie nicht wiederkommen, Jungchen. Nicht für alle Dittchen und milden Gaben dieser Welt. Aber wenn du eines Tages, nach einem langen, langen Leben, in den Himmel kommst, dann, glaub mir, wird sie da oben schon auf dich warten und dich freudig in die Arme schließen. Du musst nur ganz fest daran glauben.«

Willi schluckte.

»Ja, dann wünsche ich mir, dass sie dort auf mich wartet!«

»Das wird sie tun, da sei dir gewiss, mein Junge«, meinte das Mütterchen mit der Knollennase.

»Jetzt kann ich euch für meinen Wunsch aber gar nichts geben.«

»Das macht nichts, mein Junge. Wir werden dem Christkind auch so von dem guten Jungen in diesem Haus berichten.«

Willi bedankte sich und blickte den beiden Mütterchen noch hinterher, bis diese hinter den letzten Häuserreihen seiner Straße verschwunden waren. Dann schloss er die Fensterläden und ging zu Bett. In dieser Nacht träumte er von seiner Mutter. Und als er aufwachte, hatte er das Gefühl, als habe sie ihn die ganze Nacht fest in ihren Armen gehalten.

Das Mädchen mit den Schlittschuhen

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