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Ein Anker für die Ewigkeit
Оглавление»Peri«, also Elisabeth, scheint einem unklaren Ziel entgegenzuschweben. Emile M. Cioran, der bedeutende Philosoph der Melancholie, erklärt dieses Lebensgefühl Elisabeths: Die Lawine von familiären Unglücksfällen in den 1880er-Jahren wurde von der Kaiserin als Bestätigung aufgefasst, dass es kein Vertrauen in die Menschen ihrer Umgebung geben könne. Dass man auf sich selbst gestellt und allein sei. Zuversicht und Hoffnung waren der Kaiserin fremd. Sie hatte ihre eigene, von der Literatur der »dunklen Romantik« stark beeinflusste Art, mit der eigenen Individualität umzugehen.
Der Anker, an den die Fee sich lehnt, ist »Peris« einzige Stütze auf ihrer ungewissen Fahrt über die Meere. Ende der 1880er-Jahre, als Elisabeth wieder viel unterwegs war und sich in Gedanken mit ihrem Exil in Griechenland befasste, kehrte sie von einer Seereise mit einem unerwarteten Souvenir zurück. Im Hinterzimmer einer Hafenkneipe hatte sie sich einen Anker auf die Schulter tätowieren lassen. In diesen Jahren waren Tattoos nicht mehr nur bei Matrosen beliebt, sondern hatten den Aufstieg in Adelskreise bereits hinter sich.
3 Peri mit ihrem Anker
Über ein Jahrtausend war es her, dass tätowierte Frauen und Männer aus Europa verschwunden waren. Im 8. Jahrhundert wuchs der Einfluss des Christentums. Leute mit Hautzeichen wurden zu »Heiden« erklärt und verfolgt. Nun, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als man bereits von einer regelrechten Tätowierungswut sprach, ging es vor allem um modernitätskritische Referenzen in Anlehnung an imaginierte exotisch-archaische Sehnsüchte nach einer einfacheren, freieren Welt. Diesem Trend folgten etwa der deutsche Kaiser Wilhelm II., Sisis Sohn Rudolf oder der »schöne Erzherzog« Otto, Bruder des heute aufgrund der Ereignisse in Sarajevo 1914 wesentlich bekannteren Franz Ferdinand. Aber auch weibliche Angehörige europäischer Fürstenhäuser ließen sich tätowieren, nicht allerdings im selben Ausmaß wie Männer. Die bürgerliche Mittelschicht verschmähte den Körperschmuck (noch), zahlte jedoch viel Geld, um in Vergnügungsetablissements wie beispielsweise dem Wiener Prater ganzkörpertätowierte Schaustellerinnen zu begaffen. Auch in den Bordellen musste man, vergleichbar mit der obligaten Schwarzen oder »Orientalin«, für das Vergnügen mit einer tätowierten Frau tiefer in die Tasche greifen.
Adolf Loos, wie immer »anti-ornamental« unterwegs, hielt nichts von der neumodischen Zeiterscheinung:
es gibt gefängnisse, in denen achtzig prozent der häftlinge tätowierungen aufweisen. die tätowierten, die nicht in haft sind, sind latente verbrecher oder degenerierte aristokraten. wenn ein tätowierter in freiheit stirbt, so ist er eben einige jahre, bevor er einen mord verübt hat, gestorben.
Als Elisabeth den Anker ihrem Ehemann vorführte, dürfte dieser recht sprachlos gewesen sein. Er fragte Valerie, ob sie auch schon über die »furchtbare Überraschung, dass sich nämlich Mama einen Anker auf der Schulter einbrennen liess«, geweint habe. Sisi selbst brachte das neue Tattoo mit der bevorstehenden Verlobung und Hochzeit der Tochter in Zusammenhang. Ein Zeichen dafür, dass es nun endgültig nichts mehr gab, was sie an den Hof zurückbringen könnte. Ein Symbol für die letzte Reise, den Tod.
Der Anker ist auf vielen Friedhöfen in Mitteleuropa als Grabgestaltung präsent. Vor allem Gräber aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den Jahren um 1900 zeigen den Anker in verschiedensten Ausführungen. Beim Trauerschmuck der viktorianischen Epoche ist das nautische Emblem ebenfalls häufig anzutreffen.
Ein Anker-Tattoo kann auch heute nicht schaden. Hundert Jahre nach der großen Tattoo-Welle im 19. Jahrhundert setzte in den 1980er-Jahren eine Renaissance des Tätowierens ein. Angehörige der gesellschaftlichen Mittelschicht tragen bisweilen Tattoos unter Anzug oder Kostüm. Weithin sichtbare Tätowierungen sind meistens jenen vorbehalten, die sich, in welcher Form auch immer, gegen den Mainstream abgrenzen wollen. Moderne Grenzgänger unterschiedlichster Metiers warten mit einem Anker auf, zum Beispiel das englische Topmodel Kate Moss, der Sänger der finnischen Black-Metal-Band Horna, Shatraug, oder die amerikanische Musikerin und Stil-Ikone Beth Ditto.
Und der heutige Hochadel? Verhält sich tattootechnisch äußerst zurückhaltend. Adolf Loos wäre zufrieden.
4 Trauertaschentuch mit Trauerkette, um 1890/1900. Der Anhänger zeigt zwei Todessymbole: Kreuz und Anker.