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Eine Frau um die fünfzig im 19. Jahrhundert
ОглавлениеFrauen hatten bis ins 18. Jahrhundert wegen ihrer geschlechtsspezifischen Gefährdungen durch Schwangerschaften, Geburten und Kindbett, Unterleibserkrankungen und wegen der schlechteren Ernährung im Vergleich zu den Männern eine deutlich geringere Lebenserwartung als diese. Königinnen und Kaiserinnen bildeten keine Ausnahmen, gerade ihre Aufgabe war es ja, Nachkommen am laufenden Band zu produzieren. Franz Josephs Vorvorgänger Kaiser Franz zum Beispiel war viermal vor den Traualtar getreten, zwei Frauen starben im Kindbett, eine von ihnen hatte in 17 Ehejahren zwölf Kinder geboren. Noch um 1880 betrug die Lebenserwartung von Frauen durchschnittlich nur etwa 40 Jahre.
In diesem Alter hatte eine veritable Midlife-Crisis Elisabeth erfasst. Sie war ruhelos und suchte nach einer sie ausfüllenden Beschäftigung, einem »Sinn«. Sollte sie in der Hermesvilla herumhocken und Däumchen drehen? Mit 50 war ihre Schönheit im Schwinden, Sport war Mord, Krankheiten quälten sie als Folge ihres ungesunden Lebensstils. Die fünffache Großmutter – ihre Tochter Gisela hatte vier Kinder zur Welt gebracht, Sohn Rudolf war Vater einer Tochter – hatte schon zehn Jahre zuvor für sich festgestellt: »Ein Mensch von vierzig Jahren löst sich auf, verfärbt sich, verdunkelt sich wie eine Wolke.« Ende der 1880er-Jahre hatte sie ihre Entscheidung getroffen:
Es gibt nichts »Grauslicheres«, als so nach und nach zur Mumie zu werden und nicht Abschied nehmen zu wollen vom Jungsein. Wenn man dann als geschminkte Larve herumlaufen muß – Pfui! Vielleicht werde ich später immer verschleiert gehen, und nicht einmal meine nächste Umgebung soll mein Gesicht mehr erblicken.
Dass Elisabeth nicht alt werden wollte, hatte nur marginal mit Eitelkeit zu tun. Sie konnte sehr wohl »Abschied nehmen vom Jungsein«. Vielmehr fürchtete sie sich vor einem ereignislosen Leben, vor Langeweile, davor, dass ihr ein großes Erlebnis, auf das sie ihr ganzes Leben lang gewartet hatte, versagt geblieben sein könnte. Dieses für die Epoche typische Lebensgefühl fasste der vor allem von Frauen viel gelesene, damals sehr »moderne« französische Romancier Paul Bourget wie folgt zusammen: »Der Becher, den uns das Leben hinhält, hat einen Sprung. So empfinden wir im Besitz den Verlust; im Erleben das stete Versäumen.«
Es waren jene wenigen Jahre vor 1889, in denen sie ihre letzten »lichten«, also hellen, Kleider trug. Bald sollte sie vor ihren Kleiderschränken stehen und ihre Garderobe durchmustern. Alles Farbige wurde aussortiert und verschenkt, Hüte, Tücher, Kleider, Schirme, Handschuhe …
7 »Johanneshaupt« (um 1890) aus Elisabeths Besitz, Ausstattungsstück der Hermesvilla
Im Entrée in der Hermesvilla fallen die düsteren Deckengemälde und Ausstattungsgegenstände auf, die ihr Leben bald ausschließlich bestimmen sollten. Der Wiener Publizist Gunther Martin sprach davon, dass Elisabeth in dieser Zeit wie eine Figur »aus den Bildern Gustave Moreaus schimmerte«. Moreau brillierte in den 1870er- und 1880er-Jahren als Maler antiker Mythen, die er als unergründliche Traumzustände zeigte, voller Schauer und Schrecken, Ahnungen, Empfindungen und Erregungen. Zu seinen Lieblingsmotiven gehörten geheimnisvolle Sphingen oder Frauen wie die biblische Heroine Salome, die den abgetrennten Kopf des Johannes auf einer Schüssel präsentiert oder dessen blutiges Haupt als nächtliche Erscheinung vor sich sieht. Auch Elisabeth besaß eine solche Schüssel mit einem toten Johanneskopf.
Dazu »Meister« Heine in seinem Versepos »Atta Troll. Ein Sommernachtstraum«:
In den Händen trägt sie immer
Jene Schüssel mit dem Haupte
Des Johannes, und sie küßt es;
Ja, sie küßt das Haupt mit Inbrunst.
(…)
Wird ein Weib das Haupt begehren
Eines Manns, den sie nicht liebt?
Als »liebesbleich und silberkühl« charakterisierte sich die alternde Elisabeth 1888, entsprechend dem in der zeitgenössischen Kunst vorherrschenden Frauenbild der »Femme fatale«. Ein Erkennungszeichen dieses Frauentyps sind die langen lockigen offenen Haare, denen die Kaiserin auch jenseits ihrer Gedichte, in der »Gegenwelt« der Realität, ein umständliches und langwieriges Ritual widmete. Der »männermordende Vamp« à la Salome war omnipräsent in der (Gebrauchs-)Kunst und verkaufte sich gut in der Zeit kurz vor 1900. Es gab verschiedene Varianten und Facetten, die rätsel-haft-grausame Sphinx, die extravagante Diva oder ganz grundsätzlich die Personifikation fataler Weiblichkeit, wie sie der Münchner Paradekünstler Franz von Stuck in seinem Bild »Die Sünde« publikumswirksam vorführte. Elisabeth machte sich in einem Gedicht als »Frau Ritter Blaubart« über ihre Verehrer lustig, sie erscheint als männermordende Zauberin. Diese Selbststilisierung zur kalten Schönheit bot ihr einen Schutz vor männlichen Machtansprüchen. Gleichzeitig bemühte die belesene Verfasserin byronsches Gedankengut, wenn sie aus der Mitte jener Eiswüsten zu sprechen schien, die der englische Dichter in den Herzen der Herrschenden wachsen sah:
Aus meiner hohen Eisregion
Ruf’ ich zu dir hernieder:
Dein Minnen ist umsonst mein Sohn
Erstarrtes grünt nie wieder.
Besitzest Du den kecken Mut,
Mich jemals zu erreichen?
Doch tödtet meine kalte Glut,
Ich tanze gern auf Leichen.
Seltsame Tanzvergnügen, beleuchtet von lichterloh brennenden Mumien, gab es auch im verwilderten Reich Kor, einem Abenteuerland à la Indiana Jones. Erfunden wurde es vom englischen Autor Henry Rider Haggard, der seine koloniale Vergangenheit in Südafrika und seine heftigen okkulten Neigungen in ein Buch einfließen ließ, das jeden Karl May in den Schatten stellt: ein durchlöcherter Berg voller Gräber, ein morbider Bienenkorb, in dem sich unversehens Schächte auftun, auf deren Grund uralte Knochen-pyramiden lagern, die gern auch mal ins Rutschen kommen. Eine ausschließlich dem Dienst an den Toten geweihte Kultur, mit seitenlangen Schilderungen von Kannibalismus, Folterungen und Totenbräuchen. Dieses Reich aus Stein und Moder beherrschte jene Frau, in der Elisabeth sich wiedererkannte. SHE-who-must-be-obeyed (Sie, der man gehorchen muss), war, so die Überlieferung, in Wirklichkeit eine bösartige Puppe, die in einem alten Schrank lebte und die von Haggards Nanny erfunden worden war, um den Buben zu erschrecken. Der erwachsene Haggard beschrieb in seinem 1887 veröffentlichten Bestseller »SHE« eine 3000 Jahre alte Königin, die sich auf geheimnisvolle Weise immer wieder verjüngte und sich so den Körper einer 30-Jährigen erhalten konnte. In der ostafrikanischen Einsamkeit wartet SHE, die hochgebildete, untote Philosophin, auf einen Wiedergänger. Über die Jahrhunderte hinweg hat sie keinen anderen Mann angesehen als den mumifizierten Leichnam ihres Geliebten, um für eine künftige Inkarnation des Toten bereit zu sein. Dem Schicksal Einzelner gegenüber zeigt sie sich kühl und gleichgültig. Ihre gezüchteten Domestiken sind taubstumm, misslungene Züchtungen lässt sie aussterben. Hilflose Untertanen, die sich unbotmäßig gezeigt haben, tötet sie mit einer berührungslosen Handbewegung. Haggard schickt in seinem Werk zwei englische Reisende nach Afrika, die Licht in die dunklen Geheimnisse von Kor bringen sollen. Selbstverständlich ist SHE, die älteste Frau der Welt, gleichzeitig die schönste. Eingehüllt in ein »Grabgewand« verweigert sie sich den voyeuristischen Blicken der Männer: »Wenn ich dir mein Gesicht zeige, würdest du vielleicht ebenso elend zugrunde gehen, vielleicht würdest du dein Leben in ohnmächtigem Begehren vertun, denn wisse: Nicht für dich bin ich.«
Totengöttin, Herrscherin und Femme fatale verschmelzen bei Haggards SHE zur archetypischen Figur, die Elisabeths Interesse auf sich zog. Sie wurde sich ihrer Verwandtschaft mit der Romangestalt in besonderer Weise bewusst.
Die Verweigerungen und das Verschwinden der Kaiserin spielen sich in diesem vielgelesenen, spannenden Abenteuerroman in einem atemberaubenden archaischen Szenario ab. Der Rückzug aus den Pflichten einer Monarchin führt nun ins dunkle Herz eines afrikanischen Felsens, Fächer und Schirm verwandeln sich in »Grabgewänder« und Mumienbinden.
Zur Mythologisierung ihres Verschwindens hatte Elisabeth einen Unterhaltungsroman gewählt, den sie ein Jahr nach seinem Erscheinen in dem oben erwähnten Gedicht (»Titania und Alfred«) mit einem Bezug auf ihre eigene Person versah. Derselbe sadistische Zug, der SHE (und Elisabeth) charakterisiert, zeigt sich auch in einer Strophe, in der sich die Kaiserin mit ihrem Stalker Alfred Gurniak Edler von Schreibendorf auseinandersetzt:
In meiner schönen Mache
Verzapple dich zu Tod,
Ich schaue zu und lache
Von jetzt bis Morgenrot.
Marie Larisch sagte über ihre Tante: »Sie betrachtete die Sensation, angebetet zu werden, als Tribut, der ihrer Schönheit zukam. Doch ihre Begeisterung dauerte nie lange«, im Gegenteil, sie verwandelte sich in Ablehnung und Verachtung. Elisabeths ausgeprägter Narzissmus war gepaart mit Überempfindlichkeit und Arroganz.
8 Elisabeths Nichte Marie Larisch-Wallersee und Marie Valerie, 1876
Weder aufopferungsvolle (Groß-) Mutter noch repräsentierende Kaiserin, geschweige denn liebende Gattin waren Frauen«ideale«, denen Elisabeth Positives abgewinnen konnte. Das Diktat der »Drei K« (Kirche, Küche, Kinder) galt für bürgerliche Frauen, bei Damen des höchsten Standes wäre eher von den »Drei R« (Religion, Repräsentation, Reproduktion) zu sprechen. All dem setzte Elisabeth eine ihrer ausgeprägtesten Charaktereigenschaften entgegen: Verweigerung. Aufgedrängten Aufgaben widersetzte sie sich seit Anfang der 1860er-Jahre konsequent, nachdem sie aufgrund der stets anwachsenden Schar unterwürfiger Anbeter erkannt hatte, dass Schönheit in der männlich dominierten Gesellschaft mit Macht gleichzusetzen war. Sie begriff ihre Erscheinung als Ausdruck der ihr eigenen Individualität und setzte ihr gutes Aussehen wirkungsvoll als Waffe ein. Im August 1865 hatte sie ihrem Mann, der ihr glühendster Verehrer war, kurz nach seinem 35. Geburtstag schriftlich folgendes Ultimatum gestellt:
Ich wünsche, dass mir vorbehalten bleibe unumschränkte Vollmacht in Allem, was die Kinder betrifft (…), die komplette Leitung ihrer Erziehung, mit einem Wort, alles bleibt mir ganz allein zu bestimmen (…). Ferner wünsche ich, dass, was immer meine persönlichen Angelegenheiten betrifft, wie unter anderem die Wahl meiner Umgebung, den Ort meines Aufenthalts, alle Änderungen im Haus etc. etc. mir allein zu bestimmen vorbehalten bleibt.
Elisabeth. Ischl, 24. August 1865
Das Dokument kann als Elisabeths Emanzipationserklärung gelesen werden. Ab diesem Moment waren ihr Einmischungen von Seiten des Ehemannes oder der Schwiegermutter schlichtweg egal. Oft ist zu lesen, dass das »Ultimatum« als Beweis für Elisabeths Mutterliebe zu Rudolf auszulegen sei, da der brutale Erzieher des Thronfolgers, Graf Leopold Gondrecourt, bald darauf von seinem Posten abberufen wurde. Es war definitiv die Kaiserin, die mit diesem persönlichen Einsatz die Grundlage geschaffen hatte für Rudolfs Ausbildung in ihrem Sinn, also pro Liberalismus, Antiklerikalismus, Verfassungsstaat und contra Gottesgnadentum und Absolutismus. Dennoch: Nachdem Franz Joseph das Ultimatum zähneknirschend akzeptiert hatte, ja, akzeptieren musste, um einen nie dagewesenen Hofskandal zu vermeiden – wäre doch Elisabeth einfach abgehauen, hätte er auf seine Mutter gehört und abgelehnt – kümmerte sich Sisi nicht mehr um ihre Kinder. Das Ultimatum war ihr Freibrief für Selbstständigkeit und Unabhängigkeit. In den folgenden Jahrzehnten sollte sie leben, wie und vor allem wo sie wollte.
Etwa hundert Jahre, nachdem Elisabeth das erwähnte Johanneshaupt angeschafft hatte (1896), stellte die österreichische Autorin Judith Fischer ihre »sisi diagnose« (1994):
in ihr posierten die wünsche als phantasmen. sie hatte nichts als ihr eigenes bild. ihre bloße anwesenheit. die verletzung des lebens. zerfallen. raubbau. reiten (manisch). halbkrepierte vögel. ein blutegelbiss. das möwen- und das delphinsiegel. gicht. männer wörtlich als aufgespannte eselshäute. ein seifenblasender engel. ein kopf in einer schüssel liegend. kraniche. aasgeier.
Ganz offensichtlich war die Schriftstellerin von einem Besuch in der Hermesvilla inspiriert, befinden sich doch in Elisabeths Empfangsraum nicht nur die bereits erwähnte Johannesschüssel, sondern auch die »halbkrepierten Vögel«, die »Kraniche«, die »seifenblasenden Engel« und natürlich die »Aasgeier«. Bei den »Kranichen« handelt es sich um »Chinesische Sumpfvögel«, Bronzearbeiten aus China. Solche »Chinoiserien« wurden schon im 18. Jahrhundert ausschließlich für den europäischen Markt hergestellt. Die Vögel zierten die Hermesvilla seit 1886 und sind der Fernost-Mode zuzurechnen, die sich auch in anderen modischen Gegenständen wie Vasen, Fächern, Kimonos, Lackkästchen etc. manifestierte. Zwei der ursprünglich vier Kraniche sind heute in der Hermesvilla zu sehen.
9–11 Deckengemälde im ersten Stock der Hermesvilla (Details)
Am Plafond erkennt man die seifenblasenden Engel und die Aasgeier, die sich über kleinere »halbkrepierte Vögel« hermachen. Seifenblasen und Aasvögel sind typische Symbole der Vergänglichkeit und des Todes. Die Putti scheinen sich mit den Seifenblasen lediglich zu vergnügen, nach wenigen Augenblicken zerplatzen sie vor ihren Augen. Dieses Motiv aus dem Umkreis des »Homo bulla« gehört zum umfangreichen Themenkomplex der »Vanitas« und spielt auf die Zerbrechlichkeit des Lebens und die Unabwendbarkeit des Todes an. Die Engel sind nackt, um ihre Schutzlosigkeit und Ohnmacht hervorzuheben. Der Vergleich zwischen dem menschlichen Leben und der fragilen, äußerst kurzlebigen Seifenblase war vor allem zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert samt dem dazugehörigen moralisierenden Unterton häufig anzutreffen. Der in der Hermesvilla vorherrschende Historismus führte das Motiv neuerlich in der Ausstattungsmalerei ein.