Читать книгу Mein Herz ist aus Stein - Michaela Lindinger - Страница 9
Who’s that girl?
ОглавлениеDie »Lichtfee« trägt den Namen Peri, sie hat einen kurzen Auftritt in John Miltons Versepos »Paradise Lost« aus dem Jahr 1668. Als schöner, anmutiger, übermenschlicher Geist wird sie in der persischen Mythologie beschrieben, doch ist sie von übelwollendem Charakter. Peri kann einen Kometen oder eine Sonnenfinsternis bewirken, Regen verhindern, Missernten und Tod bringen. Diese Ambivalenz ist typisch für John Milton, dessen Werk Elisabeth gekannt und offenbar geschätzt hat.
Der Dichter, bereits völlig erblindet, soll die monumentale Geschichte des Sündenfalls seinen drei Töchtern diktiert haben. Obwohl sich bei »Paradise Lost« vordergründig alles um den Tod dreht, steht im Mittelpunkt Miltons Alter Ego, der Teufel. Ein verführerischer, charmanter, gegen Gott aufbegehrender Satan, der sich einen Streiter der Freiheit nennt: »Lieber in der Hölle herrschen als im Himmel dienen.« Erstmals in der Literaturgeschichte wird Satan beschrieben, wie er den Menschen ihre Potenziale bewusst macht, damit sie selbst zu Wissen und Göttlichkeit gelangen können. Milton hat in diesem größten englischen Epos den Teufel rehabilitiert: Der Verlust des Paradieses ist sein Werk und lässt sich selbst von Gott nicht rückgängig machen. Das Gute hat nicht gesiegt und das Böse sich in der Welt festgesetzt. Milton interpretiert den Teufel als intelligenten, egozentrischen Archetypus: Er ist gewissermaßen der erste »Byronic Hero« der Literatur.
Lord Byron, ein britischer Dichter um 1800, spielte in Kaiserin Elisabeths Welt eine wichtige Rolle, war er doch auch griechischer Freiheitskämpfer. Sie bewunderte ihn und die von ihm erschaffenen Protagonisten, allesamt Außenseiter und Rebellen. Sie kämpfen nicht für das »Allgemeinwohl« oder gesellschaftliche Veränderungen, sondern sind auf sich selbst fixierte Einzelgänger. Zynismus und Arroganz beschreiben ihren Charakter. Regeln, Sitten und soziale Reglements werden von ihnen verachtet, dennoch – oder gerade deswegen – gehören solche Antihelden immer einem höheren Stand an, verfügen über entsprechenden Wohlstand und luxuriösen Lebensstil. Byrons Gestalten bevölkern eine Welt der »Schwarzen Romantik«, es umgibt sie oft ein düsteres Geheimnis. Außerdem müssen sie sich mit einem hohen Maß an Frustration auseinandersetzen und zeigen selbstzerstörerische Tendenzen. Die Figuren sind – wie Miltons Satan – abstoßend und faszinierend zugleich.
Über einen ihrer toten Lieblingshelden, Achilleus, sagte die Kaiserin: »Er war stark und trotzig und hat alle Könige und Traditionen verachtet und die Menschenmassen für nichtig gehalten, gut genug, um wie Halme vom Tode abgemäht zu werden. Er hat nur seinen eigenen Willen heilig gehalten und nur seinen Träumen gelebt, und seine Trauer war ihm wertvoller als das ganze Leben.«
Elisabeths erklärter Lieblingsdichter Heinrich Heine widmete dem philhellenischen Lord Byron ein Gedicht:
Eine starke, schwarze Barke
Segelt trauervoll dahin.
Die vermummten und verstummten
Leichenhüter sitzen drin.
Toter Dichter, stille liegt er,
Mit entblößtem Angesicht;
Seine blauen Augen schauen
Immer noch zum Himmelslicht.
Aus der Tiefe klingt’s, als riefe
Eine kranke Nixenbraut,
Und die Wellen, sie zerschellen
An dem Kahn, wie Klagelaut.
Die Zeilen beschreiben die Überführung der einbalsamierten Leiche des klumpfüßigen Dichters, der eine Tochter mit seiner Schwester hatte, auf einem Schiff nach England. Byron war 36-jährig in Griechenland gestorben. Allein vom Inhalt her könnte das Gedicht von der Kaiserin selbst stammen.
Als der französische Maler und Grafiker Gustave Doré, bekannt vor allem für seine bizarren Darstellungen von Fabelwesen, Monstern und Skeletten, Miltons »Paradise Lost« im 19. Jahrhundert dem Zeitgeschmack entsprechend romantisch illustrierte, erlebte das Werk eine Renaissance. Vermutlich hat Kaiserin Elisabeth ebenfalls eine Ausgabe besessen und dürfte darin ihre Weltanschauung bestätigt gesehen haben.
Wie populär Miltons Erzählung gewesen ist, zeigt auch ein Gemälde des ungarischen »Malerfürsten« Mihály Munkácsy. Er hatte im Jahr 1878 das Bild »Milton diktiert seinen Töchtern ›Das verlorene Paradies‹« auf der Pariser Weltausstellung präsentiert und damit die Goldmedaille gewonnen. Das Thema machte Munkácsy europaweit berühmt.
2 Die marmorne »Peri« im Entrée der Hermesvilla
Elisabeth hat ihre steinerne »Peri« 1890 auf einer Reise durch Italien angekauft. Hergestellt wurde das Stück aus Sterzinger Marmor vom englischen Bildhauer Charles Francis Fuller, dem das »Verlorene Paradies« wohl auch gut bekannt war. Die Kaiserin war dabei, ihren neuen Wohnsitz auf Korfu auszugestalten; die Möbel und Ziergegenstände kaufte sie in erster Linie in Italien ein. So gelangte auch die »Peri« per Schiff auf die griechische Insel. Einige Jahre später, als Sisis Interesse am Achilleion längst abgekühlt war, wurden zahlreiche Ausstattungsstücke in das vom Kaiser geplante Altersretiro, die Hermesvilla im Lainzer Tiergarten, transferiert. Darunter befand sich auch die »Peri«, welche heute die Besucher im Eingangsbereich der Villa begrüßt. Die Figur ist drehbar: Während der Familiendiners blickte sie einst in den Speisesaal des Kaiserpaars.
»Peri« verfügt noch über weitere verborgene Qualitäten.
Das Jahr 1886 hatte für die mittlerweile fast 50-jährige Hausherrin der Hermesvilla weitreichende Bedeutung. Der von einer Mauer umgebene Bau »im mailich ergrünenden Walde« (Elisabeth) wurde fertiggestellt, ihr einst guter Freund, der bayrische König Ludwig II., starb unter ungeklärten Umständen und die einzige Bezugsperson, an die die alternde Kaiserin sich regelrecht gekettet hatte, begann ihr zu entgleiten: Marie Valerie, jüngste Tochter von Franz Joseph und Elisabeth, hatte ohnehin schon versprechen müssen, nicht vor ihrem 20. Geburtstag zu heiraten – sehr ungewöhnlich für eine Angehörige des Hochadels, die in ganz Europa als höchst begehrenswerte Partie galt. Im Jänner 1886 tanzte sie auf dem »Hofball« und auch auf dem besonders elitären »Ball bei Hof« mehrmals mit Franz Salvator aus der toskanischen Nebenlinie der Habsburger. Elisabeth gab ihren Sanktus, da sie der Lieblingstochter versprochen hatte, sie dürfe heiraten, wen sie wolle, »auch einen Schornsteinfeger«. Ihr Vater und ihr Bruder Rudolf waren – ausnahmsweise – einmal einer Meinung, und zwar dagegen. Der Auserwählte sei vom Stand her der Schwester nicht ebenbürtig. Dennoch, nach dem Weggang Valeries litt die kindisch eifersüchtige Mutter am meisten. Sie fühlte sich vereinsamt, als habe sie nicht eine verheiratete, sondern eine tote Tochter:
Fort zieht es dich aus meiner Näh’
Zu jenem blassen Knaben
Trotzdem ich ehrlich dir gesteh’,
Ich möchte ihn nicht haben.
Du siehst im Geiste um dich her,
Der Kinder zwölf schon wogen,
Zwölf Rotznäschen liebst du dann mehr
Als mich, die dich verzogen.
(…)
Ich aber breite trauernd aus
Die weiten weissen Schwingen,
Und kehr’ ins Feenreich nach Haus –
Nichts soll mich wieder bringen.
An die von ihr ersehnte ideale Mutter-Kind-Beziehung mag Elisabeth möglicherweise beim Erwerb der »Peri« auch gedacht haben. Sie sah sich selbst als junge Frau mit der kleinen Valerie, die sie überängstlich behütet und mit einem Übermaß an Liebe überschüttet hatte. Vermutlich kam es nur für die Mutter überraschend, dass das Mädchen sich innerlich schon früh von ihr entfernte, bieder und fromm wurde, den fantasielosen Vater vergötterte und ihr Lebensziel in Heirat und Mutterschaft suchte. Das langlockige, alterslose, in einen mit Sternen bedeckten Schleier gehüllte und geflügelt auf dem Meer schwerelos dahingleitende Wesen kann als Wunsch- oder Traumbild Elisabeths aufgefasst werden: So wollte sie sich selbst als Frau an der Schwelle zum Alter sehen, ein Bild, ebenso weit von der Realität entfernt wie ihre Vorstellungen von der idealen Zukunft ihrer Tochter.