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Die »seltsame Frau«
ОглавлениеDas Gefühl, etwas versäumt zu haben, lastete seit Jahren auf der Kaiserin von Österreich. Sie hatte Schwierigkeiten mit einem weiblichen Dasein, das sie nicht ausfüllen und ausleben konnte. Ende des 19. Jahrhunderts waren für eine Frau ihres Alters Rückzug und Unauffälligkeit vorgesehen. Für geistig interessierte Frauen, die sich in Gegenwart der Enkel und Urenkel fast zu Tode langweilten, sah die Epoche keine Identifikationsmodelle und keine Role-Models vor. Elisabeth klagte über ihre Vereinsamung, stellte jedoch auch fest: »Zum Paradies ward die Verlassenheit.«
In der Mitte des Lebens sah sie endlose Jahre vor sich, welche sie mit schnellen Schritten und langen Fahrten zu bewältigen suchte. Es waren letzten Endes Reisen ins Schweigen und Vergessen. Ihre langjährige Vertraute Marie Festetics, die mit Andrássy befreundet war und sie in Fragen der ungarischen Außenpolitik beraten hatte, charakterisierte die ältere Elisabeth treffend:
Da kamen viele gute Feen und legten ihr eine schöne Gabe in ihre Wiege, Schönheit, Lieblichkeit, Anmut, Vornehmheit, Einfachheit, Güte, Demut, Geist, Witz, Schalkhaftigkeit, Scharfsinn und Klugheit. Dann aber kam die böse Fee und sagte: Alles hat man Dir gegeben, wie ich sehe, alles. (…) Ich gebe Dir nichts. Ich nehme Dir aber ein hohes Gut (…) das Maßhalten in Deinem Tun, Treiben, Denken, Empfinden. Nichts soll Dir zur Freude werden, alles sich gegen Dich kehren, selbst Deine Schönheit soll Dir nur Leid schaffen.
In ihrer unmittelbaren Umgebung, am Wiener Hof, war Elisabeth schon lange äußerst unbeliebt. Der Hochadel hasste sie seit dem Augenblick, als ihr Einsatz für Ungarn öffentlich wurde. »Die ungarische Dame« wurde sie genannt – eine große Auszeichnung in Ungarn, eine eindeutige Beschimpfung in Wien. Ihre magyarischen Hofdamen wie die erwähnte Marie Festetics konnten mit niemandem außer der Kaiserin sprechen, da die Mutter des Kaisers sie mit Nichtachtung strafte und die Hofgesellschaft diesem Beispiel folgte – galt doch Sophie bis zu ihrem Ableben, und auch noch darüber hinaus, den meisten als »wahre Kaiserin«. Die Ablehnung der Alteingesessenen provozierte in Elisabeth Unverschämtheit, Unkonventionalität, »Unmöglichkeit«. Immer dieses Lesen – was für eine Zeitverschwendung! Sie war durchaus geistreich, dadurch galt sie als »emanzipiert« – ein Schimpfwort. Sie war kulturell sehr interessiert – das fiel unangenehm auf, noch dazu bei einer Frau. Geistvoll – ein Synonym für liberal.
Im Volk schwächelte die Zuneigung zu Elisabeth auch langsam, aber dafür umso bestimmter. Niemals würden die Wienerinnen und Wiener ihr verzeihen, dass sie ihre Schaulust nicht zu befriedigen gedachte: Karfreitagsprozession, Fronleichnamsfest, Maikorso … – bei allen Großereignissen im Jahreslauf glänzte die Monarchin durch Abwesenheit. Man wartete schon regelrecht auf die kleine Notiz in den Zeitungen, wonach ein »plötzliches Unwohlsein Ihre Majestät ergriffen« habe oder sie »zur Erholung aufs Land reisen« musste. Sie kümmerte sich mit fünfzig längst nicht mehr darum, etwas von dem verstehen zu wollen, was um sie herum vorging. Mit Schirm, Fächer und Schleier verschwand sie aus der Öffentlichkeit. Etwas Seltsames, Fremdes, schwer zu Deutendes schien von ihr auszugehen, etwas, das die Fantasie schon der Zeitgenossen anregte. Man versuchte sie zu deuten und missdeutete sie. Der Wiener Schriftsteller und spätere Filmproduzent Felix Dörmann verfasste in der Nachfolge von Charles Baudelaire die Gedichtsammlung »Neurotica« (1892). Elisabeth mochte Baudelaire. Seine Frauenschilderungen entsprachen ihren Selbstbildern: geisterhafte, flüchtige Wesen, Töchter der vom ermüdenden Duft der Tuberosen durchzogenen Décadence. Möglicherweise schwebte Dörmann das Bild der ihren Untertanen so fernen Elisabeth vor, als er diese Verse zu Papier brachte:
Ich liebe, was niemand erlesen,
Was keinem zu lieben gelang:
Mein eigenes, urinnerstes Wesen
Und alles, was seltsam und krank.