Читать книгу Mein Herz ist aus Stein - Michaela Lindinger - Страница 14
»Frau Ritter Blaubart’s Cabinet«
ОглавлениеDass sich Elisabeth langweilte und mit ihrem Leben als Großmutter und Frau mittleren Alters nichts anzufangen wusste, zeigt sich besonders deutlich in der sogenannten »Affäre Pacher«, die sich in den Jahren 1885 bis 1887 abspielte. Viele Jahre zuvor, am Faschingsdienstag 1874, hatte sie sich verbotenerweise dazu hinreißen lassen, inkognito einen Ball zu besuchen, die Musikvereins-Redoute. Es sollte ein großer Maskenball werden, ganz Wien sprach davon. Die Kaiserin erschien in einem gelben Domino, einer rotblonden Perücke und in Begleitung der ungarischen Hofdame Ida Ferenczy, die einen roten Domino trug, also ebenfalls einen wadenlangen Umhang, ärmellos, aber mit großer Kapuze. Ursprünglich trugen italienische Geistliche einen Domino, abgeleitet vom lateinischen Wort »dominus«, der Herr. Ab dem 16. Jahrhundert verwendete man ihn aber auch, um unerkannt zu einem geheimen Rendezvous zu gelangen. Bezeichnenderweise zierte dieses Kleidungsstück nun die abenteuerlustige Kaiserin. Auf der Redoute musste Ida sie »Gabriele« nennen. Der junge Ministerialbeamte Fritz Pacher fiel dem gelben Domino positiv auf und wurde vom roten Domino zur Galerie gebracht, auf der »Gabriele« hinter ihrer schwarzen Spitzenmaske das bunte Treiben beobachtete. Als das Gespräch politische Fragen mit einbezog und die ungeschickte Elisabeth sich bei Pacher nach seiner Einschätzung des Kaiserhauses im Allgemeinen und der Kaiserin im Besonderen erkundigte, war sie enttarnt. Beide machten jedoch weiter gute Miene zum bösen Spiel. Der 26-jährige Friedrich List Pacher von Theinburg hatte den Ball wohl in der Hoffnung auf einen kleinen Flirt besucht und schob nun die Kaiserin von Österreich durch das Maskengedränge. Als das ganze Theater doch zu peinlich wurde, ließ sie ihn auf ein Zeichen von Ida Ferenczy hin stehen und verschwand in einer Kutsche. Als Pacher der verkleideten Cinderella in einem Brief auf den Kopf zusagte, dass er in »Gabriele« längst die Kaiserin erkannt hatte, stoppte Elisabeth den mit verstellter Schrift verfassten und mit falschen Poststempeln versehenen Briefverkehr, mit dem sie sich in teenagerhafter Manier ein paar Monate lang gut unterhalten hatte. In ihrer Klimakteriums-Fadesse maß sie nun, 1885, dem an sich harmlosen Scherz einer Faschingsnacht überdimensionale Bedeutung bei und suchte aus heiterem Himmel den postalischen Kontakt mit dem längst verheirateten und nach eigenen Aussagen glatzköpfigen Fritz Pacher. Dieser antwortete sogar, wimmelte sie aber gereizt ab: »Eine anonyme Korrespondenz entbehrt nach so langer Zeit des Reizes«, schrieb er. Sisi ärgerte sich über den Korb, nannte Pacher »ein ganz gemeines Beast«. Zwei Jahre später war sie noch immer nicht über die Angelegenheit hinweg und trieb einen beträchtlichen Aufwand, um Pacher eines ihrer Gedichte in gedruckter Form zukommen zu lassen. Um »keinen Verdacht auf ihre Person zu lenken«, ließ sie den Text von Mittelsleuten in Brasilien (!) aufgeben. Der Schriftsteller Egon Cäsar Conte Corti interviewte Pacher als alten Mann für seine Elisabeth-Biografie und erfuhr auf diese Weise von der Existenz des Gedichts »Das Bild des gelben Domino/Long long ago«:
Denkst du der Nacht noch im leuchtenden Saal?
Lang, lang ist’s her,
lang ist’s her,
Wo sich zwei Seelen getroffen einmal,
Lang, lang ist’s her,
lang ist’s her,
Wo uns’re seltsame Freundschaft begann,
Lang, lang ist’s her, lang ist’s her!
Denkst du, mein Freund, wohl noch manchmal daran?
(…)
Ein Druck der Hand noch, und ich musste flieh’n,
Lang, lang ist’s her, lang ist’s her!
Mein Antlitz enthüllen durft’ ich dir nicht
Lang, lang ist’s her, lang ist’s her!
Doch dafür gab ich der Seele ihr Licht,
Freund, das war mehr, ja, das war mehr!
(…)
Lebst du, so gieb mir ein Zeichen bei Tag,
Lang, lang ist’s her, lang ist’s her,
(…)
Lass mich warten nicht mehr,
Warten nicht mehr!