Читать книгу EQUALIZER - Michael Sloan - Страница 11
Kapitel 7
ОглавлениеEin Gast an der Bar, den McCall noch nie zuvor gesehen hatte, grinste ihn an. Er nippte an einem Corona und arbeitete sich gerade durch einen Hamburger mit Pilzen, Röstzwiebeln, Knoblauch (eine Spezialität des Hauses) und Pommes. Er war vermutlich Ende 20, ein wenig übergewichtig, wie ein Athlet, der nicht mehr joggte oder so oft, wie er sollte, ins Fitnessstudio ging. Er hatte ein rundes Gesicht, braune Augen, und eine Wolke Cerruti-Image-Aftershave umgab ihn, stark genug, um die Klofrau auszuknocken. Er sah aus wie der Typ in der Handywerbung, dessen Handy entweder nicht schnell genug war oder keinen Empfang hatte.
»Die ist in Sie verknallt!«
McCall lächelte. »Ich mixe ihre Drinks so, wie sie sie gerne hat.«
»Nein, ehrlich! Und sie ist heiß, Mann. Nur, weil Sie älter sind? Wen kümmert’s? Machen Sie sich an sie ran.« Als McCall nicht reagierte, streckte er die Hand aus. »Chase Granger.«
McCall schüttelte sie. »Bobby Maclain.«
»Tolle Kneipe! Erinnert mich an das alte Maxwell Plum, erinnern Sie sich? Das war an der 64., Ecke First Street.«
»Da können Sie doch erst drei oder so gewesen sein, als das 1988 zugemacht hat.«
»Ja, aber mein Dad ist immer dahin gegangen. Er hat mir davon erzählt. Der hat in Immobilien gemacht. Ich hab ihn vor zehn Jahren verloren. Bin in derselben Branche. Letzten Monat ins Büro am Broadway versetzt worden. Ist es immer so voll hier?«
»Jeden Tag, zum Lunch und Dinner.«
Eine der Kellnerinnen, Gina, eine spröde brünette Schauspielerin mit ausdrucksstarken Augen und einem großen Herzen, wartete an der Bar. Ihr Tablett war vollgestapelt mit dreckigen Tellern und Gläsern. Sie wedelte mit einer Rechnung herum, als wäre es eine weiße Flagge.
»Ich muss noch die Bestellung aufnehmen«, sagte McCall.
»Ach ja, der Burger ist übrigens super. Die Pommes sind salzig, so wie ich sie mag.«
»Genießen Sie Ihr Lunch.«
McCall ging zu Gina. Ihre Bestellung waren zwei Gläser Mondavi Chardonnay. Sie gab McCall das Tablett.
»Danke, Bobby. Ich komme wieder.«
Sie sagte es wie Arnold in Terminator und rauschte davon. McCall stellte die Teller in eine Spüle, die Gläser in eine andere und verschob eine Flasche Knob Creek Rye, sodass ihm der Rücken der Flasche zugewandt war. In der orangen, verzerrten Reflexion sah er Chase Granger. Er schlang seinen Burger herunter, mampfte genießerisch seine Pommes und sein Blick wanderte kein einziges Mal in McCalls Richtung.
Doch dann schlug McCalls Radar bei jemand anderem Alarm.
Der große Afroamerikaner saß in einer Ecknische auf der Seite mit dem langen Bartresen. Sein Name war Jeremiah Thomas Malgerman, aber alle nannten ihn »J. T.«, solange er zurückdenken konnte. Der Einzige, der darauf bestanden hatte, ihn »Jeremiah« zu nennen, war sein alter Herr gewesen, bevor er ihm mit einer Schrotflintenladung an einem Weihnachtsabend das Gesicht weggepustet hatte. Es war ein Unfall gewesen, aber wenn man genauer darüber nachdachte … vielleicht auch nicht? J. T. war sich da nie so ganz sicher. Der alte Bastard war mit dem Gürtel auf ihn losgegangen. Die Schrotflinte war in der Küche gegen die Türklinke gelehnt gewesen. Sein Vater hatte sie selbst hereingebracht, und er entlud die Schrotflinte immer, wenn er sie von draußen mit reinbrachte. Eine Lektion, die er seinem Sohn stets eingehämmert hatte. Aber in dieser Nacht hatte er sie nicht entladen. Er war ziemlich betrunken gewesen, und er war fies, wenn er betrunken war. J. T. hatte sich die Schrotflinte geschnappt, sie auf ihn gerichtet und den Abzug gezogen, denn er dachte, es konnte ja nichts passieren, außer, dass er ihn ein wenig erschreckte. Vielleicht machte er sich in die Hosen. Aber eine Sekunde später hatte er seinem Vater das Gesicht weggeblasen.
J. T. saß in der Ecke in der letzten Nische, damit er dem Barkeeper nicht ins Auge fiel. Von seinem Sitzplatz aus konnte er hin und wieder einen Blick auf den Mann erhaschen, aber oft wurde er von den Kellnerinnen verdeckt, die kamen und gingen. Und der Mann hatte meistens dieser Seite des Restaurants den Rücken zugewandt, während er mit den Gästen an der Bar redete. Er hatte ihn nur kurz gesehen, als er reingekommen war, aber das hatte genügt. Er war sich sicher. Dieses Gesicht würde er nicht vergessen, auch wenn es nicht besonders einprägsam war. Tatsächlich hatte er es nur einmal gesehen, als er selbst Schmerzen gelitten hatte, bevor das Arschloch einen Schritt um ihn herumgemacht, die Schlampe am Arm genommen und ihren Arsch aus der Gasse gezerrt hatte.
Er hatte immer noch die Armreifen an, aber die meisten der Ringe abgenommen. Beinahe unbewusst berührte J. T. die Schienen an vier seiner Finger, zwei an einer Hand und zwei an der anderen. Sie waren an der Stelle fixiert, wo man die Knochen gerichtet hatte. Er kam sich unbeholfen und wie ein verdammter Krüppel vor. Es war schwierig, damit zu essen. Zehn Minuten brauchte er, seinen Schwanz rauszuholen, um zu pinkeln. Den Schmerz hatte er mit Tylenol unter Kontrolle, aber da war Codein drin und er musste vorsichtig sein, denn das war ein Betäubungsmittel und er hatte in seiner Jugend Paracetamol missbraucht. Aber das Koffein machte ihn wach, und obwohl er nur zwei Pillen alle sechs Stunden nehmen sollte, schluckte er tatsächlich vier. Wie schlimm konnten schon die Nebenwirkungen sein? Er hatte Freunde, die Oxycontin einwarfen, als wären es Hustenbonbons.
J. T. war gerne klar im Kopf. Das bewahrte ihm seinen Fokus und die Kontrolle. Sein Angreifer hatte ihm diese Kontrolle genommen. Der würde noch erfahren, was Schmerzen waren, aber J. T. musste vorsichtig sein. Der Typ war schnell. Klar, er hatte ihm unvorbereitet eine verpasst. J. T. war nicht auf den Angriff gefasst gewesen. Verdammt, er hatte das Arschloch in der Gasse nicht einmal gesehen, bevor er ihn an den Handgelenken gepackt hatte. Seine ganze Aufmerksamkeit, sein Zorn, waren auf diese Schlampe Lucy gerichtet gewesen. Der Nutte hatte er eine Lektion erteilt, die sie nicht vergessen würde. Sie hatte ihm an dem Tag hundert Dollar weniger eingebracht als üblich. Er hatte ihre Klamotten durchsucht und ihre Tasche, es aber nicht gefunden. Er wusste verdammt gut, wo es war. Sie hatte es sich in den Arsch gesteckt und gedacht, sie käme damit durch, ihn zu beklauen. Niemand klaute auch nur einen Cent von J. T. und kam damit davon.
Und niemand demütigte ihn ungestraft.
Aber er würde denselben Fehler kein zweites Mal machen. Der Barkeeper sah wenig beeindruckend aus, aber die Situation musste stimmen. Irgendwo, wo keine Cops an der nächsten Ecke standen, die sich einmischen konnten. An einer Stelle, wo sich der Typ sicher und behaglich fühlte. Und J. T. würde nicht alleine sein. Normalerweise war er nie alleine. Er hatte eine Menge Freunde und die waren angepisst über das, was ihm passiert war. Zwei hatte er für diese kleine Sache schon eingespannt. Ein Bruder – Big Gertie nannten sie ihn, denn sein Nachname war Gertrain – hatte gedacht, die Beschreibung des Typs passe auf einen der Barkeeper im Bentleys. Das wäre natürlich noch erniedrigender, sich die Scheiße aus dem Leib prügeln zu lassen von einer Schwuchtel von Barkeeper in einem Weiberladen wie dem Bentleys. Also hatte er erst einmal selbst nachsehen wollen. Und tatsächlich, da war der Typ, mixte Drinks, glotzte die blonde Schlampe mit den dicken Titten und dem Dauergrinsen an und laberte Müll mit den Gästen an der Bar. Alles cool.
Nur dass J. T. ihn gefunden hatte.
Er schlüpfte aus der Sitznische und war darauf bedacht, sich von der Bar wegzudrehen. Er wollte nicht, dass Bobby Maclain einen Blick rüber warf und ihn sah. Aber der Barkeeper stand in die andere Richtung und redete mit irgendeinem Typen an der Bar, der aussah wie ein Aktienhändler, Anwalt oder einer von diesen Arschlöchern, die einem die Eier lutschen würden, während sie einem gleichzeitig die Kohle aus der Nase zogen. J. T. war nur ein Kunde in dem brechend vollen Laden, der zum Seiteneingang ging.
J. T. schob sich durch die Tür ins helle Sonnenlicht. Er schirmte die Augen mit der Hand ab. Draußen auf dem West Broadway nahm er vorsichtig sein iPhone raus, er wollte es nicht zum hundertsten Mal runterfallen lassen. Er hielt das Telefon in der Handfläche, während er mit dem Zeigefinger der rechten Hand darauf herumtippte. Er wartete auf die Antwort am anderen Ende.
»Ja, das ist der Typ«, sagte J. T.
Katia Rossovkaya hatte es geschafft, ihm seit drei Nächten auszuweichen.
Sie ging durch den Nachtklub, der langsam zum Leben erwachte. Der Hauptschmuck des Ladens war eine Reihe von Matroschkas, die zuerst groß waren und dann immer kleiner wurden, alle in Silber mit hübschen gemalten Gesichtern. Über den Puppen war ein Logo in silberner Schrift: DOLLS. Sie wusste nicht mehr, wie viele Dolls-Nachtklubs es weltweit gab. Mindestens ein Dutzend, da war sie sicher, und fünf davon in den Vereinigten Staaten. Die silberne Kaleidoskopkugel, die normalerweise über der großen Tanzfläche hing, war abgenommen worden. Ein paar Handwerker machten sich daran zu schaffen. Bei einer der farbigen Lampen funktionierte das Stroboskoplicht nicht mehr.
Kuzbec und Salam, zwei junge Tschetschenen, die im Klub arbeiteten, stellten die Tische auf. Ein anderer seelenloser Emigrant aus Tschetschenien, Rachid, stand hinter der silbernen Bar und richtete alles her. Katia wusste, das waren »Enforcer«, nicht dass jemand im Klub das auch nur geflüstert hätte. Sie hatte keine genaue Vorstellung, was ihre Aufgabe war, aber sie wusste, dass unschuldige Menschen deswegen leiden mussten. Der DJ des Hauses, ein muskulöser junger Mann, bereitete alles für die heutige Abendunterhaltung vor. Sein Name war Abusaid, aber jeder nannte ihn »Abuse«. Er spielte seine Musik auf einem Pegel, der den meisten fast die Trommelfelle zerfetzte.
Alles leuchtete silbern. Die Tische und Stühle waren silbern, ebenso die Ränder der Tanzfläche und dann gab es natürlich auch noch die silberne Bar in einer Ecke. An den Wänden hingen riesige Drucke von Bildern des tschetschenischen Malers Rustam Sardalov. Das Einzige, was Katia gefiel, war eine Nahansicht des Gesichts einer jungen Frau, bemalt mit grüner und ein wenig roter Farbe, als würde ihr Gesicht schmelzen, während darunter die fast durchsichtige Gestalt eines glatzköpfigen älteren Mannes mit Hakennase zu sehen war. Sie liebte das Gesicht des Mädchens, aber die schemenhafte, groteske Figur darin war beängstigend. Es gab eine Reproduktion eines Sardalov-Gemäldes über der silbernen Bar, das einen knorrigen Baum darstellte mit klauenartigen Ästen, die er in einen geschmolzenen Himmel streckte, und ein Tisch wuchs aus dem Stamm. Das Bild hinter der Tanzfläche fand sie besonders verstörend: Im Hintergrund der Himmel, davor ein Mann in einem schwarzen Mantel, mit weißem Hemd und einem blau-weißen Schlips auf der einen Seite, dem lange Stacheln aus dem blassen Gesicht wuchsen. Sein Mund stand weit offen, als würde er lautlos schreien. Hinter einem Streifen weißen Lichts lugten drei merkwürdige Gesichter aus einem runden silbernen Zylinder hervor, als wären sie gerade geschlüpft. Ihre Münder standen ebenso weit offen. Ein Arm, der in einem Jackettärmel steckte, beschützte sie, und die Hand zeigte auf zwei runde Zylinder, die im Weltall schwebten.
Die Reproduktion des Sardalov bei der Treppe, die in Kirovs Büro im ersten Stock führte, zeigte einen Mann mit Brille auf einem Stuhl, hinter dem Treppenstufen hinab ins Nichts führten. Die vor ihm führten ebenso ins Nirgendwo, und alles war blaugrau, abgesehen von dem rostfarbenen Stuhl. Der Mann im Stuhl sah ein wenig wie Borislav Kirov aus, hatte dieselbe Frisur und Brille, auch wenn sie zweifelte, dass er für das Bild Modell gesessen hatte. Das verstörte sie auch, dass die Ähnlichkeit zu ihrem Boss so groß war. Es war, als könnte man ihm nicht entkommen. Wenn man wegrannte, säße er einfach in diesem rostfarbenen Stuhl und wartete darauf, dass man zu ihm zurückgebracht wurde.
Einige der Tänzerinnen hatten sich bereits eingefunden, aber sie trugen noch nicht ihre Dolls-Kostüme. Sie waren alle Anfang 20, die meisten von ihnen aus Tschetschenien, sechs aus Grosny, zwei aus Chervlennaya, eine aus Kirovauya. Es gab noch zwei weitere aus Usbekistan und eine aus Kasachstan. Keine aus Russland. Sie waren alle begierig darauf gewesen, ihr Heimatland zu verlassen. Man hatte ihnen die Reise ihrer Träume angeboten, in die Vereinigten Staaten zu fliegen, nach New York City, und Tänzerinnen in einem Nobelnachtklub zu werden. Kein Geschäftsmann oder Politiker, der alleine ins Dolls kam, musste einsam herumsitzen und sich die Paare auf der Tanzfläche ansehen. Es gab zwölf wunderschöne Tänzerinnen, die bereit waren, mit ihm zu tanzen. Es kostete allerdings Geld. Sie waren alle anmutige, gute Tänzerinnen und aufgeweckt. Es hatte eine tolle Eröffnungsfeier gegeben, mit jeder Menge Broadwayschauspielern und Filmstars, Sportlern, Politikern und sogar einem saudischen Prinzen. Erst als die Mädchen schon ein paar Wochen den Job gemacht hatten, wurde ihnen klar, was von manchen erwartet wurde. Es gab ein halbes Dutzend kleiner Zimmer im ersten Stock des Klubs. Katia wusste, was darin passierte. Einige der Mädchen waren ganz scharf drauf – es bedeutete eine Menge mehr Geld. Manche mussten abarbeiten, was ihr Flug und die Anstellung gekostet hatten. Ein paar hatten Nein gesagt.
Sie waren nicht mehr in dem Klub.
Der elegante Mann hatte sich schon zu ihr gesellt, bevor sie die Bar erreichte. Er trug einen grauen Nadelstreifenanzug, eine rot-goldene Krawatte und ein Einstecktuch in der Brusttasche des Jacketts. Sie wusste, dass er immer eine Waffe in einem Schulterholster unter der Anzugjacke trug, aber man konnte nichts davon sehen. Abuse hatte ihr im Flüsterton gesagt, die Waffe sei eine Taurus 740 G2 Slim, die sich besonders gut verstecken ließ. Er hatte sie schon mal auf dem Schreibtisch im Büro des eleganten Mannes gesehen und es im Internet recherchiert. Es machte sie nervös, dass die Waffe nur einen Griff entfernt war. Nicht dass sie etwa Angst hatte, er würde sie gegen sie einsetzen. Sie wollten sie nicht tot sehen. Sie war zu wertvoll für sie.
Er packte ihren nackten Arm. Sie trug die silberne Uniform, die alle Cocktailkellnerinnen im Dolls trugen. Die Seidenbluse war kurzärmlig und so weit ausgeschnitten, dass es schwierig war, einen BH zu tragen, denn Kirov wollte nicht, dass man ihn sah. Die meisten der Mädchen machten sich nicht die Mühe, einen zu tragen. Katia tat es, aber er war sehr knapp und es störte sie, dass man ihre Brüste fast bis zu den Nippeln sehen konnte. Die Cocktailkellnerinnen trugen alle maßgeschneiderte, sehr schicke Seidenhosen. Außerdem silberne Pumps mit zehn Zentimeter hohen Absätzen. Sie hatte Wochen gebraucht, sich daran zu gewöhnen.
Sie blieb stehen und sah ihn schließlich an.
Sein Name war Bakar Daudov. Über ihn wurde im Nachtklub getuschelt, sogar noch mehr als über Borislav Kirov, den Boss. Daudov war ein Killer, da war sie sicher. Sie hatte oft genug in diese starken, leeren Gesichter mit den toten Augen gesehen, um einen zu erkennen. Daudovs Augen waren blassblau, was ihn für sie noch bedrohlicher wirken ließ.
Wie ein Engel des Todes.
Er erhob nie die Stimme. Sein tschetschenischer Akzent war ausgeprägt für jemanden, der seit zehn Jahren in New York City gelebt hatte.
»Wir müssen reden, Katia.«
Er wartete nicht auf eine Antwort. Stattdessen ging er mit ihr im Schlepptau an einen leeren Tisch neben der Tanzfläche und ließ sie Platz nehmen. Er setzte sich auf den Stuhl gegenüber, griff nach ihrer Hand. Sie hatte keine Wahl, als sie ihm zu reichen. Seine Hände waren glatt, als würde er Talkumpuder benutzen. Er lächelte, aber es war das lippenlose Lächeln einer Kobra.
»Du genießt deine Zeit hier in New York.«
Eine Feststellung, keine Frage.
»Ich liebe es hier.«
»Du bringst eine gewisse Energie mit in den Klub. Geschmack. Tollen Stil. Aber eine Cocktailkellnerin zu sein ist unter deiner Würde. Wir wollen dich zu einer Tänzerin befördern.«
»Ich tanze nicht gut.«
»Du bewegst dich wie ein Engel. Wir erteilen dir Unterricht. Es wird auch Proben geben. Du bist ein Naturtalent.«
»Ich weiß, was in den Zimmern im ersten Stock passiert«, zischte sie fast. »Ich bin keine Hure.«
»Du bist das, was wir dir sagen«, erwiderte er. Er war schwer zu verstehen, da Abuse gerade ein Lied von Lady Gaga spielte, in dem es hieß, »you were born this way«. Die Musik plärrte kurz durch den leeren Klub, während der DJ versuchte, den richtigen Soundpegel zu finden. »Du wirst immer die volle Kontrolle über jede Situation haben. Wir sind hier, um dich zu beschützen.«
»Wieso bittest du mich darum? Du weißt, dass das gefährlich ist.«
Einen Moment sagte niemand etwas. Daudov hatte hängende Lider und nun verengten sich seine Augen noch mehr, wie die einer Schlange. »Du wurdest von einem Gast angefordert. Einem ganz besonderen Gast.«
»Weiß Mr. Kirov, dass du mir drohst?«
»Mr. Kirov weiß über alles Bescheid, was in seinem Nachtklub passiert. Ich bitte dich nur, darüber nachzudenken, Katia. Die Gehaltserhöhung wäre beträchtlich. Wir reden hier nicht über den Abschaum, der am Times Square in einen Stripklub stolpert. Das sind wichtige, einflussreiche Leute. Gute Menschen. Die ein Bedürfnis verspüren.«
»Und wenn ich mich weigere?«
»Wie geht es Natalya? Du hast sie seit ein paar Wochen nicht mehr in den Klub mitgebracht. Wir vermissen sie.«
Die Drohung war unverhüllt. Katia zog ihre Hand aus Daudovs sanftem Griff. Er hatte lockergelassen. Wenn er ihre Hand auf den Tisch gedrückt hätte, wäre es ihr nie gelungen, sich zu befreien. Sie stand auf und ging. Sie konnte den Blick seiner blassen Augen spüren. Es lief ihr kalt den Rücken hinab.
Sie hatte große Angst vor ihm.
Aber noch mehr Angst hatte sie um ihre Tochter.
Es regnete heftig. Die Art Regen, die Leute von einem Türeingang zum nächsten rennen lässt, um sich unterzustellen, damit sie nicht in fünf Sekunden bis auf die Haut durchnässt sind. McCall stand unbewegt auf dem Schulhof im strömenden Regen und Wind und betrachtete die hintere Ziegelmauer des Gebäudes. Sie war mit Graffiti in allen möglichen Farben übersät. Mosaike, die aussahen wie von Escher gemalt. Eine surreale Bilderfolge, die nirgendwohin führte, unterbrochen von kurzen, heftigen Hassbotschaften. Er fragte sich, ob manches davon schon an der Wand zu lesen war, als er mit 14 auf genau diesem Schulhof gestanden war und darauf gewartet hatte, dass sie über ihn herfielen. Am Fuße der Ziegelmauer krabbelte eine durchaus kunstvoll gemalte Schildkröte entlang. Er glaubte, sich an die Schildkröte zu erinnern. Ihr Panzer war ihm so fragil vorgekommen. Als ob ein kräftiger Hieb mit dem Hammer sie zerstören konnte. Daran hatte er gedacht, als der erste der Sporttypen ihm von hinten eine verpasst hatte.
Er hatte einen kleinen Streber aus Ungarn namens Andras – sie nannten ihn in der Schule Andy – davor bewahrt, von einigen der Jungs aus dem Highschool-Footballteam verdroschen zu werden. Ihm klar war gewesen, dass es nicht lange dauern würde, bis sie sich über ihn hermachen würden. Sie sollten ihn alleine auf dem Schulhof antreffen, dafür hatte er gesorgt. Verletzlich, ein leichtes Ziel. Er wollte nicht über die Schulter schauen müssen, wenn er von der Schule nach Hause ging. Mit 14 hatte er noch keine Ausbildung in Kampfsportarten, abgesehen von ein paar Karatestunden. Das hatte ihn ein wenig dringend notwendige Disziplin gelehrt, aber nach drei Monaten war er nicht mehr zum Training gegangen. Die Arbeit in der Gruppe hatte ihm nicht gefallen. Er hatte lernen wollen, wie man sich im Zweikampf verteidigt, aber sein Sensei meinte, er sei noch nicht so weit. Und würde es auch noch ein paar Jahre lang nicht sein. Also musste er sich auf seine Instinkte verlassen.
Aber er hatte den Footballtypen hinter sich nicht bemerkt, bis der ihm gegen den Kopf geschlagen hatte. Das hatte ihn überrascht. Er drehte sich um, brachte einen Schlag an, den sein Sensei ihm beigebracht hatte – einen Ellbogen ins Gesicht. Gegen die Schläfe. Das rüttelte den Schulhofschläger ordentlich durch, der ins Stolpern kam. Der junge McCall hatte den Kerl unter dem Arm gepackt, angehoben und sich dabei auf ein Knie fallen lassen. Der Schwung hatte den Sportlertypen über McCalls Schulter geschleudert. Er war hart auf dem Asphalt aufgeschlagen. McCall hätte es dabei belassen sollen. Schließlich war er keine Bedrohung mehr. Aber in einem plötzlichen Wutanfall hatte er dem Jungen seitlich gegen den Kopf getreten. Er war bewusstlos geworden und hatte eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen. In den Tagen nach dem Kampf hatte der Footballspieler, dessen Namen er nicht einmal mehr wusste, Schwierigkeiten, sich an kurz zurückliegende Ereignisse zu erinnern, ihm war schummrig, er verlor manchmal das Gleichgewicht und hatte ein ständiges Klingeln im Ohr. Es dauerte noch zwei Wochen, bis man bei ihm eine Hirnblutung diagnostizierte. Der Arzt hatte dem jungen McCall im Krankenhaus erklärt, dass sich zwischen der schützenden äußeren Membran des zentralen Nervensystems und dem Schädel Blut angesammelt hatte. Das erzeugte Druck im Inneren des Schädels und konnte das Hirngewebe quetschen. McCall erinnerte sich daran, dass er sich verzweifelt gewünscht hatte, der Junge – Billy Jackson, das war sein Name gewesen – möge nicht sterben. Das war auch nicht passiert. Aber er war nie wieder ganz der Alte geworden.
Der zweite Angreifer war der Quarterback, Jerry Stiles. Er war von links auf McCall losgegangen und hatte ihm einen Schlag auf den Solarplexus verpasst, der ihn auf die Knie gehen ließ. Der Regen war wie eine Sturzflut. So wie heute Abend. Stürmisch und unnachgiebig und nie nachlassend. Er erinnerte sich daran, wie sich Blut mit dem Wasser vermischt hatte, als einer der anderen Sportlertypen ihn ins Gesicht getreten hatte. Heiß war das Blut aus seiner Nase geströmt, aber wie durch ein Wunder war sie nicht gebrochen.
Er hatte an diesem Abend Glück gehabt.
Sie hatten ihm einen Krankenhausaufenthalt bescheren wollen.
McCall hatte den Kerl, der ihm eine blutige Nase verpasst hatte, einen Linebacker, gepackt und zu Boden gerissen. Er war groß und langsam und der peitschende Regen hatte ihm die Sicht genommen. McCall verpasste ihm einen Schlag mit dem Ellbogen seitlich gegen den Hals, der ihn stöhnend auf dem Boden zurückgelassen hatte.
Dann zerrten sie McCall grob auf die Beine und deckten ihn von allen Seiten mit Schlägen ein, aber der Angriff war unkoordiniert. Sie schlugen einfach blindlings auf ihn ein, traten ihn, in der Annahme, ihre zahlenmäßige Überlegenheit genüge bereits. McCall trat einen von ihnen in die Eier und es faltete ihn zusammen. Er zog die Beine an, um sich zu schützen. Ein vierter der Sportfuzzis versuchte, McCall am Kopf zu packen und ihm die Daumen in die Augen zu bohren, aber der Angriff war unbeholfen. McCall trat dem Jungen die Beine weg. Es war so rutschig, dass jede Kampftaktik zum Scheitern verurteilt war außer McCall gegen die graffitibeschmierte Ziegelwand zu drücken und wild auf ihn einzuschlagen. Der Kerl versuchte aufzustehen. McCall knallte ihm den Absatz seiner Nikes gegen die Stirn. Er ging wieder zu Boden.
Jerry hatte nun den Arm um McCalls Kehle und drückte ihm die Luftröhre zusammen. Er war stark und McCall merkte, wie ihm die Sinne schwanden. Gleichzeitig strömte eine Eiseskälte durch seine Adern, kälter als der Regen. Er fühlte sich, als müsse er kotzen, und ihm wurde schwarz vor Augen. Das Einzige, was ihm einfiel, bevor er sicherlich bewusstlos wurde, war, sich nach hinten abzustoßen und den Quarterback mitzureißen. Er erinnerte sich daran, dass er, während er mit Jerry rückwärts taumelte, gedacht hatte, wie dämlich dieser Kampf war. Er mochte Andras nicht mal besonders. Aber er wollte auch nicht zusehen, wie diese Typen ihn quälten. Nicht, dass ihn das was anging. Die meisten Schüler machten einen großen Bogen um McCall.
Das Wort Einzelgänger war ihm quasi auf die Stirn tätowiert.
Jerry und McCall krachten gegen einen der Stahlpfosten, an denen die Basketballnetze festgemacht waren. Die Wucht lockerte den Griff um McCalls Hals. Er hatte sich halb umgedreht, Jerrys Arm gepackt, ihn mit beiden Händen fest umklammert, nach oben geschoben und dann mit Wucht nach unten gerissen und gebrochen.
Das hatte den Kampf beendet. McCall hatte sich vom Pfosten des Basketballkorbs abgestoßen, nach Luft geschnappt und war selbst im strömenden Regen auf die Knie gegangen. Er erinnerte sich daran, dass er aufgeblickt und den Schmerz und Unglauben in Jerrys Augen gesehen hatte. Ein gebrochener Arm beendete seine Footballkarriere in diesem Jahr. Vermutlich für immer. Und die Mavericks waren auf dem ersten Platz gewesen. Ohne Jerry konnten sie die Meisterschaft nicht gewinnen, daran erinnerte sich McCall. Er war überzeugt, das hatte die Schulleitung mehr aufgeregt als der Kampf an sich.
Sie hatten sich dann verkrümelt und den jungen Robert McCall auf Knien auf dem Spielplatz zurückgelassen, während ihn der Regen durchweicht hatte.
McCall war langsam aufgestanden. Er hatte auf ein Hochgefühl gewartet, aber es hatte sich nicht eingestellt. Ihm war einfach nur schlecht gewesen. Nichts hatte sich verändert. Die anderen Kinder in der Schule würden immer noch einen riesigen Bogen um Robert McCall machen. Ein paar der Streber würden weiter gemobbt werden, aber die anderen Schulhofschläger überlegten es sich möglicherweise zweimal, wenn sie den Arm ihres Star-Quarterbacks in einer Schlinge sahen und die Chancen auf die Ligameisterschaft dahin waren.
Aber es hatte noch eine weiterreichende Auswirkung.
McCall war von der Schule geflogen.
»Du bist der letzte Mensch, den ich hier im Regen auf diesem Spielplatz erwartet hätte«, sagte sie leise.
McCall drehte sich um und lächelte. Er musste für sie wie eine ersoffene Ratte ausgesehen haben. Irgendwie schaffte sie es, selbst in einem Wolkenbruch noch elegant und völlig gelassen zu wirken. Sie hörte sich sogar ein wenig ironisch an.
Aber seine Ex-Frau hatte für ihn schon immer toll ausgesehen.