Читать книгу EQUALIZER - Michael Sloan - Страница 7

Kapitel 3

Оглавление

Die Detonation traf den Wagen wie eine riesige Faust und zertrümmerte das Seitenfenster auf der Fahrerseite. Der Lada schleuderte über die schmale Pflastersteinstraße in der Nähe des Tverskoy Boulevard. Kleine Glasdolche bohrten sich in die linke Seite von Elenas Gesicht. Sie spürte die Hitzewelle, als hätte jemand eine Ofentür geöffnet. Alles wirkte auf sie wie in Zeitlupe: Sie wich einem Metallpfosten am Straßenrand aus, der eine verglaste Anzeigentafel trug mit Werbung für Guerlain – Shalimar und einer rosa Parfümflasche darauf, die die Kurven einer nackten jungen Frau verdeckte. Auf dem Gehsteig stand eine große, schwarz-weiße Kuh. Sie traf sie und der hintere Teil der Skulptur wurde durch das Fenster eines Ladens geschleudert. Über der Ladentür stand: KOOEHH, ANDENKEN, WODKA UND KAVIAR AUS RUSSLAND MIT LIEBE. Ganze Reihen russischer Matroschka-Puppen mit Karikaturen darauf wurden durch die Luft gewirbelt: Mick Jagger, Putin, Obama, Prinzessin Diana, Dostojewski, Tolstoi, Stalin, der einen mahnenden Zeigefinger in ihre Richtung hielt. Alle wurden gemeinsam mit dem Glas der Scheibe zersplittert und zerstört.

Zwei Pärchen waren aus einem Gemischtwarenladen an der Ecke getreten. Die Explosion warf sie zu Boden. Die Frau rollte sich in Fötushaltung zusammen. Der Mann hatte einen Arm verloren. Einem Straßenmusiker in einem langen schwarzen Mantel war ein Großteil des Gesichts weggefetzt worden und sein Oberkörper blutete an mehreren Stellen. Eine orange getigerte Katze, die auf seinem Verstärker gesessen hatte, wurde gegrillt. Der Knall der Explosion hallte in ihren Ohren wie ein langes, verzerrtes Echo, das man in der falschen Geschwindigkeit abgespielt hatte.

Elena holperte über den Gehweg. Eine niedrige Wand war mit russischem Graffiti bedeckt, die Worte WWW.ROSTSPLONT.RU waren über ein paar wütend hingekritzelte Farbschmierer geschrieben. Sie riss das Steuer herum, um der Wand auszuweichen.

Das Safehouse der Company befand sich im ersten Stock eines pinken Apartmentgebäudes. Es war das einzige Apartment mit Balkon. Das schmiedeeiserne Balkongeländer lag nun verbogen mitten auf der Straße. Ein VAZ-2107 hatte versucht, ihm auszuweichen, es aber trotzdem getroffen. Ein alter Mercedes-Benz traf das Heck des VAZ und schleuderte ihn in ein paar Tische vor dem Starbucks auf der gegenüberliegenden Straßenecke. Pärchen warfen sich auf den Boden oder hasteten aus dem Weg. Keiner wurde ernsthaft verletzt, bis auf eine junge Frau, die von herumfliegenden Glassplittern getroffen wurde.

Elena starrte nach vorne. Hinter dem zerstörten Souvenirladen war eine riesige hölzerne Figur eines Mannes, der Einrad fuhr, eine Brille auf dem gemalten Gesicht. Er trug eine Jägermütze, ein weißes Hemd, eine rote Krawatte und eine Reiterhose und hob eine große weiße Tasse an die Lippen. Er balancierte schon seit Jahren dort auf dem Gebäude – aber heute war er vornüber gefallen, genau auf die Motorhaube von Elenas Lada. Die weiße Tasse war durch die Windschutzscheibe gekracht, als wolle der Einradfahrer sie dazu auffordern, einen Schluck zu trinken. Zitternd lehnte sich Elena nach vorne und schob die weiße Tasse durch die Windschutzscheibe. Die hölzerne Figur fiel vom Wagen, als sie das Steuer erneut herumriss und zurück auf den Gehweg holperte, dabei knapp das zweite Pärchen verfehlte, das gerade vor dem Gemischtwarenladen aufstand. Der Mann schien unverletzt. Seiner Freundin lief Blut übers Gesicht.

Das alles passierte innerhalb von sechs Sekunden, die sie in absoluter Klarheit erlebte.

Elena steuerte den Wagen zurück auf die Straße, als eine zweite Explosion das zerstörte, was ihr Ziel gewesen war. Mehr Glassplitter schossen über die schmale Straße. Zwei weitere Autos kamen schlitternd zum Stehen. Ein schwerer Volvo knallte in den alten Mercedes und schob ihn durch das Schaufenster eines Hutladens. Ein rotgesichtiger Russe kletterte aus dem Volvo und rannte zum Mercedes, wo er eine schreiende Frau aus dem Wagen zog und mit ihr davonstolperte, bevor der Mercedes in Flammen aufging.

Und dann hatte Elena das Chaos hinter sich gelassen. Sie bog nach rechts auf den Boulevard. Sie fuhr am BECTTA-Gebäude vorbei, das große Kunstwerke in seinen hell erleuchteten Fenstern beherbergte. Links sah sie das VITEK-Schild, das hoch auf einem Haus auf der anderen Seite der Kreuzung thronte, weiß auf blauem Untergrund. Das große Gebäude daneben war in bunten Farben beleuchtet, die ein Bild darstellen sollten. Sie konnte nicht erkennen, was es war. Sie konzentrierte sich auf ein kleines, bedeutungsloses Detail und versuchte, mit dem Durcheinander und der Gewalt fertigzuwerden, der sie eben knapp entkommen war.

Sie hatten gewusst, dass sie zum Safehouse der Company unterwegs war. Sie hatten es beinahe perfekt getimt. Doch offensichtlich war etwas passiert, was das Timing um ein paar Sekunden durcheinanderbrachte. Sie erinnerte sich, wieso. Sie hatte bremsen und stehen bleiben müssen, weil eine kleine Parade von Studenten in der Mitte der Bol’shaya Bronnaya die Straße überquert hatte. Es sah aus, als wären sie von einer Art Demonstration gekommen. Das hatte sie aufgehalten.

Und ihr Leben gerettet.

Elena steuerte eine dunkle Seitenstraße entlang, fuhr an den Straßenrand und parkte. Sie saß einige Augenblicke still, schüttelte die Glassplitter aus dem Haar und streifte sie von ihrem Kleid. Den Rest der Fensterglasscherben auf der Fahrerseite klopfte sie mit dem Griff ihrer Pistole heraus. Bezüglich der Windschutzscheibe konnte sie nichts unternehmen. Sie hatte ein rundes, sauberes Loch, wo die weiße Tasse der Figur durch die Scheibe geschlagen war. Der Rest des Glases war unversehrt. Zum Glück.

Ihre linke Seite brannte. Sie sah, dass ihr linker Arm rot war, von der Hitze versengt. Ihr tat alles weh, als hätte sie einen Hammer in die Rippen bekommen. Ihre Augen waren zugeschwollen und unter ihrem rechten Auge tropfte etwas Blut hervor. Sie justierte den Rückspiegel und inspizierte den Schaden. Ihr Gesicht war von kleinen, glitzernden Juwelen aus Glas übersät. Vorsichtig zog sie alle aus der Haut – es fühlte sich an wie Nadelstiche. Sie wimmerte.

Sie hatte großes Glück gehabt.

In der Ferne hörte sie den Krankenwagen und Polizeisirenen, die näherkamen. Ein tiefes Geräusch, anders als das vertraute Tatütata der Feuerwehrautos und Streifenwagen in der Heimat. Sie konnte nicht hier sitzen bleiben. Es gab sicher noch einen Ersatzplan, um sie umzubringen. Der war bestimmt schon in Aktion getreten. Sie brauchte Verbandsmaterial und Bandagen. Und sie benötigte die Waffen und Munition, die auf sie im Safehouse gewartet hatten, zusammen mit einem neuen Pass und anderen Ausweispapieren.

Aber sie wusste, wo sie hingehen musste. Das verdankte sie einem Gespräch mit Robert McCall. Sie hatten sich nach dem Sex unterhalten, in einer sanften, violetten Nacht, als sie nicht schlafen konnten. Er hatte ihr Dinge erzählt. Das war ungewöhnlich für ihn. Aber er hatte reden wollen. Als hätte ihm schon seit langer Zeit niemand mehr zugehört.

Elena verstellte den Rückspiegel erneut und rechnete damit, hinter sich Autoscheinwerfer zu sehen. Aber da waren keine. Sie konnte den Krankenwagen und das Polizeiauto hören, die den Ort der Explosion zwei Straßen weiter erreicht hatten. Sie steuerte aus der Parklücke, dankbar, dass die Heckscheibe noch ganz war. Weit würde sie mit diesem Wagen nicht kommen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen, aber sie konnte den Lada nicht einfach stehen lassen. Einen Wagen auf der Straße kurzzuschließen war eine weitere Option, aber das war riskant: Autoalarmanlagen, ein Anruf bei der Polizei, um ein gestohlenes Auto zu melden. Aber sie musste nicht sehr weit fahren. Nein, sie würde es riskieren, den Lada noch ein paar Meilen aus Moskau herauszusteuern. Es blieb ihr nichts anderes übrig.

Sie fuhr auf die Verkehrsader, die in die Vorstädte von Moskau führte. Weiterhin inspizierte sie den Rückspiegel, aber es war schwer zu erkennen, ob ihr jemand hinterherfuhr. Nur Scheinwerfer in immer neuen Mustern. Es war kein einzelner Wagen zu sehen, der ihr folgte. Sie umklammerte das Lenkrad fest, versuchte, das Brennen in ihrem linken Arm und Bein zu ignorieren. Vor ihrem geistigen Auge sah sie die Explosion im Safehouse, die sich über die schmale Straße hinweg ausbreitete, und wie der grelle Lichtblitz einen dunklen Fleck in ihrem Sichtfeld hinterlassen hatte. Das weckte Erinnerungen.

Sechs Jahre zuvor war Robert McCall am Fenster eines Hotelzimmers in Serbien gestanden und hatte zugesehen, wie Explosionen den Nachthimmel erhellten. Das ganze Gebäude zitterte bei jeder einzelnen. Er trug einen Tarnanzug. Sein Blick wirkte müde, aber es war noch etwas darin zu sehen, etwas Tieferliegendes. Er hatte einfach bewegungslos dagestanden und in die Nacht hinausgestarrt. Elena war vom Bett aufgestanden und zu ihm gegangen. Sie erinnerte sich, wie ihr Körper im Fenster reflektiert worden war, auf dem die Regentropfen glitzerten.

»Woran denkst du?«, hatte sie gefragt.

»Ein paar alte Erinnerungen«, sagte McCall.

»Gute?«

»Welche, die ich nicht loswerde.«

Er entzündete mit einem goldenen Feuerzeug eine Zigarette. Elena seufzte.

»Schlecht für dich.«

»Ich sehe mich gerne als Hüter der Flamme«, sagte McCall trocken.

Sie nahm ihm die Zigarette ab, inhalierte tief, blies den Rauch aus und gab sie ihm zurück. Sie lachte wieder, aber nun hatte es einen rauen Unterton.

»Ich mache mir Sorgen um deine Lunge und du willst dich einer Schießerei stellen. Wie wichtig ist denn Jancvic?«

»Das kommt darauf an, was die Company mit ihm macht. Er ist eine Schachfigur. Sie werden ihn zu ihrem eigenen Vorteil einsetzen, sobald sie ihn da rausgeholt haben, oder die geben ihn zurück, im Tausch gegen einen von uns.«

»Also hat er gar keine Bedeutung«, sagte sie tonlos.

»Jeder hat Bedeutung«, erwiderte McCall, »aber es ist allen egal.«

»Dir nicht.«

»Ich tue die Arbeit, die erforderlich ist. Das ist mein Job.«

»Ich kenne dich besser«, sagte sie leise.

McCall drückte die Zigarette aus. Einen Moment später hörte man ein Klopfen an der Tür.

»Hast du ihn gehört, bevor er geklopft hat?«

»Ja.«

Kostmayers Stimme war gedämpft. »Es ist so weit, McCall.«

McCall sagte laut: »Gib mir noch eine Minute.«

Elena kuschelte sich in seine Arme. Sie zitterte.

»Kommt jetzt nicht die Stelle, wo du mir sagst, dass die Probleme von zwei Menschen in diesem Krieg völlig bedeutungslos sind?«

McCall lächelte. »Bogart hat aber besser ausgesehen und Lauren Bacall wartete zu Hause auf ihn. Bleib bis zum Morgen in diesem Zimmer. Auf dem Schreibtisch liegt eine geladene Waffe. Benutze sie, wenn du musst. Benutze sie nicht, wenn du nicht musst.«

»Du kommst zurück.«

»Nicht hierher. Wenn ich diese Nacht überlebe, dann gehe ich zu einem Safehouse. Kontrolle hat sicher noch einen anderen Job für mich.«

»Aber er wird nicht dort sein«, sagte sie bitter. »Er würde nicht sein Leben riskieren. Hat dieser Kontrolle auch einen Namen?«

»Vermutlich, aber ich würde ihn nicht einer Journalistin erzählen. Berichte, was passiert. Bewerte es nicht. Dann bleibst du am Leben.«

»Du kennst mich nicht so gut, wie du glaubst.«

»Kann sein. Sperr die Tür hinter mir ab.«

Er küsste sie zärtlich auf die Lippen, dann hob er die Sporttasche vom Boden, in der sich zwei M16-Sturmgewehre, Granaten und Munition befanden, und ging zur Tür. Elena trat nackt zum Schreibtisch, nahm die geladene Waffe und zielte. Falls McCall den Lauf im Rücken spürte, so ließ er sich zumindest nichts anmerken. Er hielt nicht inne. Er machte die Tür gerade weit genug auf, um sich hindurchzuquetschen, und schloss sie hinter sich. Elena trat an die Tür und öffnete sie einen Spalt. Tränen liefen ihr übers Gesicht. Sie konnte McCall und diesen jungen Draufgänger – wie war noch mal sein Name? Mickey irgendwas – Kostmayer, das war es – den schäbigen, kaum erleuchteten Korridor entlanggehen sehen. Ihre Stimmen hallten aus der Ferne an ihr Ohr.

»Wir holen sie morgen früh aus der roten Zone«, sagte Kostmayer.

»Sie ist Reporterin. Das Aushängeschild von CNN. Das wird ihr gar nicht gefallen.«

»Was interessiert dich daran?«

»Nur, dass sie sicher ist.«

Sie kamen an die abgewetzte Treppe und stiegen hinab.

Elena schloss die Tür.

»Leck mich, McCall«, sagte sie und warf die Pistole auf das unordentliche Bett.

Nun, als sie auf den russischen Park zufuhr und der Fahrtwind durch das schartige Loch in der Scheibe heulte, fragte sie sich, ob das der Moment gewesen war, in dem sie beschlossen hatte, ihr Leben zu ändern. Hatte sie es getan, um sich in den Dienst eines größeren Zwecks zu stellen? Oder um sicherzugehen, dass Robert McCall sie nicht noch einmal so einfach sitzen lassen würde? Sie hatte ihn nach der Extraktion in Serbien ein Jahr lang nicht gesehen. Als sie sich wiedersahen, war sie eine frischgebackene Agentin der Company gewesen, sehr zu seinem Entsetzen, und danach redeten sie ein weiteres Jahr nicht miteinander. Aber dann kam die Mission in Wien. Sie war sein Back-up gewesen.

Und die Dinge zwischen ihnen hatten sich verändert.

Ihre Gefühle füreinander hatten die Oberhand gewonnen.

Sie bog vom Boulevard auf eine geteerte Straße, die durch eine Art Niemandsland führte. Es war verlassen und irgendwie postapokalyptisch. Tod hing in der Luft, sickerte aus dem rissigen Asphalt den rostigen Stacheldraht entlang, wie glänzende Schlangen zusammengerollt im spärlichen Mondlicht, das auf verkrüppelte Bäume und schwarze Wände und Straßen schien, die ins Nirgendwo führten. Ihre Augen wanderten immer wieder zum Rückspiegel. Es waren keine Scheinwerfer hinter ihr zu sehen, nur die entfernten, verschwommenen Lichter auf dem Boulevard. Wenn sie sich noch richtig an die Google-Map erinnerte, die Robert ihr gezeigt hatte, war der Park in etwa fünf Meilen Entfernung direkt vor ihr.

Die Straße wand und schlängelte sich durch das Niemandsland und dann sah sie die erste Katastrophe, die in der Luft vor ihr hing wie ein verletzter Vogel. Als wäre er von den Stromleitungen angelockt worden, die ihn eingefangen hatten. Er hing einfach nur dort, nahezu anmutig, lief allerdings Gefahr, jeden Moment umzukippen und die restliche Strecke zu Boden zu krachen. Der Hauptrotor war deutlich sichtbar. Es war ein blauer Mi-38-Helikopter. Das Heck und der hintere Rotor waren abgerissen. Daten gingen ihr durch den Kopf, als wäre sie Robocop, so wie es immer passierte. Mi-38, Höchstgeschwindigkeit 320 Stundenkilometer, Reisegeschwindigkeit 290 Stundenkilometer, Dienstgipfelhöhe 5.900 Meter, Schwebehöhe 3.200 Meter, GT-Turbinen, Besatzung 2, Passagiere 30. Sie fragte sich, ob er jemals geflogen war oder ob man ihn von irgendeinem Schrottplatz geholt, auf einem Tieflader zum Freizeitpark gefahren, mit einem Kran angehoben und vorsichtig auf die nachgemachte Stromleitung gesetzt hatte. Eine glitzernde Stahlleiter reichte vom Boden bis zu dem hängenden Helikopter.

Elena bog scharf nach links ab und fuhr auf zwei Tore zu, die den Park abriegelten. Nur, dass sie nicht geschlossen waren. Eines stand einladend offen.

Sie fuhr hindurch.

Zu ihrer Rechten die gruselige Szenerie eines abgestürzten Flugzeuges. Dieses war echt. Sie erinnerte sich an die Einzelheiten. Es war eine Douglas C-47-DL, die von Aeroflot verwendet worden war. Am 13. April 1947 war das Flugzeug auf seinem Weg zum Flughafen Chatanga in Russland, als es aufgrund eines Maschinenschadens an Turbine Nummer eins notlanden musste. Alle Passagiere überlebten, aber neun starben, als sie in der einsamen schneebedeckten Tundra nach Hilfe suchten. Die verbliebenen 28 fand man nach 20 Tagen. Die Teile des Transportflugzeuges wurden in einem Lagerhaus in Rostow eingelagert und 60 Jahre später zum Freizeitpark transportiert. Es dauerte eine Woche und man arrangierte sie sorgfältig, sodass es aussah, als wäre der Flieger in diesem Moment abgestürzt und auseinandergebrochen. Der Flugzeugkadaver glänzte frostig in der eiskalten Luft. Elena rechnete jederzeit mit einer Bewegung, einem Überlebenden, der aus dem Wrack krabbelte, als er ihr Auto hörte. Aber wenn sich etwas bewegte, waren es höchstens die Ratten, die den krummen Rumpf bevölkerten.

Elena schlitterte um einen kleinen, gefrorenen See herum, der im fahlen Licht schimmerte und so schwarz war wie die Nacht, die ihn umgab.

Sie war auf dem Weg zum Zugwrack.

Die Details davon kannte sie auswendig, aufgrund der einen Nacht mit Robert McCall im Jupiter-Hotel in Split, Kroatien, als sie in der Dunkelheit darüber geredet hatten, wie man im Einsatz überlebt. Kontrolle hatte die Lage des Katastrophenparks an diesem Tag im Metropol-Hotel in ihrem Vier-Uhr-Briefing bestätigt. Es gab auch acht Personenwaggons vom Bombenanschlag auf den Nevsky-Express im Jahr 2007. Der Intercity-Hochgeschwindigkeitszug war auf dem Weg von Moskau nach Sankt Petersburg gewesen, als eine Bombe explodierte, kurz bevor er Malaja Wischera erreichte. Niemand war getötet worden, allerdings war die Schienenverbindung mehrere Tage in beide Richtungen blockiert. Diese acht Eisenbahnwaggons konnten nicht mehr repariert werden, also transportierte man sie ab, zerstört und verbogen, wie sie waren, und gab ihnen im Park ihre letzte Ruhestätte. Es war ein unheilschwangeres Dreieck des Todes: der Helikopter, der auf den Hochspannungsleitungen zur Linken hing, der entgleiste Zug in der Mitte des Parks und das abgestürzte Aeroflot-Flugzeug auf der rechten Seite.

Nur die Russen hielten einen Katastrophenpark für eine unterhaltsame Sache für Touristen. Sie hatte gehört, der Park war seit 2011 geschlossen.

Aber er diente noch als Ersatz-Safehouse für die Company.

Elena bremste und kam in der Nähe des entgleisten Zuges zum Stehen. Sie fand es amüsant, dass man die Schienen ebenfalls hierhertransportiert hatte. Die Räder mussten ja auf irgendetwas stehen. Die mittleren vier Waggons waren zur Seite geneigt, als würden sie gleich von den Schienen kippen. Doch sie wurden mit Stahlseilen an Ort und Stelle gehalten. Elena machte den Motor des Wagens aus und nahm die Beretta in die Hand. Aus ihrer Handtasche holte sie eine kleine Taschenlampe. Dabei überprüfte sie, ob der silberne USB-Stick noch in der Tasche war. Eine unbegründete, irrationale Sorge, denn sie wusste, dass er dort war. Dann stieg sie aus dem Lada.

Sie blieb einen Moment stehen, zitterte in ihrem Cocktailkleid, dennoch genoss sie die Kälte auf dem nackten linken Arm und Bein. Das Brennen wurde etwas weniger. Sie spähte in die Dunkelheit. Keine Bewegung zu sehen. Sie lauschte. Der Wind heulte und wehte ein paar vereinzelte Schneeflocken herum. Es war nichts zu hören. Sie drehte sich um, rannte die kurze Entfernung zum ersten beschädigten Passagierwaggon, zog die schwarzen italienischen Pumps aus und kletterte hinein.

Die Tür zum Waggon war verbogen. Sie drückte sich daran vorbei in das kalte, kahle Innere. Die Schatten erzitterten im Licht der Taschenlampe. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Sie ging den Mittelgang entlang, an den verrotteten und zerstörten Sitzen auf beiden Seiten vorbei. Die auf der linken Seite zählte sie. Dann zögerte sie. Wie viele Sitzplätze, hatte McCall ihr gesagt? Fünf oder sechs? Es waren sechs, hatte das Kontrolle nicht bestätigt?

Sie erreichte die sechste Sitzreihe und kniete sich hin. Sie betastete den Boden unter den beiden Sitzen. Er war gesplittert und die Farbe blätterte ab wie bei all den anderen Holzbohlen unter den Bänken. Ihre Finger strichen über die Oberfläche.

Nichts.

Sie war bei den falschen Plätzen.

Und ihr lief die Zeit davon.

Sie war überzeugt, dass sie die FTB-Agenten abgeschüttelt hatte, die sie verfolgten, aber sie hatte keine Zeit gehabt, zu überprüfen, ob andere Wagen vom Ort der Explosion losgefahren waren. Dass ihr jemand gefolgt war, glaubte sie zwar nicht, aber sie konnte nicht sicher sein. Und jeder Moment, den sie in diesem gruseligen, verlassenen Park vergeudete, würde sie teuer zu stehen kommen.

Und dann fand sie es.

Ihre Finger erfühlten einen Vorsprung und sie drückte ihn zur Seite. Das Brett unter dem Sitz verschob sich. Sie griff hinein, tastete herum und berührte ein langes, kaltes und glattes Objekt. Sie zog es heraus: Der Gegenstand war in glänzendes, schwarzes Polyethylen verpackt. Sie streifte das Gummiband ab, das die Folie an Ort und Stelle hielt, und wickelte zwei Pässe aus. Beide trugen ihren Namen, hatten jedoch verschiedenen Nationalitäten: amerikanisch und russisch. Zwei Bilder von ihr, auf einem mit offenen Haaren, auf dem anderen waren sie hochgesteckt. Geburtsurkunden, Fotos einer Familie, die sie nicht hatte, Kaufbelege aus Läden in Moskau, in denen sie niemals war, Empfehlungsschreiben von CNN und dem US-Justizministerium.

Sie steckte die Hand tiefer hinein und tastete suchend herum. Kalt, hart, die Form einer Pistole. Was sie herauszog, war eine weitere Beretta, in Plastikfolie eingewickelt, eine Schachtel Munition, ein Schnappmesser mit genug Befestigungsmöglichkeiten daran, dass sich jeder Pfadfinder darüber gefreut hätte. Und ein kleiner Umschlag.

Sie riss ihn auf.

Autoschlüssel. Für einen grauen Volvo XC60, fünf Zylinder, manuelles Sechsganggetriebe. Am Schlüsselanhänger war ein quadratisches Stück Papier befestigt. Sie richtete die kleine Taschenlampe darauf: Eine grob skizzierte Karte, die zeigte, wo der Volvo hinter dem entgleisten Zug im Schatten eines verlassenen Gebäudes geparkt war.

Elena lächelte.

Hätte sie aufgesehen und durch das dreckige Zugfenster geblickt, wäre ihr der schwarze GAZ-3102-Wolga aufgefallen, der durch den Mondschein fuhr, der Motorenlärm vom Sturm überdeckt. Er parkte bei der Stahlleiter, die zum gecrashten Helikopter führte, der wackelig auf der unechten Stromleitung hing.

EQUALIZER

Подняться наверх