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Kapitel 12
ОглавлениеDer Taxifahrer, der sie an der Greene Street aufgesammelt hatte, hätte prima abends im Gotham’s Comedy Club an der West-23rd-Street auftreten können. Er erzählte ihnen die ganze Strecke bis zum Broadway Witze. Es herrschte wenig Verkehr, aber McCall wünschte sich, er würde die Straße im Blick behalten, statt immer in den Spiegel zu gucken, um zu sehen, ob ihnen seine Aufführung gefiel. Er hielt Margarets Hand fest. Sie trug eine seiner Jacken und eine Mets-Baseballkappe, denn er hatte was übrig für Underdogs. Die Yankees brauchten seine Fürsprache nicht. Die Kappe warf einen Schatten auf ihr Gesicht. Die Blutergüsse von den Schlägen, die J. T. ihr verpasst hatte, waren noch mehr als deutlich zu sehen.
»Sie sind kein New Yorker«, meinte der Taxifahrer mit einem Akzent, der besagte, dass er es war – geboren und aufgewachsen. »Vater und Tochter, schätze ich mal, richtig? Woher kommen Sie?«
McCall sah das Mädchen an.
»Golden Valley, außerhalb von Minneapolis. Maple Grove, wenn Sie es genau wissen wollen, in der Nähe von Medicine Lake.«
»Wo ist noch mal Minneapolis?«, fragte der Taxifahrer.
»Minnesota.«
»Ja, stimmt. Ich war nie weiter als Brooklyn. Okay, also ein Tourist, so wie ihr beiden, versucht, das Empire State Building zu finden. Er hält einen New Yorker auf der Straße an und fragt ihn nach dem Weg. Dann hält er ein paar Blocks weiter einen anderen New Yorker an und fragt nach dem Weg. Schließlich fragt er einen Typen auf der East 44th: Können Sie mir den Weg zum Empire State Building sagen oder soll ich mich nur einfach wieder verpissen?«
McCall lächelte, aber das war egal, denn der Taxifahrer lachte so laut über seinen eigenen Witz, dass er es sowieso nicht bemerkte. Neben ihm hörte Margaret nicht zu. Sie sah durchs Fenster auf den strömenden Regen, die hindurchleuchtenden Wolkenkratzer und die paar dickere Tropfen, die gegen die Glasscheibe klatschten. McCall blickte auf. Auf der linken Seite stand das beeindruckende Lincoln Center. Dann bog der Taxifahrer vom Broadway auf die West-66th-Street.
»Es ist gleich hier auf der rechten Seite«, sagte McCall.
»Oh ja, ich weiß, wo es ist«, meinte der Taxifahrer.
Er blieb vor einem 20-stöckigen Gebäude stehen, das die verblichene Eleganz einer vergangenen Ära ausstrahlte. Die Fassade war einmal leuchtend weiß gewesen, aber nun war es ein dreckiges Beige. Die Vergoldung war stumpf und überall waren Steinstücke abgesplittert. Das Hotelschild zeigte ein Bild der Freiheitsglocke mit ihrem charakteristischen Sprung, was McCall nur angemessen vorkam. Auf dem schmalen Neonschild stand: LIBERTY BELLE HOTEL. Das Neonschild war neu. Früher war das Schild mit schwungvoller Schrift handgemalt gewesen. Das hatte ihm besser gefallen. Der Taxifahrer stellte den Taxameter ab und McCall lehnte sich nach vorne, um ihn zu bezahlen. Der Fahrer schüttelte den Kopf und sah die bröckelnde Fassade hinauf.
»Ich kann Sie zu einem Hotel an der Ecke Amsterdam und 88th bringen, gar nicht teuer, Marmorboden, Türpage mit weißen Handschuhen, das volle Programm.«
»Das war schon immer mein Lieblingshotel. Das war mal der angesagte Ort, an dem man in New York übernachtete.«
»Ja, vielleicht, als die Dodgers nach Ebbets Field gegangen sind.«
Margaret stieg aus dem Taxi. Der Taxifahrer drehte sich um.
»Sie ist Ihre Tochter, richtig?«
»Sie könnte es sein«, sagte McCall. »Es ist nicht, was Sie denken.«
»Einen schönen Abend.«
McCall stieg nach Margaret aus. Das Taxi fädelte sich wieder in den spärlichen Verkehr ein. McCall sah die Straße auf und ab, ohne wirklich damit zu rechnen, irgendwelche Feinde zu erspähen. Eine alte Angewohnheit. Es war buchstäblich niemand zu so später Stunde im Regen unterwegs. Er nahm Margaret am Arm und trat durch die Glastüren des Liberty Belle Hotels.
Die Lobby enthielt noch die Echos der Vergangenheit, die wie ein Flüstern in den Ecken klangen, wo die schweren Lehnstühle standen mit den durchgesessenen Polstern. Es gab große verzierte Sofas, die dringend repariert werden mussten. An den Wänden hingen Aquarelle von New York, die mit den Jahren verblasst waren, als würden sie sich langsam in ihre Rahmen zurückziehen. Zahlreiche große Kübelpflanzen standen herum, die gesünder aussahen als die beiden alten Leute, die auf einer der Couchen saßen und Händchen hielten. Sie redeten leise miteinander, ihre Worte kaum hörbar. Es roch muffig nach Holzfeuer und Mottenkugeln. Ein Treppenhaus führte in einem schwungvollen Bogen in den ersten Stock. Die ganze Lobby sah aus, als stamme sie aus einem Möbelkatalog aus dem Jahr 1940. Aber die Holzvertäfelung glänzte, als würde sie regelmäßig poliert, und die Perserteppiche sahen aus, als hätte Aladdin sie hier abgeladen.
McCall und Margaret gingen auf die Lobby zu. Die Aufzugtüre zu ihrer Linken öffnete sich mit einem Klingeln. Das musste neu sein. Sehr modern. McCall erinnerte sich noch an eine Gitterkabine als Aufzug. Man musste die Tür aufziehen und dann fuhr er zitternd nach oben zum gewünschten Stockwerk, als sei es ein großes Abenteuer. Eine alte Frau in einem Pelzmantel und Pantoffeln trat mit einem weißen Pudel an einer Leine aus dem modernen Aufzug. Sie sprach angeregt in ihr Handy. Margaret hatte die Mets-Kappe abgenommen und schüttelte ihre Haare aus. Die Jacke stand offen und enthüllte das Red-Sox-T-Shirt und eine bemalte Jeans. Die alte Frau sah sie ein wenig missbilligend an, während sie den Hund zwischen den schweren Möbelstücken hindurchführte.
Sie gingen zu dem alten Rezeptionstresen aus Teakholz, der ebenfalls auf Hochglanz poliert war. Dahinter waren kleine Fächer aus Teak, die früher die Schlüssel enthalten hatten und in denen nun die Post der Gäste lag. Neben einem Computer stand eine große graue Maschine, die vermutlich die digitalen Zimmerkarten verarbeitete. Mancher Fortschritt ließ sich eben nicht aufhalten.
Niemand war hinter dem Rezeptionstresen. Darauf stand eine altmodische Klingel, die neben dem Dell-Computer unpassend wirkte. McCall drückte auf den Knopf und die Glocke bimmelte laut genug, dass man sie bis in den Central Park hätte hören können. Aus einem Büro auf der rechten Seite waren Schritte zu vernehmen und dann kam ein Mann hinter dem Tresen herausgeschlurft. Er trug dunkle Hosen und einen blauen Blazer, auf der Brusttasche war der Name Liberty Belle Hotel eingestickt. Sein Haar war immer noch braun, aber dünn geworden und grau gesprenkelt. Er war vermutlich Anfang 70, sehr dünn und er hatte etwas an sich – eine gewisse Wachsamkeit; die wässrigen braunen Augen wirkten unstet in dem langen Gesicht. Sein Atem rasselte asthmatisch. Und er war eindeutig überrascht von dem Gast, der da vor ihm stand.
»Robert McCall«, sagte er leise.
»Meinst du, du kannst mit dem Rumgeschlurfe irgendjemand hinters Licht führen, Sam?«
»Die Bösewichter sehen nur einen alten Mann, der außer Form ist und schlecht zu Fuß, der schnauft, dass man es eine Meile weit hören kann – und dann werden sie unachtsam. Das verschafft mir einen Vorteil.«
»Den Vorteil brauchst du doch gar nicht mehr.«
»Den braucht man immer. Man weiß ja nie, wann die Geister der Vergangenheit in die Lobby spaziert kommen. Was willst du, McCall?«
McCall antwortete nicht. Die alte Frau beendete ihr Handygespräch, winkte Sam zu und zerrte den Pudel zur Vordertür. McCall beobachtete in den Spiegeln neben den Postfächern auf beiden Seiten des Tresens, wie sie ging. Niemand betrat nach ihr die Lobby.
Sam Kinney warf Margaret einen Blick zu. »Wir vermieten nicht nach Stunden.«
»Du kennst mich doch wohl besser, Sam. Ich brauche ein Zimmer für die junge Dame.«
»Wer ist sie?«
»Verhörst du alle deine Gäste?«
»Ich muss es wissen.«
»Sie ist eine Freundin«, sagte er.
»Du hast keine Freunde, McCall. Weißt du auch, wieso? Weil sie nicht sehr lange leben, wenn sie dir erst mal die Hand geschüttelt haben oder aus deinem Bett gekrochen sind.«
McCall streckte blitzschnell die Hand über den Tresen aus, schnappte das Handgelenk des alten Mannes und hielt ihn fest.
»Deine Reflexe waren auch schon mal schneller.«
»Nicht so schnell wie deine. Lässt du mich vielleicht los?«
McCall ließ los.
»Ich brauche ein Zimmer«, sagte McCall noch mal, diesmal leiser. »Erdgeschoss. Mit Aussicht auf den Park, wenn du eines hast.«
Sam rieb sich das Handgelenk. »Wir haben eine Menge leere Zimmer mit Aussicht auf den Park. Das Plaza schickt uns schon seit 1959 keine überzähligen Gäste mehr vorbei. Aber wir haben immer noch viele Konferenzen. Früher hattest du deinen Jähzorn besser im Griff. Ich schätze, für uns beide hat sich in all den Jahren eine Menge geändert.«
Seine Finger flogen über das Computerkeyboard. McCall bemerkte, dass sie leicht zitterten. Ein Schlüssel in Form einer Kreditkarte wurde aus der grauen Maschine gespuckt. Sam steckte ihn in ein kleines Etui aus Pappe, auf dem Liberty Belle Hotel stand.
»Zimmer 602. Hast du Gepäck?«
»Kein Gepäck.«
Er gab Margaret die Schlüsselkarte. »Wir haben so spät keinen Zimmerservice mehr. Ich habe gerade die Küche zugemacht, aber wenn du was brauchst, dann ruf einfach an der Rezeption an. Ich kann normalerweise alles für die Gäste besorgen.«
Sie nickte.
»Geh schon mal hoch, aber warte auf mich vor der Tür«, sagte McCall.
»Geh noch nicht ins Zimmer.«
Sie nickte erneut und steuerte ein wenig unentschlossen auf den Aufzug zu. Sie tippte auf den Knopf. Die Aufzugtür öffnete sich, sie betrat ihn und die Tür schloss sich wieder. McCall sah zu, wie die leuchtenden Ziffern bis zur 6 zählten. Sam Kinney umrundete den Rezeptionstresen.
»Sag mir, dass du sie nicht vögelst.«
»Zu alt für mich?«
»Hat sie Ärger?«
»Im Moment nicht.«
Die Fahrstuhlanzeige verharrte auf Nummer 6.
»Hör mal, McCall. Ich bin im Ruhestand. Ich mag es still und ruhig. Ich mag die alte Mrs. Gilmore und ihren fetten Pudel und die anderen Stammgäste, die hier wohnen. Ich bin zu alt für Typen in dunklen Mänteln mit Knarren, die hier reinkommen und mir die Birne wegballern wollen.«
»Ich kann auch woanders hingehen.«
Sam seufzte. »Nein, kannst du nicht.«
»Ich rechne nicht damit, dass du mir den Rücken freihältst, Sam. Aber wenn die bösen Jungs hier auftauchen und nach ihr suchen, dann ruf mich an.«
Er nahm eine Karte mit Goldschrift vom Tresen. Darauf stand Sam Kinney – Manager. Er schrieb seine Handynummer auf die Rückseite.
»Du bist der Nachtportier?«
»Und normalerweise der Tagrezeptionist. Ich schlafe nicht viel. Man munkelt, dass du ausgestiegen bist.« McCall schwieg. »Kontrolle hatte nichts dagegen? Der hat keinen jungen Schlägertypen geschickt, so als kleinen Schwanzvergleich? Um zu beweisen, dass er einen von der alten Garde umlegen kann?«
»Sie haben jemanden geschickt, aber nicht, um mich zu töten.«
»Das heißt nicht, dass sie es nicht tun.«
»Nein, heißt es nicht.« McCall gab Sam die Karte. »Ich rechne hier nicht mit Ärger, Sam. Ich bleibe nicht hier. Das Zimmer ist allein für die junge Dame. Und nicht lange. Das ist eine Extraktion. Brauchst du ihren Namen?«
»Nein.«
»Soll ich den Meldezettel unterschreiben?«
»Wo sind wir denn hier, wieder zusammen im Tangiers? Ich hab keine Meldescheine.«
»Willst du eine Kreditkarte?«
»Alles, was ich von dir will, McCall, ist, dass du deine Freundin hier so schnell wie möglich wieder rausholst. Und dann kommst du nicht zurück.«
»Das ist der Plan. Kannst du eine Tube Brandsalbe besorgen?«
»Sicher, hier gibt es einen Geschenkshop, der verkauft so Zeug.«
»Kannst du das aufs Zimmer bringen? Zusammen mit einem Glas Glenfiddich. Ohne Eis.«
»Brandsalbe und Scotch. Ich stell lieber keine Fragen.«
McCall ging zum Aufzug und drückte auf den Knopf. Die Leuchtanzeige bewegte sich vom sechsten Stock nach unten.
»Womit haben sie dich denn erwischt?«, fragte Sam.
»Baseballschläger.«
»Nach einem solchen Schlag gegen die Schläfe müsstest du eigentlich tot sein.«
»Der Angreifer war kein Experte.«
»Und wird er noch mal zuschlagen?«
»Der spielt kein Baseball mehr.«
Sam nickte. »Dachte ich mir schon.« Er sah hinab auf die Telefonnummer auf der Rückseite der Karte. »In all den Jahren gab es immer mal wieder Momente, da hätte ich mir gewünscht, diese Nummer zu haben.«
»Jetzt hast du sie«, sagte McCall.
Der Aufzug kam an. Er trat hinein, drückte auf den Knopf für den sechsten Stock und die Tür schloss sich langsam. Sam Kinney steckte die Karte in die Brusttasche seines Liberty-Belle-Hotel-Blazers. Mrs. Gilmore kämpfte sich gerade mit ihrem weißen Pudel im Schlepptau wieder in die Lobby. Der Hund sah aus, als würde er am liebsten auf die Aufzugtür zurennen, bevor sie sich schließen konnte. McCall registrierte, wie Sam Kinneys Gesicht sich zu einem fröhlichen Grinsen verzog, als er die alte Dame und ihren Hund sah.
Margaret wartete auf McCall vor Zimmer Nummer 602. Der Korridor war nur spärlich beleuchtet. Der Teppich hatte seine besten Tage bereits hinter sich. McCall nahm von ihr die Schlüsselkarte entgegen und steckte sie in den Schlitz. Man hörte ein Surren und ein grünes Licht ging an. Er betrat den Raum, machte aber das Licht nicht an, und verschwand im Inneren. Margaret stand nervös herum und hatte immer noch Angst. Nach ein paar Momenten kam er zur Tür zurück. Er nahm Margarets Arm, führte sie behutsam hinein und schloss die Tür. Er betätigte den Lichtschalter. Lampen auf beiden Seiten eines Schreibtisches gingen an. Zwei Lampen standen links und rechts neben dem Queen-Size-Bett auf Nachttischen und eine Stehlampe mit Glasschirm an einem Fenster. Margaret trat sofort an die Scheibe und sah nach draußen. Regen besprenkelte das Glas. Aus Richtung New Jersey kam leiser Donner.
»Ich habe nichts dabei«, sagte sie.
»Ich bringe dir morgen früh ein paar Toilettenartikel und Kleidung.«
Ein Klopfen an der Tür. McCall machte auf. Sam Kinney trug ein Tablett mit der Brandsalbe und einem Whisky-Kristallglas, gefüllt mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit.
»Zimmerservice«, sagte er ironisch. »Angenehmen Aufenthalt.«
Er machte die Tür zu. McCall wandte sich wieder dem Mädchen zu.
»Setz dich aufs Bett und zieh das T-Shirt aus.«
Sie sah ihn an, setzte sich dann auf den Rand des Queen-Size-Betts und zog das T-Shirt über den Kopf. McCall nahm neben ihr Platz und öffnete die Noxzema-Tube. Vorsichtig verrieb er ein wenig lindernde weiße Salbe auf den Zigarettenbrandwunden ihrer Brüste. Sie sah ihm dabei zu und wimmerte nur wenig.
»Zieh die Jeans aus.«
Sie machte den Gürtel auf, öffnete den Reißverschluss der Jeans und zog sie zusammen mit ihrem Höschen bis knapp unter die Knie herunter. Sachte rieb er Noxzema-Brandsalbe auf die Zigarettenbrandwunden über ihrem Schamhaar.
»Mach das noch mal, bevor du ins Bett gehst.«
»Ich mag, wie du es gemacht hast.«
»Ich hatte schon Sorge, es würde dir was ausmachen.«
Er stellte das Glas Noxzema auf den Nachttisch und stand auf. Sie zog ihr Höschen hoch. Dann schaute sie auf ihre Beine, als wären ihr die Einstichwunden peinlich. Sie zog die Jeans hoch und stand auf.
»Ich will clean werden. Ich hab nichts mehr gefixt, seitdem du mich aus der Gasse gezogen hast.«
»Muss hart sein.«
Sie zog ihr T-Shirt wieder an. »Ja, gestern Nacht hab ich schlimm gezittert. Aber ich hab’s ausgehalten.«
McCall nickte. Sie stand etwas unbeholfen neben dem Bett.
»Bleibst du heute Nacht bei mir?«
»Das wäre keine gute Idee.«
Sie presste die Hände zusammen.
»Ich will mich bei dir bedanken. Ich weiß nicht, wie. Sex ist alles, was ich habe. Ich hab für zehn Dollar Blowjobs verteilt, seit ich zwölf bin. War sehr beliebt in der Schule.«
»Kann ich mir vorstellen.«
»Das war immer so was wie meine Nabelschnur. Magst du Frauen?«
»Klar.«
»Nur nicht diejenigen, die wie eine Gemeinschaftszahnbürste rumgereicht werden«, sagte sie verbittert. »Du glaubst, ich bin ekelhaft.«
»Ich glaube, du bist verletzt und musst dich erst einmal erholen.«
»Wieso? Wieso sollte jemandem was an mir liegen? Ich bin es nicht mal wert, dass du deinen Hosenschlitz aufmachst und mir ins Gesicht pisst.«
»Wer hat das getan?«
»Einer von den Freiern. Er hat gesagt, eine Golden Shower würde mir mein schmutziges Maul auswaschen. Ich hab J. T. erzählt, was das Schwein mit mir gemacht hat, und er hat gelacht. Er hat gemeint, ich bin eine Nutte, mit der jeder machen kann, was er will. Mein Körper gehöre ihm und denen. Ich bin nicht wert, gerettet zu werden.«
Sie schluchzte plötzlich zitternd. Sie klappte zusammen, als würde es ihr körperliche Schmerzen bereiten, und setzte sich wieder auf das Bett. McCall setzte sich neben sie. Legte die Arme um sie.
»Jeder ist es wert, dass man ihn rettet.«
»Selbst du?«
»Vielleicht.«
»Niemand tut so was umsonst. Was willst du von mir?« Sie drehte in seinen Armen den Kopf und sah zu ihm auf. Ihre Augen wirkten flehentlich. »Was willst du?«
»Dass du sicher bist.«
»Aber wieso du?«
»Wieso nicht?«
»Das ist keine Antwort.«
»Es gibt einen tollen Film aus den Sechzigern, Zulu. Das war Michael Caines erste Rolle. Ein Regiment britischer Truppen ist in einem abgelegenen afrikanischen Posten namens Rorke’s Drift von 2.000 Zulu-Kriegern umzingelt. Sie sehen dem sicheren Tod ins Angesicht. Ein junger Soldat bricht zusammen und fragt seinen Color Sergeant – ich kann mich nicht an Namen des Schauspielers erinnern, aber er war toll – Wieso wir, Color Sergeant? Wieso wir? Der Color Sergeant sieht auf ihn herab und sagt leise und ruhig: Weil wir hier sind, Junge. Ich war da, das ist alles.«
»Du hättest einfach weitergehen können. Aber das bist du nicht.« Sie lächelte durch ihre Tränen. »Deswegen bist du mein Schutzengel.«
»Wenn du Glück hast, dann werde ich nicht lange Teil deines Lebens sein. Bleib in diesem Zimmer. Verlass es auf keinen Fall. Mach nicht die Tür auf, außer ich bin es oder Sam Kinney, das ist der Manager. Er ist ein alter Freund. Verstanden?«
»Klar.«
»Nicht in der Nacht davonlaufen, weil du glaubst, die Dunkelheit verschluckt dich. Das tut sie nicht. Sie schlägt dir nur aufs Gemüt.«
»Okay.«
Er wischte ihr zärtlich die Tränen vom Gesicht.
Sie packte seine Hand.
»Ich bin ein echt toller Fick.«
McCall brach in Gelächter aus. »Das glaub ich dir aufs Wort.«
»Hast du jemand Besonderen?«
Er musste sofort an Elena Petrova denken. Er hatte sie seit mehr als drei Jahren nicht gesehen, aber sie war immer da, schwebte in einem Winkel seines Geistes, ihre bildhübschen Augen lächelten ihn an.
»Es gab da mal jemanden. Das ist lange her.«
»Siehst du sie nicht mehr?«
»Nein.«
»Das tut mir leid.«
»Mir auch.«
»Wann kann ich den Scotch haben?«
»Direkt bevor du ins Bett gehst. Kipp ihn nicht einfach runter. Das ist eine gute Marke. Nippe ihn. Dann fühlst du dich besser. Der hilft dir beim Einschlafen.«
Sie streckte die Hand nach oben und berührte sein Gesicht. »Kann ich dich küssen?«, flüsterte sie. »Nur leicht, auf die Lippen?«
Sie wartete nicht auf eine Antwort, streckte sich und küsste seine Lippen, sehr sanft und zärtlich. Dann lehnte sie sich zurück.
»Siehst du, das war gar nicht so schlimm, oder?«
»Überhaupt nicht schlimm.« Er stand auf. »Denk dran, was ich dir gesagt habe.«
»Ja, ja, im Zimmer bleiben, nicht abhauen, die Tür niemandem aufmachen, außer dir und Mr. Opa da unten. Verstanden.«
McCall ging auf die Zimmertür zu.
»Also ist dein Name in echt Robert McCall?«
Er drehte sich um. »Für die meisten Leute im Viertel bin ich Bobby Maclain.«
»Aber ich kenne die Wahrheit.«
»Behalt sie für dich.« Er kritzelte etwas auf den Notizblock des Liberty Belle Hotel auf dem Nachttisch. »Das ist meine Handynummer. Wenn du Angst hast oder wenn du reden willst, ruf mich an. Egal, um welche Uhrzeit.«
Er gab ihr keine Gelegenheit, zu antworten, öffnete die Tür und schloss sie hinter sich. Für einen Moment blieb er im Korridor stehen und lauschte dem Schluchzen, das sie erneut durchschüttelte.
Als McCall aus dem Aufzug in die Lobby trat, war sie leer. Das alte Pärchen war gegangen. Mrs. Gilmore war wohl oben in ihrem Apartment, sah sich mit dem weißen Pudel auf dem Schoß Letterman an und aß vermutlich Hershey’s Kisses. Sam Kinney saß nicht hinter dem Rezeptionstresen. Die Schatten der Vergangenheit strömten auf McCall ein. Er lauschte auf das Seufzen und die Gesprächsfetzen darin. Die Vergangenheit sprach zu ihm. Aber vielleicht war es die Gegenwart, die langsam ihre Stimme erhob.
Das iPhone in seiner Jackentasche vibrierte. Als er die Glastüren der Lobby aufschob, zog er es heraus. Draußen hatte der Regen aufgefrischt. Er sah in beide Richtungen die Straße entlang. Keine Fußgänger. Nur leichter Verkehr. Er drückte den Button des iPhone.
»Hallo?«
Katias Stimme klang verzweifelt. »Robert, Natalya ist weg. Ich bin zum Washington Square Park gegangen, aber sie ist nicht da. Sie kann nicht so spät in der Bücherei sein. Ich bin wieder zum Nachtklub zurückgegangen, aber keine der Cocktailkellnerinnen oder Tänzerinnen hat sie gesehen. Sully, der Türsteher, hat gesagt, sie war heute Abend nicht da.«
»Beruhige dich«, sagte er ins Handy. »Wo bist du jetzt?«
»Wieder zu Hause. Ich dachte, vielleicht ist sie da, wenn ich zurückkomme. Ist sie aber nicht. Die haben sie geschnappt, Robert. Oh, mein Gott, die haben sie geschnappt.«
»Es gibt ein Starbucks in der Delancey Street, Ecke Orchard. Ich treffe dich dort.«
Er legte auf und winkte ein Yellow Cab heran, das gerade Richtung Broadway unterwegs war.