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Kapitel 1

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Robert McCall blieb am Eingang einer engen Gasse stehen. Sie verlief hinter einer Reihe von Geschäften in der Broome Street am Rande von Greenwich Village. Er war schon Tausende Male daran vorbeigekommen und hatte sich bisher nicht einmal die Mühe gemacht, hineinzusehen. Er wusste, was darin war: überquellende Müllcontainer, ein dünner Teppich aus Müll, zerdrückte Dosen und Wasserflaschen, gebrauchte Kondome, Zigarettenkippen, weggeworfene Zeitungen, zerknüllte Flyer, verteiltes Konfetti, als hätte jemand versucht, das trostlose Grau mit ein wenig Farbe zu versehen. Die Türen auf der linken Seite führten in die Hinterzimmer der Geschäfte, ein Copyshop, ein Blumenladen, ein chinesisches Restaurant, ein Tante-Emma-Laden. Es gab zwei eiserne Türen auf der rechten Seite, die verbogen an rostigen Angeln hingen. Am anderen Ende der Gasse war eine Landschaft aus großen, zusammengestellten Pappkartons: die Behausungen von Menschen.

Der schwarze Zuhälter war schwarz gekleidet, damit war er nur ein Schatten unter Schatten, und er bewegte sich unvorhersehbar, während seine Faust wieder nach unten in das Gesicht des Mädchens sauste. Es sah aus, als würde er ihr den Wangenknochen brechen. Ihre Augen waren beide blau geschlagen. Blut rann ihr aus der Nase. Der vorherige Schlag hatte sie fast gebrochen. McCall sah die Furchen um die Nasenlöcher, die das Koks hinterlassen hatte. Der Zuhälter war schlank, glatzköpfig, ungefähr Mitte zwanzig. Das T-Shirt mit den abgeschnittenen Ärmeln enthüllte die Tattoos auf den Armen: Schlangen und Meerjungfrauen. Er war groß, wohl über 1,90 Meter. Er schüttelte seine weiße Prostituierte, als würde sie nicht auf die Tirade in seinem Kopf hören. Seine Hände mit den Ringen waren die einzigen hellen Punkte im Zwielicht. Die vielen Ringe und Kettchen fingen das fahle Morgenlicht ein, das die Gasse spärlich erhellte. Das Mädchen war vielleicht 17 oder 18, schätzte McCall. Sie sah dünn und ausgezehrt aus, trug eine ramponierte Jeans und ein Trägertop, das der Zuhälter ihr fast vom Leib gerissen hatte. Eine Sicherheitsnadel baumelte von ihrem Nabel. Die Jeans waren an einigen Stellen zerfetzt und man sah Einstichstellen an ihren Beinen. Sie trug Sandalen. Ihre Zehennägel waren glitzernd pink lackiert. Das Haar wirkte wie dreckiges, blondes Seegras, das über ihr Gesicht hing, aber McCall sah ihre Augen blitzen, aufgerissen und ängstlich, bevor sie sie fest zukniff in Erwartung des nächsten Schlages. Sie war schon früher verprügelt worden. Er hatte sie in der Gegend gesehen, das Make-up fachmännisch aufgetragen, um die blauen Flecken zu verdecken.

Aber diesmal war es anders. Sie wusste es und McCall wusste es. Ihr Zuhälter war aus irgendeinem Grund rasend vor Wut. Vielleicht hatte sie ihn hingehalten. Vielleicht hatte sie das Geld eines Freiers eingesteckt und sich ein Glas Wein und ein Sandwich in einem Bistro in der Innenstadt gegönnt, nur um eine Stunde so zu tun, als wäre ihr Leben nicht ein einziger Albtraum. McCall sah sie, völlig irrational, als ein Kind, das lachend auf einem Spielplatz herumrennt, ihren zehnten Geburtstag feiert, ein Teenager, der mit seinen Freunden über Facebook chattet, die Bilder strömten alle in einem Sekundenbruchteil auf ihn ein. Klischees, das war ihm klar, aber das war es, was ihm durch den Kopf ging. Dann Bilder von ihr, wie sie älter war, jemand, der ein paar Lines Koks auslegte, ihr einen zusammengerollten Dollarschein gab, mach ruhig, das ist ein geiler Kick, das ganze Gerede von Sucht ist doch Bullshit, du entscheidest selbst, was du tust. Sie mochte es. Sie hatte es noch mal genommen. Dann hatte sie angefangen zu fixen. Heroin war wieder in Mode. Sie hatte begonnen anzuschaffen, keine große Sache, sie mochte Sex. Aber dann wurde ihr klar, dass es nicht um Sex ging, es ging um Sucht und Schmerz und darum, kontrolliert zu werden.

All das zählte nicht mehr. McCall war es egal. Das ging ihn nichts an. Er war schon seit neun Monaten vom Radar verschwunden. Hatte sich unauffällig verhalten. Sie war nicht die erste Nutte, die auf der Straße vor seinen Augen verprügelt wurde. Und er wollte nicht zu spät kommen. Er war unterwegs, um seinen Sohn Scott zu sehen. Er würde die Linie eins in der U-Bahnstation an der 23rd Street erwischen und damit zum Columbus Circle fahren. Von dort war es nur ein kleiner Fußmarsch zur West 62nd Street. Vielleicht stieg er sogar schon an der 42nd Street aus und legte den Rest der Strecke zu Fuß zurück. In New York ging er gerne zu Fuß. Aber diesmal schien der Zuhälter es ernst zu meinen. Ein letzter Schlag, dann wäre es aus. Er zerrte das Mädchen mit einer Hand an ihrem Trägertop hoch, das bloß noch um ihren Hals geschlungen war und ihre großen, schwingenden Brüste freilegte. Er wollte sie von unten treffen. Ein brutaler Uppercut. Der würde ihr das Nasenbein ins Gehirn treiben und sie töten.

McCall betrat die Gasse. Er hatte das Gefühl, als würden ihn Augen aus den großen Kartons beobachten, aber es rührte sich nichts. Nur eine leichte Brise, die durch die Wohnzimmer und Schlafzimmer aus Pappe strich.

Der Zuhälter hatte die Faust geballt.

Schwang sie nach hinten.

McCall packte sein Handgelenk und zerrte ihn von dem Mädchen weg. Sie fiel auf die Knie und versuchte, den Blutstrom aus ihrer Nase mit dem Handrücken zu stoppen. Der Zuhälter war so in Fahrt, dass er McCall ansah, als wäre er verrückt. Das war ein schwerer Fehler. Wenn man in einer Gasse in seinem eigenen Revier gepackt wird, während man gerade einer seiner Nutten eine Lektion erteilt, dann lässt man sich nicht aufhalten. Bestimmt nicht von einem weißen alten Knacker mit Anzug und Krawatte und dunklem Mantel. Er sah aus, als wäre er gerade von der Wall Street hier reinmarschiert. McCall nutze die Schrecksekunde, um dem Zuhälter die Beine wegzutreten. Er ging auf die Knie. McCall packte seine Hände und drehte sie um, hielt ihn mit eisernem Griff. Das Mädchen krabbelte weg, kam aber noch nicht wieder auf die Beine. Sie hatte nicht genug Sauerstoff in der Lunge.

Der Zuhälter sah zu McCall hoch und erblickte Mr. Durchschnittlich, Mr. Nobody, vielleicht um die 45, mittlere Größe, etwa 80 Kilo, gut aussehend, ausdrucksstarke Augen, grau melierte Haare. McCall hielt ihn fest, als würde er ihn daran hindern, umzufallen.

»Was immer sie getan hat, es tut ihr leid und es wird nicht wieder passieren.«

»Das schwöre ich«, keuchte das Mädchen und hustete, als sich Blut in ihrem Mund sammelte. Sie spuckte es aus, und als wäre es ihr plötzlich unangenehm, zog sie das Trägertop über die Brüste.

»Ich wohne in der Gegend«, sagte McCall, als mache er nur Konversation, als würden er und der Zuhälter sich auf einen Kaffee verabreden. »Und ich kenne die Cops hier auf dem Revier. Ich plaudere gerne mal mit dem Typ, der das Leichenschauhaus leitet. Sehr belesen. Er zitiert Blake genauso wie Harry Potter. Wenn ich herauskriege, dass das Mädchen wieder geschlagen wurde, dann suche ich nach dir. Und ich finde dich. Wenn du sie umlegst, dann werde ich dich persönlich auf einem der Seziertische im Leichenschauhaus abliefern. Alles klar?«

Der Zuhälter nickte. Sonst nichts, nur ein Nicken. McCall ließ seine Hände los. Er wandte sich an das Mädchen, das ein Stück weiter zurückwich.

Den Fehler hätte McCall vor einem Jahr noch nicht gemacht.

Er hatte aus dem Blick des Zuhälters die Niederlage herausgelesen. Aber er hatte ihn fehlinterpretiert. Der Typ war gewieft. Hatte gewirkt, als wäre ihm der Kampfgeist ausgegangen, als hätte er sich gefügt, würde es diesmal auf sich beruhen lassen.

Von hinten packte er McCall, nachdem er in einer fließenden Bewegung aufgestanden war. Ein muskulöser Arm drückte McCall die Kehle zu. Der Zuhälter wollte ihm den Daumen ins Auge drücken. Typische Straßenkämpfertaktik, aber nicht sehr clever. McCall griff nach der linken Hand des Zuhälters, brach ihm den Mittelfinger und den Ringfinger mit zwei kurzen, ruckartigen Bewegungen. Der Würgegriff um seinen Hals erschlaffte. McCall packte die rechte Hand seines Gegners und brach ihm den Mittelfinger und Ringfinger, drehte ihn dann herum und trat ihm in die Eier. Der Mann ging zu Boden und krümmte sich in Fötushaltung zusammen, die Beine schützten seinen Schritt und seine Hände zitterten, als er auf die gebrochenen Finger sah.

»Wird ein paar Wochen schwer sein, deine Nutten zusammenzuschlagen«, sagte McCall. »Die Finger sind zerbröselt. Aber die werden verheilen.«

»Du bist ein toter Mann«, brachte der Zuhälter mit krächzender, schmerzverzerrter Stimme heraus.

»Wenn ich dafür jedes Mal zehn Cent kriegen würde …«, seufzte McCall.

Er zog das Mädchen auf die Beine. Sie war etwa 1,75 Meter groß. Sie schnappte sich ihre weinrote Jacke, die auf einer der Mülltonnen hinter ihr gelandet war. McCall drängte sie die Gasse entlang, an den Kartons vorbei, bis sie auf der Broome Street waren. Dort herrschte dichter Verkehr. Ein Bus und ein paar gelbe Taxis fuhren vorbei. Das übliche ungeduldige Hupkonzert. McCall bemerkte einen uniformierten Polizisten an der Ecke zum Broadway. Er sah in ihre Richtung, kam aber nicht näher. Er unterhielt sich weiter mit dem Besitzer des Computerladens an der Ecke, dessen Auslage im Schaufenster so aussah, als verkaufe er Sachen, die von diversen Trucks gefallen waren.

Das Mädchen holte ein paar Taschentücher aus der Jackentasche und stopfte sie in beide Nasenlöcher, um die Blutung zu stoppen. Standardprozedur.

»Danke«, sagte sie. Ihre Stimme war deutlicher. »Ich glaube, diesmal hätte er mich umgebracht.«

»Hätte er.«

Jetzt, wo er ihr näher war, stellte er fest, dass sie schöne Augen hatte, braun-grün. Dankbarkeit lag in ihrem Blick, aber sie wurde von blanker Not überschattet.

»Ich schulde dir was«, sagte sie. »Ich bin Lucy. Lucy in the Sky with Diamonds.«

»Das ist dein Straßenname. Wie lautet dein echter Name?«

»Wen kümmert das schon? Ich benutze ihn nie.«

»Nur zur Unterhaltung.«

»Margaret. Langweilig, oder? Wie heißt du?«

»Ist unwichtig.«

Sie drückte sich an ihn und ihre Stimme bekam den heiseren Unterton, von dem sie wusste, dass er normalerweise seine Wirkung nicht verfehlte. »Sicher, verstehe schon. Ich muss deinen Namen nicht wissen. Komm einfach mit. Es kostet auch nichts. Ich will nur nicht alleine sein. Bitte.« Sie nahm seine Hand. »Ich tue alles, was du willst.«

Sie schob seine Hand unter ihr Trägertop, bis sie auf der linken Brust ruhte, und sah dann zu dem uniformierten Cop an der Ecke. Er blickte ein bisschen interessierter in ihre Richtung.

»Können wir irgendwo hingehen?«, fragte sie drängend. »Zu dir?«

»Ich bin spät dran und will meinen Sohn abholen.« McCall sagte es mit sanfter Stimme und zog die Hand unter ihrem Top heraus. »Dein Zuhälter wird dabei sein, sich die Finger verbinden zu lassen. Der sucht diesen Nachmittag nicht mehr nach dir. Aber vielleicht heute Abend. Wenn du Freunde in der Stadt hast, von denen er nichts weiß, dann bleib bei denen.«

»Du kennst ihn nicht. Der findet mich. Mit dem legt man sich nicht an. Kann ich bei dir bleiben?«

»Nein. Im Moment solltest du ins Krankenhaus gehen. Ich rufe dir ein Taxi und komme mit. Sorge dafür, dass die dich wieder zusammenflicken.«

»Fick dich, du Arschloch«, sagte sie und Tränen brannten in ihren Augen. »Du hast deine Heldennummer abgezogen. Hat sich bestimmt super angefühlt.«

Sie ließ ihn stehen und ging die Broome Street entlang, schlüpfte in ihre Jacke und zog sie eng um sich, als wäre ihr plötzlich sehr kalt.

McCall dachte kurz darüber nach, ihr hinterherzulaufen, sie zu zwingen, mit ihm in ein Taxi zu steigen und sie ins nächste Krankenhaus zu bringen, das war das Bellevue. Aber das hieß, er kam zu spät, um Scott zu sehen. Er könnte sie auch einfach in ein Taxi setzen und ihr das Geld geben, damit sie in die Notaufnahme konnte, aber er wusste, sie würde an der ersten Ampel aus dem Wagen springen. Das Geld war zu wertvoll für sie, um es für das Verarzten ihres Gesichts auszugeben. Das konnte sie selbst.

McCall überprüfte die Gasse, warf einen Blick hinter sich. Der Zuhälter war weg. Es war nicht genug Zeit gewesen, dass er es ganz bis ans andere Ende geschafft hätte. Er musste eine der Türen benutzt haben, die jetzt links von McCall waren. McCall war auf sich selbst sauer. Er hatte die wichtigste Regel gebrochen, an die er sich die letzten neun Monate lange gehalten hatte, und sich in eine Situation eingemischt, die absolut nichts mit ihm zu tun hatte. Er hoffte, was er getan hatte, würde sich nicht eines Tages rächen.

Sogar der Cop an der Ecke sah ihn an, als wäre er ein Idiot. McCall lächelte müde in seine Richtung. Ja, ein paar Angewohnheiten lassen sich schwer abschütteln.

Zumindest war das Mädchen noch am Leben.

McCall schlug den Kragen hoch gegen den scheidenden Wind, der von der Broome Street her wehte, ging an dem Cop vorbei den Broadway entlang in Richtung U-Bahnstation.

Zur selben Zeit stand Elena Petrova im Schlafzimmer einer Suite im dritten Stock des Metropol Hotel in der Teatralny Proezd in Moskau nackt vor einem Ganzkörperspiegel. Sie war brünett, Ende 30, groß, athletisch, zwar in Russland geboren, aber seit ihrem neunten Lebensjahr eine amerikanische Staatsbürgerin. Sie betrachtete die Messernarbe, die unter ihrer linken Brust anfing und sich bis kurz oberhalb des Schambereichs erstreckte. Da war auch noch das Stück vernarbter Haut an der rechten Seite, wo sie angeschossen worden war. Die Kugel hatte sie nur gestreift, aber das Andenken war immer noch da. Sie hatte ein Engelsgesicht, große braune lachende Augen – das Mädchen von nebenan mit einem leichten russischen Akzent. Es amüsierte sie immer, wenn ein Liebhaber in spe endlich »zur Sache kam«, wie ihre englischen Freundinnen es nannten, und auf ihre Kampfnarben reagierte. Sie sagte dann, sie sei in New York überfallen worden – die Messernarbe – und von einem Freund angeschossen worden, der seine neue Smith & Wesson SD40 präsentieren wollte, während sie einen romantischen Spaziergang durch den Bois de Boulogne in Paris machten.

Nichts davon stimmte.

Sie nahm etwas, das aussah wie eine lange Nadel, aus einem dünnen Plastiketui auf dem Tisch. Sie steckte sie in ihre Haare und befestigte sie an einem kleinen, schwarzen Barett. Man würde nie wissen, dass sie da war, außer man suchte danach.

Durch das große Panoramafenster konnte man auf den Roten Platz sehen. Die Dämmerung brach schnell herein. Es fiel ein wenig Schnee. Sie sah die Türme und Spitzen des Kremls. Die Aussicht wirkte wie einem düsteren Märchen entsprungen. Bei einem weiteren Blick in den Spiegel bemerkte sie den Schatten des Eindringlings in der offenen Schlafzimmertür. Sie hätte nach dem edelsteinbesetzten, schwarzen Beutel auf dem prunkvollen Tisch greifen können, in dem ihre Pistole steckte. Aber das tat sie nicht. Sie zog ein hauchdünnes schwarzes Höschen an und nahm ein kurzes, schwarzes Cocktailkleid von einer Stuhllehne. Dann schlüpfte sie in das Kleid, ließ es über den Körper gleiten. Es war hinten offen und die Hälfte ihres wohlgeformten Hinterns, vom Höschen kaum verdeckt, war zu sehen. Sie lächelte.

»Du kannst mir den Reißverschluss zumachen«, sagte sie. »Wenn du willst.«

Ein großer, eleganter Mann in den Fünfzigern trat ins Schlafzimmer. Er war makellos gekleidet und trug einen maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug, ein rosa gestreiftes Hemd, goldene Manschettenknöpfe, die aus kleinen, gekreuzten Golfschlägern bestanden, eine rote Krawatte mit kleinen Schachfiguren darauf und auf Hochglanz polierte Schuhe. Ein Hauch Aftershave lag in der Luft, als er hinter Elena trat. Sie betrachtete sein Gesicht im Spiegel: gut aussehend mit scharfen Gesichtszügen und hellblauen Augen. Normalerweise waren diese Augen undurchdringlich und das Gesicht eine Maske, aber im Moment sah er peinlich berührt aus. Er errötete tatsächlich. Elena kannte ihn nur als Kontrolle. Jeder in der Company nannte ihn Kontrolle. Sie wusste nicht, wie sein echter Name lautete. Sie glaubte auch nicht, dass ihn irgendeiner der anderen Agenten kannte. Er war ihr Kontrolloffizier auf dieser Mission, es war ungewöhnlich für ihn, dass er bei einem Einsatz dabei war, aber er war schon immer ein Mann voller Überraschungen gewesen. Gerüchten zufolge war er verheiratet und hatte zwei Töchter im Teenageralter, wohnte in einem ruhigen Vorort von Washington, D. C., spielte Golf mit einem Handicap von vier und trank nur gealterten Whiskey. Aber vielleicht war das auch nur eine Coverstory.

»Ich nehme an, du hast nicht gehört, wie ich reingekommen bin«, murmelte Kontrolle und griff nach dem Reißverschluss unten an ihrem schwarzen Kleid.

»Ich habe dich gehört. Nächstes Mal könntest du dich ja räuspern.«

»Ich hätte auch ein feindlicher Agent sein können, der sich an dich anschleicht.«

»Nicht mit dem Aftershave. Das ist unverwechselbar. Du kaufst es in einem winzigen Laden in Mayfair in London, der einzige Ort, wo es verkauft wird. Wenn du fertig damit bist, meinen Knackarsch zu betrachten, dann mach jetzt bitte den Reißverschluss zu.«

Ihre Augen strahlten. Er schloss den Reißverschluss.

»Wo hast du die Messerwunde her? Über die Schusswunde weiß ich ja Bescheid.«

»Ich wurde im Central Park überfallen. Nicht jeder einzelne Vorfall in meinem Leben steht in der Akte. Also, du hast ja schon meinen Körper rundum begutachtet.« Sie drehte sich um und sah ihn an. »Wie, meinst du, sehe ich für alle anderen aus?«

»Bildschön«, sagte Kontrolle. »Und du würdest außerdem niemals einen Straßenräuber im Central Park nahe genug herankommen lassen.«

Sie lächelte und nahm die kleine juwelenbesetzte Handtasche, die zum Kleid passte. Sie nahm die Beretta 21 Bobcat heraus, überprüfte erneut, ob sie geladen war, legte sie zurück und schloss die Tasche. Kontrolle steckte ihr einen kleinen Empfänger ins linke Ohr, der völlig unauffällig war.

»Ich werde jedes Wort verstehen können.«

»Das ist ein beängstigender Gedanke.«

Er nahm eine dünne Brille mit schwarzem Rahmen aus einem Metalletui und gab sie ihr. Sie setzte sie auf.

»Wirst du mich zur Party begleiten?«

»Nur bis zur Galerie. Ich gehe nicht mit rein. Aber ich werde in der Nähe sein.«

»Wer deckt mir den Rücken?«

»Masters. Er ist quasi Kunstsammler und spricht fließend Russisch. Ist heute Nachmittag in Moskau angekommen. Ich hatte noch keine Zeit, dich zu briefen.«

Sie steckte die Füße in elegante, italienische Riemchenpumps von Dolce & Gabbana.

»Masters ist gut. Ich bin fertig. Gehen wir.«

Kontrolle nahm ihre Hand.

»Elena …«

»Sei vorsichtig, geh kein Risiko ein, hole, wofür du gekommen bist, und hau wieder ab. Und versuche, das Kleid nicht in einem von Alexei Berezovskys privaten Konferenzräumen auf den Boden fallen zu lassen.« Die Unbeschwertheit schwand aus ihrer Stimme und wurde durch eine ruhige Abgeklärtheit ersetzt. »Ich weiß schon, was ich tun muss, Kontrolle. Deswegen hast du mich nach Moskau gebracht.«

»Ja, das stimmt.«

Sie gingen zur Schlafzimmertür. Elenas Blick wanderte zu einem kleinen gerahmten Foto auf dem Nachttisch. Darauf war Elena, die genauso aussah wie jetzt, und ein jüngerer Robert McCall an Bord eines Segelbootes vor dem Hintergrund einer alten Stadt, die in der untergehenden Sonne hinter ihnen glitzerte. Auf dem Foto stand in ordentlicher Handschrift: Für meinen Liebling Elena – In Liebe – Robert.

Kontrolle hatte das Foto bemerkt. »Wo wurde das aufgenommen?«

»Kroatien. An der Küste in der Nähe von Split in der Adria. Ein viertägiger Urlaub, der auch nicht in meiner Akte steht. Und bevor du fragst, nein, ich habe nichts von ihm gehört. Seit über drei Jahren nicht.«

»Aber du hast immer noch sein Bild überall dabei, wo du hingehst.«

»Das muss er ja nicht wissen.«

Kontrolle öffnete die Schlafzimmertür weiter. »Es ist besser, dass er nicht mehr Teil deines Lebens ist, Elena.«

»Was ist passiert? Wieso ist er untergetaucht? Niemand in der Company will darüber reden.«

»Muss auch keiner wissen.«

»Aber du weißt, wo er ist. Du weißt, wo alle von uns sind, jederzeit.«

»Ich weiß nicht, wo Robert McCall ist.«

»Aber du glaubst nicht, dass er tot ist.«

Es war eine Feststellung. Kontrolle schüttelte den Kopf.

»Den legt man nicht so einfach um«, sagte er. »Ich sollte das Foto mitnehmen. Wir haben überhaupt keine Bilder von Robert McCall.«

»Nicht einmal in seiner Akte?«

»Sie wurden entfernt. Vermutlich von ihm selbst.«

»Also, das da kriegst du nicht.« Sie ging ins Wohnzimmer der Suite. »Wir sollten unseren russischen Gastgeber nicht warten lassen.«

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