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Kapitel 2

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McCall setzte sich an einen Tisch im Freien beim Starbucks in der West-62nd Street. Wie üblich bestellte er den extrastarken Kaffee mit Sumatra-Bohnen. Er schüttete drei Päckchen Zucker rein und verrührte sie. Er war ein bisschen zu spät dran, aber die Pause war noch nicht vorbei. Auf der anderen Seite der Straße, auf dem Schulhof der Highschool liefen die Schüler in Grüppchen herum, plauderten, balgten sich, warfen Footballs hin und her, ein paar spielten Basketball. Scott dribbelte gerade den Ball, als McCall sich setzte. Er machte eine Finte nach links, drehte sich nach rechts, wieder nach links und täuschte seinen Gegner so geschickt, dass der nur mit den Armen wedeln konnte, als würde er auf einem Flugzeugträger einen Kampfjet bei der Landung einweisen. Scott streckte sich zu seiner ganzen Größe von 1,85 Meter und warf. Er traf den Rand des Korbs und der Ball segelte davon. Knapp. McCall sah zu, wie sein Sohn sich weiter ins Spielgeschehen stürzte, einen großen schwarzen Jungen deckte, der den Rebound erwischt hatte. Scott war schlank, hatte verwuschelte blonde Haare, und obwohl er nicht muskulös war, bewegte er sich mit einer Geschmeidigkeit, die McCall bewunderte. Der 15-Jährige war ein freundlicher Junge und offensichtlich beliebt. McCall hatte das letzte Mal mit ihm gesprochen, als er acht war. Das war an der Grand Central Station gewesen, im Juni des Jahres, als er Scott und seine Ex-Frau Cassie für fünf Minuten getroffen hatte.

Für McCall war das 20 Missionen her.

Er betrachtete die auf dem Pausenhof durcheinanderlaufenden Schüler und vor seinem geistigen Auge wurde das Bild schwarzweiß. Auf genau demselben Schulhof hatten ihn einst sechs Footballspieler im strömenden Regen zusammengeschlagen.

Auf der anderen Seite der Straße entriss Scott seinem Gegner den Ball und dribbelte ihn das Feld entlang. McCall sah zu, wie er sich drehte, antäuschte, warf. Diesmal rauschte der Ball durchs Netz. McCall streckte den Daumen hoch. Scott hatte natürlich nicht die leiseste Ahnung, dass sein Vater auf der anderen Straßenseite im Starbucks saß und ihm zusah.

Elena trat aus dem Taxi vor der Ally Bulyanskaya Gallery in der Krymsky Val Nummer zehn, die zum Central House of Artists gehörte. Sie und Kontrolle hatten sich vier Blöcke östlich getrennt. Es schneite immer noch. Zumeist junge, elegant gekleidete Männer und Frauen spazierten in dem modernen Gebäude herum. Elena schloss sich ihnen an.

Drinnen wurden die Kunstmäzene in die Ally Bulyanskaya Gallery geleitet, die aus sieben großen Räumen bestand, gefüllt mit Gemälden und Skulpturen. Kellner in Fracks trugen silberne Tabletts voller Champagnergläser herum. Kellnerinnen in schwarzen Seidenblusen und bodenlangen schwarzen Röcken verteilten Horsd’œuvres. Eine Frau, die aussah wie eine etwas ältere Lady Gaga mit stacheligen blonden Haaren und einem offenherzigen roten Kleid, spielte auf einer erhöhten Plattform Harfe. Elena rückte ihre Brille zurecht, nahm sich eines der angebotenen Champagnergläser von einem der Kellner und mischte sich unter die Leute.

Kontrolle saß in seinem kleinen, schwarzen Kastenwagen im Iskusstv-Park. Er hatte gegenüber der Galerie, direkt neben dem Denkmal von Jakow Swerdlow, geparkt. Gebückt saß er vor einem Monitor zwischen zahlreichem raffiniertem elektronischem Equipment. Die winzige Digitalkamera in Elenas Brille war in den oberen Rahmen eingebaut, an der Stelle, wo die beiden Gläser verbunden waren. Die bewegten Bilder, die Kontrolle empfing, waren recht gut, auch wenn das Sichtfeld begrenzt war. In der Menge suchte er nach seinem Agenten Jim Masters. Er konnte ihn noch nicht ausmachen.

Kontrolle war nervös. Seit zwölf Jahren hatte er nicht mehr in einem solchen Lieferwagen gesessen und tatsächlich einen Agenten im Einsatz kontrolliert. Sein Fahrer, ein Angestellter der Company aus der Gegend namens Sergei, blieb hinter dem Steuer sitzen, stets bereit, den Kleinlaster umzuparken, wenn es nötig sein sollte. Hinter Kontrolle saß im Smoking Mickey Kostmayer, ein jungenhaft aussehender Agent der Company Ende zwanzig. Kostmayer hatte widerspenstiges braunes Haar und blasse grüne Augen, die manchmal ein wenig verrückt wirkten. Kontrolle konnte seine aufgestaute Energie fast körperlich spüren.

»Ich gehe einfach rein«, sagte Kostmayer. »Ich brauche keine Einladung.«

»Lass ihr erst einmal ein wenig Freiraum«, meinte Kontrolle.

In der Ally Bulyanskaya Gallery suchte Elena ebenfalls nach Agent Jim Masters. Sie entdeckte ihn in einer Ecke, wo er sich angeregt mit zwei russischen Matronen unterhielt, die aussahen, als hätten sie Stalin großgezogen.

Masters konnte man schwer übersehen. Er war ein Bär von einem Mann und trug einen schwarzen Smoking, was aussah, als hätte er sich in ein Zelt gewickelt. Ein Champagnerglas war in seiner Pranke. Er sah sich im Raum um, während eine der Matronen heftig den Kopf schüttelte, um dem zu widersprechen, was immer er über das Gemälde von Serget Bazileo gesagt, hatte, das sie sich ansahen. Es war Teil der Serie »Mann und Frau« und trug den Titel: Überall Leben – ältere Frauen, die in einem Nobelrestaurant um einen Tisch herumsaßen und -standen. Masters sah einen Moment Elena in die Augen, dann wandte er sich mit einer abwertenden Geste wieder dem Bild zu. Die Matronen wirkten leicht empört.

Ein großer, beeindruckender Russe Ende 40 in einem Smoking schob sich durch die Menge, schüttelte Hände, lächelte höflich. Es war Alexei Berezovsky, ehemaliger FTB-Agent, nun ein Kunstmäzen und Besitzer von drei der angesagtesten Moskauer Nachtklubs sowie von zwei weiteren in Sankt Petersburg. Er wirkte kräftig, wie ein gealterter Zehnkämpfer. Elena sah ihn auf sich zukommen.

»Hab ihn«, murmelte sie, sodass nur Kontrolle sie hörte. »Alexei Berezovsky, sehr elegant, ein Dinosaurier in einem Smoking. Er sucht nach mir.«

Berezovsky hatte dunkle Haare ohne eine Spur von Grau.

Mehrere Ringe glitzerten an seinen Fingern. Er hatte ein hübsches Gesicht, aber die Augen wirkten eiskalt. Er strahlte Stärke aus und Macht und eine rohe sexuelle Energie. Elena registrierte, wie er seine Magie auf den Raum ausstrahlen ließ, indem er diese Energie nutzte, seinen Charme spielen ließ, so wie er es bei ihr getan hatte. Sie hatte nicht mit ihm geschlafen – sie hatten sich nur dreimal zu ein paar Drinks getroffen –, aber sie hatte sichergestellt, dass ein sexuelles Versprechen im Raum stand. Schließlich entdeckte er sie, entschuldigte sich bei einem jungen Pärchen, durchquerte den belebten Raum und kam auf sie zu. Lächelnd ergriff er ihre Hände.

»Elena! Du bist gekommen!«

»Ich hab es ja versprochen.«

»Ja, aber nicht jeder hält seine Versprechen, oder?« Seine Stimme war nahezu melodisch. »Besonders Journalisten. Schreibst du immer noch über diesen Gangster Putin?«

»Er ist ein sehr interessanter Mann.«

»Er ist ein Krimineller. Und seine Macht schwindet. Deine Bosse beim CNN sollten dich mal losschicken, um jemanden zu interviewen, der tatsächlich Einfluss in der Welt hat.«

»Jemanden wie dich?«

Er winkte ab, als hätte sie ihm viel zu sehr geschmeichelt. »Ich arbeite nicht mehr für die Regierung. Ich bin jetzt Kunstmäzen und Kapitalist, aber das weißt du ja schon alles.«

Er trat näher an sie heran. Beäugte ihren Ausschnitt, als wolle er ergründen, ob sie wohl einen BH trug. Er kam zum Schluss, dass sie es nicht tat.

»Wie lange dauert die ganze Chose hier?«, fragte Elena.

»Mindestens bis Mitternacht sicher.«

»Ich kann nicht lange bleiben. Ich hab in einer Stunde eine Konferenzschaltung nach Atlanta. Aber ich wollte dich nicht enttäuschen.«

Berezovsky drehte sich leicht zur Seite. Jemand im Raum hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Elena folgte dem Blick. Ein dicker Mann, der sich in seinem dunklen Anzug nicht wohlzufühlen schien und eine dünne Krawatte und braune Stiefel trug, stand unbeweglich mitten im Gewusel der Kunstliebhaber um ihn herum. Er machte den Eindruck, als würde er in einer Fabrik arbeiten und Autos zusammenschrauben. Als er Berezovsky erblickte, ging er sofort auf eine der Skulpturen von Arsen Avetisian zu. Es war eine goldene Figur, die huckepack auf dem Rücken eines Skeletts mit schwarzem Anzug und ohne Kopf saß. Berezovsky wandte sich wieder Elena zu.

»Gib mir fünf Minuten. Wir treffen uns am Eingang zum nächsten Raum.«

Er ließ sie stehen, grüßte unterwegs weitere Freunde und Mäzene und ging auf die Avetisian-Skulptur zu. Elena schlüpfte parallel zu ihm zwischen den Leuten hindurch.

»Hast du das alles verstanden?«, murmelte sie.

Im Lieferwagen betrachteten Kontrolle und Kostmayer den Monitor. Sie sahen die Party in allen möglichen Blickwinkeln durch Elenas Brille, während sie sich durch die Menge bewegte. Zweimal erhaschten sie einen Blick auf Berezovsky, doch die Masse verschluckte ihn jedes Mal schnell wieder.

»Ich verliere ihn dauernd«, sagte Kontrolle. »Pass auf, dass du ihn im Blick behältst.«

Elenas Stimme verursachte ein leichtes Echo in dem vollgestopften Kleinlaster.

»Keine Sorge. Er will mir an die Wäsche. Du hast schließlich die Auslage gesehen. Man kann es ihm nicht übel nehmen.«

Kostmayer warf Kontrolle einen Blick zu.

Er räusperte sich. »Frag lieber nicht.«

Kostmayer sagte: »Das gefällt mir gar nicht.«

In sein Mikro meinte Kontrolle zu Elena: »Hol dir einfach, weswegen du dort bist. Lass bloß nicht zu, dass er dich anfasst.«

»Könnte schwer werden, sich seiner zu erwehren, Boss.«

»Nicht für dich.«

Elena sah zu, wie Berezovsky an dem stämmigen Arbeitertyp an der Arsen-Avetisian-Skulptur vorbeiging. Der Mann drückte dem Ex-FTB-Agenten etwas in die Hand. Etwas Kleines, das kurz das Licht reflektierte. Berezovsky steckte es in die Tasche seiner Smokingjacke und ging weiter.

»Sie haben den Austausch gemacht«, flüsterte Elena.

Sie ging schneller durch den Raum. Aus ihrer juwelenbesetzten Handtasche nahm sie ein iPhone, hielt es ans Ohr, tat so, als würde jemand mit ihr reden, machte es dann wieder aus und ließ es mit einem erschöpften Seufzen in die Tasche fallen. Dabei vergewisserte sie sich, dass Berezovsky ihr zusah. Am Eingang zum nächsten Raum der Galerie schloss sie zu ihm auf.

»Meine Konferenzschaltung ist bald so weit. Ich muss gehen, Alexei.«

»Noch nicht. Komm bitte mit. Ich wollte dir noch etwas Besonderes zeigen.«

Er nahm ihren Arm und führte sie in den zweiten Raum der Galerie.

Jim Masters löste sich aus den Fängen der beiden russischen Matronen und folgte ihnen.

Auf dem Monitor im Lieferwagen sah Kontrolle, dass der zweite Raum der Galerie noch voller war als der erste. Dann zeigte Elenas Brille, dass sie durch einen Korridor ging, weg von den Kunstliebhabern und dem Lärm der Party. Elena blickte einmal über die Schulter. Kostmayer beugte sich vor, an Kontrolle vorbei, und starrte angestrengt auf den Monitor.

»Masters sollte ihr folgen.«

»Er ist da irgendwo. Nur nicht in ihrer Blicklinie.«

»Frag sie, ob sie ihn sehen kann. Sag, sie soll leicht mit dem Kopf nicken.«

Kontrolle sagte ins Mikro: »Elena, wenn du Masters sehen kannst, dann nick mit dem Kopf.«

Es gab keine Reaktion. Die Kamera bewegte sich nicht.

»Elena, wenn du mich noch hören kannst, dann nicke«, sagte Kontrolle.

Die Kamera registrierte kein Nicken. Kostmayer stellte an ein paar Reglern herum.

»Wir haben den Kontakt verloren.«

»Sie könnte den Mini-Ohrhörer rausgenommen haben«, sagte Kontrolle.

»Wieso zur Hölle sollte sie das tun?«

»Sie muss Entscheidungen in Sekundenbruchteilen fällen. Sie ist im Einsatz.«

»Nun gut, ich könnte auch ein bisschen Champagner und Kultur vertragen«, sagte Kostmayer. »Ich gehe rein.«

»Aber nur beobachten«, warnte ihn Kontrolle. »Unternimm nichts. Sie hat die Situation unter Kontrolle. Sag mir, was du siehst.«

Kostmayer nickte, steckte sich ein Earpiece ins Ohr und stieg aus dem Lieferwagen.

Im zweiten Raum der Galerie betrat Masters den kurzen Korridor, in dem Berezovsky und Elena verschwunden waren. Ein junger Mann in einem dunklen Anzug, der angetrunken wirkte, stolperte gegen ihn und murmelte eine Entschuldigung. Masters stützte ihn.

»Du solltest vielleicht besser ein bisschen frische Luft schnappen, Junge«, sagte Masters zu ihm auf Russisch.

Ein anderer junger Mann trat links neben Masters und stieß einen langen Dolch durch seine Rippen direkt ins Herz.

Masters taumelte, doch der erste Mann hielt ihn aufrecht. Sie trugen Masters den Korridor entlang, als wäre ihm nur schlecht geworden, und verschwanden um eine Ecke.

Elena bekam davon nichts mit. Berezovsky führte sie zu einer Tür am Ende des Korridors. Er schloss auf und öffnete sie.

»Das ist mein Zufluchtsort hier in der Galerie«, sagte er.

Elena trat in das kleine, holzvertäfelte Büro. Dicke Vorhänge hingen vor dem Fenster. Zu ihrer Rechten befand sich die Tür eines Wandschrankes, und ein paar Kisten mit Gemälden waren links an der Wand gestapelt. Die Möblierung bestand aus einem enormen Schreibtisch, einem Sessel und einem Schreibtischsessel. Über dem Schreibtisch hing das große Ölgemälde eines nackten Mädchens, das mit dem Rücken zum Künstler saß und anscheinend durchsichtige, weiße Blüten auf dem Rücken und dem Hintern hatte. Ihr Haar war titanfarben. Das Gesicht war nicht zu sehen. Berezovsky zeigte auf das Bild, als sei es die Schwester der Mona Lisa.

»Das ist ein Bruni. Aus meiner Privatsammlung«, sagte er. »Sie wollten, dass ich ihn für die Ausstellung heute aufhänge, aber manche Schätze sind nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.«

Er schloss die Bürotür.

Und drehte den Schlüssel um.

Dann nahm er Elena die juwelenbesetzte Handtasche ab und ließ sie auf den Sessel fallen. Sanft nahm er ihr die Brille von der Nase und warf sie auf den Schreibtisch.

»Deine Augen sind viel zu schön, um sie zu verstecken.«

Elena dachte für eine Sekunde an Kontrolle, der vor seinem Monitor im Lieferwagen saß und sich eine unbewegte Ansicht der Zimmerdecke des Büros ansah.

Berezovsky zog seine Smokingjacke aus und legte sie behutsam über die Lehne des Sessels. Dann zog er Elena zu sich und küsste sie. Sie wehrte sich nicht. Ihre Zungen erforschten ihre Münder. Er drückte ihre rechte Brust, schob das Kleid hoch und steckte die Hand in ihr Höschen, um ihren Hintern zu betatschen. Sie griff ihm in den Schritt. Sie küssten sich weiter, gierig nacheinander. Er nahm die Hand von ihrem Hintern, als sie beide Luft holten.

Dann schlug er sie mit der Rückseite der Hand.

Ein kleiner Tropfen Blut lief ihr über die Wange, wo einer seiner Ringe sie erwischt hatte. Bevor sie etwas tun konnte, außer erschreckt nach Luft zu schnappen, hatte er sie schon fest an den Schultern gepackt. Seine Stimme war tief und dröhnend.

»Hast du wirklich geglaubt, du kannst mich verarschen, du kleine Schlampe? Hast du gedacht, ich würde dich nicht durchchecken?«

Elena ließ Angst aus ihren Augen sprechen, aber auch Lust, als wäre sie gefangen genommen von der sexuellen Gewalt zwischen ihnen.

»Wovon redest du, Alexei? Ich bin Reporterin für CNN. Das weißt du. Lass mich meinen Boss in Atlanta anrufen, er wird es bestätigen.«

»Du meinst, du rufst Kontrolle an?«

»Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich hab keine Ahnung, wer du glaubst, dass ich bin, aber du liegst falsch, Alexei. Mein Name ist Elena Petrova. Ich bin für CNN hier in Moskau, um euren Präsidenten zu interviewen. Was geht hier vor?«

Er ließ ihre Schultern los und steckte seine Zeigefinger in ihre Ohren. Sie schreckte zurück.

»Was machst du? Da ist nichts in meinen Ohren.«

Sie legte die Hand ans rechte Ohr, wie aus Reflex, zog die lange, dünne Nadel aus ihren Haaren und verbarg sie in der rechten Hand. Dann stellte sie sich näher vor Berezovsky mit funkelndem Blick, als würde sie das anmachen.

»Du willst es also grob, Alexei. Ich mag es grob. Aber lass mich mein Kleid ausziehen. Dafür hab ich Berichte im Wert von 1000 Dollar gemacht und ich will nicht, dass es zerrissen wird.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Du kannst mich schlagen. Aber nimm die Handfläche. Du hast meine Wange aufgeritzt mit einem deiner Ringe.«

Er schlug sie ins Gesicht. Hart. Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie lächelte und atmete schwer, als würde sie scharf werden.

»Das war gut. Mach es noch mal.«

Er schlug sie erneut. Sie griff nach hinten an den Reißverschluss und öffnete ihr Kleid. Es rutschte zu Boden. Berezovsky sah nach unten auf ihre Brüste. So wie sie es schon vorhergeahnt hatte. Sie brauchte nur eine Sekunde. Das hatte ihr Robert McCall beigebracht. Lenk deinen Gegner nur eine Sekunde ab. Wenn du weißt, was du tust, dann brauchst du nicht mehr.

Sie stach die Nadel von links in Berezovskys Hals. Sein Körper versteifte sich, zitterte. Die Lähmung trat nicht sofort ein, aber es dauerte normalerweise nur zwei bis drei Sekunden. Bevor er überhaupt gemerkt hatte, was sie getan hatte, konnte sich Berezovsky nicht mehr bewegen. Sie machte einen Schritt nach hinten und trat ihm die Beine weg. Er stürzte schwer auf den dicken Teppich. Elena zog ihr Kleid wieder an und schaffte es, den Reißverschluss zu schließen. Berezovsky starrte zu ihr hoch, als würde er von unsichtbaren Fesseln gehalten. Sie nahm seine abgelegte Smokingjacke, griff in die Tasche, holte den silbernen USB-Stick heraus und ließ ihn in ihre Handtasche fallen.

»Der Funkohrstecker, nach dem du gesucht hast?«, sagte sie. »Den hab ich rausgenommen. Ich wollte nicht, dass du ihn bei deinem unbeholfenen Gefummel findest.«

Sie trat an die Schranktür und öffnete sie. Ein dunkler Anzug hing darin, ein paar Hemden, ein langer Wollmantel. Einige kleine Gemälde lehnten an einer Wand. Elena hob Berezovsky an den Schultern hoch und zerrte ihn in den Schrank. Er war nicht so schwer wie befürchtet.

»Die Lähmung wird mindestens zwölf Stunden anhalten. Dir wird schlecht werden, versuch also, nicht auf deine Schuhe zu kotzen. Das wäre nicht so schön.«

Sie ließ ihn in den Schrank plumpsen, ging zum Sessel, holte die Beretta Bobcat 21 aus ihrer Handtasche, kam zurück und hielt sie ihm an den Kopf. Seine Augen wirkten ruhig, als er zu ihr hochblickte. Das Einzige, was er bewegen konnte, waren die Augenlider.

»Eigentlich sollte ich dich töten«, sagte Elena. »Aber ich hab, wofür ich gekommen hin. Wenn sich unsere Wege jemals wieder kreuzen – selbst wenn wir uns nur auf verschiedenen Straßenseiten in einer fremden Stadt wiedersehen –, dann lege ich dich um. Weil du mich angefasst hast. Du hältst dich vielleicht für einen Kunstliebhaber und einen Mann von Kultur. Weißt du, was ich sehe? Ein dreckiges Schwein, das nach russischem Tabak und Gin stinkt, mit einem Schwanz, so groß wie der eines kleinen Jungen.«

Seine Augen funkelten.

Sie trat ihm in die Eier.

Hätte er sich bewegen können, dann hätte er sich zusammengekrümmt. Dann trat sie ihm gegen den Kopf, ihr Pump knallte gegen seine Schläfe. Er erschlaffte bewusstlos.

Elena schloss die Schranktür. Sie schnappte sich ihre Brille vom Schreibtisch, aber er hatte sie kaputtgemacht. Sie ließ sie in ihre Handtasche fallen. Von draußen hörte sie ein Geräusch. Jemand war an der Tür. Sie schloss schnell auf. Ein Wachmann in Uniform stand davor, der einen Schlüsselring in der Hand hielt.

»Entschuldigung, ich suche nur nach der Toilette«, sagte Elena auf Russisch und drückte sich an ihm vorbei aus dem Büro.

Kostmayer konnte Elena in keinem der Galerieräume finden. Er ging in den hinteren Teil der Galerie zum Lieferanteneingang. Alles lag im Dunkeln. Nichts bewegte sich. Dann fand er die Leiche von Masters hinter ein paar großen eingepackten Skulpturen, die dort schon für die nächste Ausstellung bereitstanden. Er kniete sich hin und tastete kurz nach einem Pulsschlag am Hals des stämmigen Mannes. Es gab keinen.

»Masters ist tot«, sagte Kostmayer, sodass Kontrolle ihn hören konnte. »Elena ist aufgeflogen.«

Die Glocke der Highschool läutete. Die Kinder verließen den Pausenhof. McCall sah zu, wie Scott mit seinen Freunden über den Asphalt lief. Er unterhielt sich angeregt mit dem großen, schwarzen Jungen. Beide lachten. Die Kellnerin, auf deren Namensschild Dana stand, brachte ihm noch eine Tasse des extra starken Sumatra-Blends.

»Drei Tassen heute«, meinte sie. »Sie haben anscheinend eine Menge nachzudenken.«

»Ich wusste, dass die mir auflauern würden«, sagte er.

»Wer wollte Ihnen auflauern?«

»Die Sporttypen. Die haben auf mich gewartet. Auf dem Schulhof. Im strömenden Regen. Ich wollte wegrennen. Ich hatte Angst.«

»Und sind Sie weggerannt?«

»Nein.«

Dana sah zum Schulhof hinüber. Die letzten Nachzügler verschwanden gerade im Schulgebäude.

»Sie sind auf diese Highschool gegangen?«

»Vor langer Zeit.«

»Und ein paar Sportler haben Sie auf dem Pausenhof zusammengeschlagen?«

»Nicht ganz.«

»Es tut mir leid. Ich glaube, ich kann der Geschichte nicht ganz folgen.«

McCall schüttelte den Kopf. »Es ist keine Geschichte, nur ein paar Erinnerungen«, sagte er.

»Ist alles in Ordnung, geht es Ihnen gut?«

»Ja, alles okay.«

Sie lächelte und nickte und ging an einen anderen Tisch, um ein paar leere Tassen und Teller abzuräumen.

McCall starrte den Eingang an, durch den die Kids verschwunden waren. Er empfand plötzlich eine überwältigende Traurigkeit angesichts all der Basketballspiele, die er mit seinem Sohn nie gespielt hatte.

Elena eilte durch die überfüllten Räume der Galerie und schnappte sich ein Glas Champagner von Tablett eines vorbeilaufenden Kellners. Sie suchte nach Masters, fand ihn jedoch nicht. Auf dem kleinen Podium hatte die Harfenspielerin mit einer weiteren bezaubernden Melodie begonnen. Niemand nahm Notiz von Elena. Sie erreichte den Haupteingang.

Draußen warteten die beiden Ex-FTB-Offiziere auf sie, die Masters ermordet hatten. Sie erkannte sie sofort von der Party. Sie wusste, wer sie waren. Also gab es keine Möglichkeit für sie, die Straße zu überqueren, um in den Iskusstv-Park zu kommen. Und sie wollte auch nicht in der Menge vor der Galerie auf Kontrolle oder Kostmayer warten. Wenn die beiden Schlägertypen sich neben sie schoben, dann war sie tot.

Plan B.

Elena ging rasch die Seitenstraße entlang, wo der Lada Kalina Sport geparkt war. Wenn ihr Ersatzwagen nur nicht auffällig knallgelb gewesen wäre, aber so war er nun mal geliefert worden. Den Schlüssel für den Wagen hatte sie in der Handtasche. Sie schloss ihn auf, ohne sich umzusehen, schlüpfte hinein, ließ die juwelenbesetzte Tasche auf den Beifahrersitz fallen, startete den Wagen und fuhr los.

Im Rückspiegel bemerkte sie die beiden Ex-FTB-Agenten, die zum Eingang der Galerie zurückrannten.

Was sie nicht sah, war der schwarze GAZ-3102 Wolga, der hinter ihr losfuhr.

Elena beschleunigte und reihte sich in den Verkehr auf dem Maronovskiy Perevlok ein. Sie griff in die Tasche und schloss die Finger um den silbernen USB-Stick. Was darauf war, davon hatte sie keine Ahnung. Das musste sie auch nicht wissen. Sie musste ihn nur Kontrolle abliefern.

Sie dachte zurück an den Abend in der Kunstgalerie.

Robert McCall wäre stolz auf sie gewesen.

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