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Kapitel 4

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McCall saß an einem Außentisch vor einem Starbucks in der West 64th Street und wartete dort auf sie. Die Erinnerung an die Rave-Party und das alte Mercury Theater ging ihm durch den Kopf. Der Tod der beiden Männer unter dem Gerüst war niemals in den Zeitungen aufgetaucht. Er hatte auch nichts mehr von der Frau gehört, die sich Laura Masden genannt hatte – vielleicht war sie aber auch wirklich Laura Masden gewesen und Emily hatte gelogen. Er hatte nämlich auch nichts mehr von Emily gehört. Blake Cunningham hatte er ebenfalls nicht wiedergesehen, allerdings hatte er sich auch nicht bemüht, ihn in seinem Büro bei Morgan Stanley im Rockefeller Center zu besuchen. Wieder erinnerte er sich an die Nacht, als Emily sich auf ihrem Sitz in Reihe G des verlassenen Theaters umgedreht und geflüstert hatte: »Danke, dass du mich gerettet hast.«

Nur, dass er das nicht getan hatte.

McCall sah die beiden jetzt auf der 64th Street auf ihn zukommen. Würden sie sich nicht gerade in New York befinden, hätten sie wie ein äußerst merkwürdiges Pärchen gewirkt. Die blasse junge Frau war Candy Annie. Sie war Mitte zwanzig, besaß eine umwerfende Figur und hatte rote Haare, die ihr üppig auf die Schultern fielen. Sie trug eine durchsichtige weiße Bluse, einen langen beigefarbenen ebenfalls transparenten Rock und pinke Reeboks. Das Sonnenlicht fiel sowohl durch ihre Bluse als auch den Rock. McCall war erleichtert, dass sie Unterwäsche trug, denn das war etwas, das sie nicht jeden Tag tat. Sie hatte einen Vans Realm Rucksack mit einem Muster aus hübschen roten Rosen auf dem Rücken. Außerdem trug sie einen abgenutzten Koffer bei sich, der aussah, als hätte er den Untergang der Titanic überlebt. Auf dem Gehsteig liefen reihenweise Leute an ihr vorbei, die Musik hörten, auf ihren Smartphones texteten oder einfach nur eilig zu einer Verabredung unterwegs waren. Doch Candy Annie sah nichts davon. Sie war vollkommen auf das Starbucks an der Ecke Broadway, West 64th, fixiert.

Neben ihr ging ein spindeldürrer Afroamerikaner, der schwarze Jeans, ein löchriges NYU-T-Shirt und braune Arbeitsstiefel trug. Trotz der alten Kleidung strahlte seine knochige Gestalt eine gewisse Eleganz aus. Ein junger Mann in Kakihosen und einem blauen Blazer rannte jetzt zu ihm und fragte ihn etwas. McCall überlegte, ob der junge Mann wohl dachte, dass der alte schwarze Mann Morgan Freeman sei. Denn er war schon früher mit ihm verwechselt worden. Er schüttelte nun tatsächlich fast entschuldigend den Kopf und ging weiter.

Anders als seine junge weibliche Begleitung betrachtete Jackson T. Foozelman jedes Detail der belebten Straße auf beiden Seiten des Broadways. Er schüttelte leicht den Kopf, als sei er immer noch erstaunt über das menschliche Kaleidoskop, den lärmenden Verkehr, und all die Farben, Eindrücke und Geräusche.

McCall stand auf, als sie an seinen Tisch traten. »Du siehst toll aus, Candy Annie.«

»Ich habe Todesangst«, flüsterte sie.

»Aber sie ist hier«, sagte Jackson T. Foozelman erleichtert. »Ich hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag mal erlebe. Sie hat alles dabei, was sie braucht. Hat nicht viel zurückgelassen. Nun, man geht mit wenig in die Tunnel und man verlässt sie mit wenig.«

»Was passiert mit ihrem Wohnraum?«

»Den habe ich bereits an Gina vermietet. Sie ist eine äußerst überschwängliche Person, die einen sofort an ihren dicken Busen drückt, sobald man sie sieht. Sie hat zwei kleine Kinder und hat schon lange darauf gewartet, dass Candy Annie auszieht.«

»Sie hat drüben im Amtrak-Tunnel mit den Maulwurfsmenschen gelebt, aber ihre Kinder wurden krank«, sagte Candy Annie. »Bei mir ist es wärmer.«

McCall hatte Candy Annies Zuhause noch gut vor Augen, es war eine fünf Meter lange Nische in einem unterirdischen Tunnel. Sie hatte dort eine Couch und Stühle, einen farbenfrohen Quilt mit Norman-Rockwell-Motiven auf ihrem Bett, einen Fernseher aus den 1990ern mit DVD-Stapeln daneben, eine funktionierende Spüle, eine Toilette und eine kleine Duschkabine. Es war vermutlich ein schöneres Apartment, als es die meisten Studenten an der NYU hatten, mal abgesehen von der Wohnlage natürlich.

»Hat der Typ in dem blauen Blazer gedacht, dass du Morgan Freeman bist?«, fragte McCall.

Fooz grinste. »Hat er. Normalerweise sage ich einfach ja und kritzele ein Autogramm irgendwo drauf, aber das hier war ein zu denkwürdiger Augenblick, um mich mit Fremden zu unterhalten.«

McCall konnte das durchaus verstehen. Candy Annie hatte nämlich in den U-Bahntunneln gelebt, seit sie sechzehn war. Sie hatte mit ihm niemals über ihre Eltern geredet, falls diese überhaupt noch lebten. Sie hatte auch nie über Geschwister gesprochen. Ihre einzigen Freunde waren die Subs, Menschen, die ebenfalls unter der Erde die U-Bahntunnel bewohnten. Einige Bereiche waren wie künstlich angelegte Parks, manche waren sogar mit künstlichem Gras ausgelegt worden. Alles wirkte seltsam surreal, als wäre die menschliche Rasse nach einem apokalyptischen Krieg auf der Erdoberfläche gezwungen gewesen, fortan in den unterirdischen Kanälen zu leben. Aber es herrschte Ruhe in den Tunneln und niemand musste für Miete oder fürs Parken zahlen oder irgendwohin gehen, außer gelegentlich mal an die Oberwelt, um Nahrung und Vorräte zu besorgen.

Doch es war kein Ort für eine junge Frau mit einem scharfen Verstand und einem lebhaften Temperament. McCall hatte ein Jahr zuvor damit begonnen, mit Jackson T. Foozelman in den Tunneln spazieren zu gehen, und meistens hatten sie sich dabei über Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle unterhalten. Eines Tages hatte McCall Candy Annie dort unten getroffen und war sofort von ihrer Lebenslust beeindruckt gewesen. Monatelang hatte er versucht, sie dazu zu überreden, das Leben unter den Straßen aufzugeben und wieder in der Oberwelt zu wohnen. Doch sie hatte sich hartnäckig geweigert. Eines Abends hatte er einen Anruf auf seinem Equalizer-Handy erhalten und war mehr als überrascht gewesen, Fooz‘ Stimme zu hören.

Alles, was er gesagt hatte, war: »Sie ist jetzt bereit.«

McCall war sich nicht sicher gewesen, ob Candy Annie wirklich kommen würde. Aus irgendeinem Grund hatte er über seine Lieblingsszene in einem der alten Star-Trek-Filme nachgedacht, in der Kirk nach Spocks Tod zur versammelten Crew des Raumschiffs Enterprise gesagt hatte: »Spock sagte, es gibt immer Möglichkeiten.«

Fooz nahm behutsam den alten Koffer aus Candy Annies verkrampfter Hand und stellte ihn neben den schmiedeeisernen Tisch. Sie streifte sich den Rucksack von den Schultern und ließ ihn auf den Boden fallen. Dann sah sie sich aufmerksam auf dem Broadway um, als würde sie ihn zum ersten Mal sehen. Ein junger Mann in Anzug und Krawatte fuhr auf Rollerskates an ihnen vorbei und winkte Candy Annie zu.

»Wieso winkt er mir denn?«

»Weil du eine Schönheit bist«, sagte Fooz. »Gewöhn dich besser dran.«

Candy Annie sah Robert McCall an und schüttelte den Kopf. »Ich glaube, ich kann das doch nicht.«

Fooz drehte sie zu sich um und umklammerte ihre Arme mit seinen dünnen, verkrümmten Händen. »Natürlich kannst du das! Du kannst alles, was du verdammt noch mal willst, denn das hier sind die USA. Du wirst prima in der Oberwelt zurechtkommen. Ich weiß es und McCall weiß es auch.«

Candy Annie löste sich aus dem Griff des alten Mannes und wandte sich an McCall. »Und du wirst für Chancengleichheit sorgen?«, fragte sie mit einem leicht ironischen Tonfall. »Fooz hat mir dein Inserat gezeigt.«

»Er hat mir gesagt, dass es dir an Chancen fehlt und ich habe geantwortet, dass ich etwas daran ändern werde.«

»Aber kannst du das wirklich?«

McCall musste erneut an Emily, Blake Cunningham und die falsche Laura Masden denken. »Ich werde es auf jeden Fall versuchen, aber größtenteils liegt es an dir.«

Candy Annie nickte eilig, als hätte sie genau in diesem Moment eine Entscheidung getroffen. Als sie sich wieder Fooz zuwandte, sprudelten die Tränen.

»Ich kann dir gar nicht genug für alles danken, was du für mich getan hast.«

Sie umarmte ihn stürmisch. Dann ließ er sie wieder los und betrachtete sie mit feuchten Augen. Seine Stimme klang heiser, aber das tat sie eigentlich meistens.

»Pass gut auf dich auf.« Dann sah er zu McCall. »Schicke sie nicht wieder zurück dorthin.«

Anschließend ging Fooz mit einem beschwingten Gang die 64th Street entlang. Er überquerte den Broadway und Candy Annie sah ihm hinterher, bis er aus ihrem Blickfeld verschwunden war, dann blickte sie McCall an.

»Ich kann hier nicht sitzen.«

Sie gingen deshalb in den Central Park. Radfahrer sausten an ihnen vorbei und klingelten … Menschen auf Rollerblades und Skateboards fuhren hin und her … Jogger waren unterwegs … junge Frauen und Geschäftsleute mit Sandwiches und Kaffeebechern von Starbucks und Dunkin’ Donuts … Hunde wurden Gassi geführt und Kleinkinder in Kinderwagen durch die Gegend geschoben. Es gab Hotdog- und Brezelverkäufer auf beiden Seiten des Weges. Candy Annie sah sich mit großen Augen um, allerdings nicht zögerlich, sondern mit begeistertem Erstaunen.

McCall kürzte den Weg über eine Wiese ab und ging auf die Schachtische zu. Er wusste, dass Granny nicht an seinem üblichen Tisch war. Einer der Schachspieler, gegen den Granny schon häufig gewonnen hatte – wobei man eher sagen könnte, dass Granny ihn ein paarmal hatte gewinnen lassen, damit das Selbstbewusstsein des Mannes nicht komplett in den Keller sackte –, winkte McCall zu sich. Er war ein stämmiger Mann mit einem wettergegerbten Gesicht, das wie aus rotem Sandstein gemeißelt wirkte und mit kurz geschnittenen braunen Haaren. Er trug eine dunkle Jeans, Adidas Solar Boost Joggingschuhe und ein schwarzes Doctor-Who-T-Shirt, auf dem Don’t blink über einer Steinstatue stand. McCall sagte das nichts, aber Candy Annie grinste breit.

»Doctor Who!«, sagte sie zu dem Schachspieler. »Die Engel! Sie bewegen sich, wenn man blinzelt. Die furchterregendsten Aliens überhaupt bei Doctor Who. Wie gefällt dir der aktuelle Doktor? Ich mochte ja Matt Smith, aber dieser schottische Typ ist ein bisschen schrullig und echt großartig.«

»Ich mag ihn auch. Mein Name ist Mike Gammon.«

Candy Annie schüttelte seine ausgestreckte Hand. »Candy Annie.« Er wirkte überrascht, doch sie zuckte nur mit den Achseln und sagte: »Ich mag halt Süßigkeiten.«

Gammon sah McCall an. »Ich habe Granny schon seit einem Monat nicht mehr gesehen. Sieht ihm gar nicht ähnlich, ein Turnier zu verpassen.«

»Er ist gerade nicht in der Stadt.«

Der stämmige Mann nickte langsam.

»Meine Freundin Annie ist neu in der Gegend«, erklärte McCall. »Wenn sie Hilfe braucht und ich nicht da bin, hatte ich ihr gesagt, dass sie zu Granny gehen soll.«

»Aber der ist gerade nicht da.«

»Also habe ich gedacht, ich stelle sie einfach dir vor.«

»Damit ich auf sie aufpasse?«

»So was in der Art.«

»Was, wenn ich einer von den Bösen bin?«

»Das bist du nicht.«

»Und woher weißt du das so genau?«

»Weil Granny dich mag, und er mag keine schlechten Menschen. Er hat mir gesagt, du warst mal ein Cop.«

»Mordkommission, 60. Bezirk, Süd-Brooklyn.« Er sah Candy Annie an und deutete auf das Schachbrett. Die Figuren waren Personen aus Game of Thrones nachempfunden. »Weißt du, wie man spielt?«

»Natürlich.«

»Ich bin immer für eine Herausforderung zu haben.« Gammon sah zu McCall. »Wenn du was von Granny hörst, sag mir Bescheid, okay?«

McCall nickte und er und Candy Annie ließen daraufhin die Schachtische hinter sich. Sie gingen schweigend durch die Alleen, dann sagte sie: »Er war nett, aber du wirst doch für mich da sein, oder nicht, McCall? Ich glaube nämlich nicht, dass ich das alles ohne dich schaffe.«

»Ich werde da sein. Das sollen einfach nur ein paar weitere Optionen sein.«

»Dein Freund Granny? Steht ihr euch nahe?«

»Niemand steht mir nahe.«

»Aber er ist ein Freund?«

»Er kann es sein.«

»Erzähl mir etwas über deine anderen Freunde.«

»Ich habe keine. Ich bringe dich aber zu dem Apartment eines Kollegen. Der kommt einem Freund wohl am nächsten.«

Er beobachtete sie durch die Linsen eines kleinen Fernglases dabei, wie sie die Schachtische hinter sich ließen. Er hatte es bei Manhattan Pawn in der Rivington in der Nähe der Essex Street für fünf Dollar gekauft. Dem Besitzer hatte er gesagt, er brauche es für seine Arbeit beim Rettungsdienst und hatte deshalb sogar noch einen Rabatt bekommen. Aus der Nähe wirkte McCall weder besonders beeindruckend noch bedrohlich. Eher wie ein ganz gewöhnlicher Typ. Das war ein wenig enttäuschend. Das Mädchen, das er bei sich hatte, war allerdings ziemlich heiß.

Er ließ das Fernglas sinken.

Wer hätte gedacht, dass der Equalizer eine so hübsche Freundin hatte?

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