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Kapitel 6

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Die Detonation der Rakete aus einer Panzerfaust hatte den Marktplatz draußen mit einer blendenden Wucht getroffen, und den Bruchteil einer Sekunde hatte alles, was er betrachtet hatte, als Nachbild auf seinen Netzhäuten weiter existiert. Die vielen bunten Früchte und das Gemüse in den runden Holzfässern. Blech- und Kupfertöpfe und Pfannen, die zu beiden Seiten des Markts, auf dem Halal-Fleisch verkauft wurde, fünf Meter hoch gestapelt waren. Glitzernde Halsketten, die auf hölzernen Tischen mit weißen Tischdecken ausgebreitet waren. Unzählige Quadratmeter an Seidenstoff, der einfach so auf dem Pflaster ausgelegt war. Teppiche, die aufrecht auf fünf Meter hohen Ständern hingen. Er hatte hier und da auch merkwürdige Dinge gesehen. Einen Marktstand, der alte Singer-Nähmaschinen verkaufte … Hühner an Metallhaken neben filigranen Käfigen mit Vögeln – Drosseln, Nachtigallen, Schnepfen, sogar einem Wanderfalken … verbogene Fahrräder mit übergroßen Rädern, alle ohne Luft, lagen unbeachtet herum. Der schmale Marktplatz in ath-Thaura war mit syrischen Dorfbewohnern überfüllt. Mit Männern in weißen einteiligen Didashah-Roben, von denen einige mit einem Apple iPhone 6a telefonierten. Frauen in Abayas mit festgesteckten Hijabs, die ihr Haar und den Hals bedeckten, meistens in Schwarz, aber gelegentlich war auch ein Farbtupfer in Blau oder Rot zu entdecken. Kinder rannten zwischen den Händlerständen und Tischen herum, bekleidet mit Jeans, T-Shirts oder Hemden, Kapuzenpullis und Anoraks, an den Füßen Nikes oder manche auch barfuß. Die Luft war angefüllt mit den Stimmen von Menschen, die feilschten, riefen, schimpften oder hitzige Diskussionen über Kosten, Qualität und Frische der Waren führten.

All das blieb noch für einen Sekundenbruchteil für ihn sichtbar … doch im nächsten Augenblick war es verschwunden.

Denn die Explosion der Panzerfaust tauchte die Welt in blendendes Weiß.

Die Druckwelle war körperlich spürbar. Kurz darauf folgte ein Feuer aus Sturmgewehren. Josh Coleman, Captain der US Army, warf den Wagen mit den Früchten um, hinter dem er gestanden hatte. Er war Anfang zwanzig, und hatte ein fast engelsgleiches Gesicht, war aber bereits ein erfahrener Veteran. Er hörte die Dorfbewohner vereinzelt »Daesh!« rufen. Kugeln schlugen in den Wagen ein. Eine davon streifte Joshs Stirn und Blut lief ihm in die Augen. Er trug ein Sturmgewehr, Typ M4 SOPMOD Block II bei sich. Er feuerte damit auf den Feind, bis ihn eine Hand an der Schulter ergriff und ihn zu Boden stieß.

Es waren mindestens zwanzig Aufständische, die meisten von ihnen in Schwarz gekleidet, und alle trugen etwas auf dem Kopf, das aussah wie eng sitzende graue Käppchen. Sie hatten graue Tücher um ihre Gesichter gewickelt, aus denen nur die Augen herausschauten. Sie waren aus zwei gestohlenen Humvees der US Army gesprungen und aus einem Ural 4320 Offroad-Lkw. Alle waren mit der schwarzen Flagge der Aufständischen bestückt. Die Dschihadisten besaßen AK-47-M Sturmgewehre und feuerten damit wahllos auf die panischen Dorfbewohner. Kugeln bohrten sich gleichermaßen in Händler, Frauen und Kinder. Alle wurden erbarmungslos niedergemetzelt.

Drei gepanzerte Wagen, Typ Sham 2, und ein gepanzerter Lkw Sham 1 waren von der anderen Seite aus auf den Marktplatz gefahren. Syrische Rebellentruppen strömten daraus hervor und feuerten mit ihren ungarischen Sturmgewehren auf die Aufständischen. Die Dschihadisten schossen überrascht zurück. Zwei von ihnen warfen jetzt Handgranaten. Josh erkannte, dass es sich dabei um RGD-5-Granaten handelte, die dreihundertfünfzig Schrapnelle über einen tödlichen Fünf-Meter-Radius verteilten. Noch mehr Explosionen erklangen aus der Menge und weitere Unschuldige wurden abgeschlachtet. Die Rebellen warfen nun ebenfalls zwei RPGs. Die erste verpasste den Ural-Laster knapp, aber die zweite landete direkt einem der gestohlenen Humvees. Er wurde durch die Explosion angehoben, und drehte sich fast graziös in der Luft, bevor er verbogen und qualmend wieder auf dem Boden aufschlug. Ein NSV-Maschinengewehr eröffnete nun das Feuer vom Ural-Laster aus und sowohl Dorfbewohner als auch Rebellen stieben panisch auseinander.

Colonel Michael G. Ralston hielt immer noch Joshs rechte Schulter fest. Ralston war Ende vierzig, seine schwarzen Haare waren aber bereits grau meliert. Er war ein schlanker Mann mit feurigen Augen. Sie trugen beide die Flecktarn-Uniform der Army, und hatten sich Bärte wachsen lassen, seit sie in Syrien waren. Der Colonel gab Josh mit Gesten zu verstehen, dass er ein bisschen verschnaufen sollte. Josh nickte. Zweifellos hatte ihm Gunner das Leben gerettet. Wenn man in der Army ist und man die Initialen M. G. hatte, wurde man automatisch Machine Gun genannt. In Ralstons Fall war das irgendwann zu Gunner verkürzt worden. Diesen Spitznamen hatte man ihm auf dem Militärcollege The Citadel verpasst und er war während seines aktiven Dienstes und bei der Terrorabwehr irgendwie hängen geblieben, und er war ihm weiter treu geblieben, als er mit einem Kontingent der US Army nach Syrien geschickt worden war, um dort die Rebellenarmee im Kampf gegen die Aufständischen zu beraten.

Weiteres Gewehrfeuer durchbrach die von Pulverdampf geschwängerte Luft. Gunner zeigte jetzt auf den Eingang eines hölzernen Obststandes, dabei hielt er die Finger der rechten Hand hoch und zählte langsam herunter.

In vier, drei, zwei, eins …

Sie sprinteten los und feuerten dabei aus ihren M4-Sturmgewehren, während sie auf die Deckung des Eingangs zu rannten. Sie schafften es hinein und warfen sich sofort zu Boden, als Kugeln durch das Fenster sausten, denn es war keine Glasscheibe darin. Die amerikanischen Offiziere krabbelten vorsichtig zum Fensterbrett und feuerten von dort aus auf die Patrouille der Aufständischen, die gerade selbst versuchte, in Deckung zu gehen, weil sie mittlerweile aus mehreren Richtungen beschossen wurde. Die syrischen Rebellen rannten über den Marktplatz und sprangen dabei über die Leichen der Dorfbewohner.

Fünf Mitglieder der US-Beobachtungseinheit – zu der insgesamt zwölf Army-Mitglieder gehörten, inklusive Gunners Second-in-Command, der Chief Warrant Officer war, und neun Unteroffiziere – waren nicht auf dem Marktplatz gewesen, als der Angriff stattgefunden hatte, denn sie waren gerade zur Unterstützung bei einem kleinen UN-Kontingent im Nachbardorf Alhora. Der Rest der US-Einheit in ath-Thaura hatte sich bestimmt zu dem gepanzerten syrischen Truppentransporter zurückgezogen, der sie anschließend zum Dorf gebracht hatte.

Captain Josh Coleman ließ seinen Blick über den Marktplatz schweifen. Die meisten der Verkaufsstände waren von Kugeln durchsiebt worden. Obst, Gemüse, Gewürze, Schmuck und Stücke von Weidenkörben lagen zwischen den Leichen verstreut. Die vielen Quadratmeter Seide waren komplett blutbefleckt. Vögel flogen aus zersplitterten Käfigen über dem Gemetzel. Die Dorfbewohner, die noch am Leben waren, bewegten sich jetzt und versuchten wegzukrabbeln oder aufzustehen und zu rennen. Einigen fehlten allerdings Körperteile. Die Kinder, die überlebt hatten, kauerten panisch an Ort und Stelle und hatten offenbar zu viel Angst, um sich zu bewegen.

Josh zielte mit seinem Gewehr weiter auf die Aufständischen, die sich nun zurückzogen. Gunner legte seine starke Hand auf seinen Arm.

»Lass die Rebellen sie zurücktreiben. Dafür haben wir sie ja ausgebildet.«

Eine Bewegung in der Nähe eines zerschossenen Karrens erregte jetzt Joshs Aufmerksamkeit.

Es war ein kleines Mädchen, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt, das aus einem Haufen Leichen hervorgekrochen kam und wegrannte. Sie trug ein rotes T-Shirt und alte Levi’s und hätte genauso gut eine Zielscheibe auf dem Rücken tragen können.

Kugeln wirbelten den Staub um sie herum auf.

Josh schoss aus der Tür des Obststandes und rannte dann über den Markt, bevor Gunner ihn aufhalten konnte. Er feuerte ohne Unterlass sein Gewehr ab und erledigte einen der Dschihadisten. Ein Soldat der Rebellen schaltete zwei weitere aus. Als Josh das kleine Mädchen endlich erreichte, zuckte es vor Angst zusammen. Er nahm sie auf den Arm und sah dann nach unten. Er entdeckte eine tote Frau in den Dreißigern, die vermutlich ihre Mutter war. Ihr Vater bewegte sich zwar noch, aber ihm fehlte ein Arm und Blut sprudelte aus dem Stumpf seiner Schulter. Josh kam nicht an ihn heran, das war einfach zu gefährlich mit dem Kind in seinen Armen. Außerdem würde der Vater sowieso innerhalb von Sekunden tot sein.

Josh hielt das kleine Mädchen fest. »Du rennst mit mir zusammen, okay?«

Er war sich nicht sicher, ob sie Englisch konnte, aber sie sah ihn mit großen, weit aufgerissenen Augen an und nickte. Er rannte nun gebückt auf den Obstladen zu, wobei er sie die ganze Zeit mit seinem Körper schützte. Gunner stand in der Tür und feuerte mit seinem Sturmgewehr auf die Angreifer. Hinter Josh strömten jetzt weitere Einheiten der syrischen Rebellen auf den Marktplatz. Doch Josh schaffte es bis zur Tür. Gunner schubste ihn und das kleine Mädchen hinein, feuerte eine weitere Salve ab und folgte ihnen dann. Josh setzte das kleine Mädchen auf einem Haufen leerer Obstsäcke ab, die einen Meter hoch gestapelt waren, und ergriff ihre Hände.

»Du bleibst hier bei uns. Geh nicht raus. Okay?«

Sie nickte. Josh rannte mit Gunner zurück zur Fensteröffnung.

»Wir hätten Aufklärungsdaten über diese Dschihadisten-Patrouille haben müssen. Das Gebiet hätte sauber sein sollen.«

»Scheiße passiert eben«, sagte Gunner ausdruckslos, doch Josh kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass unterdrückter Zorn in seiner Stimme mitschwang. »Wir sollten bald deinen Kopf untersuchen lassen. Ich habe einen Notfall-Trauma-Verband und chirurgische Pflaster in meiner Ausrüstung.«

Am Rand des Marktplatzes fiel Josh plötzlich etwas ins Auge.

Einer der Dschihadisten wurde in den zweiten beschlagnahmten US-Humvee gehoben. Er kam ihm irgendwie bekannt vor. Josh starrte in den dahinziehenden Rauch. Der Kopf des Aufständischen war von einer Kugel gestreift worden und er hatte deshalb das graue Käppchen und das Tuch abgenommen, das er vor dem Gesicht gehabt hatte.

Nun drehte er sich zur Seite und war endlich im Profil zur sehen.

Josh stockte der Atem, als hätte ihm gerade jemand heftig gegen die Brust getreten. Der Humvee wendete mit einer Staubwolke, die einem den Atem raubte und fuhr dann zusammen mit dem Ural-Laster weg. Sie ließen die brennende Karosserie des ersten Humvee und fünfzehn tote Dschihadisten, die am westlichen Rand des Marktplatzes lagen, zurück.

Joshs Reaktion war Gunner nicht verborgen geblieben. »Hast du etwa einen von denen erkannt?«

Josh nickte. »Ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, aber einer der Typen sah aus wie jemand auf unserer Terrorliste. Was bedeutet, dass er nicht bei dem Luftschlag letzten Sonntag gestorben ist. Ich zeige dir die Fotos, wenn wir wieder zurück auf der Basis sind.«

Man hörte nun keine Schüsse mehr. Stille legte sich einen Moment lang wie ein feuchtes Leichentuch über den verwüsteten Marktplatz, dann hörte man Schreie und Weinen, als weitere Dorfbewohner von ath-Thaura zu ihren Verwandten und Freunden rannten, und diejenigen bargen, die noch am Leben waren. Die Truppen der syrischen Rebellen halfen ihnen dabei. Keiner der gepanzerten Shams hatte die Aufständischen verfolgt. Sie wussten es besser, da sie in der Unterzahl wären, wenn sie diese einholten.

Eine Frau lief jetzt in den Obstladen. Ihre schwarze Abaya war mit Blut bedeckt, aber offensichtlich nicht mit ihrem eigenen. Das kleine Mädchen rannte aufgeregt in ihre Arme. Josh hatte anscheinend die falsche Frau angesehen. Denn das war die Mutter des kleinen Mädchens.

»Genieß den Moment«, sagte Gunner leise. »Davon gibt es leider nicht genug.«

Josh beobachtete Mutter und Tochter intensiv, als diese sich im sonnenbeschienenen Durchgang fest umarmten … das tödliche Schlachtfeld hinter ihnen.

Ihm fiel mit einer gewissen Ironie ein, dass er seine Mutter schon ewig nicht mehr angerufen hatte.

EQUALIZER - KILLED IN ACTION

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