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Kapitel 3

Der Plan war in Toms Augen nicht mehr als ein instabiles Gerüst, das durch eine heftige Windböe jederzeit zu Fall gebracht werden konnte. Am liebsten hätte er alles abgeblasen, doch dafür war es zu spät. Der Lorcaalarm war ausgelöst und der Totenläufer auf dem Weg zum Rohbau des Hochhauses. Ihm blieb nichts anderes übrig, als alles daran zu setzen, dass sie trotz wackliger Basis nicht stürzten. In seinem Kopf ging er deshalb Szenarien durch, die vom eigentlichen Vorhaben abwichen. Möglich war, dass er den Totenläufer nicht erkannte, die Stadtverwaltung noch eine weitere Einheit als Nachhut schickte oder die Einheit 203 nicht etwa vom Stadtzentrum her anrückte, sondern vom Meer. Variablen, auf die er kaum Einfluss hatte.

Zumindest konnte er sich auf Jays und Carens Teams verlassen. Er kannte die meisten REKA-Mitglieder, die am Einsatz beteiligt waren persönlich, wusste, wie sie tickten, und war zum ersten Mal seit langer Zeit unter Gleichgesinnten.

Tom hockte im Eck eines zukünftigen Wohnzimmers hinter einer Betonwand und hatte durch ein Fenster den Haupteingang und die Remmington-Straße gut im Blick. Durch die leeren Räume fegte der Wind, brach sich an Betonpfeilern und pfiff unter seine Kleidung. Überall waren Baumaterialien verstreut und es roch nach trockenem Estrich. Jeder Schritt verursachte ein Echo und war leicht zu hören. Das konnte ihnen zum Vor- oder Nachteil gereicht sein. Zudem hing Nebel über der Stadt, der die Sicht erschwerte. Fast so, als schicke ihnen Red-Mon-Stadt einen Gruß.

Das Silbertab um seinen Arm leuchtete kurz in schwachem Gelb. Das Zeichen für eine neue Nachricht. Er warf einen Blick auf das Display. Es war Jay. Sie hatten sich vorhin nur begrüßt, um dann in der Vorbesprechung die letzten Details des Einsatzes durchzugehen. Ihr erster Kontakt von Angesicht zu Angesicht seit Wochen. Es gab viel, was sie besprechen mussten und genauso viel, was nie gesagt werden würde. Als er die Nachricht las, musste er schmunzeln:

»Schleuser T, dachte gerade an ein Date bei Sonnenaufgang. Nur wir zwei. Idyllisch mit Importbier am Nordweststrand. Neben uns eine Sollfood Packung Trockenfisch. Morgen um sieben. Keine Einwände.«

Es kam nicht oft vor, dass Jay sich zu Scherzen hinreißen ließ. Meist war er so lustig wie der Trockenfisch, von dem er sprach, und den er hasste wie den Tod selbst. Das war seine Art ihm zu sagen, er solle sich keine Sorgen machen.

»Lehne Trockenfisch ab. Bin eher für ein Date im Untergrund. Zu dritt. Du, ich und der Totenläufer«, schrieb er schnell. Völlig egal, dass der Rest ihrer Leute mitlesen konnte.

»Darauf verwette ich meinen Arsch«, kam zurück und Tom lächelte. Er war nicht allein. Sie alle waren zum Greifen nah. Nur noch ein paar Minuten und er konnte dem SDF Leben endgültig Lebewohl sagen.

Erneut warf Tom einen Blick auf die Straße, dann zum Haupteingang. Im diesigen Grau sah er undeutlich das kleine Lagerhaus, auf dem Caren mit ihrem Team in Position gegangen war. Jay hatte etwas von einem Trumpf gesagt und Tom ahnte, worum es ging. Er konnte nur hoffen, dass es sich nicht wirklich um den nächsten Lorca handelte, den er zum Einsatz gedrängt hatte.

Und als Tom erneut in Richtung Remmington-Straße sah, schälten sich sechs Personen aus dem Nebel. Sie alle trugen eine Uniform in Tiefblau mit schwarzen Stiefeln, Helmen und einem silbernen Abzeichen in Form eines Schilds an der linken Brust. Keiner fiel besonders auf oder tanzte aus der Reihe. Selbst ihre Statur war zum Verwechseln ähnlich. Eins musste er der Verwaltung lassen, wenn sie etwas machten, dann perfekt. Täuschung gehörte zu ihren Spezialitäten. Nur hatten sie nicht mit ihm gerechnet. Er würde Neel Talwar erkennen.

An seinem Arm leuchtete das Silberarmband auf.

»Es geht los«, stand dort in schwarzen Lettern.

Tom wurde heiß. All die Einsätze bei der SDF, der Drill, die Kommandos und trotzdem war er nervös. Er war im Herzen eben doch nur ein brotloser Künstler, der militärische Angriffe verabscheute. Kein Soldat und kein Rebell, sondern jemand, der die schonungslose Wahrheit wollte. So hatte das alles überhaupt angefangen und dafür würde er sterben.

Als die Soldaten den Vordereingang erreichten, stellte er das Silbertab so ein, dass er auf dem Display die Kamerabilder vom Innern des Hochhauses sehen konnte. Viele waren es nicht. Das Treppenhaus, der Eingang, Hinterausgang, der Flur im Obergeschoss und der Notausgang. Auf dem Tab waren die Bilder gestochen scharf, doch Details konnte er auf dem winzigen Display kaum erkennen. Es musste auch so gehen.

Tom lauschte in die Stille, vernahm, wie seine Leute durch den Flur liefen. Sie zogen die Aufmerksamkeit der SDF-Soldaten auf sich, sodass sie nicht etwa im Erdgeschoss nach einem Lorca suchten, sondern genau da, wo die REKA sie haben wollte.

Die Soldaten blieben stehen, gaben sich Handzeichen. Einer von ihnen hatte die Führung übernommen. War er das? Neel Talwar hatte den Status Leutnant und gab demnach die Anweisungen. Die Hierarchie der SDF ließ da keine andere Schlussfolgerung zu. Trotzdem war Tom unsicher.

Die Schritte seiner Leute verstummten und die Soldaten schlichen lautlos vorwärts. Die RMP7 schussbereit, sondierten sie die Situation. Vor der Treppe teilten sie sich auf. Zwei blieben zur Deckung unten, die anderen gingen rauf. Alles verlief wie geplant. Doch je länger Tom sie betrachtete, umso unruhiger wurde er. Seine Augen klebten auf dem Mann an der Spitze, als könne er ihn so durchleuchten. Doch es gab keinen Zaubertrick, der den Totenläufer sicher enttarnte und er würde erst Alarm schlagen, wenn seine Intuition ihm dazu riet.

Oben gab der gleiche Soldat den Ton an. Machte seinen Leuten mit Handzeichen klar, dass er mit einem von ihnen den rechten Gang durchsuchen würde, während sich die anderen beiden um den linken kümmerten. Vorhersehbar. Diese Person MUSSTE Neel Talwar sein. Doch Toms Instinkt warnte ihn. Irgendetwas war faul. Die Art, wie er dastand, hatte eine ungewöhnliche Lässigkeit, die Tom von ihm nicht kannte. Sein Ziel war sonst hochkonzentriert und stets darauf bedacht, keine unnötigen Bewegungen zu machen. Locker hatte er ihn nie erlebt.

Eine Nachricht ging auf dem Silbertab ein.

»Schleuser T, bitte um Bestätigung. Zielperson im rechten Flur?«

Tom biss sich beinahe auf die Zunge. Er konnte es nicht hundertprozentig sagen. Vermutlich war er das. Vermutlich, aber vielleicht auch nicht.

»Negativ. Keine Garantie«, schrieb er.

Er klickte den Bildschirm weg. Die Zeit lief ihm davon. Ein Zweierteam war bereits in der Mitte des Flurs angelangt. Sie suchten nach einem Lorca, würden aber keinen finden. Und wenn ihnen das klar wurde, hatten sie ein Problem. Ein Lorcaalarm ist zu hundert Prozent korrekt, das lernte man als ersten Grundsatz in der SDF. Trat der unwahrscheinliche Fall ein, dass ein Alarm fälschlich ausgelöst wurde, konnte das nur eine Ursache haben: Rebellen.

Die nächste Nachricht erreichte ihn. Sie enthielt ein Foto mit der Detailaufnahme des Kommandogebers. Wenig Farbe, etwas verschwommen. Tom runzelte die Stirn. Dachte nach. Er wusste so viel von Neel Talwar. Welche Waffe er bevorzugt wählte, dass er gegen jede Soldatenehre Dinge im Alleingang erledigte, dass er abends, wenn er seine Wohnung verließ und seine Schicht antrat, zuerst durch die Geschäftsstraßen ging, um sich ein Bier zu gönnen. Aber das alles hatte hier keine Bedeutung.

Ein nächstes Bild, der Kommandoführer frontal. Er sah direkt in die Kamera. Starrer Blick, aggressiv und zielgerichtet.

Tom traf die Erkenntnis wie ein Schlag. Dieser Mann war nicht der Totenläufer. Keinesfalls. Er hatte die falschen Augen. Sie waren zu länglich und unter dem linken Auge thronte ein Muttermal, das er nie bei Neel Talwar gesehen hatte.

»Negativ. Er ist es nicht«, tippte Tom in Sekunden. Sofort ließ er sich die unteren Kamerabilder auf das Display übertragen. Die zwei Soldaten dort waren gut, aber nicht perfekt. Sie hielten die Waffe falsch, nicht angespannt genug. Außerdem stand der eine krumm da. Er prüfte die beiden Übrigen im linken Flur. Einer hatte helle Haare, der nächste O-Beine. Nur dezent, aber für Tom eindeutig zu viel. Keiner von ihnen passte. Oder war er nur nicht in der Lage …? Nein, das war ausgeschlossen. Sein Ziel konnte er im Schlaf ausmachen. IM SCHLAF!

Er vergrößerte den Ausschnitt des ersten Fotos und kontrollierte die Zahl auf dem grauen Abzeichen. 203, die Einheit des Todes. Er MUSSTE unter ihnen sein. Sich irgendwie verstecken oder … Plötzlich wusste er es. Eine Stimme in seinem Kopf schrie ihm die Antwort ins Ohr. Wie hatte er nur so blind sein können? Seine Finger schnellten über das Display. Buchstabe für Buchstabe. Zeichen für Zeichen.

Drei kurze Schüsse in automatischer Feuerfolge zerfetzten die Stille und Tom sah auf. Sein Mund war trocken, der Herzschlag stockte.

»Verdammt«, flüsterte er und schickte die Nachricht ab. Zu spät. Er war zu spät.

Totenläufer

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