Читать книгу Totenläufer - Mika M. Krüger - Страница 16

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Der Hinterhalt hatte zwei seiner Leute das Leben gekostet. Wie der Totenläufer sie in den unzähligen Räumen hatte ausfindig machen können, war Tom nicht klar. Geräusche? Wärmebilder? Intuition? Er war besser als gedacht. Tom hätte ihn nicht unterschätzen dürfen und wissen müssen, dass auch Geheimdokumente fehlerhafte Informationen enthielten. Zum Beispiel über die korrekte Anzahl der eingesetzten Soldaten. Womöglich waren die Daten auch einfach nur veraltet. Noch dazu wusste er doch, dass Neel Talwar Dinge im Alleingang durchzog.

Egal, er durfte sich nicht ablenken lassen. Der Totenläufer war einen Atemhauch von ihm entfernt. Es trennte sie nur eine graue Einbauwand, hinter der sich Tom verbarg. Mit einem Soldaten aus seiner Einheit diskutierte er die Lage.

Die unverkennbar ruhige Stimme seines Ziels weckte erneut in ihm den Wunsch, den Moment zu nutzen und ihm einfach das Licht auszuknipsen. Jetzt und hier, so wie er es mit seinen Opfern tat. Ein Schuss, eine Kugel und es wäre vorbei. Kein Hahn krähte mehr nach Neel Talwar, doch Tom wusste sehr genau, dass die Stadtverwaltung schnell Ersatz fand. Nicht umsonst hielten sie die Identität ihres Mannes streng unter Verschluss. Er war so anonym, wie er angesichts seiner Berühmtheit sein konnte, und die REKA brauchte ihn lebend.

»Sie ist gut ausgerüstet«, sagte der Totenläufer und betrachtete allem Anschein nach die Frau aus seinem Team. »Waffe und Schutzweste sind von der Hygienepolizei. Das schräge H ist noch deutlich zu sehen. Sie bedienen sich also inzwischen bei uns, anstatt sich auf Lieferungen vom Festland zu verlassen. Wir sollten die Augen offen halten. Es sind sicher nicht nur zwei.«

»Rebellenschweine«, sagte der andere Soldat. »Ich warte auf den Tag, an dem ich dem Letzten von ihnen ne Kugel geben kann.«

»Das wird dauern.« Der Totenläufer klang abgeklärt.

»Hättest sie besser am Leben gelassen, damit Higgens was aus ihr rausprügelt. Weißt doch, wie gut er darin ist.«

»Tot oder lebendig spielt keine Rolle. Wir haben ein Ziel, und das ist ein Lorca. Wir verschwenden unsere Zeit nicht mit einer Rebellenvernehmung.«

»Pff, das Ziel ist doch variabel«, gab der Soldat zurück und darin lag ein Trotz, der Tom ungewöhnlich vorkam. Es war nicht üblich, seinem Vorgesetzten zu widersprechen. Anweisungen wurden umgesetzt, die Handlungen nicht hinterfragt. Das zweite Mal, dass Neel Talwars Autorität von einem Soldaten in Frage gestellt wurde.

»Du hältst dich an die Vorschriften, Soldat. So wie jeder dieser Einheit. Verstanden?«

»Sicher, Leutnant Talwar«, antwortete er mit dem Anklang dezenter Ironie und Tom begriff, dass sein Respekt vor dem Totenläufer nur eine Farce war. Wieso?

Ein hohles Knallen war aus dem Erdgeschoss zu hören. Der Notfallplan. Carens Team sollte alle SDF-Soldaten an einen bestimmten Punkt locken, sie umzingeln und den Totenläufer stellen. Das nahm jedoch viel Zeit in Anspruch und war zudem gefährlich. Viele ihrer Leute hatten nur ein kurzes Waffentraining absolviert, im direkten Gefecht waren sie der SDF unterlegen.

»War das eine Explosion?«, fragte der Soldat. Seine Schritte hallten durch den Raum. Er bewegte sich von Tom weg, sah vermutlich in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war.

Seine Chance, die beiden zu überraschen. Ohne weiter nachzudenken, zog er das Tuch der REKA über seine Nase, legte die Maschinenpistole an und verließ seine Deckung.

Im Raum war der Totenläufer gerade dabei aufzustehen. Der zweite Soldat hatte ihm den Rücken zugewandt. Auf dem Boden lag ausgestreckt die Frau aus seinem Team. Rote Linien zogen sich über grauen Beton. Tom zielte. Zwischen Helm und Schutzweste, dort wo der Nacken war, gab es einen empfindlichen Punkt. Er war leicht zu verfehlen, doch der Soldat war höchstens drei Meter entfernt und bewegte sich nicht. Die Kugel löste sich aus seiner Handfeuerwaffe und traf. Ein effektiver Streifschuss. Blut spritzte gegen die Wände und färbte sie rot. Aus dem Augenwinkel sah Tom, wie Neel Talwars Blick in seine Richtung schnellte, er die RMP7 hob und auf ihn richtete. Akkurat – perfekt.

Tom kehrte zurück in die Deckung. Kugeln bohrten sich in den Beton auf der gegenüberliegenden Wand. Ein wässriges Gluckern war zu hören. Ein Menschkörper sank zu Boden. Erledigt. Tom sah zum Notausgang. Würde der Totenläufer ihm folgen oder bei dem Soldaten bleiben, wenn er flüchtete? Wäre er bereit, seine Einheit im Stich zu lassen, um ihn zu jagen? Egal, er musste es riskieren.

Deshalb lief er zum Notausgang. Schnell und gradlinig. Kaum bog er rechts ab, schlugen Kugeln direkt hinter ihm ein. Meine Güte, wenn er nicht aufpasste, endete er als Zahl auf der Liste des Totenläufers.

Hastig lief er die Treppe hinunter. Das Adrenalin in seinen Adern pochte. Hinter ihm waren die Schritte Neel Talwars zu hören. Er gegen den Held der Stadt.

Gerade als er den Notausgang verließ, sich entschied, in Carens Richtung zu laufen und den Weg durch das Labyrinth aus Fluren und unfertigen Wohnungen zu suchen, kamen ihm die zwei Soldaten entgegen, die für die Deckung zuständig waren. Der Totenläufer musste sie kontaktiert haben. Sie sahen ihn und reagierten blitzschnell, doch Tom war schneller. Er schlug einen Haken und wechselte in einen Raum links von sich. Schüsse echoten durch den Rohbau. Keine Kugel traf ihn, aber es war knapp.

Fluchen von einem der Soldaten. Sie hatten ihm den Weg abgeschnitten. Sollte er Schutz suchen und in der Defensive bleiben, bis Jay mit seinem Team im Rohbau ankam, oder auf den Hinterhof flüchten, wo er eine laufende Zielscheibe war? Ihm blieben nicht viele Optionen. Er musste es schaffen, niemals endete er als Leiche vor den Füßen eines Mannes, dessen Seele rabenschwarz war.

Totenläufer

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