Читать книгу Totenläufer - Mika M. Krüger - Страница 7

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Als Rina die Stufen zur U-Bahnstation Südmarkt hinunterlief, fühlte sie sich leer. Ein Orkan war durch ihren Körper gefegt und hatte jede Empfindung fortgerissen. Die Welt war nur noch ein rationaler Ort ohne Farben. Grau und gleichgültig. Wie sie es aus der Transportröhre geschafft hatte, verblasste bereits in ihrer Erinnerung. Es kam ihr vor, als habe sie Ewigkeiten im Dunkeln verbracht, umgeben von Schüssen und Schreien sterbender Menschen. Irgendwann hatte sie die Dunkelheit verlassen und war durch die Straßen getaumelt. Bis hierher.

Ihre Schritte hallten in den Gängen der U-Bahnstation wider. Reklametafeln warben für keimfreie Shampoos und kostspielige Sicherheitssysteme in Wohnungen. Dazwischen kurze Videoclips, in denen sich zwei Worte feindlich gegenüberstanden: Lorca – Totenläufer. Viktor nannte diese Werbung Propaganda. Ein Mittel, um die Stadtbevölkerung zu verdummen und ihnen einen Mann ohne Skrupel und Mitleid als Held zu verkaufen.

Vor einer Rolltreppe, die noch tiefer in die Station hineinführte, blieb sie stehen. Was, wenn der Soldat gelogen hatte und sie direkt in seine Falle lief? Das ergab mehr Sinn als die Vorstellung, dass er sie tatsächlich hatte davonkommen lassen. Soldaten wollten ihresgleichen tot sehen. Eine andere Option gab es nicht. Ihre Haut begann zu jucken. An den Armen, an den Beinen, am Rücken, einfach überall. Sie kratzte unwillkürlich an den Stellen, aber es half nicht. Es half niemals.

»Was willst du hier?« Die laute Stimme eines Mannes drang an ihr Ohr und sie fuhr zusammen. Augenblicklich sah sie die Rolltreppe hinunter und von dort unten blickte ihr ein Mann in aschegrauer Kleidung, Stoffhose und Schutzweste entgegen. Er trug ein schwarzes Tuch, auf dem in orangen Lettern REKA stand. In den Händen hielt er eine Maschinenpistole, die er auf sie richtete.

»Ich … bin … ein Lorca.« Ihre Stimme wurde von den Wänden nach unten geworfen. Ein lautes Echo in der menschenleeren U-Bahnstation. »Und ich suche Schutz.«

»Ein Lorca?«, fragte der Mann. »Hier ist seit Monaten kein Lorca mehr aufgetaucht.«

»Ich … bin einer«, rief sie ihm zu und dachte bei sich, dass er es doch sehen musste.

»Ich komme die Treppe hoch und du bewegst dich nicht vom Fleck, okay?«

»Ja«, sagte sie und wartete, bis er neben ihr stand. Sein Blick wanderte über ihr Gesicht, ihren Körper, von oben nach unten und blieb letztendlich bei den Augen hängen. Innerlich zerfraß sie eine brennende Unruhe, weshalb sie die Hände zu Fäusten ballte und fest zusammendrückte.

»Tatsache«, murmelte er und legte seinen Finger auf ein Nanofunkgerät in seinem Ohr.

»Wir haben in Gang neun einen Lorca«, funkte er. »Soll ich ihn zum Kaninchenbau bringen?« Pause. »Nein, ich täusche mich ganz sicher nicht. Okay. Ja, verstehe.« Dann nahm er den Finger herunter und lächelte ihr aufmunternd zu.

»Du hast es geschafft. Wir kümmern uns jetzt um dich. Du bist sicher.« Aus seinen Worten sprach ehrliche Zuversicht und sie stand ihm gut zu Gesicht, doch Rina hörte diesen Satz nicht zum ersten Mal. Viktor hatte es gesagt, und zwei Menschen in einer weit entfernteren Vergangenheit, genauso wie der Junge von damals, kurz bevor sie zum ersten Mal Red-Mon-Stadt betreten hatte.

»Jemand wie ich ist niemals sicher«, sagte sie deshalb und ihr Mund wurde trocken.

Totenläufer

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