Читать книгу 534 - Band I - Milena Himmerich-Chilla - Страница 10
ОглавлениеKapitel IV
21.03.2017 | 03:03 Uhr – Eschenweg 5, 2.OG
Ein schneidender Schrei weckte Elisabeth, welche nunmehr mit weit aufgerissenen, grauen Augen die Decke ihres Schlafzimmers fixierte. Das schwere Blau der immer noch währenden Nacht verwischte sich konturlos mit jenem Grau der sonst pastellfarbenen Tapete.
Es dauerte eine geraume Zeit, bis ihr Geist in Bewegung kam und sie merkte, dass der helle Schrei ihrer eigenen Kehle entsprang. Nun jedoch gewann die Stille ihr Reich zurück, als auch der letzte Ton in dem spärlich eingerichteten Zimmer verklang.
Ihr Mund war trocken, im starken Kontrast zur Feuchtigkeit, die keinen Zentimeter ihrer Haut aus ließ und in feinen Tropfen, Diamanten gleich im spärlichen Licht der von draußen hereinscheinenden Straßenlaterne funkelte. Ihr Shirt klebte von Schweiß getränkt am Körper und ließ keinen Makel unentdeckt. Dabei dramatisierte der dünne Stoff die zaghaften Wölbungen in jeder erdenklich unvorteilhaften Weise.
Noch immer klangen die Bilder des vergangenen Alptraumes wie ein grausames Echo in Elisabeths Erinnerungen wider, während die aufgekommene Übelkeit siegte und sie in kurzen Schüben zu würgen begann. Schützend legte sie beide Hände vor ihren Mund und strampelte sich aus der noch immer nachtschweren Decke. Diese jedoch war nicht gewillt ihr Opfer gehen zu lassen und legte immer wieder einen festen Griff um ihre Beine. In letzter Sekunde jedoch eröffnete sich ihr jene sehnlichst herbei gewünschte Chance der feucht-warmen Umarmung zu entkommen.
Diese nutzend, schwang sich Elisabeth aus dem Bett heraus und rannte barfuß den schmalen Flur ihrer kleinen Wohnung hinab. Das Klatschen blanker Fußsohlen, welche auf den kühlen Laminatboden schlugen, hallte dabei gespenstisch spitz von den kahlen Wänden wider. Bei ihrem damaligen Einzug hatte sie sich fest vorgenommen, den Flur mit allerhand Bildern zu schmücken, doch schon kurze Zeit darauf war ihr anfänglicher Wunsch unwichtig geworden.
Die Kühle der rosa Kacheln des sanierungsbedürftigen Badezimmers stand im starken Kontrast zur lauen Wärme des Holzbodens. Augenblicklich zog sie ihre Zehen an und verlagerte das Gewicht auf die weniger empfindlichen Fersen. So, am Waschbecken angekommen, senkte sie ihren Kopf hinab und ließ ihrem Unwohlsein freien Lauf. Ihre Finger zitterten vor Anstrengung, hielten dabei jedoch den Rand des gesprungenen Beckens fest umklammert.
Elisabeth stemmte, ohne einen Moment darüber nachgedacht zu haben, das gesamte Gewicht nach vorne. Hierbei knackte das Porzellan unter der Handfläche bedrohlich laut.
Ihr Gesicht fühlte sich geschwollen an, als der Druck, der ihre Schläfen befiel, mit jedem weiteren krampfhaften Würgen zunahm. Die Äderchen um ihre Augen platzten bereits und sprenkelten ihre kalkweiße Haut lila. Immer wieder zog sich ihr Magen krampfhaft unter den nächtlichen Bildern, die sie erneut befielen, zusammen. Das Becken, immer lauter werdend der wellenartigen Belastung, drohte auseinanderzubrechen. Da jedoch ebbte die Flut, so schnell sie gekommen war, ab.
Elisabeth war dankbar und hob ihren Kopf an, um einen Blick in den Spiegel des Hängeschrankes zu werfen. Das blutunterlaufene Augenpaar, welches ihr daraus entgegen starrte, wirkte fremdartig in ihrem fahlen Gesicht, das langgezogen, dem eines Geistes glich. Ein weiterer Würgereiz streckte sich just nach ihr aus und zwang erneut den Körper in die Knie, doch diesmal blieb die Erleichterung aus.
Einige Minuten waren vergangen, als Elisabeth aus ihrer Starre erwachte und fahrig das Wasser anstellte und dabei die verräterischen Spuren vom Weiß des Porzellans wusch. Sie war schwach, fühlte sich benommen vom Gefühl der Übelkeit und der Schwermut in ihrem Inneren. So seufzte sie, bevor sie auf dem Rand der Badewanne Platz nahm und in sich zusammen sank. »Warum immer diese Alpträume?«
Nunmehr stumm saß sie auf der schmalen Kante, während ihr Kopf pulsierte, ihre Schläfen wie Feuer brannten. Noch immer lag ihr der Geschmack von Erbrochenem auf der Zunge und bedeckte pelzig ihre Zähne. »Wie viel Uhr haben wir wohl?«, fragte sie sich, nachdem sich ihr Blick durch das verschmutzte, schmale Fenster auf die noch schlafende, im Nachtmantel gehüllte Stadt legte. In kurzweiligen und unsteten Intervallen erkämpfte sich der Mond eine Lücke im sonst von Wolken beherrschten Himmel und legte dickköpfig seinen Schein auf die menschenleeren Straßen weit unter ihm. Es war ein idyllisches Bild, das sich Elisabeths Blick darbot, wäre da nicht ihre stetige Unruhe, welche diesen sonst so perfekten Moment zunichtemachte. Nichts konnte ihrem Gefühl Linderung verschaffen. Nicht einmal das Fernsehen hatte sie erlösen können von jenem ewigen Zug, der sie fortwährend drängte. Doch wo hin zog es sie? Selbst ein Orts- und Berufswechsel hatte nichts an dem Gemütszustand ändern können, ganz im Gegenteil. Sie fühlte sich damals, schon am ersten Tag, an welchem sie die letzten Umzugskisten in ihre neue Umgebung getragen hatte, unwohl. Es war eine ihr fremde Stadt, die sie durch das dünne Glas des Fensters erfasste. Oder war es sie, die immerwährend fremd war?
Nachdem Elisabeth beschlossen hatte, die Nacht sein zu lassen und ihre Wohnung hell erleuchtete, um auch den letzten dunklen Gedanken zu verbannen, setzte sie sich mit einer Tasse Kaffee auf ihr gemachtes Bett. Sie hatte nicht vor, ihren Gedanken eine Möglichkeit zu bieten, das sonst so gewohnte Eigenleben zu führen. Um dieser Entscheidung Nachdruck zu verleihen, nickte sie bestätigend, während ihr Griff sich um die schmale Fernbedienung legte und sie den Röhrenfernseher anschaltete.
Sie lehnte mit dem Rücken an der kühlen Wand und blickte auf den noch dunklen Bildschirm. Doch dauerte es einen kurzen Moment, bis das Bild darauf erschien, dann drangen wohltuend wild wechselnde Bildfolgen auf sie ein. Diese nahmen von ihren Schultern das, was sie bis dahin düster beschäftigt hatte. Ein zeitgleicher, großer Schluck aus dem Becher wärmte sie und hauchte ihr kurzweilig neues Leben ein. Der Seitenblick auf ihren Wecker, welcher einsam auf dem schlichten Buchenholznachttisch sein Dasein fristete, verriet ihr, dass sie noch genügend Zeit hatte, bis sie das Haus verlassen müsse.
Entspannung suchend, drehte sie ihr Gesicht zurück Richtung Fernseher. Weitere Bildfetzen fielen auf sie ein, als die zahlreichen Stimmen sich zu einer wabernden Masse formten, welche eine hypnotisierende Wirkung auf Elisabeth hatte. Ihre Augen begannen allmählich zu brennen, doch sah sie sich nicht im Stande, jenem Drang des Schlafes nachzugeben. Zu viel Angst hatte sie davor. Für jene Nacht hatte sie genug Alpträume erlitten.
Als die ersten Sonnenstrahlen durch ihr Schlafzimmerfenster drangen, stand Elisabeth bereits geduscht und angezogen vor ihrem Bett, auf dessen Oberfläche ihr Rucksack ruhte. Sie betrachtete ihre hochgezogenen Schultern im Spiegel, der an der Außenseite ihres Kleiderschrankes angebracht war und zwang sich diese herunter zu drücken. Sie wusste allerdings, dass jenes nicht von Dauer sein würde. Spätestens bei der dritten Querstraße, auf ihrem Arbeitsweg, würden sie wieder am Ausgangspunkt angekommen sein.
Ihr Kopf dröhnte unter jeder Bewegung. »Der Tag beginnt schon wunderbar«, dachte sie sich und musterte ihre schmalen Lippen, die sie zu einem Strich geformt hielt. Noch immer brannten ihren Augen unablässig, als sie nach ihrer Brille griff und jene ungeschickt auf zog. Nachdem sie einen weiteren, prüfenden Blick in den Spiegel tat und das Gesehene wie sonst als ungenügend empfand, griff sie seufzend nach ihrem Rucksack. Sie würde einen weiteren Versuch starten, abzunehmen. War der Letzte doch kläglich an der Tafel Schokolade gescheitert, die sie im hintersten Eck ihres Hochschrankes bei der wöchentlichen Haushaltsreinigung gefunden hatte. Nicht nur ihrer Gesundheit würde es einen Gewinn bringen, auch ihrer allmorgendlichen Kleiderwahl. Waren doch die meisten ihrer Hosen im Laufe der letzten Monate zu eng geworden. Dies frustrierte sie mehr, als die mittlerweile von Staub überzogenen Waage, welche sie seit einer Woche hingebungsvoll mit Missachtung strafte.
Wie alles bisher, beschlich Elisabeth das Gefühl, entglitt ihr auch dies, dennoch fühlte sie sich unfähig etwas daran zu ändern. War es doch um so Vieles einfacher, sich gehen zu lassen, es einfach hinzunehmen, als sich aufzustellen und die Stirn zu bieten.
Elisabeth seufzte und massierte den Übergang von Stirn zur Nase mit sanftem Druck. Sie fühlte sich abgeschlagen und überfordert. Einige wenige Minuten gestand sie sich dieses Gefühl ein, um darauf folgend pflichtbewusst ihren Rucksack zu schultern. »Auf ein Neues!«, sprach sie mit einer gespielt übertriebenen Stimme, als sie die Wohnungstür auch schon ins Schloss zog.
Wie immer, war sie viel zu früh dran und ein Blick auf ihre Uhr bestätigte diese Vermutung. Zwar kam der Sommer mit großen Schritten, dennoch war der Morgen immer noch frisch.
Elisabeth zog daher den Saum ihrer Jacke enger um den Körper und vergrub ihre Finger tief in dessen Taschen. Um nicht weiter zu frieren, wippte sie auf ihren Füßen auf und ab, vor und zurück.
Die Straße erwachte nur langsam aus ihrem Schlaf. Müde rieb sie sich den Sand aus den Rollos und öffnete schläfrig ihre Lider, hinter welchen goldgelbes, strahlendes Licht lag. Noch immer leuchteten die Laternen, aber nicht mehr lange. Der Morgen war längst angebrochen, durchzog in rosa Fäden das stetig heller werdende Blau des Himmels. Es würde ein sonniger Tag werden, dachte sie, als ein Lächeln ihr das erste Mal seit Stunden über das Gesicht huschte. Der Gedanke an die bevorstehenden Sonnenstrahlen ergoss sich wohlig warm in ihrem Körper.
Zäh summierten sich die gleichen morgendlichen Gesichter, während diese sich am Haltestellenschild sammelten und auf die nächste Mitfahrgelegenheit warteten. Dabei wischten sie unnahbar über die Smartphones in ihren Händen.
Elisabeth musterte die Masse verstohlen aus dem Augenwinkel, während sie selbst am Rande des Bordsteins Position bezog und mit der Sohle ihres rechten Schuhs über die abgerundete Kante fuhr. Jene war an manchen Stellen abgeplatzt. Ihre Mitreisenden wirkten desinteressiert am Geschehen, das sie umgab. Waren es doch so viele Dinge, die ihre Aufmerksamkeit suchten, schmollend an den Säumen ihrer Filzmäntel zogen. Sie schienen für Elisabeth, gekleidet in ihren schwarzen Anzuguniformen und emotionslosen Gesichtern, austauschbar. Nicht auch nur einer hatte ein Auge für das, was um sie herum passierte.
Elisabeth seufzte tonlos. Als sie jedoch müde im Begriff war, sich der Straße vor ihr zuzuwenden, fiel ihr Blick auf eine, in einem taubenblauen Kostüm gekleidete, ältere Dame, welche in der hinteren Reihe der schwarzen Masse deplatziert in ihrer Farbenfrohe wirkte. Ihr weißes, von sanften grauen Strähnen durchzogenes Haar hatte sie akkurat nach oben gebunden, während ihre Hände in schwarzen Wildlederhandschuhen ruhten. Ihr Gesicht, das sie zweifelsohne pflegte, lag in tiefen Falten. Jene verdichteten sich ausdrucksstark um die Augen. »Sie ist bestimmt ein fröhlicher Mensch.«
Elisabeths Vermutung wurde bestärkt der hell glänzenden Augen, welche zwischen den blau getuschten Wimpern lagen. »Wenigstens eine Person besitzt noch den Blick für die Welt vor sich.«
Nun wandte sich auch Elisabeth ab und ließ ihre Gedanken hinaus ziehen, wurde ein Teil der unbedeutenden Masse, welche sie zuvor so kritisch ihres Desinteresses angeklagt hatte. War es aber doch so einfach, sich treiben zu lassen und die Welt um sich herum auszusperren. Gab es doch andere Menschen in ihrer Nähe, die diese Pflicht für sie taten.
Heute musste sie unbedingt nach der Arbeit einkaufen gehen, schoss es ihr durch den Kopf. »Vielleicht etwas Gemüse anstatt einer Pizza. Und Fisch? Ja, das ist eine gute Idee.« Bei dem Gedanken an ihre finanziellen Mittel jedoch schloss sie bedrückt ihre Augen. In den folgenden Tagen würde es wie immer, am Ende eines jeden Monats, knapp werden. »Dann ja doch vielleicht eher die günstigere Pizza.« Ob sie nun mit der Diät jetzt anfangen würde oder erst nächste Woche, war nicht von Bedeutung, log sie sich vor. Sie fühlte sich mit einem Mal wieder unwohl in ihrer Haut. Nicht einmal finanziell war sie gefestigt. Plötzlich hatte sie das monumentale Gefühl ihr bisheriges Leben vergeudet zu haben. Nichts hatte sie, was sie vorweisen konnte. 'Solide' war ein Umstand, den sie bisher niemals erreicht hatte.
Eine unbekannte, kratzige Frauenstimme riss Elisabeth aus ihren Gedanken und ließ sie ihren Kopf in Richtung des taubenblauen Kostüms drehen, dem sie jenen aufgekommenen Klang instinktiv zuordnete. »Was hast du denn, Kleine?« Elisabeth reckte ihren Kopf höher, um besser erkennen zu können, zu wem die Frau besorgt sprach und sich hinab gebeugt hielt. Trotz, dass die Dame von schmaler Natur war, verdeckte ihre ausgemergelte Gestalt die von ihr angesprochene Person. Immer wieder trat Elisabeth daher von einem Bein zum anderen und verlagerte dabei ihr Gewicht, um auch nur einen kurzen Blick zu erhaschen, doch es blieb ihr verwehrt, ganz im Gegensatz zum aufgekommenen Schmerz in ihren Schläfen.
Die Augenlider zusammen pressend, massierte sie die brennenden Stellen mit ihren Fingerkuppen, wobei sie das Heben und Senken ihrer Haut deutlich darunter erfühlen konnte. Das kontinuierliche Rauschen in ihren Ohren zehrte augenblicklich an den Nerven. Jenes baute sich auf, bis es alle weiteren Geräusche im Keim erstickt hielt und Elisabeth an einem Punkt angekommen, gehörlos zurückließ.
Panik befiel ihren Geist, als sie sich mit weit aufgerissenen Augen an die Ohren fasste und den skeptischen Blicken des nahe stehenden Mannes, der von seinem Smartphone auf schaute, auf sich liegen fühlte. Er öffnete seinen dicklippigen, breiten Mund, mit dem er ausladend Worte formte, auf dessen Ankunft Elisabeth vergebens wartete. Nur erahnen konnte sie seine Frage, was mit ihr sei. Ungläubig schüttelte sie den Kopf, dabei erst sanft, dann immer fester gegen ihre Ohren schlagend. Entgegen ihrer Bemühung änderte sich jedoch nichts am Zustand der plötzlichen Gehörlosigkeit.
Nun legten sich weitere Blicke auf ihre Person, während die anderen wartenden Fahrgäste ihre Handys wegsteckten und einen Kreis um sie bildeten. Das Rauschen untermalte gespenstisch jene unwirkliche Szenerie, als zahllose, sich bewegende Münder tonlose Stimmen zu ihr trieben. Sie betrachtete jeden einzelnen mit hilflosem Blick und wandte sich um sich selbst. Sie wussten nicht, was mit ihr war, jedoch spürten sie instinktiv, dass etwas nicht stimmte. Ihr fiel die Frau im blauen Kostüm wieder ein. Elisabeth drehte sich, suchte mit ihren Augen nach jener. Hatte doch das Rauschen begonnen, als sie versucht hatte, einen Blick auf das Geschehen zu erhaschen. Lag darin nun auch die mögliche Antwort darauf?
Als ihr Blick die emotionslosen, unter wohl gezupften Brauen gelegenen, alten Augen traf, welche sie unverhohlen anstarrten, zuckte sie zusammen. Nichts war mehr von jener Weichheit der alten Züge geblieben, die Elisabeth zuvor zu einem Lächeln bewogen hatten. Ihre nunmehr eiserne Maske wirkte höchst beängstigend auf sie, als sich die ausgeprägten Altersfalten wie Narben über das kantige Gesicht mit seinen hängenden Wangen zogen. Erst jetzt bemerkte Elisabeth den Schatten, der sie schmückte.
Das kleine Mädchen, welches die behandschuhte Hand der alten Dame umgriffen hielt, stand entspannt an ihrer Seite und lächelte falsch unter einem Gestrüpp aus grauen, durcheinandergeratenen Haaren. Elisabeth verschlug es unweigerlich den Atem. So trat sie einen Schritt zurück. Als sie jedoch mit dem Rücken gegen einen beleibten Mann stieß, der sie mit einem verwirrten Ausdruck in seinen Augen musterte, schluckte sie schwer. Das Rauschen dröhnte augenblicklich lauter in ihrem Bewusstsein, während das Mädchen ihre zierliche Kinderhand aus der ledernen Umklammerung zog und einen Schritt auf sie zu tat.
Ihr wurde speiübel, als sie sich an dem Mann vorbei schob und unsicher nach hinten taumelte, dabei jedoch immer wieder an sichtlich besorgte Personen stieß. Ein Windzug kam auf und riss an ihrer Jacke, um daraufhin die grauen langen Haare des Mädchens nach hinten zu streichen. Dies legte jene saphirblauen Augen frei, welche auf sie gerichtet waren.
Elisabeth würgte beim Anblick des kindlichen Gesichtes, in dessen Mitte nun ein breites Grinsen thronte und die Lücke zwischen ihren Schneidezähnen frei gab. Sie hatte dieses Kind schon einmal gesehen, in ihren Träumen.
Elisabeth hielt sich den zitternden Handrücken vor den Mund und krampfte unter erneutem Würgen. All die über Jahre in ihrem Geist gesammelten Alpträume brachen just über ihr zusammen und immer tiefer brannte sich das markante blaue Feuer der Augen jenes Kindes ein, welches nur noch eine Armlänge von ihr entfernt war.
Sie nahm den aufgekommenen, rauchigen Geruch verbrannten Holzes wahr, als sie sich zwischen den letzten, schwarz gewandeten Männern hindurch presste. Eine schwere, großflächige Hand legte sich dabei um ihren rechten Oberarm und zog sich schraubstockartig zusammen. Elisabeth riss just ihren Kopf zu Seite und starrte in die braunen Augen eines jungen Mannes. In dessen Zügen lag Besorgnis. Er redete auf sie ein, doch sie verstand ihn einfach nicht. Flehend wandte sie sich unter seinem Griff, bis sie erkannte, dass er sie nicht so einfach gehen lassen wollte.
Ein weiterer Mann löste sich aus der Masse und trat auf Elisabeth zu. Auch in seinem Blick lag die Frage, die auch sie beschäftigte. Was war hier nur los?
Elisabeth’s Versuch, sich erneut loszureißen wurden nachdrücklicher, als nun auch der zweite, hochgewachsene Mann ihren Arm umfasste. Sie ließ sich fallen, warf sich nach hinten und schrie. Jedenfalls nahm sie es an, denn hören konnte sie es nicht.
Die Hand des jungen Mannes rutschte schmerzhaft von ihrem Arm und hinterließ dabei eine blutende Spur auf ihrer sonst blassen Haut. Erneut streckte er seinen Arm in ihre Richtung und ergriff jenen Rucksack, den sie eng an sich gepresst hielt. Nicht gewillt, ihm diesen zu überlassen, zog sie mit aller Kraft an diesem und sich schlussendlich von beiden Männern los, welche sie mit hochgezogenen Brauen ungläubig anstarrten.
Elisabeth drehte sich keuchend auf dem Absatz um und rannte drauf los. Erst einige Meter weiter die Straße hinab, hielt sie inne und sah prüfend zurück. Ihr Blick traf hierbei jene Augenpaare, die sie zurückgelassen hatte. Immer noch schlug ihr Herz unerbittlich gegen ihre Brust. Gehetzt und mit den aufgekommenen Seitenstechen kämpfend, versuchte sie zwischen den einzelnen Personen das zurückgelassene Mädchen aus zu machen.
Schweiß lief ihren Rücken und zwischen den wenig ausgeprägten Brüsten hinab. Schwer keuchend kniff sie dabei ihre Augen zusammen, doch konnte sie kein Kind mehr aus machen. Einzig und alleine die stillstehenden Männer und jene Frau im taubenblauen Kostüm konnte sie erkennen. »Wo ist sie hin?«
Elisabeth versuchte klar zu denken, als sie unbewusst weitere Schritte nach hinten tat, um zwischen sich und dem Ort des Geschehens so viel Distanz zu erhalten, wie es ihr möglich war. Je weiter sie ihre Füße über die grauen Waschbetonplatten trugen, je mehr nahm das Rauschen in ihren Ohren ab und die Geräusche der Welt fanden zu ihr zurück. Was war eben nur passiert? Spielte der wenige Schlaf der vergangenen Nächte mit ihren Sinnen Streiche oder verlor sie nun endgültig den Verstand? Sie wusste es nicht.