Читать книгу 534 - Band I - Milena Himmerich-Chilla - Страница 15

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Kapitel IX

21.03.2017 | 21:12 Uhr – Eschenweg 5, 2.OG

Elisabeth fühlte sich zerschlagen. Müde steckte sie dabei den Schlüssel in das Schloss ihrer Wohnungstüre. Was war nur los mit ihr? Hatte sie sich auf der Arbeit doch erfolgreich ablenken können. Der erste Schritt jedoch, aus dem Büro hinaus, hatte alles wieder zurückgebracht.

So kamen die Erinnerungen des verstörenden Morgens mit denen des Mädchens einher. Während der folgenden Busfahrt nach Hause hatten die seltsamen Bilder nicht mehr von ihr abgelassen, sie so gezwungen, darüber nachzudenken. Dennoch war sie keinen Deut klüger daraus geworden. Die plausibelste Antwort von allen schien ihr jedoch der mangelnde Schlaf zu sein, welcher seit einigen Wochen die allnächtlichen Alpträume begleitet hatte. Sie traute sich kaum mehr, ihre Augen zu schließen, aus Angst vor den darauf folgenden Träumen.

Erschöpft fuhr sie sich über das bleiche Gesicht, bevor sie die Tür restlos aufschloss, hindurch schritt und hinter sich zufallen ließ.

Der blauschattige Flur erstreckte sich lang gezogen vor ihrer Person und teilte sich in jene wenigen Räume, die sie sich hatte leisten können. Es war ein kleiner Preis für ihre Freiheit, die sie damit erlangt hatte. Sollte der damalige Umzug doch ein Entkommen aus ihren alten Gewohnheiten und festen Mustern sein und so eine Chance bilden, von vorn zu beginnen. Geändert hatte sich allerdings nichts. Sie war immer noch dieselbe.

Elisabeth fühlte sich weiterhin beschnitten ihrer eigenen Person von jenen Grenzen, die ihr Bewusstsein schon im Kindesalter aufrecht gehalten hatten. Sie war unzufrieden mit jeder Faser ihres Körpers, während das Herz sie immerfort auf die Suche schickte nach jenem, das sie glücklich machen konnte. Sie wollte etwas in ihrem Leben leisten, etwas kennen lernen und eine Liebe finden, die sie bis hin in den kleinsten Winkel erfüllte. Ja, sie wollte das haben, was sie tausendfach zwischen den Seiten ihrer Bücher gelesen hatte. Keine leere Hülle mehr sein, als die sie sich immer noch sah. Jene Wünsche waren es, die den Impuls gaben, kurz nach der Probezeit im Spielwarengeschäft zu kündigen und die angebotene Stelle in der Spedition anzunehmen. So hatte sie die aktive Arbeit gegen das Büro in der Hoffnung getauscht, dass jener Wechsel sie näher hin zu ihrer Bestimmung führen würde, doch dies war genauso ein Trugschluss gewesen. Weiterhin fühlte sie sich leer, unvollkommen und nutzlos.

Mühsam schleppte sich Elisabeth den Flur hinauf ins Schlafzimmer, wobei sie ihren Rucksack im schmalen Gang zurückließ. Dabei begrüßte sie jene Dunkelheit, die ihre Wohnung im festen Griff hielt.

Die dumpfen Stadtgeräusche, welche durch die doppelt verglasten Fenster drangen, hüllten kaum hörbar den Moment, als sich Elisabeth auf das harte Bett fallen ließ und sich darauf auf die Seite rollte. Blind tastend, griff sie nach der grauen Wolldecke und zog jene über ihren Körper. Es war nicht kalt in ihrer Wohnung, eher eine angenehme Wärme, dennoch fröstelte es sie.

Die langsam auf sie abgefärbte Ruhe legte sogleich eine ungeahnte Schwere auf ihre zarten Lider, die gegen ihren Willen, bereits hin und wieder zu fielen. Ihre Gedanken kreisten dabei um die feuchte Wäsche in ihrer Waschmaschine, jene Zolldokumente, die fertig auf ihrem Schreibtisch lagen und das kleine Mädchen, während die aufgekommenen Bilder zusehends mehr ineinander verschwammen.

Eine graue Masse an ungreifbaren Erinnerungen, Gedanken und Hoffnungen zogen an Elisabeths Geist vorüber, der sich bereitwillig aus seinem Gefängnis löste und sich den herannahenden Träumen, einem goldenen Kelch den Wein empfangend gleich, öffnete.

Langsam erhoben sich auch schon zahlreiche Stimmen zu einem lauten Wehklagen, während der Geruch nach Rauch Elisabeths Gesicht zu einer Grimasse verformte und ihren Körper unruhig auf die andere Seite rollen ließ. Ein ersticktes Stöhnen dran ihr aus der Kehle, als sie die Beine enger an den Körper zog und die Decke von ihren Schultern rutschte.

Der Alptraum begann von Neuem.

534 - Band I

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