Читать книгу Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous - Страница 12
Prissy
ОглавлениеEin flammend rotes Minikleid mit einem goldfarbenen Herzen auf der Vorderseite. Gestreifte Strümpfe bis über die Knie und ein niedliches herzförmiges Krönchen.
Ich bin sofort verliebt.
»Schau mal, wie unglaublich schön, Mam.« Ich lege mein Homepad vor sie.
Das Showmodel auf dem Monitor dreht sich, damit man sie von allen Seiten bewundern kann.
»Hm.« Mama will sich wieder in ihr Sudoku vertiefen.
»Wenn wir es jetzt bestellen, bekomme ich es noch rechtzeitig«, sage ich schnell.
»Aber, Liebes …« Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. »… du hast schon ein Kostüm.«
»Das kann ich aber nicht anziehen. Laut Reese sind weiße Eisköniginnenkleider völlig out.«
»Sie hat leicht reden«, sagt Mama. »Aber wer darf das wieder bezahlen?«
Ich habe große Lust, gegen das Sofa zu treten. »Warum bist du bloß immer so knauserig?«
»Warte nur, bis du später selbst …« Mama hört auf zu reden. »Hat das vielleicht was mit diesem Jungen zu tun?«
»Welchem Jungen?« Ich spüre förmlich, dass sich meine Blutgefäße weiten. So nervig.
»Den ich am Camphone hatte.« Sie lacht gutmütig. »Er soll dich als Mensch mögen, Liebes. Nicht wegen der Sachen, die du trägst.«
Er ist ein unheimlicher Stalker, würde ich ihr am liebsten ins Gesicht brüllen. Ich traue mich nicht. Nachher will sie noch, dass ich an Happy Day zu Hause bleibe.
»Du kapierst es echt nicht«, sage ich.
Mama seufzt. »Es ist ja nicht so, dass ich dir das Kleid nicht gönnen würde, das verstehst du doch, oder?«
Das Showmodel auf meinem Homepad dreht immer noch seine Runden. Ich muss an die Ballerina in meinem Schmuckkästchen denken – mein letztes Geburtstagsgeschenk von damals, als Papa noch da war. Die Tränen schießen mir wie von selbst in die Augen.
»Von Papa würde ich es bestimmt bekommen«, sage ich. »Er würde nicht zulassen, dass ich mich so blamiere.«
»Du stellst dich an, Pris.« Mamas Stimme wird schärfer. »Das weiße Kleid steht dir ganz wunderbar!«
Ich kann Brooklyns sengende Blicke schon spüren. Sie wird schweigend auf mich herabschauen.
»Was bist du nur für eine Mutter!«, kreische ich.
Ich schnappe mir mein Homepad, stampfe zur Tür und drücke auf den Knopf. Geräuschlos öffnet sie sich. Ein völlig unspektakulärer Abgang. Später will ich wie Oma in einem alten Haus wohnen, wo man die Türen noch von Hand mit der Klinke öffnen muss, damit man sie anschließend mit einem lauten Knall hinter sich zuschlagen kann.
Sobald ich in meinem Zimmer bin, schalte ich mein Camphone ein.
Fuck Mo. Ich brauche meine Freundinnen.
Hundert verpasste Nachrichten, Camfies und Filmchen. Und ein Notschrei von Flow: Ist dein Akku leer, oder was?
Ich clicke ihr sofort zurück. Bin wieder da.
Endlich, antwortet sie. Camchat!
»Ich wollte mir gerade die Haare waschen«, sagt Anna, sobald sie auf dem Monitor erscheint. »Würdest du es mir morgen hochstecken, Pris? Keine kann das so gut wie du.«
Komplimente sind fast so schön wie neue Schuhe. Meine Laune wird sprunghaft besser.
»Na klar«, sage ich und parke das Gezänk mit Mama vorerst in einer Ecke meines Kopfes. »Was für ein Kostüm hast du? Dann kann ich schon mal brainstormen.«
»Nicht sagen!«, ruft Flow. »Das bringt Unglück.«
Eine Vlogweisheit von Reese.
»Ein paar Hinweise sind doch wohl drin?« Heimlich hoffe ich, dass Anna auch in Weiß geht. Sich gemeinsam zum Gespött machen ist weniger schlimm.
»Ein Kleid«, verrät sie. »Und dazu gehört eine Tiara.«
»OMG!«, ruft Brooklyn gespielt schockiert. »Du gehst als Eiskönigin!«
Alle drei brüllen vor Lachen, als hätten sie gerade den Witz des Jahrhunderts gehört. Ich lache treudoof mit, während es in meinem Kopf dröhnt: Sie haben Reeses Vlog also auch gesehen, war ja klar!
»Ich passe schon auf«, sagt Anna. »Und es ist natürlich auch kein Schmetterlingskleid.« Sie seufzt. »Erinnert ihr euch noch, dass Karen letztes Jahr so einen idiotischen Anzug trug, den ihre Mutter genäht hatte? Als jemand ein Camfie von ihr auf Supershoot stellte, wurde sie ganz schön niedergemacht.«
Flow nickt. »Echt megabedauernswert.«
Ich räuspere mich. Das ist der Moment, es zu erzählen …
»Tut mir leid«, sagt Brooklyn. »Aber wenn man so etwas anzieht, ist das ja wohl auch vorprogrammiert, oder?«
Die Wörter zerbröseln in meinem Mund.
»Na ja«, sagt Flow. »Unsere Kostüme sind bestimmt klasse. Morgen um halb elf bei mir. Umziehen, schminken.«
Als meine Freundinnen nicken, bewegt sich mein Kopf automatisch mit – als hinge ich mit einer unsichtbaren Kette an ihnen fest.
Mama findet Schmuck lästig. Sobald sie zu Hause ist, legt sie sogar ihr ID-Bändchen in der Diele auf das Schränkchen neben Papa. Von seinem Filmrahmen aus schaut er alle an, die in die Wohnung kommen. Ein leichtes Lächeln. Augen, die zwinkern, als würde er noch leben …
Ich drehe den Rahmen um, bevor ich das Bändchen nehme.
Ich melde mich bei Colourcompany an, ziehe das rote Kleid in den Warenkorb und klicke auf Bezahlen. Als ich Mamas Bändchen unter den Leser halte, leuchtet es auf.
Es ist nur geliehen, beruhige ich mich selbst. Ich lasse das Label dran, dann kann ich das Kleid nach Happy Day zurückschicken. Mama braucht gar nichts zu merken. Solange ihr Saldo am Monatsende zu stimmen scheint, lässt sie das mit dem Kontroll-Update meistens sein.
SIE HABEN BEZAHLT, steht da.
Ich fühle mich wie eine Diebin.