Читать книгу Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous - Страница 18

Prissy

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Von außen wirkt das Gebäude wie eine langweilige graue Schachtel.

»Das ist sie«, sagt Mo zur Kamera über dem Eingang.

»Laşer?«, frage ich.

Mo nickt und öffnet die schwere Tür mit seinem ID-Bändchen.

Kaum sind wir drinnen, springen über unseren Köpfen Dutzende von Lampen an. Sie beleuchten eine ausgestorbene Skatehalle mit großen Rampen und Miniramps, einer Halfpipe und ein paar Funboxen.

Alle Wände sind mit grellbunten Fabelwesen bemalt, die auch im Citymuseum nicht fehl am Platze wären. Sie sind niedlich und beängstigend zugleich. Ich bewundere eine Gruppe schlanker, schuppiger Gestalten mit herzförmigen Köpfen und Straußenwimpern. Ein flauschiges Hündchen mit einem blutigen Arm in der Schnauze. Eine Krähe mit einem Totenkopf und Manga-Augen …

»Dein Profilbild«, sage ich. »Ist das Bild auch von dir?«

»Nur das Camfie.« Mo geht zu einem Nebenraum auf der anderen Saalseite. »Ich bin kein Künstler wie Laşer.«

Mittlerweile erwarte ich einen Superjungen, der alles kann. Im Nebenraum ist die Decke viel niedriger und das Licht gedimmt. In der Mitte gruppieren sich einige alte Sofas und dort hängt auch ein antiker Beamer. In der Ecke stehen ein paar BMX-Räder, Skateboards und ein paar mit Gaze abgedeckte Kartons.

»Das Wormhole?«, frage ich.

»Nein, die Cafeteria.«

»Okay.« Ich grinse. »Gemütlich.«

»Hier müssen wir hin«, sagt Mo und öffnet mit einem Zahlencode eine Tür neben dem Käfig.

Ich betrachte die funzelige Lampe über der Steintreppe, die nach unten führt, und dann lache ich nicht mehr.

Dunkel und unterirdisch. Also doch.

»Geh du vor«, sage ich schnell.

Wir steigen hinab in die Höhlen des Gebäudes – Mo voran und ich steif vor Nervosität hinter ihm, meine Finger fest um mein Camphone geklammert. Flow ist nur eine Berührung von mir entfernt. Ein Tippen auf mein Display …

Wir sind unten. Sobald ich mich umsehe, entspannen sich meine Muskeln. Das ist kein Keller mit Folterwerkzeugen, Matratzen und Ketten – wie im unheimlichen Cellargame. Die Einrichtung besteht aus drei völlig normalen Tischen. Sie stehen im Halbkreis, vollgestellt mit altmodisch wirkenden Geräten, Tastaturen und Monitoren, die von einem großen dünnen Jungen bedient werden. Er trägt eine Trainingshose und Flaffy-Sneaker, die mindestens drei Jahre aus der Mode sind. Und als wäre das noch nicht schlimm genug, hat er auch noch eine beigefarbene Beanie auf dem Kopf – grobe Modepanne Nummer fünf, laut Reeves.

Ist das ein witzig gedachtes Kostüm für Happy Day? Oder läuft er immer so rum?

Ich würde mich jedenfalls in Grund und Boden schämen, aber der Junge ist anscheinend vollkommen in seinem Element. Er ruft Kommandos und seine Finger fliegen nur so über die Tasten. Manchmal wischt er kurz über einen Bildschirm und verändert etwas in der fenstergroßen Projektion an der Wand.

Ein Kapitän auf der Brücke seines Raumschiffs, denke ich.

»Mein Freund Laşer«, sagt Mo.

»Hallo«, sage ich zu dem hohen, schmalen Rücken.

Laşer dreht sich um und sieht mich an. »Hast du das E-Label dabei?«

»Wieso?«

»Damit wir einbrechen können.«

Ich hätte es wissen müssen. Mo hat mein Camphone gehackt, die Überwachungskameras vom Pool übernommen und jetzt ist Colourcompany dran.

Mit einem unbehaglichen Gefühl im Bauch schaue ich zu den übervollen Tischen hinüber. »Und das macht ihr mit den alten Kästen?«

»Nicht so respektlos«, sagt Mo. »Die funktionieren noch prima und man kann damit hacken, ohne eine Spur zu hinterlassen, was mit heutigen Geräten nahezu unmöglich ist.«

»Also?« Laşer hebt eine Hand und zappelt ungeduldig mit den Fingern.

Bin ich mitschuldig, wenn ich mitarbeite? Mein Kleid fühlt sich plötzlich zu eng an.

»Bitte, und sonst eben nicht.« Er wirft mir einen verächtlichen Blick zu und wendet sich dann an Mo. »Sie wird uns wirklich nicht helfen.«

»Nur die Ruhe, Laşer«, sagt Mo. »Gönn ihr ein wenig Zeit.«

Laşer setzt sich auf die Treppe und schmollt.

»Achte nicht auf ihn.« Mo legt den Arm um mich.

Ich habe immer gedacht, es gäbe nichts Aufregenderes als den jährlichen Schlussverkauf bei Goucies – Spezialist für Designerklamotten –, aber das hier ist aufregender.

Und dann fängt er auch noch an, mit seiner sexy Stimme sanft auf mich einzureden. »Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst, aber dafür gibt es keinen Grund. Nicht du bist die Übeltäterin. Wenn sich hier jemand schuldig fühlen müsste, dann die Leute von Colourcompany. Sie versuchen, allen klarzumachen, dass man ohne ihre Klamotten nicht glücklich ist. Online, auf der Straße, im Kino. Überall. Du bekommst so lange eine Gehirnwäsche, bis du es selbst glaubst.«

Das klingt vollkommen logisch aus seinem wunderbaren Mund. Aber es sind vor allem seine durchdringenden Augen, die mich überzeugen. Er sieht mich, und zwar richtig. Ich vergesse Laşer und das Wormhole. Es ist, als gäbe es sonst niemanden auf dieser Welt, nur Mo und mich.

»Und deswegen werden wir dafür sorgen, dass du dein Geld zurückbekommst«, beendet er seine Geschichte.

»Wie denn?«, frage ich. »Flow hat das E-Label abge…«

»Kein Problem. Solange wir den Code noch lesen können.«

»Aber …«

»Schhhh. Vertraust du mir?«

Ich vertraue nicht mal mir selbst. Wenn er noch lange so stehen bleibt, lehne ich gleich meinen Kopf an seine Schulter.

»Wir tun niemandem etwas Böses«, sagt Mo. »Colourcompany ist ein gigantisches Unternehmen. Die können durchaus ein Kleid verschmerzen, wahrscheinlich merken sie es nicht einmal. Deine Mutter bekommt ihr Geld zurück und deine Probleme haben sich erledigt.« Er drückt mich kurz. »Das ist doch gut?«

Ich finde es gar nicht gut, dass er mich loslässt.

»Also, was jetzt?«, tönt es hinter uns.

Laşer. Der ist leider auch noch da.

Der Bann ist gebrochen und ich zögere doch wieder. »Was machen wir, wenn das einer rauskriegt?«

»Unmöglich«, sagt Laşer empört. »Ich bin noch nie erwischt worden.«

»Da hörst du es.« Mo lächelt. »Also?«

»Okay dann.« Ich wühle in meinem herzförmigen Täschchen, bis ich das E-Label finde.

Während die Jungs mit meiner Rettungsaktion zugange sind, telefoniere ich in der Cafeteria mit Flow.

»Endlich«, sagt sie. »Ich wollte schon jemanden benachrichtigen.«

»Ist nicht nötig. Mo ist nicht unheimlich, sondern wahnsinnig nett.«

»Dein Stalker?«

»Nenn ihn nicht so.«

»Das ist er aber doch.«

Manchmal könnte ich Flow erwürgen. Vor allem, wenn sie recht hat.

»Bis gleich«, sage ich.

Ich habe jedes gemalte Wesen in der Skatehalle betrachtet, als Mo und Laşer endlich aus ihrem Wormhole kriechen.

»Und?«, frage ich.

Sie machen einen Faustgruß und grinsen breit.

»Komm, setz dich!«, ruft Mo. »Dann feiern wir.«

Und was ist mit Happy Day?, will ich fragen.

Aber Laşer hat schon eine Schachtel aus der Cafeteria geholt.

BLUFFY’S – DAS YUMMY MIT DEM BESTEN BISS, lese ich auf der Seite.

»Werden die immer noch verkauf‌t?«, frage ich erstaunt.

»Keine Ahnung«, sagt Mo. »Wir haben sie gewonnen, Laşer und ich. Mit einer Hack-Challenge im Internet.«

»Schöner Preis.« Mich fröstelt es. »Neulich ist doch jemand erstickt, weil er ein Bluf‌fy in die Luftröhre bekam.«

»Fake News«, sagt Laşer. »Wahrscheinlich von der Konkurrenz verbreitet.«

»Wirklich?« Ich lasse mich auf die Couch fallen.

Mo nickt. »Die sozialen Medien sind voller Lügen.«

»Nicht nur die sozialen Medien.« Laşer lässt die Schachtel herumgehen. »Sogar unsere Führenden verbreiten Fake-Nachrichten. Es gab überhaupt keine Bangen Jahre. Den Begriff haben sie nur erfunden, um uns glauben zu lassen, es ginge uns jetzt unglaublich gut.«

»Das ist doch auch so?« Mein Yummy sieht aus wie eine Badeperle. Ich beiße es kaputt und genieße den salzigen Geschmack auf der Zunge. Dann pingt mein Gerät zum zigsten Mal.

»Ist das schon wieder deine Freundin?«, fragt Mo.

Als ich nicke, zieht er mir mein Camphone aus den Händen und fängt an zu clicken. Hast du nichts Besseres zu tun? Get a life!

»Nicht versenden!«, rufe ich.

Feixend gibt er mir mein Gerät zurück. »Zu spät.«

Sorry!, clicke ich schnell. Das war ich nicht. Das war ein Scherz von Mo.

Auf Flows Seite bleibt es entsetzlich still.

Als Mo und ich zum Zentrum zurückfahren, wird es schon dunkel. Er schweigt die ganze Zeit und das verunsichert mich. Findet er mich doch nicht so nett, wie er dachte?

Das Auto parkt sich selbst neben dem Bürgersteig. »Ziel erreicht.«

»He.« Mo legt seine Hand auf mein Bein.

»He«, antworte ich.

Was für ein toller Text. Ich wünschte, wir könnten solche Situationen im Sozialunterricht üben. Das wäre so viel nützlicher, als zu lernen, wie man Gesichtsausdrücke interpretiert oder dass man jemanden anschauen soll, wenn man mit ihm spricht.

»Können wir uns noch einmal verabreden?«, fragt Mo.

Mein Herz hüpft wie ein Flummi. »Okay. Wenn du versprichst, mich nicht mehr auszuspionieren.«

»Okay ist dein Lieblingswort, was?«

Ab jetzt nicht mehr. Ich nehme mir vor, es nie wieder zu verwenden.

»Vielen Dank für …« Ich öffne die Autotür. »Du weißt schon.«

Es passiert, bevor ich ausgestiegen bin. Über meinem Kopf ertönt ein lauter Knall wie in einem Baller-Game. Ich ducke mich, dicht am Auto, die Hände gegen die Ohren. Mo ist plötzlich bei mir, fängt mich in seinen Armen auf und schaut nach oben.

»Keine Angst«, flüstert er.

Aber die habe ich.

Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit?

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