Читать книгу Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous - Страница 19
Holden
ОглавлениеAlle schauen zu den zerplatzenden Lichtblumen auf den Monitoren. Die jährliche Feuerwerksshow, entworfen von einem Computerprogramm. Ohne Gestank und das Knallen von Schießpulver, denn unseren Führenden zufolge geht Sicherheit über alles.
Gähn.
Kategorie schlimmere Todesarten: vor Langeweile sterben. Aber nicht heute.
Ich ziehe das Kunststoffröhrchen heraus, das ich zu Hause gedruckt habe.
Die virtuellen Lichtblumen verwandeln sich in sprühende Fontänen. Sie wechseln immer wieder die Farbe, worauf das Publikum mit einem lang gezogenen »Aaah« reagiert.
Ich finde ihre Begeisterung schwer übertrieben. Als würde ein Luftgitarrist denselben Applaus verdienen wie ein echter Musiker. Wartet nur, denke ich.
Ich brauche es nicht einmal heimlich zu tun. Alle Augen sind auf das künstliche Feuerwerk gerichtet.
Mein Herz schaltet einen Gang höher, als ich die erste Leuchtrakete aus dem Rucksack ziehe. Ich entferne den Schutz von der Lunte und stecke den Stock der Rakete in das Kunststoffröhrchen, während ich bete, dass das Schießpulver nach der langen Zeit noch funktioniert.
Die Feuerfontänen auf dem Bildschirm werden zu Sternen. Sternschnuppen …
Jetzt darfst du dir was wünschen, würde Prissy sagen, denn sie glaubt hoch und heilig an solchen Unsinn. Na, dann lass Pa mal vom Tode auferstehen, haha.
Ich drehe am Zündrädchen und halte das Feuerzeug an die Lunte. Funken kriechen hoch. Dann schießt die Rakete mit einem Zischen dem Himmel entgegen und zerplatzt mit einem Knall.
Yes! Ein Regen roter Schlieren funkelt über den Häusern. Irgendwo ertönt ein Schrei und eine Menge Köpfe bewegen sich. Die Menschen schauen von den Monitoren zum Himmel und dann wieder auf die Monitore. Sie glauben wahrscheinlich, dass es eine 3-D-Projektion ist, kein echtes Feuerwerk, sondern ein Spezialeffekt mit den passenden Pulverdämpfen.
Hastig stecke ich eine zweite Feuerwerksrakete in das Ausstoßröhrchen und entzünde sie. Ein paar Jungs, die in der Nähe stehen, haben es kapiert und machen ein erschrockenes Gesicht. Ich grinse hinter meiner Maske.
Noch während die blauen Funken der zweiten Rakete verglühen, schieße ich die dritte ab. Sie steigt dreißig Meter hoch. Mindestens. Der Knall und der Rauch sind wie Adrenalin. Ich fühle mich wie ein Held, aber nicht wie so ein Trottel mit Flugcape oder einem magischen Schwert, sondern ein echter. Es ist mir egal, dass die Leute mich anstarren. Fuck die Führenden mit ihren idiotischen Regeln! Lang lebe die Freiheit!
Rakete Nummer vier.
Ein Kind weint und jemand applaudiert. Ein Pärchen, verkleidet als die Schöne und das Biest, rennt davon, die Hände auf die Ohren gepresst.
Köstlich!
In dem Moment, als die fünfte Rakete aus dem Röhrchen schießt, wird die Feuerwerksshow auf den Monitoren abgebrochen. Das strenge Gesicht eines Ordnungshüters erscheint im Bild.
»Keine Panik«, sagt er. »Das Knallen, das Sie hören, stammt von echten Feuerwerksraketen. Solange Sie ausreichend Abstand halten, sind Sie nicht in Gefahr. Versuchen Sie, die Dämpfe nicht einzuatmen. Wir werden alles tun, um den Täter so schnell wie möglich aufzuspüren.«
Den Täter. Als wäre ich ein Krimineller.
»Sie können ihn an seiner Guy-Fawkes-Maske erkennen. Nähern Sie sich ihm nicht selbst, sondern wählen Sie den Notruf.« Der Ordnungshüter verschwindet. Der Monitor zeigt eine in schwarz gekleidete Gestalt. Sie trägt eine Kapuze und eine weiße Maske mit schwarzen Akzenten. Shit, das bin ich!
Ich mache mich klein und bahne mir einen Weg durch eine Gruppe von Märchenfiguren.
Maske runter! Ich stopfe sie in meine Tasche und laufe weiter, während ich hoffe, dass mich keiner verfolgt. Rotkäppchen starrt mich an. Ich wende den Kopf ab und verlasse die Menschenmenge, biege in die erste Seitenstraße nach links ein.
Erst in der sicheren Dunkelheit eines Hauseingangs wage ich es, mich umzuschauen. Kein Ordnungshüter. Niemand, der mich verfolgt. Ich kriege mich nicht mehr ein vor Lachen. Was für eine großartige Knallerei! Das war mit Abstand der coolste Happy Day, den es je gab!