Читать книгу Data Leaks (1). Wer macht die Wahrheit? - Mirjam Mous - Страница 17
Holden
ОглавлениеEine lächelnde Frau mit Lippenstift auf den Zähnen. Ein Mädchen, das aus Versehen den Mantel schief zugeknöpft hat. Ein schlafender Mann, der nicht merkt, dass sich eine Fliege auf seinen geöffneten Mund zubewegt.
Pa und ich veranstalteten jedes Jahr einen kleinen Wettkampf. Wer stellt das beste Lachnummer-Camfie auf Fail Nail? Seine »ersoffene Katze« steht bislang auf dem ersten Platz: eine als Katze verkleidete Frau, die in den Parkteich gefallen ist und triefend ans Ufer klettert.
Dieses Jahr schlage ich dich, Alter!
Auf der Suche nach geeignetem Material lasse ich meinen Blick schweifen. An einer Fassade lehnt ein großer Mann im Gangster-Outfit. Sofort denke ich wieder an den geheimnisvollen Zettel.
Als ich ihn Ma gestern zeigte, hatte sie nur mit den Schultern gezuckt.
»Sagt mir nichts«, meinte sie. »Es könnte der Name für diesen Typ Ring sein oder vielleicht von seinem Designer. So was wie die Unterschrift auf echten Kunstwerken oder so.«
Ich glaubte ihr kein Wort. Solche Ringe werden nicht von Hand gemacht, sondern mit Tausenden anderen gleichzeitig gedruckt. Das ist vollautomatische Serienarbeit – was bedeutet, dass in allen Kunststeinen dieselben Zettelchen stecken würden. Jeder einzelne mit demselben geheimnisvollen Wort darauf, in einer Fake-Handschrift, geschrieben von einem Tintenroboter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich jemand so viel Mühe für eine Ladung Zettelchen macht, die kein Mensch zu Gesicht bekommt.
Das heißt … außer mir und Pa.
»Wie kam Pa eigentlich an diesen Ring?«, fragte ich.
Mas Schultern hoben sich wieder. »Der wird wohl zum Kostüm gehört haben.«
»Aber nein«, mischte sich Kleidungsfreak Prissy ein. »Zu diesem Kostüm gab es keine Ringe. Nur Ketten.«
»Dann weiß ich es auch nicht«, sagte Ma.
Zu meinem Erstaunen zerknüllte sie den Zettel und warf ihn in den Schredder, der ihn mit einem nagenden Geräusch auffraß.
»Was machst du denn?«, rief ich.
»Vermeiden, dass du ihn in deine Hosentasche steckst.« Sie öffnete eine Büchse Algenpulver und schöpfte ein paar Löffel in den Shaker. »Ich möchte nicht, dass er aus Versehen in der Wäsche landet.«
Bullshit!
»Das geht gar nicht«, sagte ich. »Diese dämliche Waschmaschine fängt ja schon an zu piepsen, wenn ein Sandkorn in meiner Socke steckt.«
»Und wer darf es dann rausfischen?« Ma lächelte zufrieden, als hätte sie gerade eine unwiderlegbare Erklärung abgegeben. Verdächtig zufrieden.
»Verbirgst du vielleicht etwas?«, fragte ich.
Prissy war diejenige, die rot wurde. In dem Moment hatte ich noch keine Ahnung, weshalb.
Ma lachte wie eine Hyäne. »Was für seltsame Fragen!«
Meiner Ansicht nach war ich der Einzige hier, der sich normal verhielt. Aber als ich das sagen wollte, schaltete Ma den Shaker an und dieses Ding macht so viel Lärm, dass ich in mein Zimmer flüchtete. Dort habe ich alle Happy-Day-Camfies aus der Familiencloud durchgeblättert. Das, auf dem Pa in seinem Gangsteranzug die Treppe hinunterkommt, war auch dabei. Offenes Hemd, gemalte Brusthaare, eine Unmenge von Ketten und ein breites Grinsen – alles genau so, wie ich mich erinnerte. Bis auf eine Sache. Der Ring mit dem dicken Klunker fehlte.
Ich checkte die Uhrzeit. Das Camfie war um elf Uhr morgens entstanden.
Hatte er den Ring erst später an diesem Tag bekommen? Aber von wem? Und noch wichtiger: warum?