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Quellenarmut als Beweis für Unhistorizität?
ОглавлениеKalisch stellt fest, dass die wenigen, erhalten gebliebenen frühislamischen Quellen nur sehr selten auf den Propheten unmittelbar Bezug nehmen und folgert daraus, dass dieser erst im 3. Jahrhundert der Hedschra für den Islam Bedeutung erlangt habe. So merkt er an: „Der Begriff „sunna“ war ursprünglich nicht allein für den Propheten reserviert. Er stellt sich unter anderem auch als Begriff für einen allgemeinen oder lokalen Konsens dar.“[30] Kalisch verkennt die eigentlich trivial erscheinende Tatsache, dass die Zeitgenossen sich der Bedeutung Mohammeds bereits aus eigenem Erleben heraus bewusst gewesen sein müssen und zur Absicherung ihrer Positionen des expliziten Verweises auf den Propheten nicht bedurften. Dieser war erst notwendig, in dem Maße, wie man befürchten musste, dass sein Stellenwert für den Islam und Vorbildcharakter für jeden Muslim angesichts der zeitlichen Entfernung von seinem irdischen Leben in Vergessenheit geraten würde.
Erstmalig ist dies bereits mit der Niederschrift des von ihm mündlich der Menschheit überlieferten Korans zehn Jahre nach seinem Tod geschehen, der das wichtigste Zeugnis des Propheten und darüber hinaus des Islam insgesamt darstellt. Diesem folgte nun die Sunna, in der die Ansichten des Propheten zu wesentlichen gesellschaftlichen Problemstellungen fixiert sind, deren Bezug zum Propheten von vorn herein feststand und daher nicht permanent wiederholt zu werden benötigte. Erst in dem Maße, wie dieser Bezug für die Zeitgenossen nicht mehr aus eigenem Erleben nachempfindbar war, bedurfte es einer „islamischen Kanonisierung“, wo die bedeutendsten und für den Alltagsmuslimen relevanten Aussagen des Propheten direkt auf ihn sich beziehender Gelehrter zusammengetragen und in komprimierter Form als Hadithe niedergeschrieben wurden.
Der permanente Verweis auf Prophet Mohammed als Urheber war nun ebenso vonnöten wie die Entfernung unbedeutender, als legender und mythisch verklärt erkannter Ausschmückungen von Nachgeborenen. Wenn der Begriff „historisch-kritische“ Wissenschaft etwas weiter gefasst wird als bei Kalisch, können jene islamischen Gelehrten des 3. und 4. Jahrhunderts, denen er die vermeintliche „Erhebung Mohammeds auf religionsstiftenden Rang“ attestiert, als die ersten „historisch-kritischen Islamwissenschaftler“ angesehen werden. Sie zielten nur gerade nicht auf die Widerlegung der prophetischen Existenz, sondern im Gegenteil auf seine Hervorhebung und historisch-literarische Rechtfertigung ab. Historisch-Kritische Quellenanalyse ist im Islam kaum weniger bekannt als in der christlichen Theologie und als Methode in keiner Weise ein neuzeitliches Phänomen, wenngleich neuzeitlichen Wissenschaftlern mit der modernen Archäologie andere Wege der Quellenanalyse offen stehen, welche sich erst in der jüngsten Vergangenheit zu einer eigenständigen Disziplin innerhalb der Theologie entwickeln konnte.
In Bezug auf den Islam existiert historisch- kritische Wissenschaft sowohl von Seiten der islamischen Gelehrten selbst als auch von außerislamischen Orientalisten, die vor allem im deutschsprachigen Raum zu ähnlich bedeutender Pionierleistung in der Lage waren wie Bultmann innerhalb der christlich-protestantischen Theologie. Ihr Ziel bestand nur in keiner Weise darin, die zentralen islamischen Glaubensaussagen zu revidieren oder gar zu Mythen herabzustufen, sondern ein zeitgemäßes Verständnis für die islamischen Normvorstellungen zu entwickeln.