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Gleichsetzung zeitgeschichtlicher Interpretationen mit „dem Islam“

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Unabhängig davon hat man sich dem Christentum wie dem Islam auch von gnostischer Weltanschauung her genähert. Hieraus zu schließen, dass die bedeutendendsten religiösen Botschafter gnostisch verklärte Projektionen seien, erscheint jedoch sehr gewagt. Ebenso ist die These, dass Jesus ein Abbild Moses und Josuas darstelle sowie Mohammed infolge dessen eine arabische Umdeutung der „Gestalt“ Jesus oder Fatima eine Umdeutung der „Gestalt“ Marias sei, kaum haltbar, da – worauf Kalisch selbst hinweist - die historisch später angesiedelten „Gestalten“ auf die älteren als „frühere Propheten“ immer wieder Bezug nehmen. Dies wäre nicht notwendig, wenn sie deren Stellung selbst verkörperten.[31]

Dass sich um Religionsstifter nicht selten Mythen gesellen, - so eben auch die von Kalisch genannte Deutung des Propheten und der ersten Kalifen als „kosmische Kräfte“[32] - ist nicht neu, wurde jedoch von den wesentlichen Repräsentanten der Religionen - in erster Linie der Religionsstifter selbst – stets zurückgewiesen. Man denke nur an die Vorrangstellung des Petrus, der in Jesus nach neutestamentlichem Bericht einen revolutionären Aufrührer gegen die römische Fremdherrschaft zu sehen glaubte und ihn im „Kampf gegen die Häscher“ zu unterstützen beanspruchte, woraufhin er von Jesus scharf zurückgewiesen wurde. Die Pseudoepigraphen waren offenbar von ähnlichen magischen Vorstellungen geleitet, nur besaßen die neutestamentlichen Evangelisten und Apostel die Kenntnis von der jeglicher Magie überlegenen heilsgeschichtlichen Bedeutung ihres Meisters, so dass sie jenen Legenden keine Aussagekraft beimaßen. Ähnliches wird auf die frühislamischen Gelehrten zugetroffen sein, weshalb das gnostische Religionsverständnis zwar in die islamische Kultur Eingang fand, jedoch nie die dominierende Sichtweise darstellte, weil man die originen Offenbarungsquellen besaß und es keiner mythischen Verklärung bedurfte.

Kalisch streitet der islamischen Überlieferung jegliche Historizität ab.[33] In der Tat zielen Koran und Sunna ebenso wie das Alte und Neue Testament in erster Linie darauf ab, eine Richtschnur für das Glaubensleben zu geben, die buchstabengerechte Wiedergabe geschichtlicher Ereignisse erschien hierfür untergeordnet. Davon unabhängig sollte nicht in Abrede gestellt werden, dass sowohl in der Bibel als auch im Koran durchaus Begebenheiten beschrieben werden, die sich auf erlebte Realität beziehen. Wer dies bestreitet, kann gerade nicht die historisch-kritische Forschungsmethode für sich in Anspruch nehmen, da nicht der eigenen Religion zugehörige Quellen wesentliche Details ebenfalls erwähnen, wenngleich sie hieraus andere, zumeist profane Schlussfolgerungen ziehen. Sollten diese anderen Quellen ebenfalls nur als „mythische Erzählungen“ zu verstehen sein, benötigt man keine Quellenanalyse mehr, denn die Inhalte jeglicher Schriften aus historischer Zeit – ob fabelhafte Reiseberichte oder dramatische Gesellschaftsbeschreibungen – ließen sich als „historisch nicht belegt“ abqualifizieren.

Die Anzahl der vorgefundenen Quellen würde damit ebenfalls unerheblich. Dass Menschen ihre gesellschaftlichen und politischen Ideale gerne in ihre religiösen Vorbilder hineinprojizieren, lässt weder deren historische Existenz noch ihre Vorbildhaftigkeit in Zweifel ziehen, geschweige denn verliert der Text, auf den jene Ideologen sich zu beziehen glauben, dadurch seine Bedeutung. Wissenschaftler sind ebenso wenig frei von Ideologien und Wertungen, weshalb Kalischs Anspruch einer „wertfreien Theologie“ illusionär und Selbstbetrug darstellt - schließlich ist kaum einer in so hohem Maße von im vorhinein getroffenen Wertungen geleitet wie er, wobei seine Wertungen wissentliche Abwertungen der islamischen Tradition beinhalten.

Natürlich kommt ein Wissenschaftler gelegentlich zu dem Ergebnis, die eigenen Eingangshypothesen falsifizieren zu müssen, diese sollten aber bereits eine gewisse Plausibilität beinhalten und das Ergebnis muss aus in sich schlüssigen wissenschaftlichen Beweisen hervorgehen, was im Falle von Kalischs Mutmaßungen zur Existenz vs. Nicht-Existenz des Propheten ebenso wenig zu erkennen ist wie in dessen vermeintlichen „negativen Seiten“, wobei hinzufügen wäre, dass im Falle einer Nicht-Existenz auch jene „negativen Seiten“ nicht existiert hätten. Kalisch postuliert: „Alle psychologische Wahrscheinlichkeit spricht dafür, dass negative Nachrichten über eine Person, überliefert von den eigenen Anhängern, wohl der Wahrheit entsprechen, denn die eigene Anhängerschaft tendiert gewöhnlich eher zu einer Idealisierung.“[34]

Hierzu sollte er zum einen darlegen, welche Verhaltensweisen er als „die negativen Seiten“ charakterisiert, da der Begriff „negativ“ auf einen Charakter bezogen bereits Subjektivität beinhaltet und zum anderen den bei ihm sonst für so bedeutsam erachteten Kontext dieser Charakterisierung nicht aus dem Auge verlieren. Wenn Kalisch darauf abhebt, dass von manchen islamischen Theologen tatsächliche oder vermeintliche Negativberichte für frei erfunden interpretiert würden, um ihr „Wunschbild vom Propheten“ aufrecht zu erhalten, sollte er sich entgegen halten lassen, dass er gerade auf jene nicht erläuterten „Negativberichte“ Bezug nimmt, um die prophetische Existenz in Abrede zu stellen. Bei der Unterstellung an die Majorität der Muslime, den Charakter des Propheten für die Aufrechterhaltung ihres Weltbildes zu beschönigen und zurechtzubiegen, muss er sich im Gegenzug vorhalten lassen, nicht untersucht zu haben, ob eventuelle „Positivberichte“ von Nichtmuslimen seine Existenz und die ihm vom Islam zugeschriebenen Charaktereigenschaften nicht doch bestätigen.

Ein Islam ohne Prophet

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