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3. Zur „Dekonstruktion“ des heutigen Begriffs

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„Am Anfang war die Fragmentierung“: Diese treffende Feststellung von Olivier Jouanjan in Bezug auf das öffentliche Recht[31] mag wohl auch für die Verfassungsgerichtsbarkeit gelten. „Verfassungsgerichtsbarkeit“ im heutigen umfassenden, funktionell abstrakten Sinne war während eines guten Teils dieser Entwicklung keine Selbstverständlichkeit. Die historischen Erscheinungen des gerichtsförmigen Verfassungsschutzes in Europa traten zunächst in unterschiedlichen Ausgestaltungen in Europa auf. Insofern ist Verfassungsgerichtsbarkeit das Endergebnis und die Summe einer Reihe von zum Teil parallelen Entwicklungen, die auf unterschiedliche Art und Weise dazu dienten, die Verfassung operativ in Bezug auf ihre ebenfalls verschiedenen Finalitäten wirksam zu machen. Die Ziele, die die Verfassung im Laufe ihrer Entwicklung verfolgt hat, haben sich in entsprechend vielfältigen richterlichen Verfassungsgarantien niedergeschlagen.

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In diesem Sinne und aus unserer heutigen Perspektive zeigt sich die Verfassungsgerichtsbarkeit als ein proteisches Phänomen, soweit sie die Fähigkeit besitzt, sich den verschiedenen Zielen, die die Verfassung in ihrer Entwicklung verfolgt hat, anzupassen. Nun entwickeln sich diese diversen Institutionen des gerichtsförmigen Verfassungsschutzes nicht uniform: Viel hängt von der Eigenart der jeweiligen Verfassungsbestimmungen und deren jeweiligen Schwachpunkten ab. Was vor allem zählt ist, dass diese spezifischen – und zeitlich parallel verlaufenden – Ausgestaltungen der justizförmigen Gewährleistung der Verfassung dem abstrakten Begriff der Verfassungsgerichtsbarkeit vorausgegangen sind.[32]

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Aus all dem folgt, dass sich die Verfassungsgerichtsbarkeit in ihrer Entwicklung in Europa als ein Kompositum von an sich weitgehend autonomen Phänomenen darstellt. Ausgehend hiervon stellt sich methodologisch zunächst die Aufgabe der Dekonstruktion, d.h. einer separaten Behandlung der Hauptelemente dieser Entwicklung. Im Rahmen einer allgemeinen Behandlung des Stoffes ist allerdings Selektion dringlich geboten. In Anbetracht dessen werden drei Haupterscheinungen dieser Entwicklung als die Säulen oder vielleicht besser die Entwicklungspfade, an denen sich der heutige Verfassungsgerichtsbarkeitsbegriff später emporgerankt hat,[33] ausgewählt.

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Sowohl wegen seiner räumlichen Verbreitung als auch wegen seiner auffälligen Permanenz soll das „richterliche Prüfungsrecht“ als erster dieser Entwicklungspfade betrachtet werden: Lange Zeit hat es als „das Alpha und Omega“ der Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa fungiert. Als zweite Säule sollen die judizialisierten Verfassungskonflikte sowohl in Form von Organstreitigkeiten wie auch von föderalen Streitigkeiten behandelt werden: Insofern handelt es sich eigentlich um eine Doppelsäule. Als dritte und letzte Säule kommt die richterliche Gewährleistung der Grundrechte ins Spiel: Diese „Bürgergerichtsbarkeit“ bildet den Berührungspunkt par excellence zwischen Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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