Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Monica Claes - Страница 17

b) Die monarchische Schwierigkeit

Оглавление

35

Aus unterschiedlichen Gründen ist man sich heute einig, dass es aus prinzipiellen oder strukturellen Gründen unmöglich ist, die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen unter den verschiedenen Varianten, die das Modell der konstitutionellen Monarchie in Europa annimmt, gerichtlich zu prüfen.[51] Bei der Darlegung dieser These werden vor allem die verschiedenen Konfigurationen der im deutschen Verfassungsraum geltenden Verfassungen berücksichtigt,[52] die aber auch für die Staaten im Süden Europas gelten.[53] Sowohl die paktierten wie die oktroyierten Verfassungen sind durch ein System der Verteilung der legislativen Gewalt zwischen dem Monarchen und der nationalen Vertretung gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang erweist sich das Bestehen der königlichen Sanktion der Gesetze in diesen Verfassungsformen während des gesamten Zeitraums als dysfunktional. Auch das Vorhandensein eines besonderen Verfahrens zur Revision der Verfassung, das sich vom Gesetz unterscheidet, erscheint letztlich sinnlos. Die Vorstellung, dass die Verfassung nicht der apex, sondern einfach Bestandteil des Rechtssystems sein könnte, ist enorm schwach, mit offensichtlichen Folgen für den Gedanken einer eventuellen direkten Anwendung der Verfassung.

36

Allerdings gibt es eine theoretische Tradition des liberalen Konstitutionalismus im umgekehrten Sinne, selbst in diesem Raum, in der das Schicksal von eventuell „verfassungswidrigen“ Gesetzen nicht zweifelhaft ist: schon an dieser Stelle ist der Name Robert von Mohl als eines der repräsentativsten Vertreter dieser Auffassung im deutschsprachigen Raum zu nennen.[54] Aber es gibt weitere bedeutende Namen in dieser Strömung, die in ihren jeweiligen Ländern äußerst einflussreich sind: Johan Rudolph Thorbecke in Holland,[55] Torkel H. Aschehoug in Norwegen,[56] wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg bei der Einflussnahme auf die Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit in ihrem jeweiligen Land.

37

In diesem Zusammenhang verdient jedoch ein, allerdings wenig verbreitetes, Verfassungsmodell besondere Erwähnung, sowohl um seiner selbst willen als auch wegen seiner Fähigkeit, das als Regel erscheinende Modell zu erklären: nämlich der Fall von Verfassungen, die als Grundlage eines neuen Staates dienen, einschließlich der Einsetzung eines Monarchen als dessen Staatsoberhaupt. Der bekannteste Fall ist der der belgischen Verfassung von 1831, die mit der Erklärung Belgiens als unabhängiger Staat zusammenfällt.[57] Hier wird nicht die Verfassung vom Monarchen, sondern der Monarch von der Verfassung eingesetzt.[58]

38

Es sollte daher nicht überraschen, dass im Falle Belgiens die Verfassung seit Anbeginn als Teil der Rechtsordnung angesehen wird: Die Cour de cassation prüft von Anfang an die Verfassungsmäßigkeit der von den Gerichten erlassenen Urteile im Hinblick auf ihre ausreichende Begründung (Art. 149 BV). Die Prüfung der Rechtmäßigkeit – einschliesslich der Verfassungsmäßigkeit – der Verordnungen der Exekutive ist Ausdruck der Normativität der Verfassung (Art. 159 BV).[59] Und seit Anbeginn besteht dort eine Kultur der normativen Verfassung, die der ihrer Nachbarländer weit überlegen ist.[60]

39

Auf dieser Grundlage hat die Erklärung des Umstandes, dass die Gerichte sich für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen für unzuständig halten, nicht so sehr prinzipielle Ursachen, sondern hat eher mit der zweiten der genannten Schwierigkeiten zu tun. Nochmals verdeutlicht der Fall Belgiens diese Schwierigkeit: Die Verfassung ist zweifelsohne normativ, ist älter als und steht über den Staatsgewalten, und dennoch gilt über mehr als ein Jahrhundert der Entscheid der Cour de cassation vom 23. Juli 1849, der die ausschließliche Zuständigkeit des Gesetzgebers zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und das entsprechende richterliche Prüfungsverbot proklamierte.[61]

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх