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Die Geschichte als Plot
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Obwohl sich die deutsche Erzählforschung grosso modo auf die Diskursebene der Erzählung konzentriert hat, ist die Ebene der Geschichte natürlich ebenso wichtig. Dazu muss zunächst vorausgeschickt werden, dass es mir hier nicht so sehr um die Fabel, sondern um den Plot geht, also um die bereits logisch und motivational strukturierte Geschichte, die ihrer Medialisierung als Erzählung bzw. Film oder Drama vorausgeht. (Vgl. Kapitel I.)
Die Ebene der Geschichte wird in den meisten Erzähltheorien einmal axiomatisch als Kombination von Schauplatz (setting) und Charakteren (actants) dargestellt. Paradoxerweise sind so die Basiselemente traditioneller Geschichte nur existenziell, daher statisch, veranlagt. Charaktere und Setting figurieren im Erzähltext meist als Beschreibungspassagen. Erst durch Handlungsabfolgen – durch die Handlungen der Figuren – entsteht die zeitliche Grundkonstellation. So unterscheidet Chatman auf der story-Ebene zwischen events und existents. Sieht man Charaktere allerdings als prototypisch menschlich an, dann kann man ihre Handlungen als Teil ihrer existenziellen Befindlichkeit erfassen und auch den Schauplatz dynamisch sehen, nämlich als Umwelt, die Ereignisse und Entwicklungen, die von außen auf die Protagonisten einwirken, inkludiert. Die beste Übersicht über die Plotforschung ist die von Jan-Philipp Busse in Wenzel (2004).
Plotstränge
Während die Arbeiten von Propp und Bremond sich auf die Strukturierung linearer Sequenzen beschränkten – in Märchen sind schließlich die Taten des Helden auf seinem Weg zur Erfüllung der ihm gestellten Aufgaben zentral –, rückten später die Verknüpfung und Diversifizierung von Plot-Strängen ins Zentrum der Aufmerksamkeit. So haben längere Werke oft mehrere Schauplätze und mehrere Handlungsträger, die strukturell miteinander verknüpft werden müssen, entweder durch Schauplatzwechsel oder Zeitsprung oder durch diskursiven Wechsel vom Landhaus in die Stadtwohnung, von der Armee im Feld zur Familie in ihrem Haus. Dabei ergeben sich auch komplizierte Probleme, wie die verschiedenen Protagonisten und ihre Geschichten zeitlich miteinander abgestimmt werden können. Eine beliebte Technik ist die, dass bei Aufeinandertreffen von zwei Personen(gruppen) die Erzählung in einer Rückschau auf die Vorgeschichte der neu eingeführten Personen eingeht und so deren Geschichte auf den aktuellen Stand bringt. Im Drama sind Botenberichte üblich; manchmal werden Briefe (also Binnenerzählungen) zu diesem Zweck eingesetzt.
Alternative Welten
In der Forschung ist in letzter Zeit besonders auf virtuelle Handlungsketten und auf logisch unvereinbare Handlungsstränge verwiesen worden (Ryan 1991). So verfolgen Leser die möglichen Ereignisentwicklungen, auf die Protagonisten hoffen, mit Empathie (z.B. die Hoffnung, dass der Held seine geliebte Dame erhält, während im tatsächlichen Plot dieses Happy End durch hereinbrechende Ereignisse vereitelt oder hinausgezögert wird). Postmoderne Erzählungen haben auch die Strategie der Uchronie (Rodiek 1997) oder des parahistorischen Romans populär gemacht (Helbig 1988): In solchen Texten werden Ereignisse geschildert, die von der Geschichte abweichen – z.B. die Alliierten verlieren den Zweiten Weltkrieg wie in Philip K. Dicks The Man in the High Castle (1962). Auch verschiedene nebeneinander liegende Welten in manchen Science-Fiction-Romanen stellen an die Struktur des Plots hohe Anforderungen. Die Verzweigungen im Plot, die typisch für die ontologischen Spiele der Science-Fiction sind, sind bereits bei Bremond angesprochen, der bei jedem Handlungsschritt eine Entscheidung zwischen zwei alternativen Zügen ansetzt, also z.B.: der Held kommt zum Schloss und (A) tritt ein oder (B) reitet weiter. In interaktionellen Cybertext-Erzählungen kann hier z.B. der Leser entscheiden, ob die Geschichte mit A oder B weitergeht. In den Geschichten mit alternativen Plot-Strängen sind beide Ereignisse ‚real‘, A und B und die daraus folgenden Entwicklungen existieren nebeneinander. Hilary Dannenberg hat diese Experimente unter dem Titel „ontological plotting“ diskutiert (2004b).
Von der Geschichtsebene wenden wir uns nun der kommunikativen Ebene und somit dem Erzähler zu.