Читать книгу In einer Welt von Glas - Morris L. West - Страница 10
Magda
ОглавлениеParis
Heute vormittag um zehn Uhr, während ich in meiner vertrauten Suite im Crillon frühstückte, brachte mir ein Page einen Brief. Der Junge sagte, ein livrierter Chauffeur warte unten auf eine Antwort. Der Brief war von Basil Zaharoff.
Verehrte Madame, unsere gemeinsamen Freunde, die Brüder Ysambard, sind ausgezeichnete Bankiers, aber in Herzensangelegenheiten sind sie wie Kinder. Ich gab ihnen den Auftrag, ein zwangloses Zusammentreffen mit Ihnen bei einem Souper in meinem Hause zu arrangieren. Sie haben den Auftrag verpatzt. Ich kann nur hoffen, daß sie mich in Ihren Augen nicht diskreditiert haben. Ich habe den ernsthaften Wunsch, Sie kennenzulernen, da ich seit langem Ihre Schönheit, Ihren Stil und Ihren unabhängigen Geist bewundere. Wollen Sie mir die große Ehre erweisen, heute abend mit mir zu speisen? Wenn Sie einverstanden sind, werde ich Sie persönlich um acht Uhr abholen. Glauben Sie mir, ich bin nicht das Ungeheuer, zu dem ich manchmal abgestempelt werde. Ich habe ein gesundes Mißtrauen gegenüber meinen Mitmenschen, bin aber ein glühender Verehrer der Frauen. Bitte, sagen Sie, daß Sie kommen werden!
Z. Z.
Das doppelte »Z« war mit herrischem Schwung über die gesamte Breite des Blattes geschrieben. Er wußte, daß ich die Einladung annehmen würde. Warum auch nicht? Ich kam mir vor wie Eva, der die alte Schlange zublinzelt, um ihr ein zweites Stück des Apfels vom Baume der Erkenntnis anzubieten. Ich hatte den Garten Eden seit langem verlassen. Was hatte ich zu verlieren? Ich schrieb rasch ein Billett, in dem ich seinen Vorschlag annahm und ihn einlud, vorher in meinem Salon ein Glas Champagner zu trinken.
Dann rief ich meinen Couturier an und bat ihn, um die Mittagszeit einige Roben für mich bereitzuhalten. Anschließend veranlaßte ich, daß André mir um fünf Uhr dreißig meine Frisur herrichtete. Beide waren entzückt, von mir zu hören. Das Leben sei seit einiger Zeit ziemlich eintönig geworden, nun hofften sie, ich würde in Paris wieder für Aufregung sorgen.
Die Ankunft Basil Zaharoffs kündigte sich durch Geschenke und erklärende Begleitbriefchen an: ein großes Blumenarrangement, »denn dies ist ein festlicher Anlaß«; ein Parfümflacon, »hergestellt in meiner eigenen Parfümerie in Grasse«; eine Schüssel mit geeistem Kaviar, »zum Champagner«. Im Gegensatz zu diesem Aufwand war der Mann selbst ein Inbegriff diskreter Zurückhaltung. Trotz seiner levantinischen Herkunft war Basil Zaharoff das Abbild eines europäischen Aristokraten. Er war groß, hatte ausgeprägte Züge, weiße Haare und einen kleinen, makellos gepflegten Spitzbart. Seine grauen Augen verrieten einen Sinn für Humor. Er gab sich höflich und gelassen. Seine ersten Worte waren ein Kompliment.
»Madame, Sie sind noch schöner, als ich erwartet habe.«
»Und Sie, mein Herr, sind ein außergewöhnlicher, aber angenehmer Gast.«
»Was haben Sie erwartet?«
»Eigentlich etwas Großspurigeres.«
Er schien sich über diese Worte zu freuen. Ich spürte, daß er Schmeicheleien liebte und es gern sah, wenn Menschen vor ihm in Ehrfurcht erstarrten. Seine grauen Augen wanderten ruhelos im Raum umher. Sein Blick schien nur auf sinnlich betonten Dingen kurz zu verweilen, aber er konnte auch, so ahnte ich, hart und furchteinflößend werden.
Ich fragte ihn: »Warum wollten Sie mich denn unbedingt kennenlernen?«
Er antwortete nicht sofort, was anscheinend zu seinen Tricks gehörte. Er ließ sich wohl immer Zeit zum Nachdenken, bevor er selbst die einfachste Frage beantwortete. Er öffnete die Champagnerflasche mit Bedacht, schenkte zwei Gläser ein und reichte mir eines. Dann sagte er: »Trinken wir auf unsere Begegnung, bevor wir versuchen, eine Erklärung für sie zu finden. Auf eine neue Freundschaft und eine lange!«
Wir tranken. Er häufte etwas Kaviar auf ein Stück Toast, überreichte es mir und wartete auf mein Urteil. Erst dann beantwortete er meine Frage.
»Warum ich Sie kennenlernen wollte? Sie haben einen erfrischend unkonventionellen Ruf. Sie verfügen über Schönheit, Stil und eine gewisse Bedenkenlosigkeit, die ich bewundere. Sie sind alt genug, um sich nichts vorzumachen, und ich bin zu alt, um mich bei kleinen Jüngferchen zu langweilen, die gerade aus dem Internat kommen. Und dann, natürlich ...« Er hielt etwas inne, um die Spannung zu erhöhen. »... Dann ist da noch die Tatsache, daß ich vor vielen Jahren Ihre Mutter kannte. Ich glaube, ich schuldete mir das Vergnügen, die Tochter kennenzulernen, die ihrer Mutter so ähnlich ist.«
Ich empfand zunächst einen gelinden Schock, und dann ärgerte ich mich plötzlich, weil mein Schutzwall so rasch durchbrochen war. Ich erwiderte kühl, daß ich von meiner Mutter nichts wisse, nicht einmal ihren Namen. Zaharoff ließ sich nicht anmerken, ob er überrascht war.
»Das hat seine Gründe. Ich bin nicht sicher, ob es vernünftige Gründe waren, aber die Menschen sind eben manchmal töricht. Ihr Vater war ein brillanter Mann; aber auch er konnte töricht sein – wie alle Ungarn.«
»Haben Sie auch Papa gekannt?«
»Ja, eine Zeitlang. Aber dann verloren wir, wie das Leben so spielt, den Kontakt ... Aber lassen wir die alten Erinnerungen bis nach dem Essen ruhen. Erst wenn Menschen einander kennengelernt haben, gewinnt die Vergangenheit an Bedeutung, und die Zukunft kommt von allein ... Übrigens, darf ich Sie Magda nennen?«
»Natürlich.«
»Und Sie sollten mich Zet-Zet nennen ... Das tun alle meine Freunde.«
Einmal mehr hütete ich mich instinktiv, eine Bemerkung zu machen. Ich konnte mir meinen Reim darauf machen. Hatte er nicht gesagt, ich sei alt genug, um mir nichts vorzumachen? Es war klar, daß er die Spielregeln für eine eventuelle Beziehung festlegen wollte. In einer solchen Beziehung würde über allem das doppelte »Z« stehen. Zet-Zet würde die Bankaufträge unterschreiben; Zet-Zet würde das Frühstück ans Bett bestellen oder mit einem Heben der Braue den Liebesakt befehlen; Zet-Zet hätte ebensogut eine Verbannung oder eine Exekution anordnen können – aber liebenswürdige Briefe schrieb er tatsächlich!
Er war auch ein sehr liebenswürdiger Gastgeber. Wir dinierten à deux in seinem Haus. Das Personal trug Livree, das Geschirr war altes Sèvres-Porzellan, das Besteck aus Gold und das Tischtuch in Florenz bestickt. Zaharoff ging über diesen Aufwand mit betonter Gleichgültigkeit hinweg. Aber dem Menü widmete er sich mit großer Aufmerksamkeit, und er ließ seine aktive Rolle bei dessen Zubereitung durchblicken. Die pâté war nach seinem eigenen Rezept hergestellt die Kräuter für die Suppe hatte er selbst ausgesucht, den Braten tranchierte er persönlich. Er hatte für diesen Anlaß auch ein kleines Wortspiel parat: Für die Welt sei er maître des forges, ein altmodischer Schwerindustrieller wie Krupp oder Schneider, aber hier zu Hause sei er ein maître d’hôtel, der seinem Koch noch dieses oder jenes beibringen könne. Er machte viel Aufhebens von den Weinen, machte mich mit pedantischer Genauigkeit auf jede Sorte aufmerksam und beobachtete neugierig, wie ich auf die verschiedenen Kreszenzen reagierte. Ich fragte mich, ob ich als Kandidatin fürs Bett oder den Kasinobetrieb von Torpilles Whitehead getestet wurde.
Zaharoffs Alter schätzte ich auf Mitte Sechzig. Ich vermutete außerdem, daß er ein anregender Bettgenosse sein müsse, was die Franzosen très vert nennen. Er war eine sportliche Erscheinung. Sein Händedruck war fest und trocken. Keine Gelegenheit zu wenn auch noch so flüchtigem körperlichen Kontakt ließ er sich entgehen.
Ich für meinen Teil hatte gegen seine kleinen Tricks nichts einzuwenden. Ich bin auf erotischem Gebiet immer neugierig und habe mit Männern in Zaharoffs Alter einige sehr angenehme Überraschungen erlebt. Trotzdem nahm ich mir vor, vorsichtig zu bleiben. Romantische Szenen, die plötzlich außer Kontrolle geraten konnten, wollte ich nicht mehr, und außerdem lag irgendwie etwas Drohendes in der Luft.
Als wir zum Mocca in den Salon gingen, fragte ich ihn wie nebenbei: »Sie sagten, Sie hätten meine Eltern gekannt?«
Er lächelte und tätschelte meine Hand, als wolle er mich für meine Geduld loben. »Lassen Sie mich nachdenken ... Erst lernte ich Ihren Vater kennen, Anfang der sechziger Jahre. Ich war in Athen, ein junger Einwanderer aus der Levante, der versuchte, in der griechischen Hauptstadt seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich trieb mich in der Nähe des Hotels Grande-Bretagne herum, gab dem Portier täglich ein Trinkgeld, damit dieser mir erlaubte, Kundschaft für die Andenkengeschäfte anzuwerben und als Fremdenführer einzelner Touristen zu fungieren. Ihr Vater war im Grande-Bretagne abgestiegen. Er war ein gutaussehender und offenbar wohlhabender Junggeselle in den besten Jahren, an den sich im Hotel alle Frauen im heiratsfähigen Alter heranzumachen versuchten. ...
Der Portier berichtete, er heiße Graf Kardoss, sei Sproß einer alten ungarischen Familie, wohne in Wien und sei von Beruf Chirurg. Er würde, wie der Portier weiter erzählte, begeistert Antiquitäten und erotische Abenteuer sammeln. Wenn ich mit ihm auskommen könne, würde er mich ihm empfehlen. Genau dies geschah. Ihr Vater entlohnte mich großzügig, und ich bewahrte ihn vor Schwierigkeiten und achtete darauf, daß man ihn nicht betrog. Als er abreiste, waren wir fast Freunde geworden, wenn so etwas überhaupt zwischen einem ungarischen Aristokraten und einem kleinen Straßenjungen aus Tatavla möglich ist.
Das nächste Mal traf ich ihn ein Jahr später in London wieder. Ich wollte dort mit etwas Kapital, das ich von einem Onkel geborgt hatte, ein Importgeschäft aufmachen. Ihr Vater arbeitete als Assistent bei einem berühmten Londoner Chirurgen, der sich auf Gynäkologie spezialisiert hatte. Wir begegneten uns zufällig an einem Sonntagmorgen im Saint James’ Park. Ihr Vater ging dort mit einer der schönsten Frauen spazieren, die ich bis dahin gesehen hatte. Er machte keine Anstalten, mich vorzustellen. Offenbar wollte er mich so schnell wie möglich wieder loswerden. Wir tauschten Karten aus und verabredeten uns für einen Wochentag zum Mittagessen in einem bescheidenen griechischen Restaurant in Soho.
Bei diesem Essen erklärte mir Ihr Vater seine Situation. Die junge Dame war die Gattin einer hochgestellten Persönlichkeit im Stab des Vizekönigs von Indien. Die Dienstzeit ihres Mannes sollte noch zwölf Monate dauern, doch die Dame war schon zurückgekehrt, weil das ungünstige indische Klima ihrer angegriffenen Gesundheit nicht bekam. Der berühmte Chirurg war ihr Arzt; sein Assistent, Ihr Vater, ihr Geliebter. Ich erlaubte mir die Bemerkung, sie sehe so gesund aus wie ein Fisch im Wasser. Ihr Vater lachte und meinte, sie sei nicht nur gesund, sondern erwarte auch ein Kind von ihm.
Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß er und die Dame ruiniert wären, wenn die Sache ruchbar würde, und daß eine diskrete Abtreibung wohl der beste Ausweg sei. Ihr Vater sagte mir, sie hätten eine andere Lösung erwogen. Er würde sofort aufs Festland zurückkehren und in Baden-Baden eine Arztpraxis eröffnen. Die Dame sollte kurz darauf unter dem Vorwand, Freunde im Ausland besuchen zu wollen, nachfolgen. Aus sicherer Distanz hätte sie dann in aller Stille mit ihrem Gatten ins reine kommen, eine Scheidung arrangieren, ihr Baby zur Welt bringen und ein glückliches Leben an der Seite ihres geliebten Arztes führen können. »Jedoch«, Zaharoff stieß recht theatralisch einen Seufzer des Bedauerns aus, »es sollte anders kommen.«
»Offensichtlich. Was geschah nun wirklich?«
»Ihr Vater verließ London und fuhr wie geplant nach Baden-Baden. Er war eine überzeugende Persönlichkeit mit vielen Beziehungen, und die Praxis in dem Kurort florierte schnell. Die Dame blieb noch so lange in London, wie es ihr Zustand erlaubte. Dann machte sie sich in Begleitung ihrer Zofe Lily Mostyn auf den Weg zu Freunden auf dem Kontinent. Sie würde, erklärte sie allen, rechtzeitig zurücksein, um ihren Mann zu begrüßen, wenn das Schiff aus Indien eintraf ... Und sie war auch pünktlich zur Stelle.«
Ich sah ihn fassungslos an. Er zuckte bedauernd mit den Achseln.
»Sie lebte bei Ihrem Vater, bis Sie geboren wurden und sie sich vom Wochenbett erholt hatte. Dann ging sie eines Tages allein aus dem Haus und ist nie wieder zurückgekommen. Sie wurden einer Amme anvertraut, und Lily Mostyn blieb da, um Ihrem Vater bei Ihrer Erziehung zu helfen.«
»Und meine Mutter?«
»Sie kehrte zu ihrem Mann zurück, der kurz darauf in Westengland einen Herzogstitel erbte. Sie schenkte ihm einen Erben, pendelte bis an ihr Lebensende zwischen London und dem Landsitz der Familie hin und her und wurde neben ihrem Gatten in der Ortskirche beigesetzt.«
»Kein Wunder, daß mein Vater sie haßte.«
»Ich glaube, auch Ihre Mutter hatte genügend Grund zur Klage«, wies mich Zaharoff sanft zurecht. »Ihr Vater war ein unverbesserlicher Weiberheld. Tag und Nacht stellte er den Frauen nach. Er nahm alles, was einen Rock trug ... Sie müssen es ja wissen.«
Ich erröte nicht leicht, aber dieser letzte, spöttische Satz trieb mir das Blut in die Wangen. Wütend fuhr ich Zaharoff an: »Woher wollen Sie dies alles wissen?«
»Mein ganzes Geschäft hängt vom Gutinformiertsein ab. Meine Mittelsleute werden gut bezahlt und arbeiten sehr gründlich.«
Zu spät erinnerte ich mich an Manfred Ysambards Hinweis, daß Basil Zaharoff den besten privaten Nachrichtendienst der Welt unterhalte. Ich fragte mich, wieviel er sonst noch von mir wußte, und fragte ihn direkt danach.
Seine Antwort war zwar freundlich, aber erschütternd: »Ich besitze, glaube ich, eine authentische Biographie. Was Ihren akademischen Werdegang betrifft, so war beispielsweise für eine Frau das Medizinstudium noch etwas ganz Ungewöhnliches. Ich weiß über Ihre Ehe und den frühen Tod Ihres Mannes Bescheid. Ich kenne Ihre Finanzlage, die zwar solide ist, aber noch verbessert werden könnte. Ich bin über die Probleme informiert, die Sie mit Ihrer Tochter haben. Ich habe ziemlich vollständige Unterlagen über Ihre Liebesabenteuer ...« Ich öffnete den Mund, um zu protestieren, aber er schnitt mir mit erhobener Hand das Wort ab. »Bitte! Keine Aufregung! Es ist keine Schande und kein großes Geheimnis. Mir gehören einige der Häuser, wo Sie verkehren: das von Gräfin Bette zum Beispiel, die Orangerie in Nizza, hier in Paris den Club Dorian’s. Manche meiner Geschäfte fangen in diesen Häusern an. Bettgeflüster ist der Auftakt zu allen möglichen Transaktionen: es verschafft den Zugang zu Absatzmärkten für Mörser, Feldgeschütze, Unterseeboote, Edelstahl ... Sie würden sich wundern!«
»Jetzt nicht mehr.« Ich gab mich mit Anstand geschlagen. »Sie können einem angst machen.«
»Ich könnte dasselbe von Ihnen sagen, Madame. Wir würden gut zusammenarbeiten.«
»Zusammenarbeiten?« Ein so unverblümtes Angebot hatte ich nicht erwartet.
»Warum nicht? Wir können alles gewinnen und nichts verlieren. Lassen Sie mich offen sprechen. Wir beide sind Außenseiter – und stehen gewissermaßen mit einem Fuß außerhalb des Gesetzes. O ja, ich kenne die Geschichte von der Fuchsjagd und der armen Frau, die bei einem Hindernis stürzte und starb, obwohl Sie Wiederbelebungsversuche machten. Eine traurige Geschichte, die niemals widerlegt werden kann. Ich habe in meinem Leben schon Dutzende solcher Geschichten erfunden und dann mit Dokumenten bewiesen, daß es Tatsachen waren. Wir Außenseiter müssen vorübergehend untertauchen, Decknamen annehmen, all diesen Unsinn. Aber ab einem bestimmten Punkt werden diese Spielereien unnötig. Sobald Sie genügend Macht in den Händen halten – und ich tue es, glauben Sie mir! –, kümmert sich kein Mensch mehr darum, ob Sie Großindustrieller, Bordellchef oder der Dalai Lama sind.«
»Riskieren Sie denn nichts, wenn Sie mir das alles erzählen?«
»Dieses Wissen ist gefährlich für Sie, Madame, nicht für mich. Seien Sie also ruhig, und hören Sie mir zu!« Seine Haltung hatte etwas Bedrohliches angenommen. Mit kaltem Blick beobachtete er jede meiner Regungen, während er weitersprach: »In Europa kommt es zum Krieg. Ich kann Ihnen sogar ungefähr sagen, wann: im Sommer nächsten Jahres. Ich werde hier in Paris sitzen und diesen Krieg entscheidend mitbestimmen – mit Vickers-Kanonen und Whitehead-Torpedos, mit Krupp-Stahl und französischem Nickel, mit Skoda-Fahrzeugen, Schiffen von Clyde und Schweizer Präzisionsinstrumenten. Ich bin der Geschäftsmann, zu dem alle kommen müssen; ich bin der Stahlproduzent für die Armeen der Welt und der Bordellbesitzer für die Generale und Politiker.«
»Und wie soll ich in dieses großartige Bild passen?«
Er grinste mich über den Rand seines Cognacglases hinweg an. Plötzlich war er wieder der Straßenjunge mit dem schlauen Lächeln, der die Touristen im Grande-Bretagne ausnahm.
»Sie werden die ›Madame‹ des größten Freudenhauses der Welt mit Filialen in jeder Hauptstadt und Klienten von jedem Hof und jedem Kabinett sein. Sie werden bei mir Gastgeberin spielen, wenn ich Sie brauche, und die Geliebte jedes Mannes oder jeder Frau meiner Wahl sein. Was Sie dabei nebenher verdienen, ist Ihre Sache; aber Sie erhalten ein garantiertes Einkommen von jährlich einhunderttausend Pfund Sterling, das monatlich auf einer Schweizer Bank einbezahlt wird. Kleider, Fahrtspesen, Unterkunft und – wie soll ich mich ausdrücken? – die notwendige mise en scène, alle diese Kosten werden von mir übernommen.«
»Ein großzügiges Angebot.«
»Sie werden jeden Penny wert sein.«
»Und danach?«
»Was heißt ›danach‹?«
»Ich brauche eine Altersversorgung – eine Versicherung, wenn Sie so wollen.«
»Sie erhalten selbstverständlich, wenn Sie sich zur Ruhe setzen, eine beträchtliche Abfindung. Aber Versicherung? Ich will ganz offen mit Ihnen sein, meine liebe Magda. Ihre beste Lebensversicherung ist mein stetiges Wohlwollen. Wenn Sie das verlieren, sind Sie auf der Einbahnstraße ins Nichts.«
Diesen Punkt stellte ich nicht in Frage. Das glaubte ich ihm sofort. Statt dessen fragte ich: »Wieso kommen Sie auf den Gedanken, ich sei für dieses Metier geeignet?«
Er hatte sich auch diese Antwort schon überlegt und schnurrte sie herunter wie eine Einkaufsliste. »Punkt eins: Sie sind eine hübsche und intelligente Frau mit einem Faible für sexuelle Erlebnisse. Diese Veranlagung ist mein Vorteil. Punkt zwei: Sie sind finanziell unabhängig und deshalb unbestechlich. Punkt drei: Sie sind Ärztin, wissen allerlei über Drogen, Gifte und deren Anwendung in gewissen zwischenmenschlichen und politischen Situationen. Punkt vier: Durch Ihre Laster sind Sie gefährdet. Ihre Loyalität wird durch Ihr Schutzbedürfnis garantiert. Punkt fünf: Sie können nur in einer künstlichen Umgebung gedeihen, und ich bin der geeignetste Mann auf der Welt, Ihnen diese zu bieten ... Klingt das sinnvoll?«
»Wenn Sie es sagen, ja. Sie sind ein Künstler der Überredung, Zet-Zet. Ich möchte mir dies alles aber noch ein paar Tage durch den Kopf gehen lassen.«
»Selbstverständlich. Man darf einen solchen Vertrag nicht leichtfertig abschließen. Er läßt sich nämlich nicht so leicht wieder brechen.«
»Vielen Dank für Ihre Rücksichtnahme.«
»Aber ich bitte Sie, meine Liebe! Die besten Geschäfte schließt man nach reiflicher Überlegung ab – auch wenn der beste Liebesakt derjenige ist, der einer plötzlichen Regung folgt. Ich möchte mit Ihnen schlafen – jetzt.«
»Nichts täte ich lieber; aber ich bitte Sie, mein Freund, nicht heute nacht.« Wieder blitzte Ärger in seinem Blick auf, und ich beeilte mich deshalb hinzuzufügen: »Es würde Ihnen nicht viel Spaß machen, nicht in diesen Tagen. Aber nächstes Mal gewiß. Darf ich Sie morgen anrufen?«
»Wann immer Sie wünschen, meine Liebe. Ich bin sicher, daß wir uns noch häufig sehen werden.«
Er hob mich hoch, stellte mich auf die Füße und umarmte mich. Er küßte mich mit offenem Mund und streichelte mich mit erfahrenen Händen. Ich reagierte gerade so herzlich, daß er von meinem Interesse überzeugt sein mußte, aber ich empfand nichts. Das war bei mir nicht normal und ziemlich beunruhigend. Ich kann so leicht in Wallung geraten – sogar durch ein Lächeln, den Duft eines Parfüms oder die Berührung meiner Wange. Bei diesem Mann fühlte ich mich leblos und ausgedörrt wie ein trockenes Blatt, das vom Wintersturm herumgewirbelt wird.