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Magda

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Paris

Heute vormittag erlebte ich ein trauriges und irgendwie albernes Spektakel. Ich ging auf den Champs-Élysées spazieren, dachte an meine Nacht bei Dorian und hielt Ausschau nach einem passenden Café, um mein Frühstück einzunehmen. Ein Obstverkäufer – einer von denen, welche die Restaurants in der Nachbarschaft beliefern – kreuzte meinen Weg. Er trug einen Korb mit Orangen auf dem Kopf.

Mit der Fußspitze stieß er gegen einen Pflasterstein, und er strauchelte. Der Korb rutschte ihm vom Kopf, die Orangen rollten auf den Boden und einige platzten. Andere wurden von Schulkindern aufgesammelt oder von Passanten mit dem Fuß in die Gosse gestoßen.

Einen Augenblick blieb der Obstverkäufer hilflos und wie angewurzelt stehen und starrte der Kaskade goldener Kugeln nach. Da ich der nächststehende Augenzeuge war, fuhr er mich dann wütend an und schrie auf italienisch: »Sie sind schuld! Ja, Sie!«

Er hob die Hand, machte das Zeichen des Gehörnten, warf mir dann den Korb vor die Füße und lief davon. Seine Wut war so kindisch und seine Anschuldigung so grundlos, daß ich in Lachen ausbrach. Als ich mich aber anschließend zum Kaffee hinsetzte, merkte ich, daß ich bebte. Der Zwischenfall erschien mir nicht mehr komisch, sondern magisch und unheimlich. Plötzlich war ich wieder inmitten meines Traums. Die Orangen waren Glaskugeln, und in jeder einzelnen war mein nacktes Ich eingesiegelt, aber alle diese Ichs konnten nicht miteinander sprechen.

Es war ein Augenblick tiefsten Erschreckens – wie damals, als mein bestes Jagdpferd mit mir durchging und ich es unter Hieben so lange galoppieren lassen mußte, bis es vor Erschöpfung stehenblieb. Da war derselbe furchterregende Stachel des Bösen, den ich gespürt hatte, als ich meinen Wolfshund Alexander tot vor meiner Tür fand, mit blutigem Schaum vor dem Maul – und drei Tage danach meine Rosenlaube, die von einem Vandalen mit der Axt zusammengeschlagen worden war.

Das Zeichen des Gehörnten, das primitive Symbol der Teufelsaustreibung, war nicht bloß vulgär gemeint. Sah ich aus wie eine Hexe? Hatte ich den bösen Blick? Trug ich das Kainsmal auf der Stirn? Ich kramte in meiner Handtasche nach einem Spiegel und schaute hinein. Der Spiegel sagte mir lediglich, daß ich blaß war und daß der Mann am Tisch hinter mir versuchte, sich darüber schlüssig zu werden, ob ich eine Vormittagshure sei oder eine leichtsinnige Dame, die einen Augenblick frische Luft schöpfen wollte.

Das half mir nicht weiter. Mir wurde nur klar, daß eine Witwe, die auf den Champs-Élysées Tränen über ihrem Kaffee vergießt und nachts Bettabenteuer mit Fremden in zweifelhaften Häusern absolviert, von der Zukunft nicht viel zu erwarten hat. Mir war, als habe sich unter meinen Füßen eine Falltür geöffnet und ich fiele kopfüber in die Finsternis.

Der Mann hinter mir stand auf und trat zu mir. Er fragte höflich: »Geht es Madame nicht gut? Kann ich vielleicht helfen?«

»Vielen Dank, aber ich fühle mich ausgezeichnet.«

»Sind Madame ganz sicher?«

Ich war ganz sicher. Ebenso gewiß war, daß ich Hilfe brauchte. Nur, wohin sollte ich gehen, an wen sollte ich mich wenden? Ich spreche sechs Sprachen einschließlich Ungarisch, aber keine ist angemessen, das Leben zu beschreiben, das ich geführt habe, seit ich ein kleines Mädchen war.

Über Sexuelles läßt sich leicht reden. Ganz gleich, wie bizarr der Geschmack des einzelnen auch sein mag, aufmerksame Zuhörer findet er immer. Aber alles übrige – meine Kindheit in dem verwunschenen Schloß, die primitiven, aber eigenartig schönen Riten bei meiner Einführung in das Erwachsensein, meine Jahre an der Universität und als Ärztin im Krankenhaus – dies alles sind Geschichten aus einem fernen Land, fast von einem anderen Planeten. Ich bin nicht sicher, ob ich sie irgend jemandem begreiflich machen kann.

Außerdem fällt auf sie alle ein Schatten, der Schatten des Galgens, und es ist unmöglich, so etwas bei Kaffee und Kuchen zu erklären. Sogar Papa, der fast sämtliche menschlichen Verirrungen mit einem Achselzucken abtun konnte, hat dieses Thema nie angeschnitten. Er wußte, was ich getan hatte und warum ich es getan hatte; aber alles, womit er andeutete, daß er Bescheid wußte, war die trockene Bemerkung: »Hoffentlich sprichst du nicht im Schlaf, liebe Tochter.«

Seit Papa tot ist und mein Mann, den ich sehr geliebt habe, mir allzu früh genommen wurde, habe ich in vielen fremden Betten mit einer ansehnlichen Reihe von Männern und Frauen geschlafen. Einige wären durchaus fähig gewesen, mich zu erpressen, aber kein Mensch hat auch nur angedeutet, daß ich im Schlaf Geheimnisse preisgebe.

So weit, so gut; aber meine Ausdauer läßt nach, wie Dorian warnend meinte. Ich kann nicht auf immer und ewig diesen krassen Wechsel zwischen wüsten Ausschweifungen und tiefster Niedergeschlagenheit ertragen. Ich brauche einen festen Liebhaber, einen Freund, eine Vertraute – vielleicht gar einen Beichtvater ...

Der Gedanke ist nicht schlecht. Doch ist er für eine Frau, die nie religiös war, die allerseltsamste Lösung. Papa war ein altmodischer Vernunftmensch, der mich gelehrt hat, daß das Leben hier beginnt und hier endet und wir das Beste daraus machen müssen. »Ich habe den Lebenden den Bauch aufgeschnitten«, pflegte er zu sagen, »und die Toten seziert; aber von Gott oder einer Seele habe ich keine Spur entdeckt.«

Ich liebte Papa so sehr, daß es mir nie eingefallen wäre, auch nur ein einziges Mal seine Meinung in Frage zu stellen. Das tue ich auch jetzt nicht, aber ich spiele mit dem Gedanken, daß es ganz angenehm sein könnte, Katholikin zu werden, um dann jeden Samstag in den Beichtstuhl zu schlüpfen, alle Sünden herunterzubeten und anschließend wieder rein wie ein frisches Taschentuch aufzutauchen.

Welch ein müßiger Gedanke und wie unlogisch! Wenn man nicht an Gott glaubt und auch nicht an die Sünde – warum sich Sorgen machen? Aber die Tatsache besteht, daß du dir eben doch Sorgen machst. Du erbleichst beim Zeichen des Gehörnten, und du siehst in purzelnden Orangen eine magische Bedeutung.

Ich habe ein Schuldgefühl – nein, ich fühle mich lächerlich, und ich schäme mich, weil ich mich wegwerfe, Stückchen für Stückchen, wie Konfetti bei einer Hochzeit. Sogar eine Hure hat mehr gesunden Menschenverstand: sie verkauft, was sie hat. Das Komische ist nur, daß ein Teil meines Selbst sehr wachsam ist. Bauernschläue nannte es Papa.

Ich verwalte mein Vermögen streng geschäftsmäßig. Meine Bücher werden mit peinlicher Sorgfalt geführt, und sie weisen immer einen Gewinn aus. Ich kaufe die besten Kleider – aber ich bekomme sie mit einem Nachlaß, weil ich sie in gehobenen Kreisen zur Geltung zu bringen verstehe. Wenn ich mit Vollblutpferden handle, feilsche ich um jeden roten Heller, und bei Auktionen rieche ich eine Absprache unter den Bietern schon auf hundert Meter.

In Gesellschaft gebe ich mich zurückhaltend und diskret. Die meisten meiner Freunde wären schockiert, wenn sie wüßten, wie ausschweifend ich bei meinen Vergnügungen bin und welche Worte ich dann im Munde führe. Es gab einmal eine Zeit, da schien dieses Doppelleben ein erregendes Spiel zu sein. Jetzt ist daraus ein gefahrvolles Unterfangen geworden: ein nächtlicher Gang durch übelriechende Gassen voll drohender Schatten ...

Ich zahlte mein Frühstück und machte mich auf den Weg zum Bankhaus Ysambard Frères, um mit einem Kreditbrief Geld abzuheben. Ich hoffte, daß mich Joachim Ysambard, der ältere der beiden Brüder, zum Mittagessen einladen würde. Joachim ist jetzt über sechzig, er ist weißhaarig, geistreich und ein Frauenkenner. Vor zehn Jahren verlebten wir einen Liebessommer in Amalfi. Dann kam er zurück, um seine jetzige, seine zweite Frau zu heiraten. Es war eine ausgesprochene Vernunftehe – die dynastische Allianz mit einer alten elsässischen Bankiersfamilie. Seltsamerweise blieben wir Freunde; wahrscheinlich deshalb, weil er mich – sogar im Bett – stark an Papa erinnerte.

Er war gerade in einer Besprechung, als ich ankam, aber seine Sekretärin brachte mir eine Notiz, in der er mich bat, mich etwas zu gedulden und dann mit ihm zu essen. Inzwischen würde sein Bruder Manfred kurz mit mir sprechen. Manfred ist Anfang Fünfzig, elegant wie eine Modepuppe, von tadellosen Manieren, aber seltsam blutleer. Er war nie verheiratet. Soweit ich weiß, unterhält er auch kein Verhältnis, weder mit einer Frau noch mit einem Mann. Er hat etwas Mönchisches an sich, was ich beunruhigend und manchmal abstoßend finde. Andererseits spricht Joachim von ihm mit Hochachtung und Bewunderung.

»Manfred ist ein Genie. Er versteht das Geschäft wie kaum ein anderer. Drück ihm in Tibet als Startkapital einen Haufen Teeziegel in die Hand, und schon bald handelt er mit Wolle in Bradford, Gold in Florenz, Roheisen an der Ruhr, und auf unseren Konten in Paris erscheint jedesmal ein hübscher Profit.«

In dieser Hinsicht muß ich Joachim recht geben. Dank Manfreds Umsicht habe ich in Frankreich ein zweites Vermögen erworben. Er aber tut meine Dankesbezeigungen mit einer lässigen Handbewegung ab: »Es ist keine Zauberei, Madame. Das sind einfach Handelsgeschäfte in etwas größerem Stil als auf dem Wochenmarkt. Es kommt nur darauf an, den richtigen Zeitpunkt zu erfassen – womit wir bei Ihren Angelegenheiten wären. Joachim und ich geben Ihnen den Rat, mindestens die Hälfte Ihres Vermögens außerhalb Europas zu investieren.«

»Aus irgendeinem besonderen Grund?«

»Um das Risiko zu verteilen. Auf dem Balkan wird gekämpft. Innerhalb eines Jahres wird sich das übrige Europa im Kriegszustand befinden.«

»Wieso sind Sie denn so sicher?«

Er ließ sich zu einem schwachen, herablassenden Lächeln herbei. »Die alten Auguren betrachteten die Eingeweide von Vögeln. Wir sind viel fortschrittlicher. Wir beobachten die Bewegungen von Kohle und Erzen, von Chemikalien und Geld. Momentan hält zum Beispiel jedes Kavallerieregiment in Europa Ausschau nach jungen Militärpferden und geeigneten Stallungen. Das ist natürlich Irrsinn, die Starrköpfigkeit seniler Generäle. Nach einem Jahr moderner Kriegsführung wird das Pferd ebenso überholt sein wie das Breitschwert. Aber für den Verkauf Ihres Gestüts wäre jetzt ein ausgezeichneter Zeitpunkt.« Er hielt inne und fügte dann die spitze Bemerkung hinzu: »Ihr Ruf als Pferdezüchterin ist immer noch sehr gut. Ihr Besitz befindet sich in erstklassigem Zustand. Wir raten Ihnen, jetzt, auf dem Höhepunkt der Nachfrage, zu verkaufen und den Erlös bei Morgan in New York zu investieren. Dadurch würden Sie sich in der Neuen Welt eine sichere Basis schaffen, sollten Sie durch die Umstände gezwungen werden, Europa zu verlassen.«

Ich sagte ihm, ich könne mir keine Umstände vorstellen, die mich zwingen würden, Europa zu verlassen.

Er meinte vorwurfsvoll: »Meine liebe Frau, der Krieg ist eine höchst unangenehme Sache. Er weckt die niedrigsten Instinkte des Menschen und gibt ständig Gelegenheit, ihnen freien Lauf zu lassen. Sie sind – wie soll ich mich ausdrücken? – in der Gesellschaft wohlbekannt, aber nicht überall wohlgelitten. Sie könnten das Opfer von Klatsch, Intrigen und anderen Manipulationen werden.«

»Manipulationen? Ein merkwürdiger Ausdruck.«

»Er trifft trotzdem zu. Lassen Sie mich Ihnen etwas zeigen.«

Meine Akte lag auf seinem Schreibtisch. Er öffnete sie, zog einen Brief heraus und reichte ihn mir. Der Briefkopf lautete: SOCIÉTÉ VICKERS ET MAXIM. Das an Manfred Ysambard gerichtete Schreiben war mit einer kräftigen, weit ausladenden Handschrift abgefaßt.

Sehr geehrter Herr Kollege, ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß unser Vorstand einstimmig beschlossen hat, Ysambard Frères zum Bankhaus der Société Vickers et Maxim und der Société Française des Torpilles Whitehead zu ernennen. Wir sehen einer dauerhaften und einträglichen Geschäftsbeziehung mit Ihnen und Ihrem geschätzten Herrn Bruder entgegen. Vielleicht können wir diese mit einem Souper in meinem Hause einleiten, zu dem Sie liebenswürdigerweise auch jene ungewöhnliche und gutaussehende Klientin einladen wollen, über die wir uns in der vergangenen Woche unterhalten haben und der ich Sie bitte mich vorzustellen.

Bis bald, Z. Z.

Die Unterschrift war ein schwungvolles doppeltes »Z«. Ich fragte Manfred, wer denn der Schreiber sei. Er schien verlegen zu sein, da ich ihn zum erstenmal leicht erröten sah.

»Er heißt Basil Zaharoff und hat überall seine Hände im Spiel: Stahl, Waffen, Reederei, Presse, Banken ...«

»Und wie hat er von mir gehört?«

»Von uns nicht, das kann ich Ihnen versichern, Madame. Joachim wird es bestätigen. Zaharoff erwähnte Ihren Namen uns gegenüber. Wir waren überrascht, wieviel er über Sie wußte; aber das ist typisch für ihn. Er verkehrt in den einflußreichsten Kreisen, bei Kaisern, Königen und Präsidenten. Er unterhält das beste private Nachrichtennetz auf der Welt.«

»Und warum sollte er sich für mich interessieren?«

Ich hatte eine ausweichende Antwort erwartet, aber Manfred nahm kein Blatt vor den Mund. »Zaharoff bedient sich bei seinen Geschäften oft weiblicher Vermittlung. Für solche Hilfen und für Informationen zahlt er großzügig. Er kennt nicht nur Ihre Lebensgeschichte, sondern auch die Ihres Herrn Vaters. Nicht alle seine Andeutungen konnten wir einordnen ... Kurz gesagt, er hat Ysambard Frères einen großen Dienst erwiesen. Dafür bittet er jetzt um den bescheidenen Gefallen, Ihnen vorgestellt zu werden.«

»Und wenn ich es ablehne, ihn kennenzulernen?«

»Dann wird er andere Mittel und Wege finden, eine Begegnung mit Ihnen zu arrangieren. Er ist sehr zielstrebig.«

»Auch ich kann sehr zielstrebig sein.«

»Bitte!« In Manfreds Stimme klang ein Anflug von Verzweiflung mit. »Ich will Ihnen diesen Zaharoff genauer schildern. Er handelt in großem Stil mit Rüstungsgütern. Zum Beispiel vertritt er die britische Firma Vickers. Er möchte sehr gern auch bestimmenden Einfluß auf unseren französischen Konzern Schneider Creusot gewinnen. Was tut er also? Ganz im stillen beginnt er, Anteile an der Banque de l’Union Parisienne aufzukaufen, einem im Besitz von Schneider Creusot befindlichen Geldinstitut, das für diesen Konzern und andere französische Industriefirmen Kredite beschafft. Zaharoff sitzt bereits im Aufsichtsrat. Nichtsdestoweniger bringt er auch uns hohe Einlagen, so daß auch wir zu seinen Bundesgenossen geworden sind. Eines Tages wird er bei Schneider Creusot das Sagen haben – darauf können Sie sich verlassen. Wenn er Sie kennenlernen will, wird er dies tun; so oder so. Warum dann nicht gleich und auf elegante Art? Wir wollen nur zwei unserer geschätzten Kunden zusammenführen. Ist da so schrecklich viel dabei?«

»Was hält Joachim davon?«

»Fragen Sie ihn beim Mittagessen doch selbst.«

Die Antwort, die Joachim mir gab, war so klar wie Glockengeläut an einem Wintertag.

»Wenn auch nur die Hälfte von dem wahr ist, was man über dich redet«, sagte er, »brauchst du einen Beschützer. Wer eignet sich besser dafür als Zaharoff, der mächtigste Mann in Europa?«

»Warum brauche ich einen Beschützer, Joachim?«

»Du wirst älter.« Joachim schenkte mir ein dünnes Lächeln.

»Und wegen deiner zunehmenden Unbeherrschtheit in sexuellen Dingen.«

»Und wieso weißt du so gut Bescheid, mein lieber Joachim?«

»Etwas höre ich immer aus eigenen Quellen ...«

»Und einiges zweifellos von diesem Basil Zaharoff.«

»Stimmt.«

»Wie ist er im Bett, Joachim?«

»Woher soll ich das wissen?« Joachim schien die Frage wenig zu begeistern. »Ich vermute, daß er dich überhaupt nicht in seinem Bett haben will.«

»Wenn man dich so reden hört, könnte man meinen, er ist ein Zuhälter.«

»Es heißt, daß er auch so angefangen hat: als Schlepper für die Freudenhäuser in Tatavla.«

»Klingt, als liege das am Ende der Welt.«

»Es ist das alte Griechenviertel von Konstantinopel.«

»Und jetzt läßt dieser Grieche, Türke oder was immer er ist Joachim Ysambard als Kuppler für sich arbeiten!«

Es war ein absichtlicher Affront, aber ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Joachim steckte die Beleidigung schweigend ein.

Dann sagte er einlenkend, als müsse er sich entschuldigen: »Ich wollte, ich könnte dir antworten, daß Bankiers sauberere Hände haben als Bordellbesitzer. Aber es ist nicht so. Wir stecken Millionen in Kanonen, Sprengstoff und Giftgas. Wir verleihen Geld in aller Welt, damit wir nichts verlieren, welche Seite auch gewinnen mag. Eigentlich sollte ich mich schämen, aber ich tue es nicht. Ich arbeite für Geld, ich habe um das Geldes willen geheiratet, nur du warst eine der wenigen Schwächen, die mich Geld gekostet haben.«

»Möchtest du jetzt die Schuld eintreiben?«

»Sei nicht so gemein! Außerdem erweise ich dir einen Gefallen. Zaharoff braucht eine Frau, die seine Salons führt und sich um seine Klienten kümmert. Du wirst wie eine Herzogin residieren.«

»Damit er mich hinterher wie ein geschwängertes Zimmermädchen auf die Straße setzt. Nein, vielen Dank!«

»Wie du willst, selbstverständlich.« Joachim gab sich betont formell. »Und jetzt zu deinen finanziellen Angelegenheiten ...«

»Ich möchte euren Rat befolgen. Wir werden den Grundbesitz und das Gestüt verkaufen, um den Erlös in den Vereinigten Staaten anzulegen. Was könnte ich noch liquidieren?«

»Manfred und ich stellen eine Liste auf. Wir werden darüber sprechen, solange du in Paris bist. Wo kann man dich erreichen?«

»Ab morgen im Crillon. Ich habe beschlossen, wieder unter die Leute zu gehen.«

»Bitte, überleg dir die Sache mit Zaharoff noch einmal!«

»Gewiß, Joachim. Und vielen Dank dafür, daß du meine Interessen so gut wahrnimmst.«

»Stets zu Diensten, meine Liebe.«

Damit war ein weiteres Kapitel abgeschlossen und eine weitere Freundschaft tot und begraben. Als ich mich in das nachmittägliche Menschengewühl auf der Rue Saint-Honoré mischte, kam ich mir wieder einmal lächerlich und beschämt vor. Ein Mann, der einmal mein Geliebter war, behandelte mich wie ein Verkaufsobjekt auf dem Marktplatz.

Schlimmer war jedoch seine Annahme, daß ich über den ganzen Handel auch noch glücklich sein sollte.

Was geht mit mir vor? Was lesen andere in meinem Gesicht, was ich nicht im Spiegel sehen kann? Wie kommt man darauf, daß ich, eine vollkommen unabhängige Frau, plötzlich einen Beschützer brauchen soll? Und auch wenn es so ist – wie können sie es wagen, mir einen neureichen Waffenschieber aus Tatavla zu offerieren?

Jetzt, da ich wieder im Schlafzimmer meiner Pension bin, sehe ich erst die komische Seite des Ganzen. Ich zahlte gutes Geld für eine Gesellschaft, die von Nacht zu Nacht schlechter wurde. Ich zahlte nicht, um beschützt, sondern um ausgebeutet zu werden; und statt die Behandlung einer Herzogin zu genießen, werde ich zum Spielball für jeden Polizisten und Zuhälter in der Branche. Ich möchte mich aufs Bett werfen und lachen, aber ich weine und weine und weine ...

In einer Welt von Glas

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