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Magda
ОглавлениеParis
Heute abend hat mich Basil Zaharoff mit der beiläufigen Grausamkeit eines Kalifen erniedrigt. Er demütigte mich, nahm mir den letzten Rest von Selbstachtung und wollte mich dann wie eine Zuchtstute auf einer Auktion meistbietend kaufen.
Er tat noch mehr. Er zerstörte etwas, das mir lieb und teuer war. Er marschierte durch meinen Garten Eden und zertrampelte die Illusionen meiner Kindheit, das geliebte Bild von Papa und Lily. Er überhäufte uns alle mit Spott. Hätte ich ihm doch Widerstand leisten können! Aber ich konnte es nicht. Bis in alle Ewigkeit kann er mich nun mit seinem Wissen über meine Herkunft erpressen, mit dem, was er über meine Ehe, ihre Vorgeschichte und ihr Ende, vermutet und damit, was jede Puffmutter ihm nur allzu gern über meine sexuellen Vorlieben berichtet.
Auf der Rückfahrt ins Crillon wurde mir körperlich übel. Ich war versucht, den Wagen halten zu lassen und mich in die Gosse zu erbrechen, aber ich wollte Zaharoffs Chauffeur nicht zum Zeugen meiner Erniedrigung machen. Ich kämpfte die Übelkeit nieder, bis ich mich in meinem Zimmer eingeschlossen hatte. Dann leerte ich Basil Zaharoffs hervorragendes Essen und seine erlesenen Weine in die Toilette. Ich warf mich, immer noch im Abendkleid, aufs Bett und starrte, ohne etwas zu sehen, zu dem Deckengemälde hinauf.
Wer immer meinen Lebenslauf vorherbestimmt haben mag, das Leben der Magda Liliane Kardoss von Gamsfeld ist der Inbegriff von Ironie. Ich, die ich so hoch zu Roß gesessen hatte, liege jetzt unten im Staub. Ich, die Löwenbändigerin, bin mit einem einzigen Peitschenknall unterworfen worden. Ich, der kein Trick des horizontalen Gewerbes unbekannt war, bin schwerer angeschlagen als ein Mädchen vom Lande nach ihrer ersten Begegnung mit einem Bordellbesitzer. Ich, die den perfekten Mord ersann, fühle das Messer an der eigenen Kehle.
Das Merkwürdige ist, daß ich Zaharoff keinen Vorwurf machen kann. Ich muß ihn beneiden, so genial hat er sein Vorhaben eingefädelt. Er wußte, daß ich über nichts schockiert sein würde, das er von mir erwartete. Ich hatte das alles schon einmal getan – und oft nicht einmal im Stil eines Zaharoff. Ich gebe, in gewissem Sinne, die ideale Partnerin für ihn ab. Wir waren König und Dame derselben Farbe. Solange ich den Interessen des Königs diente, würde er mir meinen Rang lassen.
Wenn wir länger zusammenbleiben – ohne Entfremdung, ohne Trennung, ohne Rivalitäten –, können wir vielleicht sogar irgendwie Freunde werden. Der gesellschaftliche Untergrund, wo alle dieselben Flüche buchstabieren können, bietet durchaus seine Annehmlichkeiten! Aber in dem Augenblick, da ich den Pakt mit Basil Zaharoff einging, wußte ich – und dies war die Furcht, die mich beinahe umbrachte –, daß ich nie wieder Herr meiner selbst sein würde. Die Bedingungen sind unveräußerlich und ewig: keine Rückzahlung der Zinsen, kein Erlaß der Restschuld. Wenn Mephisto kommt, um seinen Tribut einzufordern, muß Faust – oder jetzt Faustina – seine Seele aufgeben.
Aber warum sich grämen? Hat nicht Papa mir versichert, ich hätte keine Seele? Auch ich hatte in Dutzenden von Sektionsräumen vergeblich nach einer gesucht. Warum also zögerte ich? Es handelte sich um gutes Geld, die Arbeitsbedingungen schienen erstklassig, und die Lebensversicherung war perfekt. Was war los mit diesem kostbaren Selbst, auf das ich plötzlich nicht mehr verzichten wollte?
Das Zimmer begann sich noch einmal zu drehen, und mir wurde wieder schlecht. Nachdem ich mich noch einmal übergeben hatte, zog ich mein bespritztes Kleid aus, blieb lange im heißen Badewasser liegen und rollte mich dann im Bett mit dem Gefährten meiner einsamen Nächte ein: mit meiner Stoffpuppe Humpty Dumpty. Lily hatte sie für mich gemacht, Gott weiß, vor wie vielen Jahren! Sie hatte über das Puppengesicht schwarze Fäden genäht, so daß es wie ein angeschlagenes Ei aussah. Lily hatte mich auch den englischen Kindervers gelehrt:
Humpty Dumpty saß auf der Mauer, Humpty Dumpty fiel runter – der Bauer! Und auch der König mit all seiner Macht Hat Humpty nie wieder gesund gemacht.
Ich spürte, wie ich in der Finsternis versank. Mit Kinderstimme hörte ich mich flüstern: »Lily, wo bist du? Lily ...« Dann hörte ich Hundegebell und den Donner galoppierender Hufe, und wieder plagte mich der alte Alptraum.
Ich reite mit Freunden hinter der Meute her. Es ist Frühling, und die ganze Natur steht in Blüte. Wir haben einen Fuchs aufgebracht. Er rennt auf die Berge zu. Die Hunde sind hinter ihm her. Ich bin der Master und reite direkt hinter der Meute. Der Fuchs lockt uns in eine Schlucht zwischen hohe, schwarze Felswände. Ich galoppiere voraus. Als ich aber am anderen Ende wieder herauskomme, bin ich allein. Nichts ist da, keine Hunde, keine Reiter, nur der kleine, blutige Kadaver des Fuchses. Die Landschaft hat sich verändert. Mich umgibt eine flache Wüstenei aus rötlichem Sand, über dem die Sonne wie ein großes, rotes Auge glüht. Mein Pferd scheut und wirft mich ab. Als ich aufschaue, ist es verschwunden. Ich bin allein in der Einöde. Ich bin nackt, und mein Kopf ist geschoren wie der einer Nonne. Ich bin gefangen in einer großen Glaskugel, die dahinrollt und alle meine Blößen zur Schau stellt, während mich das rotglühende Auge anstarrt und die schreckliche Stille mich zu verspotten scheint.
Als ich erwachte, lag ich zusammengerollt wie ein Embryo im Bett und hielt meinen Humpty Dumpty zwischen den Beinen, als hätte ich die Puppe soeben zur Welt gebracht. Ich mußte mich zwingen, mich im Bett auszustrecken und auf die Uhr zu sehen. Es war erst drei Uhr morgens, aber ich hatte das Bedürfnis, den Traum mit dem, was ihm vorausging und folgte, niederzuschreiben.
Es war beinahe so, als spräche Papa zu mir und wiederholte seine alte Ermahnung: »Schreib jede Krankengeschichte auf, Mädchen! Kläre alle Symptome! Sorge dafür, daß du den ganzen klinischen Ablauf festgehalten hast, und wenn nicht, daß du wenigstens weißt, wo die Lücken sind. Dann kannst du die Logik aufspüren. Denn darin liegt die Diagnose: Logik und Wahrscheinlichkeit ... Wenn aber deine erste Aufzeichnung unordentlich ist, gehst du selbst in die Irre und gefährdest deinen Patienten. Schreib alles nieder, alles!«
Aus Gehorsam gegenüber dem ersten Mann, den ich je geliebt habe, setzte ich also Humpty Dumpty vor mich hin und begann, meine eigene Krankengeschichte zu Papier zu bringen; zuerst zusammenhanglos, dann aber fließend.
Meine frühesten Erinnerungen bestehen aus dem Duft nach Frau, aus Milchgeschmack und den dicken, glatten Brüsten meiner Amme. Ich erinnere mich auch an Küchendinge: Schweinebraten, gebackene Rüben, Muskatnuß, Zimt, Bratäpfel, bemehlte Hände, die den Brotteig kneten.
Ich höre Frauenstimmen, Gesang, Lachen, Geplauder; Männerstimmen, die freundlich grüßen oder grollen. Schwere Stiefel stapfen über Steinfliesen. Freundliche Burschen, die nach Kuh, geschnittenem Gras, saurem Bier und Tabak riechen, heben mich hoch und werfen mich fast bis an die Decke empor. Danach setzen sie mich auf ihren Schoß und füttern mich mit warmem Strudel und Schlagsahne.
Da ist noch ein ganzes Kaleidoskop anderer Bilder: Krähen, die in den Ulmen an der Auffahrt krächzen; Kühe mit schweren Eutern, die zur Melkzeit langsam nach Hause trotten; Lily und ich, die zwischen Löwenzahn und Butterblumen auf der großen Wiese herumtollen. Gewiß, all dies ist geographisch genau bestimmt, aber es spielt kaum eine Rolle gegenüber der Tatsache, daß es eine glückselige Zeit war. In den ersten zwei Jahren meiner Kindheit lebten wir, Lily und ich, auf einem Gut südlich von Stuttgart. Papa arbeitete im Klinikum in Tübingen und praktizierte zwei Tage in der Woche als Privatarzt in Stuttgart. Manchmal kam er übers Wochenende zu uns, manchmal auch nicht. Wenn er kam, waren seine Taschen voller Geschenke, und er lachte viel und roch nach Lavendelwasser.
Später, als ich vier oder fünf war, übersiedelten wir nach Silbersee im Salzburger Land. Papa hatte seine Güter in Ungarn verkauft und ein Barockschlößchen erworben, zu dem einige Pächterfamilien gehörten, die Milchkühe und Schweine hielten. Sie züchteten Pferde und schlugen Holz in den höher gelegenen Wäldern. Dem Schlößchen kamen außerdem Einnahmen aus der Verpachtung eines Wirtshauses und einer Weinstube im Dorf zugute.
Zu jener Zeit war Papa Chefarzt im Salzburger Krankenhaus. Er unterhielt außerdem eine gut frequentierte Privatpraxis in der Stadt. Zur Abwechslung, wie er es nannte, nahm er verschiedene Gelegenheiten in Wien wahr, wohin er gelegentlich zu Operationen gerufen wurde. Wenn Zaharoff ihn als wohlhabenden Frauenhelden mit geringem Interesse an seinem Beruf darstellt, so ist dies bestimmt nicht wahr. Seine Besuche im Schloß Silbersee waren selten. Manchmal bekamen wir ihn drei oder vier Wochen lang nicht zu sehen. Den Gutsbetrieb leitete ein Verwalter. Für mich war Lily verantwortlich. Sie war Gouvernante, Ersatzmutter und ältere Schwester für ein Kind, das sich unsäglich einsam gefühlt haben könnte, nun aber wenigstens einige kurze Jahre hindurch unendlich glücklich war.
Wie soll ich diese Lily Mostyn, die ich so geliebt habe, beschreiben? Im Gegensatz zu den Bauersfrauen in unserem Haushalt, lauter blonden, vollbusigen und üppigen Gestalten, sah Lily wie ein Porzellanpüppchen aus. Aber unter dem gesetzten Äußeren, der dezenten Bluse, den Unterröcken und dem Wollschal verbarg sich der Körper einer Athletin. Sie konnte laufen, springen, auf dem Kopf stehen, radschlagen und schwimmen wie ein Seehund.
Als ich sie fragte, wo sie dies alles gelernt habe, legte sie den Kopf auf die Seite wie ein pfiffiger Papagei und sagte im breiten Dialekt der Leute von Lancashire: »Wenn du einmal groß bist, Kind, und deine Knochen stärker sind, werde ich dir alles zeigen. Wir werden zu Hause üben und eine abgelegene Wiese suchen, wo uns die Salzburger Lümmel nicht sehen können. Dann haben wir ein Geheimnis mehr ...«
Bei Lily war alles ein Geheimnis. Sie gab mir Englischunterricht, »damit wir vor dem Personal sagen können, was wir wollen.« Sie veranlaßte Papa, uns beiden Ungarisch beizubringen, »weil er, Kind, im Bett am liebsten in seiner Muttersprache redet. Das tut jeder Mann, und er kann sich ja schließlich nicht mit der Wand unterhalten, oder? Außerdem: Wenn ich diese verflixt schwere Sprache spreche, halten mich die Leute vielleicht für die Gräfin Kardoss – die wäre ich übrigens ganz gerne, aber dazu wird es nie kommen.« Als ich sie fragte, warum nicht, hockte sie sich vor mich auf den Boden und meinte mit fröhlichem Grinsen: »Weil dein Papa nie mehr heiraten wird. Ich kann es ihm nicht verübeln, nach den Erfahrungen mit deiner Mutter. Zudem sagt eine alte Redensart: Je mehr Frauen du kennenlernst, desto weniger willst du dich für eine entscheiden. Und was mich betrifft, auch wenn ich verheiratet wäre, würde es mir kaum besser gehen als jetzt. Stell dir vor, ich, die Tochter eines Landpfarrers aus Lancashire, wohne in einem Schloß! Ich verdiene hier dreimal soviel wie in England, und ich habe ein liebes Kind, nämlich dich. Dazu habe ich einen Mann, der mich liebt – was dein Papa allerdings nicht oft genug tut, weil er ständig in Wien hinter teuren Huren und reichen Witwen herrennt. Aber wenn er hier ist, ist es wunderbar. Er achtet darauf, daß ich nicht schwanger werde, und Tripper bringt er auch keinen mit nach Hause. In England müßte ich froh sein, einen Bankangestellten oder einen Lehrer zu bekommen ... So, jetzt wollen wir uns ausziehen und zusammen ein heißes Bad nehmen, dann essen wir im Morgenmantel zu Abend.«
Natürlich verstand ich nicht einmal die Hälfte von dem, was sie erzählte. Aber das war nicht schlimm. Mir genügte, daß sie redete, daß sie mich berührte, mich küßte und liebkoste. Dies sind meine zärtlichsten Erinnerungen an Lily und meinen Vater, ganz und gar sinnliche Erinnerungen.
Sie durchdrangen die Welt mit jeder Faser. Man konnte sie berühren, betasten, wie Musik hören und wie ein Parfüm einsaugen. Wenn Lily meine Haare bürstete und sie in Zöpfe flocht, hatte ich ein Lustgefühl; es war, als ginge sie mit goldenen Fäden um. Wenn sie mir eine Blume hinhielt, legte sie die Hände schützend um die Blüte, damit kein Dufthauch verlorengehe. Wenn sie mir ein Lied beibrachte, sagte sie oft: »Hör zu, ist es nicht wunderschön?« oder: »Man könnte danach tanzen!« Wenn sie mich badete, war jede Berührung ihrer Hände eine Liebkosung und ein Erwecken.
Auch mein Vater war, glaube ich, vor allem deshalb ein so guter Chirurg und ein so begehrter Liebhaber, weil er das menschliche Gewebe, die menschliche Haut behandelte, als wäre sie das kostbarste Material auf der Welt. Seinen Kollegen machte er immer den Vorwurf: »Sie zerhacken alles wie Metzgermeister, nähen es wie Flickschuster wieder zusammen und lassen überall ihre Spuren zurück.« Ihm zuzusehen, wenn er an der Hand eines Bauernjungen eine Schnittwunde reinigte und verband, war eine Lektion in erlesener Sorgfalt und Feinfühligkeit. Jedesmal, wenn er nach Hause kam, untersuchte er mich genauestens von Kopf bis Fuß, und ich hatte das Gefühl, von Schmetterlingen geküßt zu werden. Er aß gerne gut; er liebte den Wein, betrank sich aber nie. Er genoß jeden Schluck. Lily und Papa auf der großen Ottomane mit angezogenen Beinen vor dem Kaminfeuer liegen zu sehen war so, als beobachte man zwei schöne, elegante Katzen. Und man konnte stolz darauf sein, das Kätzchen eines solchen Paares zu sein.
Wir drei schämten uns voreinander nicht, und vor fremden Eindringlingen brauchten wir uns nicht zu fürchten. Unsere Zimmer im Schloß – mein Kinderzimmer, Lilys Schlafzimmer, unser Badezimmer, das große Wohnzimmer und dahinter die Räume meines Vaters – konnten nur durch ein einziges Vorzimmer betreten werden, und kein Angestellter durfte ohne ausdrückliche Aufforderung dorthin vordringen.
Innerhalb dieses Reichs konnten wir uns völlig ungezwungen bewegen. Wir konnten nackt am Fenster stehen und den Sonnenuntergang über den fernen Gipfeln der Tauern beobachten; oder wir konnten die Vorhänge zuziehen und die Geborgenheit einer Märchenwelt genießen. Was in dieser Märchenwelt geschah, war das größte, eifersüchtig gehütete Geheimnis von allem.
Wenn Papa zu Hause war, gehörte er nur uns. Wir luden Gäste ein – zu Abendessen, zu größeren Festen und Jagden; aber kein Außenstehender, weder Mann noch Frau, wohnte jemals im Schloß. Ebenso muß ich zugeben, daß weder Lily noch ich jemals Papas Wohnungen in Salzburg oder Wien zu sehen bekamen. Ich weiß nicht, wie viele andere Leben er noch lebte, aber in Silbersee führte er nur eines, und dessen Mittelpunkt waren wir.
Wir waren eine Familie, wenn man von der reinen Legalität absieht. Papa schlief bei Lily. Wenn er nicht da war, übersiedelte sie wieder in ihr eigenes Zimmer, das neben meinem Kinderzimmer lag. Ich kuschelte mich an beide, wie es jedes Kind bei seinen Eltern tut. Lily war meine erste Lehrerin – meine einzige, bis ich alt genug war, um in ein Mädchenpensionat geschickt zu werden. Sie gab mir Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen, Fremdsprachen und den Anfangsgründen der Musik und des Klavierspielens.
Papa überprüfte immer sorgfältig die Fortschritte, die ich seit seinem letzten Besuch gemacht hatte. Er bestand außerdem darauf, daß ich das Reiten lernte, weshalb der Gestütsleiter Lily und mich im Umgang mit Pferden unterwies. All dies war ganz normal für die kleine Tochter eines wohlhabenden Arztes, der dazu noch Aristokrat und Ungar war. Aber meine sonstige Erziehung verlief in durchaus unorthodoxen Bahnen. Sie war wohl das, was die Franzosen eine éducation sentimentale nennen. Später, leider viel zu spät, erkannte ich in dieser Ausbildung Papas Bemühungen, die Mängel seines eigenen Gefühlslebens auszugleichen. Ich bin zum Beispiel überzeugt, daß er meine Mutter sehr geliebt hat, daß er sie wirklich heiraten und mit ihr eine Familie gründen wollte. Sicherlich wünschte er sich einen Sohn. Was er sich statt dessen einhandelte, war eine Tochter, die unehelich zur Welt kam, und eine Wunde, von der sich sein männlicher Stolz nie ganz erholte.
Obwohl Ärztinnen noch ganz selten waren und gemeinhin, wenn nicht gar als Hexen, so doch als Exzentrikerinnen betrachtet wurden, legte er alles darauf an, daß ich mich zum Medizinstudium entschloß. Er regte mich an, Fragen über seine Tätigkeit zu stellen. Er erzählte mir interessante Tatsachen aus der Geschichte der Medizin: vom Asklepieion auf der Insel Kos, von der ärztlichen Kunst der alten Ägypter und den zauberkräftigen Kräutern wie Digitalis und Nieswurz. Allmählich lenkte er mein Interesse auf seine Lehrbücher. An Hand seines eigenen Körpers sowie Lilys und des meinen unterrichtete er mich in Physiologie und Anatomie. Viele Jahre hindurch suchte er geduldig eine medizinische Fakultät, an der Frauen angenommen wurden, und er stellte freundschaftliche Beziehungen zu deren Dozenten her. Erst nach seinem Tod, als ich seine Korrespondenz durchsah, wurde mir klar, wieviel Zeit und Mühe er aufgewendet hatte, um für mich einen geeigneten Studienplatz zu finden.
Er war wie versessen darauf, die Kontinuität zu wahren. Als ich noch ganz klein war, erklärte er mir, daß eine Frau bei der Heirat den Namen ihres Mannes übernimmt. Dann fügte er hinzu: »Aber die Frau kann natürlich auch ihren eigenen Namen beibehalten. Und das erwarte ich auch von dir: Führe stets den Namen Kardoss in deinem Familiennamen weiter. Versprichst du mir das?«
Ich leistete ihm einen heiligen Schwur. Ich sagte ihm auch, daß ich ihm eines Tages einen Enkel schenken werde. Dieses Versprechen habe ich allerdings nicht einhalten können. Aber auch er ließ mich im Stich. Nein, es war etwas anderes, eine Fehlleitung, eine Lüge, die in mein kindliches Dasein eingepflanzt wurde. Er und Lily hatten die Wegweiser verschoben, und als ich schließlich in der Lage war, dies wahrzunehmen, befand ich mich bereits tief in einer Einbahnstraße, die am anderen Ende keinen Ausgang hatte. Merkwürdig, nicht wahr? Zaharoff sagte mir dasselbe, nur mit anderen Worten, und ich hasse ihn deshalb.
Es ist schon spät, und ich bin sehr müde, aber ich muß diesen Gedankengang zu einem Ende bringen. Er begleitet mich schon lange wie eine schwarze Schlange, die sich vor die Schwelle meiner Träume geringelt hat. Papa versuchte, ein unmögliches Wesen zu schaffen: Er wollte einen Sohn, der seinen Namen fortsetzen und seine Spur auf dem Planeten verewigen sollte, und zugleich wollte er eine Tochter, in der er die Frau, die ihn verlassen hatte, besitzen konnte, um auf eine seltsam subtile Art Rache an ihr zu nehmen.
Und dieses Ziel erreichte er nicht mit Grausamkeit, sondern in einer verständnisvollen Art. Meine éducation sentimentale vollzog sich in der Abgeschiedenheit eines Treibhauses. Ich wurde mit Liebe und Geduld ins Geschlechtsleben eingeführt, so wie es die Orientalen heiter und friedlich mit ihren Hurenkindern anstellen. Papa war ein zu guter Arzt, als daß er mich einem Trauma ausgesetzt hätte, aber von Jahr zu Jahr zog er mich enger an sich und brachte mich so dem Augenblick immer näher, da er mich selbst einweihen würde – zärtlich und wunderbar, o ja! o ja! –, um mich noch fester an sich zu binden, als es irgendein junger Liebhaber vermocht hätte. Mein ganzes Leben legt Zeugnis davon ab, wie gut ihm dies gelungen ist.
Und Lily? Meine Lily, die ich noch immer liebe und die ich bisweilen so schrecklich vermisse? Sie war meine erste Kuppelmutter. Warum tat sie es? Zunächst, glaube ich, sah sie nichts Böses darin. Sie war eine gesunde, kräftige Frau, der ein Herumgetolle im Bett ebenso natürlich wie das Tanzen erschien. Erst später, als ich anfing, ihren Platz als Papas Bettgenossin einzunehmen, wurde ihr klar, was sie getan hatte. Sie hatte versucht, mich zu benutzen, um ihn zu halten. Schließlich verlor sie ihn, so wie von uns dreien jeder den anderen verlor.
Jetzt stehe ich am Ende jener Einbahnstraße. Meine Nase stößt hart gegen eine Mauer. Ich kann nicht mehr weiter. Wenn ich umkehre, laufe ich Basil Zaharoff direkt in die Arme. Vielleicht ist die einzige Lösung die, einfach über die Mauer zu springen ...
So steht es um mich. Der Gedanke ist heraus, niedergeschrieben in meiner eigenen Handschrift, der Handschrift einer Ärztin. Ich habe schon andere aus den Gefängnismauern des Lebens erlöst, es dürfte nicht zu schwer sein, auch für mich einen sauberen und schmerzlosen Abgang zu finden. Was sagst du, Papa? Und Lily, was sagst du?