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Frustriert

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DIE FRAU SASS AUF EINER GRÜNEN PARKBANK AN DEM KLEINEN SEE IM STADTPARK, mutterseelenallein, und starrte über das Wasser. Der Wind kräuselte die Oberfläche und riß kühl an der Gesichtshaut. Kein Wetter, um sich lange im Freien aufzuhalten. Der Sommer hatte für ein paar Tage Pause gemacht und polare Kaltluft aus dem Osten geschickt.

Der Genosse beobachtete die unbekannte Frau aus sicherem Abstand. Kurzhaarschnitt, rabenschwarz und mit Gel streng nach hinten gekämmt. Das Gesicht vom Wetter gegerbt, mit vielen kleinen Fältchen. Endlich eine Dame, die ihr Alter stolz zur Schau trug, anstatt es mit Nervengift glattzubügeln.

Trotz der Ringe unter den Augen und den leicht herunterhängenden Mundwinkeln strahlte sie einen inneren Stolz, ja sogar eine leichte Boshaftigkeit aus. Sie mußte Mitte 40 sein, trug eine schwarze Steppjacke aus glänzendem Nylon, die nach Second-Hand-Shop aussah. Diese Geschäfte boomten in Zeiten der Krise. Die Jeans saß eng an schlanken Beinen und endete in einer Art Reitstiefel ohne Absätze. Alles in allem entsprach ihre Kleidung der Mode von vor zwei Jahren, wahrscheinlich der letzte Zeitraum, in dem sie Arbeit besessen hatte.

Sie stand auf, ging zum Kiosk und kam mit einem Plastikbecher Kaffee zurück. Der Genosse setzte sich neben sie, lächelte zur Begrüßung und roch den Schnaps in ihrem Kaffee. Er hatte Hunderte dieser traurigen Wesen gesehen, einige davon kennengelernt, ein paar wenigen geholfen und ihnen die Möglichkeit gegeben, ihrem Schmerz, ihrer inneren Wut Luft zu machen. Wenn der Job weg war, das Ersparte zur Neige ging und die Perspektiven aussichtslos waren, fielen die meisten Menschen in eine tiefe Depression. Bei anderen Leuten schlug die Niedergeschlagenheit in grenzenlose Wut um. Verständlich, wenn man machtlos zusehen mußte, wie sich eine Handvoll Abzocker am Volksgut schamlos bereicherten, während Politik und Staatsanwaltschaft wegsahen.

Mangels Gelegenheit, gegen diese niederträchtigen Machenschaften vorzugehen, blieb den meisten Leuten nur die Faust im Sack. Einige machten ihrem Unmut mit Demos vor den Banken Luft oder sprayten nachts deren Wände voll – als würden solche Peanuts etwas nützen. Gegen diese Volksschädlinge mußten gröbere Geschütze aufgefahren werden, ein Denkzettel, an den sich die Menschheit noch lange erinnern würde, ein Mahnmal wie 9/11, London, Madrid oder die Tokioter U-Bahn.

Er, der Genosse, würde Geschichte schreiben, das stand fest. Er würde als der heroische Befreier von der Bankengeißel gefeiert werden. Ihm würde es zu verdanken sein, daß diese Gierhälse ausgemerzt wurden. Nur wenige Schritte trennten ihn noch von seinem mörderischen Coup.

Die Frau besorgte sich einen neuen Kaffee – mit Schuß. Er beschloß, sie anzusprechen, obwohl sie wie eine von vielen Frustrierten aussah. Ihr aufrechter Gang und ihre Körpersprache jedoch paßten nicht zu dem gewohnten Bild. Sie ließ die Schultern nicht hängen und schien jede Menge Selbstvertrauen zu besitzen. Ihre Stiefel zierten ein paar kleine, unscheinbare Nieten am Schaft, nicht viel größer als Straßsteine. Ein unverwechselbares Erkennungsmerkmal. Sie dominierte aus Spaßs an der Freude. Ansonsten würde sie nicht am hellichten Tag hier im Park sitzen, sondern die reichen Säcke empfangen und sie für ihre imaginären Sünden auspeitschen. Dominas hatten in Krisenzeiten Hochkonjunktur. Eigentlich hatten böse Herrinnen immer Konjunktur, denn irgendeiner besaß stets das nötige Kleingeld.

Das Kapital hatte sich nicht wie von Zauberhand in Luft aufgelöst, sondern wurde stets neu umverteilt. Egal, was diese Börsenheinis vom imaginären Geld quakten, schlußendlich existierte eine gewisse Menge Geld am Markt, und damit basta. Die exklusiven Villen, die protzigen Limousinen, die teuren Ferienwohnsitze, Jachten, Privatjets, Immobilien, stillen Beteiligungen, Kunstgegenstände und allem voran die stolz zur Schau getragenen edlen Garderoben der teuren Frauen waren schließlich mit realem Geld bezahlt worden und nicht mit virtuellem.

Er glaubte nicht, daß die Frau auf der Parkbank mit dem zweiten Becher Kaffee extra stark einen Beitrag zu seinem Endziel leisten konnte, aber für seine schmerzgeilen Gelüste schien sie wie geschaffen. Nach Monaten der kräftezehrenden Planung und der endlosen Vorbereitungen fehlten nur noch wenige Mosaiksteine, um dieses geldgeile Pack auszurotten. Zeit, an sich zu denken und sich ein paar devote Stunden zu gönnen. Diese Dame würde ihm die Abende schmerzhaft versüßen.

Banker an den Galgen!

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