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Mobbing
ОглавлениеIM GRUNDE GENOMMEN WAR ER BEREITS TOT. Nicht im physischen Sinne. Was man gemeinhin als Lebensqualität bezeichnete, existierte für Klaus Habermann nicht mehr. In letzter Zeit zog er immer öfter Lebensbilanz. Was hatte er vom Leben noch zu erwarten? Als Familienmensch gescheitert und als Perverser geächtet. Beruflich in der Sackgasse – zehn Jahre vorm erlösenden Renten-Finish. Wenn es so weiterging, würde er dieses Ende nur als gemobbtes Wrack erreichen. Er mußte vorher aussteigen. Finanziell würde es knapp reichen. Mit dem Gedanken, beruflich vorzeitig auszusteigen und sich seiner einzigen Leidenschaft, die das Leben noch lebenswert machte, zu widmen, ließen sich die Tage zur Not ertragen.
Gelangweilt saß Habermann im Meeting Room auf der Geschäftsleitungsetage der SIWATEC. Montagmorgen-Meeting. Er haßte diesen Wochenbeginn. Scott McPherson, das selbsternannte Herrgöttlein der SIWATEC Switzerland Ltd., ließ in diesen Besprechungen keine Gelegenheit aus, ihn vorzuführen.
Habermann blickte auf seine Mondaine, die Bahnhofsuhr für das Handgelenk: 8 Uhr 56. Das normal sterbliche Volk hatte gefälligst vorm offiziellen Besprechungsbeginn anwesend zu sein. Die gleiche Regel galt natürlich nicht für den Chef. Bigott.
Mit ihm wartete der gesamte Führungsstab auf das Erscheinen des CEOs: des Fertigungsleiters, des Chefs der Marketingabteilung, des stellvertretenden Leiters von R&D, neudeutsch für Entwicklung, des Vertriebsleiters, des Head of Business Development und des Vizes von Business Excellence. Die Funktion dieser beiden Geschäftseinheiten war ihm nie aufgegangen. Neben ihm blätterte der Herr über alle Finanzreußen, der Chefcontroller, in seinen Excel-Tabellen.
Natürlich würde Scott McPherson wie üblich viel zu spät kommen. Aber nur Klaus kannte den Grund. Für die anderen war Scott ein Wichtigtuer, der unmöglich pünktlich auf einem Meeting erscheinen konnte, nicht einmal in der Schweiz, dem Land, das die Pünktlichkeit praktisch erfunden hatte – samt den passenden Chronometern in allen Preisklassen.
Ungeniert ließ Habermann seinen Gedanken freien Lauf. Es würde ohnehin fast eine halbe Stunde dauern, bis der große Allmächtige und Abgesandte des US-Headquarters sich die Ehre gab. Während die Anwesenden ihre Handys und Blackberrys quälten, schweifte sein Blick über die Dächer der Stadt Zug, hinunter zum Zuger See und weiter bis zum Hausberg der Region, der 1800 Meter hohen Rigi. Wenn man wußte, daß es die Rigi hieß, war man schon fast kein Tourist mehr.
Hier in Zug arbeitete er nun seit zehn Jahren als Qualitätssicherungsleiter der SIWATEC, eines Unternehmens, das sich auf Einbruchmeldeanlagen spezialisiert hatte. Es kam nicht von ungefähr, daß der Schweizer Firmensitz in dem kleinen beschaulichen Zug residierte. Hier fanden weltweite Unternehmen die idealen Rahmenbedingen: billige Steuern, hohen Freizeitwert, gut ausgebildete Mitarbeiter, hervorragende Infrastruktur. In Zug besaß schon Boris Becker sein Unternehmen, und man traf gelegentlich Günter Netzer, dessen Medienfirma direkt am Bahnhof lag. Einzig an Hotels mangelte es, um die Schar der Geschäftsreisenden zu beherbergen.
Punkt neun Uhr. Eigentlicher Meetingbeginn, aber bei keinem kam Geschäftigkeit auf. Zur Vorbereitung der eigenen PowerPoint-Präsentation blieb noch ausreichend Zeit. Habermann zog weiter Resümee: Geschieden, denn seine Frau behauptete, er besitze eine abgrundtiefe Perversion. Er dominierte für sein Leben gerne Frauen: blutjunge, hingebungsvolle, frische und unverbrauchte Elfen, höchstens Anfang Zwanzig.
Seine Ehefrau hatte ihn für pervers erklärt und ihre beiden gemeinsamen Mädchen gegen ihn aufgehetzt. Zudem hatte sie ihm gedroht: »Wehe, du tust unseren Kindern etwas an, du perverses Schwein!« 13 und 16 waren seine Töchter damals gewesen. Wie hätte er ihnen je etwas antun können, seinem eigenen Fleisch und Blut? Aber seine Frau schmiß Kinderschänder und dominante Männer in einen Topf.
Maschinenbau hatte er studiert und ganz unten angefangen. Karrierepläne hatte er nie gehabt. Ihn interessierte die Technik, und er wollte einen guten Job machen. Nach der Scheidung war er gezwungen gewesen, den vergifteten Dunstkreis seiner Frau weiträumig zu verlassen. Sie hatte ihn während der brutalen Trennungsschlacht bei allen Leuten als unzumutbaren Perversen denunziert.
Per Zufall hatte er von einem Kollegen erfahren, daß in der Schweiz Fachkräfte gesucht waren. Kurzer Hand hatte er sein Glück in der Alpenrepublik versucht.
Das Einleben in der Fremde erwies sich als nicht so einfach, wie er sich das vorgestellt hatte. Und was seine dominante Leidenschaft betraf, kam man in Deutschland wesentlich besser an Frischfleisch – keine abfällige Bezeichnung, sondern ein großes Kompliment, wenn sich ihm eine junge Dame frisch und unverkrampft hingab. Trotz aller Schwierigkeiten hatte er sich einen kleinen Bekanntenkreis aufgebaut. Ohne gegenseitige Verpflichtungen traf man sich ganz ungezwungen, um der gemeinsamen dunklen Leidenschaft zu frönen.
9 Uhr 20: Auftritt McPherson, Carolinchen, seine rechte Hand, im Schlepptau. Geschäftig schritt er an seinen abgestammten Platz am Kopf der Tischreihe.
»Sorry, guys, ein wichtiges Telefonat.«
Scott McPherson besaß mehr bedeutsame Kontakte, als Habermann Peitschenhiebe an einem bösen Abend austeilen konnte: ein namhafter Kunde, das Headquarter in den USA, der CEO einer anderen Division, ein wichtiger Manager.
One-more-coffee-Caroline, den Laptop an die Brust gedrückt und Schreibutensilien untergeklemmt, tippelte hinter Scott her wie ein Hündchen an der Leine. Nur Klaus wußte, warum Carolinchen immer montags ohne Unterwäsche erschien, warum sie den Laptop an ihre Brust preßte: weil sonst jeder sehen würde, daß ihre Brüste unter der zerknitterten Bluse wippten und wackelten. Und er wußte, warum das schnippische aber, verteufelt gutaussehende Luder stets ihre Beine im Meeting unter dem Tisch verknotete.
Kein wichtiges Telefonat, sondern seine persönliche Assistentin hinderte McPherson am pünktlichen Erscheinen – wie schon unzählige Male zuvor. Aber außer Habermann schien dies niemand in der Firma zu ahnen oder gar zu wissen. Oder diese Speichellecker hielten alle dicht. Nicht einmal das schleimige Pärchen selbst hatte eine Ahnung, daß er sie beobachtet hatte.
Vor drei Monaten war er im staubigen Archiv im Keller gewesen und hatte hinter einer angelehnten Tür eindeutige Geräusche wahrgenommen. Schmunzelnd war er weitergegangen, hatte das Pärchen um seine Liebe und Spontanität beneidet. Die Neugierde hatte jedoch gesiegt, und er hatte die Tür einen Spalt weit geöffnet.
Caroline saß breitbeinig auf einem Stapel Umzugkartons, den Rock hochgeschlagen, die Bluse offen, und Scott fickte sie wie der Teufel. Banale irdische Büroquickies am Montagmorgen und keine ehrwürdigen Geschäftskontakte hielten den Gottvater davon ab, pünktlich auf dem Meeting zu erscheinen. Scott würde ihm in Zukunft viel erzählen können.
Habermann fand heraus, daß Caroline und Scott jeden Montag vor der Besprechung vögelten – ihr kleines Ritual, das sie im Irrglauben vollzogen, es gäbe keine Mitwisser. Doch er war immer mit von der Partie. Er filmte mehrere Sequenzen ihrer Liebesspiele mit seinem Handy. Man wußte ja nie, wofür es mal gut war. Nicht daß die beiden etwas Schmutziges gemacht hätten, im Gegenteil, der Ablauf war stets eingespielt – wie in einem billigen Porno.
Zu Anfang öffnete Caroline Scotts Reißverschluß, blies ihm einen und fummelte dabei an sich selbst, damit sie feucht wurde. Was Scott natürlich nicht sah. Nun war ihm klar, warum Caroline montags eher knappe Röcke trug.
Wenn sie Scotts Penis hartgelutscht hatte, hob sie den Rock – den Slip zog sie wohl schon vorher aus – und hüpfte auf die Kartons. Scott zog sie durch und fummelte an ihrer Bluse. Caroline stöhnte wie ein Pornoluder und zog ihre Show ab. Scott schien dies nicht zu bemerken, oder es gefiel ihm so.
Als nächste Stellung mußte sich Carolinchen vor ihm vorbeugen, und er fickte sie von hinten wie ein Rammler. Dabei zeigte er eine erstaunliche Ausdauer, die eines Sexstreifens würdig war. Er riß ihren Rock hoch, bis er als kleiner Ring über der Hüfte hing. Carolinchen hatte wirklich einen geilen Arsch, das mußte Habermann ihr neidlos zugestehen. Während Scott sie von hinten durchnagelte, stützte sie sich mit einer Hand auf den Kartons ab und öffnete mit der anderen die Bluse. Sie schien darin Routine zu haben, denn wenige Sekunden später hatte sie die Bluse abgezogen, ohne daß der Rammler ihr dabei half. Die Assistentin in BH, verruchten Nylons, kleinem Strapsgürtel, High Heels und zusammengerafftem Rock war schlichtweg eine Augenweide. Gäbe sie sich nicht so arrogant, wäre Klaus neidisch geworden – obwohl ein schnöder Bürofick nicht zu seinen Favoriten zählte.
Wie ein Voyeur hatte er ihr Liebesspiel betrachtet, während sich der Handyspeicher füllte. Carolinchens schnuckeliger Busen wogte ansprechend bei jedem Stoß. Scott war der schöne Anblick verwehrt, aber Klaus besaß den perfekten Logenplatz. So ein Video in youtube würde sicherlich für Zündstoff sorgen. Die Community würde sich die Münder zerreißen, und Scotts Vorgesetzte täten geschockt, während sie lechzend auf Carolinchens Titten und Arsch starren würden. Und Scotts Frau, die in den USA die gemeinsamen Kinder großzog, würde sich scheiden lassen und Scott bis auf den letzten Penny verklagen. Willkommen im Klub, Scotti.
Zum Schluß wurden Scotts Stöße schneller, unkontrollierter, und er zog seinen Schwanz heraus. Während seine Assistentin fast nackt dastand, hatte nur er den Reißverschluß der Hose geöffnet. Ein Wink, und Carolinchen mußte sich rücklings auf die Kisten legen. Ihr Kopf hing hinten über der Kartonkante, und sie öffnete wie auf ein stilles Kommando hin den Mund. Scott rammelte ihren Schlund wie eine Muschi, während Carolinchen beständig versuchte, die Stöße abzufedern. Aber die unbequeme Position ließ dies kaum zu, so daß sie wohl oder übel den dicken Schwanz bis zur Kehle gerammt bekam.
Carolinchen hatte allerdings Glück, Scotts Mundfick dauerte keine Minute. Sie zog den BH herunter und entblößte ihre prachtvollen Möpse, auf die Scotts gieriger Blick fokussierte.
Billiger, einfacher, aber effektiver Bürosex, der auf Gegenseitigkeit beruhte. Caroline, die ehemalige Hilfskraft in der Hauspost, hatte nun einen gutdotierten Posten, und Scott mußte sich keine verschwiegene Gespielin suchen, geschweige denn für seine Ficks zahlen. Wahrscheinlich saß er am Wochenende auf dem Trockenen und mußte sich am Montag zuerst Erleichterung verschaffen.
Scott stellte sich seitlich neben sie, schloß die Augen und kam mit verzerrtem Gesicht. Mit Vorliebe tränkte er mit seiner ganzen Ladung ihren BH. Anschließend zog er die Hose zu und verschwand. Carolinchen streifte den samendurchtränkten Büstenhalter ab, versteckte ihn zwischen den Kisten, zog die Bluse über und klemmte ihren Laptop samt Schreibmappe unter den Arm. Dann folgte sie ihm mit tippelnden Schritten auf ihren hohen Pumps und versuchte im Laufen die Spuren des Büroficks zu kaschieren. Bluse zuknöpfen, Rock glattstreichen, Lippenstift nachziehen, alles mit einer Hand. Das Fickmäuschen hatte Routine.
»Laßt uns keine Zeit verlieren und anfangen, guys«, sagte Scott, als er sich setzte. »Wir haben eine volle Agenda.« Bigotterie par excellence. Bumsen, zu spät kommen und dann von verlorener Zeit reden. Habermann verkniff sich einen höhnischen Lacher.
Der Vertriebsleiter präsentierte traurige Zahlen. Seit die Amis das Unternehmen aufgekauft hatten und Scott am Schweizer Ruder saß, fiel der Absatz der Produkte rapide. Aber das ließ den CEO kalt. Schuld waren die unfähigen Vertriebspartner, der Wechselkurs des Dollars und natürlich die Krise, die oft zitierte Standardausrede in der Wirtschaft. Alle waren in Scotts Augen schuld, nur das Management selbst nicht.
Entsprechend die Finanzen. Das Eigenkapital schrumpfte, die Margen sanken, die Lagerkosten stiegen. Kein Kommentar vom allmächtigen Schöpfer. Nüchterne Zahlen, es war nun mal so, und man konnte es nicht ändern. Der Controller trat ab. Ein wichtiges Meeting.
Der Marketingleiter zeigte Flyer, Broschüren, Datenblätter, Preislisten, die allesamt den Charme eines Neckermannkataloges der achtziger Jahre besaßen – öde, langweilig und überhaupt nicht zeitgerecht. E-Commerce, Kundenbindungskonzepte, Preismodelle, Sponsoring, bearbeiten von externen Beeinflussern wie zum Beispiel Polizei oder Elektrikern waren für das Marketing Fremdwörter, obwohl es in jedem besseren Marketingkurs gelehrt wurde und in jedem lausigen Buch des Genres geschrieben stand. Aber laues Papier zu drucken war allemal einfacher, als sich etwas Innovatives einfallen zu lassen.
Scott lobte den Marketingleiter in allen Tönen, und Habermann graute es langsam vor seiner eigenen Präsentation. Alle, die hier vortrugen, waren Scotts Leibeigene, Vasallen ohne eigenes Rückgrat, nur darauf bedacht, Karriere um jeden Preis zu machen. Mit ihren braun gefärbten Zungen hingen sie an den Lippen des amerikanischen Herrgottes. Wenn sie könnten, würden sie mit Scott ins Bett hüpfen – wie Caroline. Nur er war das schwarze Schaf, der Sündenbock.
Der stellvertretende Leiter der Entwicklung, ein junger Schnösel, Wirtschaftsingenieur mit Nachdiplomstudium in Projektmanagement, läutete das Trauervorspiel Habermanns ein. Als ergebener Speichellecker hatte er nichts zu befürchten. Was die Entwicklung in den letzten Jahren an Neuprodukten auf den Markt geworfen hatte, spottete jeder Beschreibung. Zwanzig Ingenieure beschäftigten sich hauptsächlich damit, die Kinderkrankheiten der Produktpalette auszumerzen. Von neuen Ideen, geschweige denn Innovationen keine Spur.
Das Thema »Qualitätsproblem eines Relais« erschien auf der Folie.
»Wir haben beim Relais immer noch keine Lösung in Sicht. Da sollte …«
»Klaus, wie weit ist die Qualitätssicherungs-Abteilung?«, schnitt Scott dem jungen Kerl das Wort ab. Das Zeichen, daß Habermann nun vorgeführt wurde. Wie immer, wie schon zahlreiche Meetings zuvor. Ring frei zur ersten Runde.
»Wie bereits mehrfach erwähnt«, Habermann ließ es sich nicht nehmen, diese kleine Spitze anzubringen, »ist das Relais für diesen Einsatz ungeeignet. Die Ansteuerspannung ist zu gering, und je nach Umgebungstemperatur zieht das Relais …«
»… nicht an. Klaus, das wissen wir ja alles.« Scott setzte sein falsches Lächeln auf. »Aber was ist die Lösung? Es hat keinen Sinn, in der History zu wühlen, sondern wir müssen nach vorne schauen.«
»Man muß die Ansteuerspannung erhöhen«, konstatierte Klaus.
»Das ist technisch nicht möglich. Der Bewegungsmelder erhält seine Spannungsversorgung aus der Einbruchmeldezentrale, und die ist auf zwölf Volt genormt«, belehrte ihn der Schnösel. Als ob er das nicht selbst wüßte!
»Dann gäbe es die Möglichkeit, die Betriebstemperatur einzuschränken auf fünf bis dreißig Grad.«
»Klaus!« Scott blickte ihn an, als wäre er ein minderbemittelter Schüler, dem man schon hundertmal das gleiche erklärt hatte. »Der Bewegungsmelder ist für den Außeneinsatz. Ein Produkt für den Outdoorbereich mit eingeschränktem Temperaturbereich ist paradox. Wir können kein Wetter machen.« Er legte absichtlich eine Pause ein, damit seine Vasallen den lauen Witz mit affektiertem Lachen goutieren konnten. »Es ist völlig indiskutabel, den Verkauf auf die Länder zu beschränken, bei denen im Winter das Thermometer nie unter fünf Grad fällt und im Sommer nicht über dreißig steigt. So ein Land existiert im übrigen nicht.« Breites Grinsen der Leibeigenen.
»Nun, dann bleibt als letzte Option, ein anderes Relais einzusetzen.«
»Der Einkauf und die Entwicklung haben ein halbes Jahr lang gesucht, ein solches Bauteil zu finden. Es gibt nur einen weiteren Hersteller, der die Spezifikationen erfüllt. Aber dieses Relais wäre fast doppelt so teuer wie das heutige.« Scott führte ihn nach allen Regeln der Kunst vor.
»Was den Produktpreis praktisch verdoppelt«, ereiferte sich der Vertriebsleiter.
Grund hierfür war aber nicht das Relais, sondern weil der riesige Wasserkopf dieses Firmenkolosses finanziert werden mußte. Alte Pfründe, exorbitante Boni und teure Firmenwagen wollten schließlich bezahlt sein. Ein Franken mehr bei den Bauteilen verteuerte das Produkt um zehn Franken im Verkauf. Völlig absurd. Aber Habermann hatte es aufgegeben, darüber nachzudenken.
»Das wären die Optionen gewesen.« Provokativ hielt er dem Blick von Scott stand.
»Nun, Klaus, das ist, ehrlich gesagt, nicht gerade viel und schon gar nichts Neues.«
Genausoviel oder neu wie bei meinen Vorrednern, dachte er sich. Aber ihn hatten sie zum schwarzen Schaf auserkoren. Und Scott würde ihn bluten lassen.
»Von einer Qualitätssicherungsabteilung hätte ich schon etwas mehr erwartet.« Alle Augenpaare ruhten auf Habermann. Er starb wieder einmal den Tod der tausend Blicke. Scott stachelte weiter, aber Habermann hatte beschlossen, sich keinesfalls provozieren zu lassen.
»Wir können nur die Fehler evaluieren und Vorschläge machen«, erklärte er.
»Aber keiner diese Vorschläge ist realistisch, Klaus. Wir brauchen eine Lösung, und zwar schnell!« forderte der Gottvater.
»Die Kunden sind dermaßen verärgert, daß sie reihenweise zur Konkurrenz überlaufen«, doppelte der Vertriebsleiter nach.
»Es ist nicht die Schuld der Qualitätssicherungsabteilung, wenn ein falsches Bauteil ausgewählt wurde.« Ein kleines Fingerpointing in Richtung R&D. Zudem vertrieb in Tat und Wahrheit die unfähige Verkaufsabteilung die Kunden und nicht die Qualität der Produkte.
»Das Relais ist ein Relikt aus der Vergangenheit, das ist allgemein bekannt – aus der Zeit, bevor die Entwicklungsabteilung nach Zug umgezogen war und praktisch alle Ingenieure gekündigt hatten. Unter den gegebenen Rahmenbedingungen war dies die einzige Option. Wir hatten time to market, Druck von allen Seiten«, rechtfertigte sich der junge Entwicklungsschnösel. Der getroffene Hund bellt.
Natürlich gab man denen die Schuld, die heute nicht mehr im Unternehmen beschäftigt waren. Man hatte den Firmensitz nach dem Aufkauf durch die Amerikaner aus steuerlichen Gründen nach Zug verlegt, und viele qualifizierte Mitarbeiter hatten dieses Unterfangen mit Kündigung quittiert. Die kurzfristige Denkweise der Steuereinsparung zwang das Unternehmen, in vielen Abteilungen wieder bei Null anzufangen.
»Klaus!« Scott schüttelte den Kopf wie bei einem uneinsichtigen und renitenten Jugendlichen. »Wie ich bereits sagte: We can not change the history. Unsere challenge liegt in der Zukunft. Wir müssen mehr performen. We need a solution.« Alle nickten.
Wenn Scott in seine englischen Lieblingsausdrücke verfiel, war er sauer. Habermann triumphierte innerlich. Scott, der Allmächtige war definitiv not amused.
»So, what is your proposal, Klaus?«
Wieso er? Er hatte diesen Bock nicht geschossen. Warum sollte er diese Suppe auslöffeln? Er schwieg stoisch.
»Liegt es an der deutschen Mentalität, Klaus? Ihr Deutschen sucht doch mit Vorliebe einen Schuldigen.« Die Jasager nickten synchron und lachten verhalten. Das war definitives Mobbing – vor Zeugen, die ihm nichts nützten. »In der Schweiz und in den USA suchen wir Lösungen, Klaus, keine Schuldigen. Das ist allgemein bekannt, Klaus.«
Immer dieses »Klaus«. Wie eine Anklage: Schuldig, Klaus. Du hast keine Lösung, Klaus. Deinetwegen sinken die Umsätze, Klaus. Du bist schuld, daß die Kunden wegrennen, Klaus.
Scott hatte recht, sie mußten keinen Schuldigen mehr suchen, sie hatten bereits einen gefunden. Er war schuld an diesem Problem, obwohl er am wenigsten dafür konnte.
»Wir haben im US Headquarter fähige Mitarbeiter, die dieses Problem im Nu lösen. Soll ich diese Fachleute wirklich hierher bemühen, um so eine banale Sache aus der Welt zu schaffen, Klaus?«
Klaus hätte ihn umbringen können.