Читать книгу Banker an den Galgen! - N. MarVol - Страница 12

Die Regeln

Оглавление

DER GENOSSE SASS IN DER MANSARDE DER ALTEN WIRTSCHAFT. Seine bescheidene Wohnung bestand aus einem einzigen Raum mit der Grundfläche des gesamten Gasthauses. Unter dem Ostfenster stand ein einfaches Kiefernbett. Im Anschluß daran folgte sein Büro mit einem uralten PC, der auf einer großen Holzplatte, seinem improvisierten Schreibtisch, stand.

Jeglichen Luxus seiner Behausung hatte er sorgfältig versteckt. Die IKEA-Regale als Raumteiler gaukelten perfekt die übliche Mittelklasse-Ärmlichkeit vor. Für seine Weggenossen verkörperte er den modernen Robin Hood, der die Reichen bestahl, um den Armen zu helfen. Und genau diesen Eindruck spiegelte seine alte Mansarde wider.

In diesen ärmlichen Verhältnissen wollte er niemals sein halbes Leben verbringen, das stand bereits heute fest. Das altertümliche Gasthaus stellte nur ein Provisorium dar, zeitlich limitiert, bis er seine finale Lösung vollendet hatte. In allen europäischen Staaten standen Hunderte von treuen Gefolgsleuten und Gesinnungsgenossen bereit, ihr gemeinsames Ziel in die Tat umzusetzen. Der perfekte Anschlag, ohne Vorwarnung, ohne die geringste Chance für die Opfer. Selbst hinterher würde die Polizei lange Zeit im Dunkeln tappen und schlußendlich ein paar arme, unschuldige Moslems aus dem Hut zaubern – oder fanatische Islamisten, die ein feiges Attentat auf die Demokratie verübt hatten.

Pah, Demokratie! Diese bankenhörigen Regierungsmarionetten stellten alles andere dar als demokratische Volksvertreter. Das zeigte sich bereits darin, daß sie gemeinsam mit diesen Boni-Bankern in luxuriösen Stadteilen lebten, die festungsartig wie Militärkasernen abgesichert waren.

Für seine devote Leidenschaft war dieses spottbillige, alte Anwesen aus einer Versteigerung wie geschaffen. Mitten im Nirgendwo der Schwäbischen Alb. Er betrachtete lustvoll die altehrwürdigen Decken- und Stützbalken, die eingedrehten dicken Haken, an denen zur Tarnung Wäscheseile hingen. In einem der Haken baumelte ein alter, verrosteter Flaschenzug, mit dem früher die Lasten auf den Dachboden gehievt wurden. Nur Kenner der Materie erkannten den wahren Zweck.

Ein alter Pranger stand in der Ecke und war die Hinterlassenschaft eines Sammlers, wenn ihn jemand fragte. Die antike Truhe war gefüllt mit Ketten, Seilen, Ledermanschetten und Hängefesseln. Der wurmstichige Bauernschrank daneben beinhaltete ein reichhaltiges Sortiment an Schlaginstrumenten. Und mit seiner neuen Bekanntschaft hatte er endlich jemanden gefunden, der mit allem umzugehen wußte, sogar mit der Bullenpeitsche.

Den Namen seiner Teufelin kannte er genausowenig wie ihre Adresse oder Telefonnummer. Aber sie würde wiederkommen, davon war er felsenfest überzeugt. Er war süchtig nach ihr und sie nach ihm. Schließlich besaß er eine enorme Leidensfähigkeit, und zudem hatte er ihren lüsternen Blick auf die alten Balken und das diabolische Blitzen in ihren Augen bemerkt, als sie den ausgebauten Speicher gemeinsam betreten hatten.

Sie würde sicher wiederkommen. Er war ein ausdauernder Sklave, der jede Menge Schmerz vertrug. Und sie wollte ihren Untergebenen schmerzvoll quälen, lange, bösartig und jenseits von diesem Getue der einschlägigen SM-Klubs und Studios. Hier unter dem alten Gebälk ging es zur Sache, fingen sie beide an, wo andere aufhörten. Er kannte kein Limit. Bisher jedenfalls hatte ihn noch keine Domina über seine Grenzen geführt, doch seine neue Bekanntschaft würde sie immer wieder aufs neue sprengen.

Die knarrende Treppe kündigte einen Besucher an. Sie? Das wäre allerdings eine Überraschung. Er rechnete nicht damit, daß er sie so schnell wiedersehen würde. Die alte Treppe erwies sich besser als jede Alarmanlage. Er war schon fast in Versuchung gewesen, das gesamte Anwesen zu überwachen, aber das wäre zu auffällig. Kameras, Infrarotmelder und Kabel würden an dem antiken Gemäuer nur Aufsehen erregen.

Die Gänse, die frei ums Haus liefen, und Cindy, die Schäferhündin, die fest zum Inventar der Wirtschaft gehörte, bemerkten Fremde bereits von weitem, besser und zuverlässiger als jede Elektronik. Allerdings überwachte eine kleine, unscheinbare Kamera seine Mansarde Tag und Nacht – sicherheitshalber.

Es klopfte, und Harald trat ein.

»Ich habe gehört, daß du wieder deine Abschußquote erhöht hast, Harald.« Der Genosse ließ klar durchblicken, daß er die wechselnden Liebschaften seines Partners nur widerwillig duldete. Sex und Liebe ließen Männer schwach werden – und unvorsichtig. Ein falsches Wort, und ihr mörderischer Plan flog mit einem gewaltigen Knall in die Luft. Sie alle würden für viele Jahre hinter Gittern landen.

»Dito, mein lieber Leidens-Genosse.« Harald, der Meister der Wortspiele. »Man munkelt von diabolischen Hexen, lautem Peitschengeknall und dem Jammern von Gefangenen. Endlich die Meisterin gefunden?« So frech gab sich dieser Weiberheld selten. »Siehst du, unverhofft kommt oft. Soll ich sie durchchecken?«

»Wohl oder übel. Wir können uns keinen Lapsus leisten. Das Dumme ist nur, daß sie mir leider nicht ihre Visitenkarte hinterlassen hat.«

Harald grinste. »Blind date, das Spiel mit der Unbekannten. Und mir hältst du Moralpredigten. Gut – Spaß beiseite.«

Der Genosse griff in ein verstecktes Fach im Regal und legte einen i-pad der dritten Generation auf den improvisierten Schreibtisch.

»Also: Zuerst die Überwachungsaufzeichnung.« Harald fuhr mit dem Finger über das Display. Der Genosse verscheuchte Harald von seinem Platz.

»Hände weg. Glaubst du wirklich, ich bin so einfältig? Wir suchen eine gute Aufnahme von ihr, ganz am Anfang. Den Rest des Abends löscht du natürlich.«

Auf dem Bildschirm sah man, daß sich die Tür öffnete, danach trat der Genosse ein, gefolgt von einer schlanken, schwarzhaarigen Frau in einer engen Bluse, Röhrenjeans und kurzen Stiefeln. Die billige Nylonjacke warf sie nach dem Eintreten auf den Boden. Der Genosse stoppte die Aufzeichnung, und Harald stieß einen anerkennenden Pfiff aus.

»Das sollte reichen. Du kannst das Gesicht cutten und dann deine schlauen Datenbanken befragen«, wies er Harald an.

Harald legte ein Rechteck über das Gesicht, schnitt es aus und kopierte es in ein anderes Programm. Anschließend verifizierte er das Bild via Internet in verschiedenen Datenbanken, den Network Communities und Bilderarchiven.

»Apropos neue Errungenschaften: Meine« – er betonte das Wort mit hochgezogenen Augenbrauen – »meine Neue kennt übrigens jemanden bei der SIWATEC – einen Qualitätsmanager namens Klaus Habermann. Wenn einer über die Lücken von Alarmanlagen Bescheid weiß, dann er.«

Der Genosse nickte zufrieden.

»Sehr gut – die Puzzlesteine fügen sich ineinander. Diesen Habermann jagen wir als nächstes durchs Netzwerk.«

Auf dem Display erschien das Foto einer Frau, das seiner neuen Bekanntschaft sehr ähnlich sah.

»Zeig uns deine Geheimnisse, Baby.« Harald und seine zweideutigen Sprüche! Der Genosse haßte sie, erst recht, wenn es um die Frau ging, die ihn süchtig gemacht hatte. Aber Harald und er bildeten eine Symbiose. Ohne ihn wäre er nie in der Lage, sein Lebenswerk erfolgreich zum tödlichen Ende zu führen.

Harald fühlte sich in Gegenwart von seinen IT-Geräten am wohlsten. Aber er war auch ein Frauenheld, ein Womanizer und Weichei. Ihm hatte bereits früher die nötige Abgebrühtheit und Brutalität gefehlt. Ganz anders als er selbst, der völlig ohne Hemmungen etwas durchzog, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen oder Verluste.

Beide zusammen, von abgrundtiefer Rachsucht beherrscht, würden diesen Abzockern in Banken und Industrie einen brutalen Denkzettel verpassen. Und sie würden dabei über Leichen gehen – Tausende von Leichen.

»Renate Markwarth, 39.« Harald hatte bereits die ersten Ergebnisse vorliegen. »Sieht auf dem Bild ein wenig verlebter aus.«

»Zu den Fakten, mein Freund!« wies er ihn zurecht.

»Oh, die Süße mit der schlanken Taille, den runden Hüften und dem schnuckeligen Vorbau – ist der echt? Auf jeden Fall hat sie Probleme mit unseren Freunden von der Finanzfakultät. Kein Kredit für die Investitionen in ihr Dominastudio. Miß Peitschenschwingerin ist gerade jobtechnisch indisponiert, steht mit ihrem vollen Einsatz dem Arbeitsmarkt zur Verfügung.« Harald verdrehte mit Vorliebe den verklausulierten Schwachsinn der Politiker.

»Sehr gut. Wie geschaffen für uns. Was haben wir noch? Wo hat sie vorher gearbeitet? Eltern, Freunde, Verwandte? Ich will alles über sie wissen.«

»Abwarten.« Harald klickte, scrollte und öffnete neue Fenster auf dem großen Flachbildschirm. »Sie arbeitete zuletzt bei Lidl. Teilzeit, verschiedene Filialen. Sehr flexibel, die Dame. Danach 400-Euro-Job – fertig. Festanstellung. Der Arbeitgeber spart alle Sozialleistungen. Lidl hat übrigens eine oberlausige Firewall. Die knackt jedes Kleinkind.

Offizielle Daten, zum Beispiel die vom Einwohnermeldeamt, sind hingegen schwieriger zu beschaffen. Die Informationen wurden bis in die Neunziger auf einer völlig veralteten Datenbank archiviert. Schau hier: ihr Lebenslauf: Keine Geschwister, Eltern bereits verstorben. So jung? Jetzt geht sie hartzen, weil ihr keine Bank einen Kredit gibt, um sich selbständig zu machen. In der Krise kein Wunder. Reicht dir das?« fragte Harald.

»Im Prinzip ja. Typische Loserin. Es hartzt im deutschen Wirtschaftsgetriebe, wenn ich mir auch mal ein Wortspiel erlauben darf.« Der Genosse setzte kurz ein falsches Grinsen auf. »Die ersten Opfer erwischte die Welle der New Economy Bubble. Nun fegt die Krisenwirtschaft mit der nächsten Woge den Rest vom Platz. Übrig bleibt nur dieses Kapitalistenpack. Die Gesellschaft teilt sich mehr und mehr in eine reiche Oberschicht, die sich alle erdenklichen bizarren Wünsche leisten kann, und hält sich dazu eine Bourgeoisie, die nach den wenigen Happen schnappt, die sie zugeworfen bekommt.

Der Besuch eines SM-Studios ist für die hohen Herren mittlerweile so selbstverständlich wie das Tanken an der Zapfsäule. Während man früher nach Geschäftsabschlüssen ins Bordell gegangen war oder die Nutten gleich ins Unternehmen geordert hatte, lassen sich die Bankiers, Manager und Politiker heute regelmäßig auspeitschen, den Hintern versohlen oder wegsperren. Das Angebot an Dominas hat seit der Krise sprunghaft zugenommen. Doch wo sich neue Märkte öffnen, stehen gleich ganze Horden parat, um daran zu verdienen. Jede Frau, die halbwegs weiß, wie man eine Peitsche hält, schimpft sich heute Mistress, Madame oder Lady. Stupides Zufügen von Schmerz. Fastfood-SM ohne Stil und Kultur.

Aber ohne Bankkredit kämpft unsere Renate in diesem lukrativen Gewerbe auf verlorenem Boden. Dem Markt geht ein Naturtalent verloren. Glück für uns.«

»Eher Glück für dich. Mich kannst du mit Peitschen und Handschellen jagen bis ans Ende der Welt. Aber das mit ihren Eltern läßt mir keine Ruhe. Das überprüfe ich noch mal.«

Harald durchsuchte die Traueranzeigen in diversen Zeitungsarchiven und wurde fündig. Hans-Peter und Petra Markwarth schieden gemeinsam freiwillig aus dem Leben. Kollektiver Selbstmord. Harald forschte weiter und fand einen kleinen Artikel: Krise killt Bevölkerung, titelte die Schlagzeile. »US-Zustände in Europa« der Untertitel. Immer mehr Leute aus allen Schichten der Bevölkerung nehmen sich das Leben. Auf Platz eins der Methoden rangieren Überdosen an Schlaftabletten, gepaart mit großen Mengen Alkohol.

Das Ehepaar Markwarth wurde stellvertretend für die steigende Zahl der Opfer der Krise erwähnt. Die Internet-Community hatte bereits einen neuen Begriff dazu geboren: Ökonozid. Dem Suizid als Ausweg aus der Wirtschaftskrise gingen entweder langjährige Arbeitslosigkeit oder ständiges Mobbing voraus – nicht nur in den unteren sozialen Schichten. In der Teppichbodenetage tobte der offene Krieg um die letzten BieTscheys, den Bonijobs.

Junge aufstrebende Hochschuljünger riefen nach einem Machtwechsel, bezeichneten die zerstörerischen Manager als Damager und warfen den Politikern Losership vor. Wer diesem Kampf nicht standhielt, wurde schnell ein Mopfer, ein Opfer der permanenten Mobbingschlacht.

Hans-Peter und Petra Markwarth hatten dem Dauerdruck nicht standgehalten und waren freiwillig aus einem Leben geschieden, das nichts für Zartbesaitete war.

Der Genosse las nochmals den Artikel.

»Wie geschaffen für uns. Fast zu perfekt. Was meinst du, Harald?«

»Du hörst wieder mal die Flöhe husten. Sie ist ein ganz normaler Frudog, ein frustrierter Underdog, dem das Wasser bis zum Hals steht. Relax, deine neue Quartalsflamme, ist sauber, du kannst dich ihr problemlos hingeben.«

»Was ist eigentlich mit deiner Neuen?«

»Eine Dunzel, extrem langsam und umständlich, zudem leicht merkresistent. Bei der gilt: In der Ruhe liegt die Kraft. Ich denke, sie ist sehr unterwürfig, fast sogar hörig.«

»Wie geschaffen für euch.«

»Sarah freut sich bereits.«

Das laute Geschrei der Gänse ließ ihn aufschrecken. Cindy bellte ohne Unterlaß. Danach hallten schwere Absätze durch das Haus, und die Treppe knarrte.

»Wenn man vom Teufel spricht … und ich meine nicht Sarah. Ich bin dann mal weg. Viel Spaß euch beiden.« Schnell legte er das i-pad wieder in das versteckte Fach zurück.

Die Tür flog ohne Klopfen auf, und SIE stand im Raum, ganz in schwarzem Leder. Hose, Bluse, Mantel, Stiefel, feine dünne Handschuhe. Im Stiefelschaft steckte eine Reitpeitsche.

»Ich bin es nicht gewohnt, so lange zu warten!« blaffte sie.

Ihr Blick nagelte ihn fest. Sie behandelte Harald wie Luft, als existierte er nicht.

»Es war mir nicht bewußt, ob Sie erlauben würden, daß ich Sie kontaktiere.«

»Du hast doch weder meinen Namen noch sonstige Daten.« Sie lächelte. Kalt, böse, ignorant. »Also, es sei dir nochmals verziehen. Was macht der Knilch hier? Will er zuschauen?«

»Ich wollte gerade gehen«, murmelte Harald.

»Dann zisch ab, Bubi!«

Als Harald sich an Renate vorbeidrückte, schoß ihr Kopf auf ihn zu, und sie schrie: »Buh!« – wie eine Hexe, die Kinder erschreckte. Harald zuckte zusammen. Der Genosse mußte ein Lachen unterdrücken. Diese Frau besaß nicht nur grausame Härte, sondern zudem eine gehörige Portion Humor.

Sie kickte mit dem Stiefel die Tür zu, trat in den Raum und stellte sich vor: »Renate Markwarth. Damit du weißt, wer auf dich wartet.« Sie zog die Peitsche aus dem Stiefel und deutete zur Tür. »Süß, der Milchbubi. Hoffentlich hat er jetzt keinen Schock fürs Leben.«

Sie ließ sich in den Sessel des Wohnbereichs fallen, der durch ein windschiefes Bücherregal vom Büro abgetrennt war. In aller Ruhe schaute sie sich um.

»Interessante Hütte. Die alten Balken haben mir schon das letzte Mal gut gefallen. Was seid ihr hier? Eine WG?«

Der Genosse zog den Bürostuhl heran und nahm ihr gegenüber Platz.

»So ähnlich. Wir sind alle Opfer der Wirtschaftskrise. Job verloren. Sozialhilfeschmarotzer, so bezeichnet uns die Aristokratie. Aber was ist man hierzulande schon ohne Arbeit? Arbeitslos, würdelos, rechtlos.«

Sie nickte, aber es wirkte stereotyp, da sie dabei weiter die Einrichtung inspizierte.

»Und du bist der Obermacker? Gehört die Bude dir?«

»Eine Erbschaft. Zum Glück komplett abbezahlt.«

»Und du stellst sie anderen Leuten zur Verfügung. Edel. Deinen Namen kenne ich allerdings immer noch nicht.«

»Ich will meinen Namen nicht an die große Glocke hängen. Alle nennen mich hier nur den Genossen – passend, da wir alle Leidensgenossen sind.«

Sie zog die Stirn kraus, als müßte sie über seine Erklärung nachdenken.

»Gut, ich kannte schon schlimmere Figuren. Jeder nach seiner Façon. Bekommt man hier auch etwas zu trinken? Kaffee wäre nicht schlecht.«

»Die Küche ist unten. Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«

Sie erhob sich theatralisch, gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen, fuhr mit der Peitsche über die Bücher, betrachtete einige Titel genauer und schnalzte mit der Zunge.

»Bist du ein Intellektueller? Bücher, so schwer wie eine fettriefende Pizza: Reden, Beeinflussen, Überzeugen. Netzwerkknüpfung im IT Zeitalter. Das Psychologische Kompendium. Die hundert Todsünden der Kommunikation. Hast du auch einen normalen Schundroman? Sandra Brown oder Petra Hammesfahr?«

Er wollte gerade antworten, als sie ihm die Peitsche auf die Brust drückte.

»Mal zu meinen Todsünden. Fünf an der Zahl. Ich komme mit in die Küche, aber nur ausnahmsweise. Ich will wissen, welche Leute sich hier herumtreiben. Ansonsten bin ich es gewohnt, bedient zu werden. In jeglicher Hinsicht. Das ist Regel Nummer eins.« Sie schaute ihm direkt in die Augen. Er nickte auf die nonverbale Frage, ob er verstanden habe. »Gut. Kommen wir zu Regel Nummer zwei: Ich bin keine 24/7, das ist mir zu anstrengend. Du kannst mich jetzt Reni nennen wie alle meine Freunde. In der Session bestehe ich auf »Herrin«. Regel Nummer drei: Ich mag keine Weicheier, aber da habe ich bei dir keine Bedenken. Vierte Regel: Ich erwarte absoluten Gehorsam, Ehrlichkeit und Loyalität in unserer Beziehung. Ich beiße nicht – jedenfalls nicht oft«, setzte sie mit einem süffisanten Lächeln nach. »Regel Nummer fünf: Bei unseren gemeinsamen Stunden gibt es keine Regeln. Meine Lieblingsregel.«

Die Ausführungen waren klar und deutlich. Trotzdem blieb sein Blick an ihrem Outfit und speziell an den beiden wohlgeformten Wölbungen unter der Lederbluse hängen. Die Strafe folgte auf dem Fuß. Die Peitsche traf schmerzhaft seine Backe.

»Das gehört zu Regel Nummer vier: Ich mag bewundernde Blicke, aber gaffen ist nur gestattet, wenn ich es dir erlaube. Verstanden?«

Die Peitsche glitt langsam über den brennenden Striemen. Er senkte demütig den Blick zu Boden. »Ja, Herrin.«

»Kaffee! Wir waren bei Kaffee stehengeblieben und bei nichts anderem. Ich bestimme, wann es losgeht und wann es aufhört. Gehen wir hinunter.«

Harald saß mit Sarah, seiner momentanen Flamme, und der Neuen am Stammtisch. Die Stimmen verstummten, als er und Reni den Schankraum betraten.

»Harald, Sarah – und die dritte Dame ist neu bei uns«, stellte der Genosse die Anwesenden vor und blickte fragend auf Harald.

»Manuela«, ergänzte Harald. Die arme Maus wäre beim Anblick von Renate fast unter den Tisch gekrochen.

»Das hier ist Reni«, sagte der Genosse knapp. Renate Markwarth winkte zur Begrüßung mit der Gerte.

Harald schob Sarah und Manu zur Treppe. »Wir waren gerade fertig, also bis dann. Man sieht sich. Tschüssikowski.«

»Bissidanski«, rief Reni ihnen nach und lächelte süffisant. Sie ließ keinen Zweifel aufkommen, wer im Moment in diesem Haus das Sagen hatte. Harald drehte sich um und sagte, daß in der Küche noch Kaffee sei.

»Perfekt!« kommentierte der Genosse. »Und vergiß unseren neuen Mann nicht!«

Erst sein Projekt, dann das schmerzhafte Vergnügen. Diese eiserne Regel mußte er strikt befolgen, um sein endgültiges Ziel zu erreichen. Wenn dieser Habermann in der Qualitätssicherung der SIWATEC arbeitete, dann hatte er sicher tiefere Einblicke in Alarmanlagensysteme und kannte deren Schwächen: den letzten Stein im Mosaik. Alles andere hatten sie minutiös geplant.

Think global, act local. Die alte Wirtschaftsdevise war auch bei ihrem tödlichen Vorhaben die ideale Strategie. Er würde den Anfang machen, den ersten Testlauf. War er von Erfolg gekrönt, würden die anderen Kameraden nachziehen, zeitgleich, ohne die geringste Chance für die Opfer.

Überall in Europa standen kleine Zellen Gewehr bei Fuß, um zum großen Rundumschlag gegen die Bankenmafia und ihre Politiksponsoren auszuholen. Getrieben von Rachgier, weil sie durch die Krise zu einem perspektivlosen Dasein verdammt wurden, waren diese Leute zu allem bereit. Vor zwei Jahren, als kein Ende der Krise abzusehen war, begann sich die Gesellschaft zu spalten. Eine kleine, von Sicherheitskräften bewachte Gilde besaß über die Hälfte des Volksvermögens, die restlichen Brotkrumen streuten sie unter den Pöbel. Elendige Drecksbande!

Der Genosse balancierte die beiden Kaffeetassen auf einem Tablett in den Schankraum. Reni trank ihn schwarz – passend zu ihrer Seele, meinte sie. Er bevorzugte eigentlich Latte Macchiato, aber Milchkaffee tat es auch.

»Etwas schüchtern, deine Jünger«, sagte Reni.

»Eher rücksichtsvoll. Sie wollen uns ungestört lassen. Wir leben hier sehr eng aufeinander. Gegenseitiger Respekt ist unser oberstes Gebot.«

»Respekt finde ich immer gut.« Sie nippte am Kaffee und schüttelte sich. »Puh, der weckt ja Tote auf.«

Er schob ihr Milch und Zucker hin.

»Geht schon.« Sie trank in kleinen Schlucken.

»Bei uns ist jeder willkommen. Ich würde es begrüßen, wenn du ebenfalls bleibst.«

»Guter Versuch, aber ich bin nicht käuflich. Ich liebe meine Freiheit. Auch wenn die Luft im Moment etwas dünn ist.«

»Dann betrachte es als ein Joint Venture, als symbiotische Partnerschaft.«

»Ein Dach über dem Kopf für gelegentliche Sessions. Ich werde über unser strategisches Geschäftsmodell nachdenken – und dabei einen Joint rauchen.« Sie lachte über ihren Wortwitz, trank die Tasse in einem Zug aus und schüttelte sich.

»Dann werde ich mal in Vorleistung treten. Vorbei die Zeiten des Redens und des Müßiggangs. Ich habe Lust auf ein paar genußvolle Stunden.«

Sie stand auf und legte den Ledermantel ab. Dann schritt sie vor ihm die knarrende Treppe hoch. Sein Blick blieb an dem knackigen Po hängen, über den sich das Leder spannte.

»Den wirst du bald zu spüren bekommen.« Sie klapste mit der Peitsche auf ihre Po-backen. »Auf deinem Gesicht.«

Harald begegnete ihnen auf der Treppe. Er warf Reni einen bewundernden, aber respektvollen Blick zu und wandte sich dann an ihn.

»Kann ich dich mal kurz sprechen?«

Der Genosse sah zu Reni.

»Meine Freundin hier« – sie hob demonstrativ die Peitsche hoch – »wird jede Minute zählen. Laß dir nur Zeit. Viel Zeit bedeutet viel Schmerz – und viel Spaß für mich.«

»Daß man auf solche Peinigungen stehen kann, wird mir ein ewiges Rätsel bleiben«, stellte Harald fest, als die Tür der Mansarde ins Schloß gefallen war. »Aber dein Problem. Ich mache es kurz, damit deine Strafe nicht so wild ausfällt.«

»Ab hundert macht es erst richtig Spaß.« Gelegentlich ritt den Genossen die Ironie. Dann kam er zur Sache. »Geht es um Habermann?«

»Ja. Er lebt und arbeitet in der Stadt Zug, in der Schweiz.«

»Im gleichnamigen steuergünstigsten Kanton – sehr praktisch. Weiter?«

»Nichts weiter. Maschinenbauingenieur, Qualitätssicherungsleiter in einem Unternehmen namens Sicherungs- und Wachtechnik AG, kurz SIWATEC, geschieden, lebt seit zehn Jahren in der Schweiz.«

»Einer der Fahnenflüchtigen, die Deutschland den Rücken gekehrt haben.«

»Flucht ja, aber direkt nach der Scheidung? Klingt für mich eher nach Schnauze voll und neues Leben angefangen.«

»Setz Manfred auf ihn an. Und überlasse ihn dem Roadster. Der ist sein Liebling.«

»Manni! Diesem brutalen Lowbrainer?«

»Genau der Richtige fürs Grobe. Wenn es eine Möglichkeit gibt, diese Alarmanlagen zu manipulieren, dann kann Manni es in fünf Minuten aus Habermann herausprügeln. Aber ich will dabei sein. Er soll ihn nur aufspüren und festhalten.«

Harald verzog angewidert das Gesicht. Der Genosse wußte, daß sein Kompagnon rohe Gewalt haßte, aber Habermann würde wohl kaum freiwillig sein Insiderwissen mit ihm teilen.

»Meinst du, daß man diese Alarmanlagen überhaupt überlisten kann? Wir hatten bereits einmal Glück gehabt, daß sie uns nicht verhaftet haben, als wir in ein Wasserwerk eindringen wollten. Die Bullen haben, keine fünf Minuten nachdem wir den Bohrhammer angesetzt hatten, auf der Matte gestanden. An der Mauer muß eine Art Erschütterungsmelder installiert gewesen sein, der den Schlagbohrer detektiert hatte. Jetzt schützt man bereits Wasserwerke wie Banktresore. Verrückt.«

»Harald, du kennst meine Devise: Jeder Mensch hat seinen Preis, und jede Kette ihr schwächstes Glied. Den hundertprozentigen Schutz gibt es nicht. Wir sind ganz nahe dran. Von der entlassenen Krankenschwester haben wir dieses seltene, aber hochwirksame Gift, von deiner Sarah, die zum Glück mal in einem Architekturbüro jobbte, die Pläne einiger Wasserwerke, die mittlerweile mit Videokameras rundherum gesichert sind. Wie wir allerdings die IT-Anbindung der Kameras abkoppeln und ein anderes Bild einspeisen können, wissen wir seit dem letzten Feldversuch. Die Außenmauer ist das letzte Hindernis, dann sucht die tödliche Vergeltung dieses Pack heim. Die Wasserwerke haben mit Sicherheit irgendwo eine Schwachstelle. Und die werden wir finden. Früher oder später.«

Harald rutschte nervös auf dem alten Stuhl über die dunklen Dielen. »Und dann willst du wirklich dieses Gift hineinschütten und Tausende von Menschen umbringen – wie die Tiere im alten Institut für Mikrobiologie?«

»Keine Menschen. Raffgierige Hyänen, die dem Volk alles genommen haben: Job, Familie, Zukunft, Lebensfreude. Die Menschen haben Existenzängste, schlafen nachts nicht mehr, springen in ihrer Verzweiflung von Brücken, nehmen Tabletten, lassen sich volllaufen.

Die Zahl der abgegebenen Babys bei den Kinderklappen hat sich seit der Krise verzehnfacht. Was die Tiere angeht, habe ich ihnen nur einen Gefallen getan. Sie wären sonst elendig verreckt. Ihre Besitzer haben sie einfach ausgesetzt. Kein Tierheim besitzt noch finanzielle Mittel, um sich der armen Viecher anzunehmen, geschweige denn sie einzuschläfern. Das Gift macht zuerst bewußtlos und lähmt danach den Herzmuskel. Sterben im Schlaf, ganz friedlich – Millionen alter Menschen träumen davon. Ein humaner Tod, wenn ich mir diese Pietätlosigkeit erlauben darf.«

*****

Zürich, Frühjahr 2010

Die Schweizer Bankenaufsicht kürzte den Managern der UBS die Boni. Daraufhin kam es zu einer Kündigungswelle. Im internationalen Bankengeschäft geben die USA den Takt an, und in den Staaten ist es trotz Krise nicht anrüchig, viel Geld zu machen.

Die UBS will ihren 69.000 Mitarbeitern einen Bonus in Höhe von rund vier Milliarden Franken auszahlen – dies trotz eines sich abzeichnenden Jahresverlusts von drei bis vier Milliarden. Wie bereits berichtet wurde, ist die Finanzmarktaufsicht (Finma) nur bereit, der Bank variable Lohnbestandteile von rund drei Milliarden zu bewilligen. Derzeit laufen Gespräche zwischen Vertretern der Großbank und der Finma.

Der Druck aus der Politik, die früheren UBS-Chefs strafrechtlich zu verfolgen, nimmt weiter zu. Jetzt wollen Politiker und Unternehmer Strafanzeige gegen die ehemalige Führung der Großbank einreichen. Ospel und Co. wären damit bereits mit der dritten Strafanzeige konfrontiert.

*****

Banker an den Galgen!

Подняться наверх