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Alle Deutschen müssen in die Baracken

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Immer mehr Deutsche kamen in unser Dorf Gorki. Weil es so viele waren und sie nicht wie wir bei den Kolchosbauern untergebracht werden konnten, wurden am Rande des Dorfes Holzbaracken gebaut. Man munkelte sogar, sie würden mit Stacheldraht umzäunt und Milizmänner sollten das Lager bewachen.

Unser Dorf hatte sich zusehends verändert. Immer mehr Bäuerinnen und deren Kinder stolzierten in modischen „ausländischen“ Kleidern herum. An den früher schmucklosen Fenstern fast jeder Kate hingen jetzt Gardinen aus Deutschland. Man ließ sich von nun an auch nicht wie früher von den Dorfhähnen wecken, sondern von deutschen Uhren. Dafür wurden unsere Koffer und Bündel immer magerer, denn ein schönes Stück nach dem anderen verschwand, und ich musste furchtbare Angst ausstehen wegen meiner Lieblingstischdecke, die mit Mohn und Kornblumen bestickt war. Jedes Mal, wenn eine tauschlustige Russin bei uns auftauchte, warf sie ein Auge darauf.

Bald hieß es, alle Deutschen müssten in die Baracken, aber einen ausdrücklichen Befehl gab es nicht. Ich mochte sie nicht, diese langen und finsteren Ungetüme mit den kleinen Zimmerzellen, die je ein winziges, mit Pappkarton und Brettern vernageltes Fenster hatten – kalt, trostlos, zum Verzweifeln. Doch zum Glück waren die Baracken mit Neuankömmlingen überbelegt, und Tante Njura ließ uns auch nicht gehen: „Netschego tam delatj – propadjote!“ (Ihr habt da nichts verloren, da geht ihr vor die Hunde!), sagte sie entschieden, und damit war die Diskussion vorerst aus der Welt geschafft. Doch der Mensch denkt, und der liebe Gott lenkt.

Eines Tages, als ich in mein Märchenbuch vertieft auf dem Ofen saß, betrat ein Mann die Küche. Männer waren sowieso eine Seltenheit in unserem Dorf und erst recht solche wie dieser: ein breitschultriger Soldat in funkelnagelneuer Uniform, glattrasiert und offensichtlich gut gelaunt. Denn er warf seinen Rucksack auf die Ofenbank und schrie lautstark: „Njurka!“ Ich verkroch mich in die hinterste Ecke. Wenn das nur nicht dieser schreckliche Kommandant war! Tante Njura kam aus dem Stall. Als sie den Fremden sah, ließ sie den Melkeimer fallen und die schöne Milch lief über den Fußboden. Tante Njura aber fiel dem Fremden um den Hals, weinte und lachte in einem und sagte nur immer wieder: „Sergej, ach Sergej!“ Nun wusste ich Bescheid: Es war der im Krieg vermisste Mann von Tante Njura, von dem mir die Jungs so oft erzählt hatten.

Tante Njura tat die unnötigsten Dinge, zupfte an ihrer Kleidung herum, glättete ihr Haar, strich sich aufgeregt über die Schürze, sprang auf, lief zum Ofen, stieß wie eine Blinde an alle Ecken, kam zurück, bis ihr Mann sie bei der Hand nahm und zum Hinsetzen zwang. Sie schien überglücklich zu sein, ihre Augen glänzten, die Wangen glühten.

Ich mochte diese Frau und freute mich jetzt für sie. Dann hörte ich den Mann nach seinen Söhnen fragen. Dabei sah er gewohnheitsgemäß zum Ofen hinauf und entdeckte mich.

„Nanu“, sagte er belustigt, „soweit ich mich erinnern kann, hatten wir nur Jungs. Wo kommt denn dieses Mädchen plötzlich her?“

Tante Njura hatte nur ein paar Sätze hervorbringen können, als die vor wenigen Minuten noch so lustigen und freundlichen Augen des Mannes zu engen Spalten wurden. Das Blau seiner Augen wurde fast weiß, das Gesicht war von Hass und Widerwillen entstellt. Mit Wucht sauste seine große Faust auf den Tisch, außer sich vor Wut schrie er abwechselnd mich und Tante Njura an, die wie ein schuldbewusstes Kind vor ihm stand. Ich hatte schon einiges gelernt und verstand das Russisch besonders gut, wenn es um uns als Deutsche ging. So auch jetzt: Der Mann tobte und schrie, er habe sein Blut nicht im Kriege vergossen, damit sich die Faschisten in seinen vier Wänden einnisten konnten, man sollte sie alle über den Haufen knallen und nicht mästen und wärmen! Tante Njura versuchte, ihn zu beschwichtigen, doch vergeblich. Er stellte sie vor die Wahl: entweder er oder wir, mit den „Fritzen“ könne er nicht unter einem Dach leben und die gleiche Luft atmen.

Ich zitterte am ganzen Leib, meine Zähne klapperten, aber ich konnte nichts dagegen tun, so sehr ich mich auch bemühte. Der rasende Mann versuchte, mich vom Ofen zu verjagen, ich jedoch hatte in meiner Todesangst nicht den Mut hinunterzuklettern und verkroch mich in der hintersten Ecke. Der Mann tobte so noch eine ganze Weile, zog dann seinen Schafspelz an und schlug donnernd die Tür hinter sich zu.

Tante Njura saß am Tisch und weinte.

Ich nutzte die Gelegenheit, verließ in Windeseile den Ofen und flitzte in unser Zimmer, Tür zu, Riegel vor. Es half aber nicht viel. In meiner Angst weinte ich bis zum Abend durch und beruhigte mich erst, als Mama von der Arbeit kam. Ich wollte ihr gerade erzählen, was vorgefallen war, da trat Tante Njura ins Zimmer und berichtete, unseren Blicken ausweichend, von der Forderung ihres Mannes.

„Du musst mich verstehen, Maria“, sagte sie leise, „es geht schließlich um meine Familie.“

Mama wurde kreidebleich. Unsere Lage war aussichtslos, denn in den Baracken gab es keinen freien Platz mehr. Wo sollten wir nur hin mitten im Winter? Nach langem Schweigen bat Mama Tante Njura um eine Frist, sie wollte den Kommandanten fragen, wo wir nun hin sollten. Die Frau versprach, mit ihrem Mann zu reden, doch man sah ihr deutlich an, dass ihr bei diesem Gedanken nicht sonderlich wohl zumute war.

An diesem Abend beteten wir besonders lange.

In den Fängen der Zeit

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