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Es lebe das Beraterleben – Schnee von gestern

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Wenn das Beraterleben nicht so anstrengend wäre, könnte es vielleicht tatsächlich so toll sein, wie die Nachbarn, Freunde und Bekannten denken. Es entsteht immer schnell das Bild der Karrierefrau in Designer-Klamotten, die auf hohen Hacken wichtig ins Ausland fliegen muss – so, wie ich es beispielsweise vor nunmehr vielen Monaten in Richtung Südfrankreich tat. Das Bild der übermüdeten und entnervten Anja kommt mir schon wieder in den Sinn. Ja, wie toll ist es, am Montagmorgen nach anderthalb Stunden Autofahrt (wenn kein Stau oder gar eine Vollsperrung auf der Autobahn ist) um 6:30 Uhr in der Reihe der Mitreisenden in der Security des Flughafens zu stehen! Wenn ich auf der Autobahn Richtung Frankfurt aufgehalten werde, muss ich leider die Abtrennungen bei der Security durchtauchen und Leute beiseitedrängen mit einem »Sorry, ich habe in fünf Minuten Boarding. Ich muss leider …«

Das ist selten – glücklicherweise. Wenn ich mein Abflug-Gate in Frankfurt erreicht habe – und es nicht kurz vor Abflug geändert wird, und ich zu einem anderen Gate hetzen muss (was am Frankfurt Airport echt Strecke bedeutet) – setze ich mich hin und beobachte meine Mitflieger. Spätestens in der Security ist zu sehen, wer Fliegen gewohnt ist und wer nicht. Es ist komisch, aber es ist ein üblicher intuitiver Scan, die Menschen in der Schlange zum Security-Check zu mustern, bevor ich mich in einer der Reihen anstelle. Der Scan ist die Abfrage: Wissen die, was abgeht – oder brauchen die länger?

Teufelchen: »Reih dich in die andere Reihe ein! Die da vor dir sind noch nie geflogen, die werden bestimmt den Security-Check aufhalten.«

Engelchen: »Keep cool! Das hier ist wie an der Kasse eines Supermarkts. Du stehst ohnehin immer in der falschen Schlange an. Ein Wechsel bringt dir auch keine Zeitersparnis.«

Teufelchen: »Anja, fühlst du dich auch so wichtig wie deine Mitreisenden, die schon am frühen Montagmorgen Telefonate führen und auf ihrem Laptop herumhacken, während sie auf das Boarding warten?«

Die Flughafen-Bestimmungen sind sehr unterschiedlich. An manchen Flughäfen muss ich meine Halskette ablegen, den Gürtel abschnallen und die Schuhe ausziehen. An anderen wiederum nicht. In einem sind alle Flughäfen aber seit dem 11. September 2001 gleich. Flüssigkeiten bis 50 ml, Laptops, Handys, Tablets – alles rein in die Box, durch die Security durch. Wer das mit den 50 ml beim Kabinenkoffer nicht weiß, ist schon mal sein Deo los. Mülltonne.

Wer nach Kuba fliegen will, überfliegt amerikanisches Hoheitsgebiet und muss die ESTA-Bedingungen erfüllen.

Aber auch die europäischen Flüge sind schon interessant. Vor allem am Montagmorgen in aller Frühe sind die Wichtigtuer in ihren schicken Anzügen am besten. Sie hacken geschäftig auf ihren Laptops herum und laufen ebenso wichtig mit ihren Smartphones telefonierend durch die Gegend. Dann stelle ich mir vor, wie ich selbst um diese Zeit zum Beispiel meinen Mann anrufen würde, um ihm zu sagen, dass ich wichtig bin. Der würde mir was husten.

Also – wen rufen diese Wichtigtuer am frühen Montagmorgen um sieben Uhr denn an? Mit Blick auf die Zeitzonen könnte ich mir um die Zeit Telefonate nach Asien vorstellen. Die sind der Central European Time voraus. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass alle Mitreisenden um mich herum mit Asien telefonieren. Ich glaube eher, dass sie Normalos sind, solche wie ich. Müde am Gate stehend und um diese Uhrzeit noch keinen Bock auf anstrengende Telefonate habend. Unwichtig halt. Aber während sie wichtigtun, schüttele ich nur mit dem Kopf.

Die Vielfliegerei hat sich allerdings jetzt mit meinem neuen Job erledigt. Genauso, wie es sich erledigt hat, weiterhin in die Schweiz zu fahren. Auch das ist vorbei. Ade, Schweiz! Ade, Drehkreuz-Hänger! Ade, Hotel! Endlich kein »Guten Abend, Frau Raab! Schön, Sie wieder begrüßen zu dürfen.« mehr.

Mein Parkplatz in der Tiefgarage ist längst gekündigt. Was aber aus der Schweiz bleiben wird, ist der knallgelbe Kaffeebecher mit der dicken, fetten, schwarzen Aufschrift: »Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden!« Es ist der Becher von einem coolen Typen aus dem Projektteam auf Kundenseite. Ich habe mir den Becher immer von ihm ausgeliehen und mit in unser internes Morgenmeeting ohne Kunden mitgenommen. Wenn Dr. Despot alias Bernhard wieder zu ausfällig geworden ist, habe ich diesen Becher immer mit einem lauten Geräusch auf die Tischplatte vor mir gestellt – so, dass Bernhard es nicht übersehen und überhören konnte. Er hat mich sicher dafür gehasst, und der coole Typ auf Kundenseite hat gegrinst, als ich ihm im Nachgang von der Wirkung des Kaffeebechers erzählt habe. Er hat mir den Kaffeebecher zum Abschied geschenkt, und ich werde diesen Becher in Ehren halten.

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