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Prolog

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Es ist alles immer so weit weg. »Das passiert anderen, aber doch nicht mir!« Irgendwann habe ich diese Haltung Glasglockenleben getauft und bin jetzt nachdenklicher geworden, denn es nutzt nichts, das Älterwerden wegzuschieben. Das geht sozusagen jeden etwas an; nicht nur wegen der Zipperlein, die unweigerlich immer mehr werden. »Ich habe Rücken«, ist so der süddeutsche Klassiker, der bedeutet: »Ich habe Rückenschmerzen.« Es geht natürlich auch um unsere Finanzen. Als wir selbst jung waren, war das Thema private Altersvorsorge noch nicht so im Fokus, wie es das heute ist. Es war sogar eher gar kein Thema. Die Wirtschaft wuchs, und niemand beschwerte sich darüber, während des arbeitsreichen Lebens in eine Rentenkasse einzuzahlen. Dank des Generationenvertrags zahlen wir Jungen für die Alten, und wenn wir einmal alt sind, dann zahlen wieder die Jungen für uns Alten.

Nun sind ein paar Jahrzehnte vergangen, ich habe fleißig in die Rentenkasse eingezahlt – und tue es noch – aber die Diskussionen über den Generationenvertrag sind lauter geworden. Längst ist klargeworden, dass die demografische Entwicklung mit viel zu wenigen jungen Generationen dazu führt, die Rentenkassen für die immer älter werdenden Alten nicht ausreichend füllen zu können. Längst ist das Thema Altersarmut nicht mehr zu übersehen, und längst wird in der Politik über eine Einheitsrente diskutiert. Es ist nicht mehr wegzudiskutieren, dass Rentner früh morgens auf der Straße sind, um Pfandflaschen als Zubrot einzusammeln, die andere achtlos weggeworfen haben. Trotzdem scheint meine eigene Rente noch so weit entfernt, dass es schwer vorstellbar ist, die Altersarmut würde mich einmal selbst treffen. Es gibt so Dinge im Leben, die allen anderen passieren können – aber doch nicht mir selbst, oder?

Meine Eltern haben mir die Sparsamkeit vorgelebt. Mein Herr Papa war der Alleinverdiener in unserer fünfköpfigen Familie, und meine Frau Mama hat erst den Pfennig und dann den Cent dreimal umgedreht und sorgsam darauf geachtet, dass das eigene Haus auch abbezahlt werden konnte. Herr Papa zahlte fleißig in die Rentenkasse ein und gehört zu den Jahrgängen, die davon noch echten Nutzen haben sollten. Als mein Vater dann tatsächlich in Rente gegangen ist – auch das kam mir damals unglaublich vor, und ich fühlte mich auf einmal selbst uralt – unternahmen meine Eltern viel in ihrer gemeinsamen Freizeit. Mein Vater gründete darüber hinaus mit Studenten eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, und sie bauten ein Windkraftwerk. Er begann mit Polnisch-Kursen, und alles sah so aus, als ob das ewig so weitergehen würde. Mein Vater hatte also eine gute Rente, und ein wenig beneidete ich ihn um seinen wohlverdienten Ruhestand, während ich beruflich durch die Gegend raste, um mir irgendwann einmal ebenfalls meine Rente verdient zu haben. Falls es das dann noch geben würde. »Entweder hat man Geld und keine Zeit, es auszugeben – oder man hat Zeit und kein Geld, um sie zu nutzen.«

Meine Eltern hatten nun beides. Genug Zeit und genug Geld. Und sie hatten das Wichtigste überhaupt: genug Gesundheit, um diese Rentenzeit auch genießen zu können. Jeder lebte sein Leben weiter, und alles war im Lot. Niemand dachte daran, dass das Leben endlich ist. Meine Eltern hatten ihr Auskommen, und aus der Entfernung sah für mich alles gut aus, wie es war.

Nun, das war wohl ein Irrtum. Das Glasglockenleben sollte ein jähes Ende finden. Ist es nicht auch so, dass Weihnachten jedes Jahr sehr überraschend auf einmal vor der Tür steht? Ist es nicht auch so, dass für Finanzleute jedes Jahr noch überraschender der Jahresabschluss in Form des Wirtschaftsprüfers vor der Tür steht? Gevatter Tod ist demgegenüber vielleicht tatsächlich eine echte Überraschung – auch wenn sich durch Krankheit schon abgezeichnet hat, dass er nur noch eine Weile warten würde. Kommt er dann tatsächlich, ist es endgültig. Auch wenn jeder damit gerechnet hat, so bleibt die Frage: Warum denn gerade jetzt? Warum nicht erst nächstes Jahr?

Wir bleiben zurück und fühlen uns allein. Wir denken darüber nach, ob wir die Zeit genutzt haben, dem noch Lebenden alles gesagt zu haben, was wir ihm gerne gesagt hätten. Neben der Frage »Warum gerade jetzt?« beschäftigen wir uns mit der Frage, ob wir mit dem Verstorbenen im Reinen waren. Wieso will auch ich gar nicht wissen, wie es sich wohl anfühlen würde, wenn nach fünf Jahrzehnten Ehe mein Partner vor mir versterben würde? Wieso verdränge auch ich den fast unwiderruflichen Fakt, dass immer einer zuerst gehen muss? Was macht dann der Zurückgebliebene?

Ich wähle eine pragmatische Betrachtung und kommentiere weise dazu: »Es kommt darauf an«. Es kommt darauf an, wie die partnerschaftliche Arbeitsteilung ausgesehen hat. Mir kommen unzählige Krimis in den Sinn, wo eine Witwe die Augen niedergeschlagen und gemurmelt hat: »Über die finanziellen Dinge hatte ich keinen Überblick.« Mir kommt auch in den Sinn, wie groß meine Bedenken waren, als ich mich mit Mitte 20 von meiner ersten großen Liebe getrennt habe. Arbeitsteilung. Ob ich es wohl verlernt habe, in Zukunft wieder selbst die Bohrmaschine zu schwingen, die Reifen vom Auto zu wechseln oder Möbel zusammenzuschrauben? Alles Quatsch, ich habe nichts verlernt, und im Übrigen war es für mich klar, dass ich niemals jemand anderem den alleinigen Überblick über meine finanzielle Situation überlassen würde.

Na ja. Früher war es normal, dass die Frau den Haushalt führte und die Kinder großzog. Oft ging es damit einher, dass der Geld verdienende Mann auch den alleinigen Überblick gehabt und sich um alles Finanzielle gekümmert hat. Und dann passiert es. Peng! Weg ist der Partner. Und du blickst auf einmal allein in eine Welt, die sich rasant schnell digitalisiert hat und sich immer schneller weiterdigitalisiert, und du weißt gerade mal, wo man den Computer ein- und wieder ausschaltet.

Ich versuche auch heute noch, diese Situation zu verstehen, und schiebe jedes Mal resigniert den Bürostuhl von meinem Schreibtisch weg, um die Gedanken darüber abzuschalten. Was in der Zukunft wohl noch alles digitalisiert und auch für mich unverständlich werden wird, sodass auch ich nicht mehr hinterherkomme? Irgendwann werden uns jüngere Generationen mit großen Augen anstarren, wenn wir über eine Computertastatur erzählen. »Tastatur? Was ist das denn?« Genauso wie es heute schon ist: »Walkman? Diskette? Video-Kassette?« Wer kennt denn heute noch das Straßenbild auf Autobahnen, auf dem das dunkle Magnetband einer verhedderten Musik-Kassette abgewickelt an der Leitplanke im Wind geflattert hat?

Glasglockenleben

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