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Mein ganz normales Leben Job ist Job

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Im Schlafzimmer von meinem Mann Michael und mir gibt es keine tickenden, mechanischen Wecker mehr. Ich habe einen Uhren-Knall und im ganzen Haus digitale Funkuhren verteilt, und so sind natürlich auch die Wecker auf den Nachttischen eher halbe Raumstationen, die nicht nur die Uhrzeit anzeigen und eine Weckfunktion haben, sondern gleich auch als Wetterstation fungieren und mit dem leuchtenden Display wie ein Raumschiff durch die Dunkelheit leuchten.

Dunkelheit ist bei uns daher relativ, denn die leuchtenden Displays spenden genug Licht, dass man gut auf das Einschalten der altmodischen Nachttischlampe verzichten kann, wenn man mal nachts austreten muss. Völlige Dunkelheit habe ich noch nie gemocht und kann so gar nicht nachvollziehen, dass manche ihre Außenjalousien komplett nach unten fahren, um die Außenwelt auszusperren. Mich versetzt so etwas lediglich in einen Zustand der Unruhe, wenn ich nicht mitbekomme, dass es draußen langsam hell wird und ein neuer Tag beginnt. Da scheiden sich die Geister und mitunter auch Beziehungen. Glücklicherweise ist es meinem Mann Michael egal, und er kann gut damit leben (schlafen), wenn die Jalousien im ersten Stock so gut wie nie nach unten gezogen werden. Höchstens mal, wenn tagsüber die Sonne an der Südseite hereinbrennt, und die Jalousien als Sonnenschutz herhalten müssen.

Unabhängig von nach unten gezogenen oder geöffneten Jalousien kann ich seit einigen Jahren in einer wöchentlich wiederkehrenden speziellen Nacht grundsätzlich nicht mehr gut schlafen. Wahrscheinlich bin ich damit nicht einmal allein, denn die Nacht von Sonntag auf Montag beendet das Wochenende und kündigt eine neue lange und anstrengende Arbeitswoche an.

Früher war das nicht ganz so schlimm. Da bin ich um 7:30 Uhr aufgestanden, um Viertel vor neun ins Auto gestiegen und war um neun am Arbeitsplatz. Das ist aber schon lange Schnee von gestern. Wie jeden Sonntag verlasse ich also sehr früh am Abend das Wohnzimmer im Erdgeschoss und ziehe mich zurück ins Schlafzimmer im Obergeschoss, um noch ein bisschen im Bett fernzusehen und dann zu schlafen. Das heißt, ich versuche zu schlafen. Wie jeden Sonntag habe ich das Gefühl, ich würde etwas verpassen, und zappe die üblichen TV-Sender durch, um nur noch schnell die Reportage zu Ende zu sehen.

Natürlich ist es ruckzuck doch wieder 23 Uhr, und ich werfe frustriert die Fernbedienung zurück auf den Nachttisch. In fünf Stunden muss ich wieder aufstehen, obwohl mein Beruf weder Bäcker lautet noch sonst ein Handwerk, was mit frühem Aufstehen zusammenhängt. Fünf Stunden sind mir zu wenig, und mit dem Gedanken schlafe ich ein, um fast jede Stunde wieder aufzuwachen und mit einem vorsichtigen Schielen auf den Wecker nachzurechnen, wie viel Zeit mir noch bleibt, um zu schlafen. Dieses stündliche Nachrechnen versaut mir meine Laune dann vollends, und beim nächsten vorsichtigen Blick auf die digitalen Ziffern sehe ich, dass der Wecker in fünf Minuten lospiepsen wird.

Ich brauche mich gar nicht zu meinem Mann Michael umzudrehen, denn an seinen leisen Schnarchgeräuschen höre ich, dass er noch tief und fest schläft. Ich muss wohl doch ein bisschen geschlafen haben, denn ich habe nicht mitbekommen, wann er zum Schlafen ins Schlafzimmer geschlichen ist.

Es hilft alles nichts, also kille ich den Wecker, bevor er seinen ohrenbetäubenden Weckruf loslässt, schleiche nun meinerseits leise aus dem Schlafzimmer und schließe die Schlafzimmertür hinter mir. Es fühlt sich im Haus kühl an, aber der Blick auf das nächststehende Thermometer zeigt mir, dass es 23 Grad sind. Ich bin kein Winterfan, und meine Müdigkeit an diesem dunklen Februarmorgen trägt bestimmt zu meinem Frier-Gefühl mit bei. Ich schnappe mir die dicke Wolljacke und schlüpfe in meine Hausschuhe, um meine Geister bei Kaffee und Sudoku-Rätseln unten in der Küche im Erdgeschoss zu wecken. Vorher braucht mich niemand anzusprechen.

Während die Kaffeemaschine läuft, grabsche ich mir zusätzlich die warme Wellensteyn-Jacke vom Garderobenhaken im Flur und schleiche mich möglichst leise wieder zurück Richtung Wohnzimmer mit der riesigen Terrasse davor, um draußen eine zu rauchen. Michael raucht überhaupt nicht und ich seit rund zehn Jahren nicht mehr drinnen. Egal, wie das Wetter ist.

Februar. Nachdenklich blase ich die Rauchwolken in die undurchdringliche Dunkelheit, die ich auch bei größter Mühe nicht mit meinen Blicken durchdringen kann. Das Licht der Straßenlaternen auf der Vorderseite des Hauses dringt nicht nach hier hinten auf die Gartenseite. Es ist wieder klirrend kalt, aber diesen Winter hat es noch nicht ein einziges Mal nennenswert geschneit. Von mir aus kann das so bleiben. Schnee ist nur für diejenigen eine Freude, die nicht gleich wieder rund 400 Kilometer in die Schweiz fahren müssen. Natürlich tut es mir für den Wintersport-Tourismus speziell in der Schweiz leid, denn auch dort ist bis jetzt in diesem Jahr der Schnee ausgeblieben. In normalen Wintern ist Zürich im Schnee versunken.

Februar. Bald wird wieder alles anders werden. Wie schon so oft in meinem Leben. Ich habe in absehbarer Zeit noch zwei Wochen Resturlaub und werde mit dem Resturlaub Mitte März das Unternehmen verlassen. Mit diesem Montag habe ich noch drei weitere Montage und anschließende Arbeitswochen zu überstehen. Diese Woche werde ich dem ekligen Projektleiter sagen, dass ich das Projekt bald verlasse. Dass ich sogar das ganze Unternehmen verlasse, das wird er schon selbst merken.

Es ist so weit. Mein Blick fällt auf die Mühen des vorhergehenden Sonntagnachmittags, den Kabinenkoffer, den ich gestern noch fertiggepackt habe für die kommende Woche und der nun darauf wartet, von mir in den Kofferraum meines Kombis geladen zu werden. Habe ich an alles gedacht? Vor meinem geistigen Auge tauchen noch einmal die warmen Sachen auf, die ich hineingeworfen habe.

Februar. Bis zum Frühling ist es hoffentlich nicht mehr weit.

Die Dunstschwaden der feuchtkalten Nacht ziehen wenig später auf der Autobahn an mir vorüber. Die Strecke ist bis zur Schweizer Grenze immer nur schnurgerade und todlangweilig.

Aber dadurch, dass ich so früh losfahre, ist wenigstens der Berufsverkehr noch nicht so störend, dass er mich an meinem rasanten Straßen-Tiefflug hindern könnte. Die kalte Morgenluft zieht unangenehm in das Auto, als ich die Scheiben herunterfahre, um endlich eine Zigarette zu rauchen.

Wieder beschleicht mich das unangenehme Gefühl, dass sich Vieles ändern wird. Der Job, ja gut. Darüber machte ich mir weniger Sorgen. Ich habe nicht zum ersten Mal in meinem Leben den Job gewechselt. Viel mehr Sorgen mache ich mir über meine alten Eltern, Friedrich und Rosi. Heute ist der Tag, an dem Friedrich im Alter von 84 Jahren operiert werden soll. Eigentlich der Klassiker bei alten Menschen, es dreht sich um einen verschleppten Oberschenkelhalsbruch, und nun setzen die Ärzte ihm eine künstliche Hüfte ein. Würde mein Vater diese Operation überstehen? Wenn nicht, was würde meine Mutter Rosi nach so langer Ehe mit Friedrich wohl ohne ihn machen?

Die Uhr im Auto zeigt mittlerweile 7:30 Uhr, und ich habe die gerade, langweilige Strecke in Deutschland hinter mich gebracht. Das Morgengrauen hat schon eingesetzt, und gleich werde ich die Autobahn Richtung Lörrach verlassen, um die Grenze bei Rheinfelden zu überqueren und die übervolle Stadtautobahn durch Basel vermeiden. Ich kenne die letzte Autobahnraststätte vor der Schweizer Grenze recht gut. Sie ist ziemlich groß, man kann dort die Vignetten für die Straßen-Maut kaufen, auf Toilette gehen und die Gutschriften-Bons sammeln. Zahle 70 Cent und nimm den 50-Cent-Bon zur Anrechnung mit zur Kasse, wenn du etwas eh schon Überteuertes kaufen möchtest. Mein Stop-and-go an der Raststätte ist in der Regel immer nur der Toilettengang ohne Kaufen, und so habe ich mein Portemonnaie voller Bons.

Kurzentschlossen setze ich den Blinker, um auch dieses Mal im Morgengrauen die Toilette zu benutzen, sammele meinen neuen Bon ein und inspiziere anschließend den angrenzenden Shop. Ich habe dieses riesige Regal voller Plüschtiere schon oft genug gesehen. Zielsicher gehe ich darauf zu und greife nach einer grünen Schlange, die anderswo sicher auch für vier Euro zu haben wäre, hier aber zehn Euro kostet. Ich blättere meine Wert-Bons hin.

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