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Lokale Ökonomie

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In allen seinen Formen steht der Lokalismus für den Versuch, die Probleme und die enorme Komplexität loszuwerden, die Merkmal einer globalisierten Ökonomie, Politik oder Umwelt sind. Unsere Probleme sind zunehmend systemisch und global, und sie bedürfen gleichermaßen systemischer Antworten. Natürlich zeigt sich politisches Handeln in gewisser Weise immer auf lokaler Ebene, und entsprechend gibt es nützliche lokalistische Ansätze, etwa die Debatte um Resilienz. Doch als Ideologie geht Lokalismus viel weiter und verwirft systemische Überlegungen insgesamt, obgleich sie in der Lage wären, das vereinzelte lokale Handeln zu koordinieren und zusammenzuführen, um drohende Gefahren für den Planeten abzuwenden oder den oppressiven globalen Machtverhältnissen entgegenzutreten und diese möglicherweise zu verändern.

Nirgendwo ist die Unfähigkeit lokalistischer Antworten auf komplexe globale Probleme offensichtlicher als in den Kampagnen für eine lokale Wirtschaft, für lokale Banken und Unternehmen. Nach der Finanzkrise von 2008 gab es eine Reihe von im weiteren Sinne linken Vorschlägen zur Reform des Wirtschafts- und Finanzsys­tems. Neben zahlreichen sinnvollen Ansätzen fällt der Plan ins Auge, die Ökonomie durch Lokalisierung zu transformieren. Das Problem mit Großkonzernen, so der dahinterstehende Gedanke, ist nicht so sehr deren grundsätzlich ausbeuterischer Charakter, sondern die schiere Größenordnung der Unternehmen. Von kleineren Unternehmen und Banken sei zu erwarten, dass sie stärker die Bedürfnisse ihrer lokalen Gemeinwesen berücksichtigen würden.

Eine recht populäre Kampagne aus jüngerer Zeit,

»Move Your Money« genannt, propagierte die Idee, Kunden von Großbanken, die die Verantwortung für die Finanzkrise trugen, sollten ihre Einlagen kollektiv kleineren und zuverlässigeren Geldinstituten anvertrauen. Derartige Kampagnen erwecken den Anschein effektiven Handelns: Sie bieten ein sinnstiftendes Narrativ über die Probleme des Systems und zeigen im ethischen Konsum einen einfachen und gefahrlosen Lösungsweg. Solches folkpolitische Handeln hinterlässt das Gefühl, etwas getan zu haben. Die Großbanken stehen als die Schuldigen da, und die Idee, es zeitige erhebliche Folgen, wenn einzelne Kunden ihr Geld auf kleinere lokale Banken und Kreditinstitute transferieren, scheint plausibel. Das Modell ignoriert allerdings die Komplexität (und Abstraktheit) der modernen Finanzsphäre. Die Geldzirkulation funktioniert unmittelbar global und ist zudem mit allen anderen Märkten verbunden. Sobald kleinere Banken und Kreditinstitute über Aktiva verfügen, die auf der lokalen Ebene nicht mehr profitabel zu reinvestieren sind, werden sie zwangsläufig nach anderweitigen Investitionsmöglichkeiten suchen. So offenbart ein Blick auf die Geschäfte kleinerer Banken in den USA, dass sie sich auf denselben globalen Finanzmärkten betätigen wie alle anderen Institute auch: Sie investieren in Staatsanleihen, Hypotheken oder Aktien, und sie beteiligen sich ebenso wie Großbanken an risikoreichen Kreditgeschäften mit negativen gesellschaftlichen Auswirkungen.130

Nun wäre vielleicht zu erwarten, eine reformistische Kampagne wie »Move Your Money« hätte zumindest gewisse Veränderungen im Gefüge des Bankensystems in den USA zur Folge gehabt. Doch tatsächlich erhöhten sich in der Zeit nach der Finanzkrise bis September 2013 die Aktiva der sechs größten US-Banken um 37 Prozent. So sind diese Großbanken heute in jeder Hinsicht stärker als zu Beginn der Krise und halten landesweit 67 Prozent der Vermögenswerte der gesamten Branche.131 Zwar gab es weltweit gesetzgeberische Bemühungen, die Mechanismen, die letztlich in die Krise führten, strenger zu reg­lementieren – indem beispielsweise die Eigenkapitalquote erhöht oder regelmäßige Stress­tests eingeführt wurden, um künftig die Notwendigkeit von »Bankenrettungen« möglichst zu vermeiden –, aber risikoreiche Kredit- und Derivatgeschäfte von gigantischen Ausmaßen gibt es weiterhin.132

Die Bemühungen, der Bedeutung von Großbanken durch lokalistische Kampagnen etwas entgegenzusetzen, scheinen also zum Scheitern verurteilt; doch was ist mit Initiativen, die sich das in hohem Maße durch lokale Geldinstitute geprägte kontinentaleuropäische Bankwesen zum Vorbild nehmen? So sind beispielsweise rund 70 Prozent der Institute in Deutschland kleinere öffentlich-rechtliche und genossenschaftliche Institute.133 Die Genossenschaftsbanken und Sparkassen in Deutschland und der Schweiz würden, so deren Befürworter, Solidargemeinschaften bilden und Risiken gemeinsam tragen; ihre Vorteile seien ihr hoher Grad an Selbstständigkeit und ihre Kenntnis der lokalen Verhältnisse, wodurch sie im Großen und Ganzen die Finanzkrise unbeschadet überstehen konnten.134 Lokale Geldhäuser dieser Art seien eher geneigt, heißt es, kleinen Unternehmen Kredite zu gewähren, als dies die in Großbritannien und den USA stärker verbreiteten Großbanken tun. Indes wird, trotz bestimmter Vorteile eines Bankensystems mit einer starken lokalen Säule, deren Stabilität häufig übertrieben dargestellt. So gingen die Sparkassen in Spanien (die Cajas), ungeachtet ihres Status als regional organisierte, öffentlich-rechtliche Institute, in den 2000er Jahren erhebliche Risiken im Immobiliengeschäft und bei spekulativen Investitionen ein, was eine tiefgreifende Restrukturierung der Branche nach der Krise von 2008 notwendig machte. Auch wenn in den Führungsetagen der Cajas lokale Interessen repräsentiert waren, wurden Investitionsentscheidungen letztlich ohne eine wirkliche Aufsicht getroffen. Lokalisierung bedeutete in diesem Fall politische Einflussnahme der lokalen Administration auf vermeintlich neutrale Kontrollgremien, eingebettet in einen um sich greifenden Nepotismus, und manche Sparkasse wurde zu einer Investitionsplattform für spekulative Immobiliengeschäfte.135 Die regional organisierten Cajas gehörten in Spanien zu den Geldhäusern, die die Finanzkrise am schlimmsten traf, und die anschließende Restrukturierung bedeutete in vielen Fällen die Fusion lokaler Sparkassen und die Bildung größerer Institute. Selbst in Deutschland, das oft dafür gepriesen wird, weltweit über das Bankensystem mit dem am besten organisierten öffentlichen Sektor zu verfügen, gab es Probleme mit einigen regionalen Instituten. Verschiedene Landesbanken beispielsweise hatten sehr stark in strukturierte Kreditprodukte investiert, die sich in der Finanzkrise besonders schlecht entwickelten.136 Kleinere Banken oder Sparkassen sind also, soviel ist zu lernen, nicht grundsätzlich besser gerüstet, eine Finanzkrise zu überstehen – zumal es heutzutage unmöglich ist, die Ebenen des Lokalen und des Globalen überhaupt klar zu trennen. Politische Einflussnahme, die Notwendigkeit, profitable Investitionsmöglichkeiten zu finden, auch wenn diese außerhalb des regionalen Rahmens liegen, und nicht zuletzt die höheren Gewinne, die risikoreiche Investitionen versprechen, sind Faktoren, die kleinere Institute zu einem Teil der globalen Finanzsphäre machen. Auch genossenschaftliches Eigentum garantiert kein größeres Verantwortungsbewusstsein in Finanzdingen, wie etwa die Schieflage der britischen Co-operative Bank belegt, die 2009, nach einer schlecht geplanten Übernahme einer Wohnungsbaugesellschaft, beinahe zusammengebrochen wäre.137 Die strukturellen Probleme des Finanzsektors lassen sich nur angehen, wenn dieser seine Machtpositionen verliert, sei es durch eine umfassende Regulierung (wie es für kurze Zeit dem Keynesianismus der Nachkriegszeit gelang) oder durch eher revolutionäre Mittel. Die Fetischisierung des Kleinen und Lokalen scheint eher ein Weg, effektivere Maßnahmen auszublenden, mit deren Hilfe sich das System zum Besseren verändern ließe.

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