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Widerstand ist nutzlos

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Einen manifesten Ausdruck finden folkpolitische Vorstellungen in radikalen horizontalistischen Bewegungen ebenso wie in eher moderaten lokalistischen Initiativen; doch ganz ähnliche Haltungen lassen sich in vielen Strömungen der heutigen Linken entdecken. Quer durch all diese Spektren kommt es in einer Reihe von Punkten immer wieder zu Übereinstimmungen: über die Vorzüge des Kleinen und Überschaubaren (»Small is beautiful«), die ethische Überlegenheit des Lokalen, die Vorteile des Einfachen, das Bedrückende von Institutionen oder das Ende des Fortschritts. Solche Vorstellungen sind weitaus populärer als ein Nachdenken über ein gegenhegemoniales Projekt, über eine Politik also, die sich in einem wirklich großen Maßstab gegen die Kapitalmacht behaupten könnte. Im Kern ist die aktuelle Folk-Politik Ausdruck eines »tiefsitzenden Pessimismus: Er geht davon aus, dass kollektive soziale Veränderungen im großen Maßstab nicht zu erreichen sind.«138 Der Defätismus läuft in der Linken Amok – und angesichts der fortwährenden Fehlschläge der vergangenen drei Jahrzehnte hat er dazu vielleicht allen Grund.

In den Parteien der reformistischen Linken wird im

bes­ten Fall noch nostalgisch einer längst versunkenen Vergangenheit nachgetrauert. Als radikal gilt hier schon, wer von einem sozialdemokratischen Wohlfahrtsstaat träumt oder die Erinnerung an das »goldene Zeitalter« des Kapitalismus pflegt.139 Die einstigen Voraussetzungen des Sozialstaats existieren indes längst nicht mehr. Jenes goldene Zeitalter war abhängig von einem bestimmten Paradigma der Produktion, von industriellen Normalarbeitsverhältnissen, die (weißen, männlichen) Arbeitern Sicherheit und einen bescheidenen Lebensstandard boten; im Gegenzug bescherten jene Verhältnisse ihnen ein Leben lang unglaubliche Langeweile und gesellschaftliche Unterordnung. Das Modell gründete auf einer internationalen Hierarchie imperialer Mächte, ihrer Kolonien und unterentwickelten Peripherien sowie auf der Hierarchie innerhalb des Nationalstaats, zu der Rassismus und Sexismus ebenso gehören wie die Unterdrückung von Frauen innerhalb der Familien. Der so beschaffene Sozialstaat schloss ferner ein bestimmtes Klassenkräfteverhältnis ein – und die Bereitschaft, dieses anzuerkennen. Und selbst das war nur möglich nach der beispiellosen Verwüstung, die die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatten, sowie unter dem Eindruck der Bedrohung durch Kommunismus und Faschismus. Heute lässt sich ein Regime wie das des goldenen Zeitalters weder wiederherstellen noch wäre das wünschenswert, ungeachtet aller Nostalgie, die viele vielleicht empfinden. Und selbst wenn es einen Weg zurück zu jenem Sozialstaat gäbe, sollten wir ihn nicht einschlagen. Es gibt bessere Ziele als das sozialdemokratische Festhalten an Arbeitsplätzen und Wachstum, denn letztlich bedeutet das immer, sich und andere über den Charakter des Kapitalismus hinwegzutäuschen. Statt einer nostalgisch verklärten Vergangenheit als Modell der Zukunft sollte unser Ziel lauten, eine eigene Zukunft zu schaffen. Die Zwänge der Gegenwart hinter sich zu lassen, wird nicht durch die Rückwendung zu einem versunkenen, in der Erinnerung verklärten »menschlicheren« Kapitalismus gelingen.

Ebenso wenig wie das nostalgische Festhalten an einer verlorenen Vergangenheit ist die heute weit verbreitete Verklärung von »Widerstand« zufriedenstellend. Denn Widerstand richtet sich dem Wortsinn nach immer gegen das Agieren einer Macht und ist daher nicht selbst aktiv, sondern defensiv und reaktiv. Widerstand schafft keine neue Welt, er opponiert im Namen einer alten. Das Hervorheben von Widerstand heute täuscht darüber hinweg, dass eine defensive Haltung den Übergriffen eines expansiven Kapitalismus nichts entgegensetzt. So positionieren sich etwa die Gewerkschaften in ihrem Widerstand gegen den Neoliberalismus mit Slogans wie »Rettet unser Gesundheitssystem« oder »Stoppt die Austeritätspolitik«, doch offenbaren derartige Forderungen lediglich eine im Kern konservative Haltung. Bestenfalls ließe sich so darauf hoffen, dem Raubtierkapitalismus vorübergehend ein wenig Einhalt zu gebieten. In der Auseinandersetzung ginge es nur darum, bereits Erreichtes zu bewahren, wie begrenzt und krisengeschüttelt es auch immer sein mag. Solche Tendenzen lassen sich nicht zuletzt auch in linken Bewegungen in Lateinamerika beobachten, wo erfolgreiche Kampagnen sich häufig gegen Projekte transnationaler Unternehmen – insbesondere im Bergbaubereich – richten.140 Doch in vielen Zirkeln wird Widerstand als solcher verherrlicht, und eine radikale Rhetorik überdeckt den Konservatismus der eingenommenen Positionen. Widerstand, so heißt es, sei die einzige Möglichkeit, konstruktive Projekte hingegen lediglich ein Traum.141 Aber selbst wenn Widerstand unter bestimmten Umständen wichtig sein mag, für die Aufgabe, eine neue Welt zu schaffen, ist er nutzlos.

Andere Bewegungen propagieren den Ausstieg, einen individuell zu vollziehenden Exodus aus existierenden gesellschaftlichen Institutionen. Affinitäten zu einem solchen Ansatz finden sich insbesondere in horizontalistischen Strömungen, denn schließlich gehört die Ablehnung bestehender Institutionen ebenso zu deren Grundlagen wie der Aufbau autonomer Formen von Gemeinschaft. Letztlich jedoch sind Vorstellungen eines Ausstiegs eine Tendenz, die sich durch die jüngste Geschichte aktivistischer Politik in all ihren Facetten zieht.142 Manche Strömungen richten sich explizit gegen komplexe Gesellschaften, das heißt ihr Ziel ist eine Form von Kommunitarismus oder Anarcho-Primitivismus.143 Andere schlagen vor, zu verschwinden und unsichtbar zu werden, um der staatlichen Entdeckung und Repression zu entgehen.144 Im Extremfall wird eine Art linker Survivalismus propagiert: Wir erleben den Zusammenbruch einer Zivilisation, deshalb sollten wir die Sichtbarkeit fliehen, uns in kleinen Kommunen finden und lernen, unsere Ernährung, Pflege und Selbstverteidigung zu organisieren.145 Innerhalb einer survivalistischen Logik weisen solche Positionen, auch wenn sie vielleicht unattraktiv sind, zumindest eine gewisse Konsistenz auf. Sie haben zudem den Vorzug, nicht im Vagen zu bleiben. Wie auch immer, das politische Werben für einen Ausstieg oder Exodus verwechselt allzu leicht die gesellschaftliche Logik einer Absonderung mit der einer Gegnerschaft zum Kapitalismus – oder, um den Anspruch deutlicher zu formulieren, einer gesellschaftlichen Logik, die für die Kapitallogik eine Bedrohung darstellt.146 Der Kapitalismus war und ist mit allen möglichen Verhaltensweisen und autonomen Räumen unterschiedlichster Art vereinbar und wird dies auch in Zukunft sein.

Aufschlussreich in diesem Zusammenhang ist etwa die Erfahrung der spanischen Gemeinde Marinaleda. Im Verlauf dreier Jahrzehnte baute die kleine Stadt mit ihren rund 2700 Einwohnern an einer »kommunistische Utopie«, enteignete den Großgrundbesitz, errichtete gemeindeeigene Wohnhäuser und gründete Kooperativen, hielt die Lebenshaltungskosten niedrig und schuf Arbeitsplätze für alle. Die Grenzen einer solchen Politik sind indes auch schnell aufgezeigt: Die Baumaterialen stellt die Provinz zur Verfügung, die Landwirtschaft subventioniert die Europäische Union, Arbeitsplätze bleiben bestehen, weil Rationalisierungsmaßnahmen abgelehnt werden, das Gemeinde-Einkommen generiert der Verkauf von Agrarprodukten auf Märkten außerhalb der Gemeinde, die Geschäfte sind somit abhängig von der kapitalistischen Konkurrenz wie auch den Auswirkungen der globalen Finanzkrise.147 Marinaleda ist nur ein Beispiel dafür, wie sehr der Ausstieg, die Flucht oder der Exodus aus dem Kapitalismus einem folkpolitischen Horizont verhaftet bleiben; mit einer solchen Perspektive lässt sich bestenfalls darauf hoffen, kleine Enklaven der Autonomie gegen die Attacken des Kapitalismus zu verteidigen. Dagegen behaupten wir, dass sich durchaus mehr erhoffen (und erreichen) lässt, und zudem, angesichts des Fehlens einer breiten und systematischen Gegenposition, auch jene kleinen Inseln des Widerstands vermutlich demnächst verschwunden sein werden.

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