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Kapitel 8

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David Livingston saß in seinem ledernen Chefsessel und ließ seine Knöchel knacken – eine alte Angewohnheit, die er sich einfach nicht abgewöhnen konnte. Dann fuhr er mit seinen Fingern durch sein dickes, geöltes schwarzes Haar und setzte sich anders hin. Sein Computer meldete sich mit dem Geräusch einer eingehenden E-Mail, aber er ignorierte ihn.

Er klickte das Nachrichtenportal weg und las sich stattdessen weiter die Akte über Juliette Alexandra Richardson durch, die in Montana geboren worden war. Abgesehen von einem kurzen Aufenthalt in Kalifornien während und nach ihres Studiums, hatte sie ihr ganzes Leben in Montana verbracht. Er hatte sich von seinem Datenspezialisten, Randall Brown, einen Ausdruck an sein Büro schicken lassen, diesen dann eingescannt und das Original geschreddert. Was Papierverschwendung und zweifellos auch Vergeudung von produktiver Zeit gewesen war. Auch nach fünf Jahren beim CDC konnte er immer noch nicht verstehen, warum sie nicht einfach alles per E-Mail machen konnten. Der Datenspezialist hatte zwar mehrfach versucht, es ihm zu erklären … irgendwas mit Sicherheit und vertraulichen Informationen … aber es war nie wirklich bei ihm angekommen.

Er war nun am Ende der Akte angelangt und hatte nichts Ungewöhnliches oder Absonderliches gefunden. Es hätte ihn nicht überraschen sollen, denn er hatte sie bereits zum dritten Mal gelesen. Sie war seinem eigenen Lebenslauf von vor fünf Jahren nicht unähnlich. Sauber, simpel und makellos.

Er hatte die aktuelle Position nur durch Entschlossenheit, harte Arbeit und eine Portion simples Pech erreicht. Denn er hatte sich beim CDC eigentlich ursprünglich als Ermittler beworben, in der Hoffnung, einen Job zu ergattern, der es ihm erlaubte, zu reisen und die Art von entsetzlichen Dingen zu erforschen, für deren Geheimhaltung der Rest der Welt gutes Geld bezahlte. Er hatte sich zuerst einem Team von Wissenschaftlern und Biologen in den Anden angeschlossen, hatte es aber nicht bewerkstelligen können, seinen Namen in der anschließend publizierten Abhandlung unterzubringen. Nach seinem Abschluss und dem Ende seines Praktikums war er dreimal übergangen worden, bevor er einen Schreibtischjob im CDC-Hauptquartier an Land gezogen hatte. Dort hatte er dann vier Jahre damit verbracht, die Kostenabrechnungen seines Bosses abzuschicken und Tagesordnungen für Meetings vorzubereiten.

Doch dann starb sein Boss, im Alter von einundsechzig Jahren an einem Herzinfarkt und die ganze Abteilung stand plötzlich ohne Manager da. Anstatt an seine Stelle zu treten, war Livingston gemeinsam mit allen anderen outgesourct und die Abteilung so gut wie aufgelöst worden. Er hatte kurzfristig eine Stelle als Forschungsspezialist bekommen, im Grunde nur jemand, der in den Medien und vor allem in Nachrichtensendungen darüber spekulierte, welcher Ausbruch oder welche Naturkatastrophe wohl zum nächsten Rinderwahn oder zur Vogelgrippe werden konnte.

Während seiner Laufbahn war allerdings nichts davon geschehen.

Letzten Endes wendete sich das Blatt aber für ihn – zumindest hatte er das geglaubt. Was zuerst als Gelegenheit, eine brandneue Abteilung des CDC zu leiten, erschien, entpuppte sich schon nach kurzer Zeit als eine absolut eintönige Stelle auf mittlerer Führungsebene. Sie waren noch dazu in die tiefste Provinz verbannt worden, in den Süden Montanas, und dazu beauftragt worden, ihren Beitrag zum Schutz vor ökologischen und biologischen Bedrohungen des Landes zu leisten.

Anders ausgedrückt, er und sein Team waren nichts weiter als glorifizierte Sturmjäger.

Für Livingston war dies der schlimmste Ort auf der ganzen Welt.

Juliette hingegen war vor drei Jahren als junge CDC-Angestellte durch seine Tür gekommen, noch grün hinter den Ohren und mit der üblichen Weltverbesserungsmentalität. Er selbst hätte sie nicht ausgesucht, aber sie war ihm von Leuten jenseits seiner Gehaltsklasse wärmstens empfohlen worden.

Außerdem hatte ihr gutes Aussehen bestimmt nicht geschadet. Sie war durchschnittlich groß, schlank und mit Kurven an genau den richtigen Stellen ausgestattet. Also jemand, den er durchaus als Hingucker bezeichnen würde.

Livingston schob sich von seinem Schreibtisch weg und stand auf, dann reckte er sich und ließ seine Halswirbel knacken. Er drückte einen Knopf auf der kleinen Gegensprechanlage neben seinem Computer und wartete einen Moment lang.

»Bitte sagen Sie Stephens, dass er herkommen soll.«

Eine Frauenstimme antwortete durch die geschlossene Tür. »Jawohl, Mr. Livingston.«

Livingston war bewusst, dass es furchtbar arrogant war, die Sprechanlage zu benutzen, aber das war ihm egal. Der Lautsprecher der Anlage war an der Wand gleich außerhalb seines Büros angebracht worden und auf die Schreibtische der restlichen Mitarbeiter gerichtet. Ihr gesamter Arbeitsbereich war so klein, dass nur zwei Büroräume überhaupt Türen hatten, seines und Julie Richardsons, welches derzeit aber nicht besetzt war. Livingston hatte der Verwaltungsangestellten, die technisch gesehen dem gesamten Personal zur Verfügung stand, ein Namensschild mit der Aufschrift Vorstandsverwaltung ausgehändigt, um jeden im Raum daran zu erinnern, für wen sie – und jeder andere hier – tatsächlich arbeitete.

Als es an der Tür klopfte, wartete er einen Moment, setzte sich wieder hin und räusperte sich dann. »Kommen Sie herein, Stephens.«

Benjamin Stephens öffnete die Tür, blieb aber auf der Schwelle stehen. Er sah genervt aus. »Was kann ich für Sie tun, Livingston?«

Livingston knirschte mit den Zähnen. Er konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn nur mit dem Nachnamen ansprach. Er ging zwar nicht darauf ein, speicherte es aber in seiner mentalen Datenbank persönlicher Beanstandungen ab. »Danke, dass Sie so schnell gekommen sind.«

»Der Schreibtisch der Sekretärin ist direkt neben meinem, einen Meter von Ihrer Tür entfernt. Selbst ohne die Sprechanlage hätte ich Sie durch die Tür hören können.«

Livingston ignorierte diese herablassende Antwort und bot ihm stattdessen einen Stuhl an.

»Sie müssten mir einen Gefallen tun, Stephens«, sagte er. »Richardson ist gerade unterwegs im Einsatz und sie war in der Nähe des Yellowstone-Parks.« Er pausierte. »Sie haben doch mitbekommen, was im Yellowstone passiert ist, oder nicht?«

Stephens nickte.

»Gut. Jedenfalls spaziert sie gerade da draußen herum und versucht herauszufinden, welche Auswirkungen die Strahlung auf das dortige Umfeld haben wird.«

»Ich dachte, sie wollte Fischreusen und deren Effekt auf die Insektenpopulation des niederen Flusslaufs untersuchen?«

»Das stimmt, das war ursprünglich geplant. Dieses kleine Nebenprojekt ist ihr sozusagen zugefallen, weil sie gerade in der Nähe der Explosion war. Sie wissen ja, wie sie sein kann, so übereifrig.«

Stephens schaute ihn aufmerksam an. »Sie arbeitet immer hart.«

»Ich möchte, dass Sie sich bei ihr melden. Sie sind immerhin ihr Stellvertreter und ich erwarte deshalb von Ihnen, dass Sie sich um sie kümmern. Sie ist nämlich nicht die Art von Person, die gern Bericht erstattet. Aber ich weiß, dass Sie verstehen, warum wir das tun müssen.«

»Ja, Sir.«

»Gut, dann setzen Sie sich jetzt mit ihr in Verbindung und bleiben Sie auf den traditionellen Kanälen mit mir in Kontakt – schicken Sie alles über SecuNet. Wirklich alles! Verstanden?«

Stephens zögerte.

»Was ist?«

»Ja … nein, Sir … ich meine, das ist ja alles schön und gut, aber ich verstehe nicht, inwiefern das anders ist, als das, was ich sonst mache.«

»Es ist nicht anders, Stephens. Es geht nur darum, dass Ihre Teamleiterin zu denken scheint, dass sie einfach neue Regeln aufstellen kann, wie es ihr gefällt. Vergessen Sie also nicht, wie wir die Dinge hier handhaben, okay? Sie hängen sich an Julie dran und halten mich auf dem Laufenden.«

»In Ordnung.«

»Randy, unser Daten-Spezialist ist ebenfalls startklar und richtet Ihnen einen SecuNet Account ein, falls er das nicht schon getan hat. Alle Anrufe, E-Mails und von mir aus auch Telegramme, gehen ab sofort durch diese Datenabteilung.«

Livingston musterte seinen Angestellten sorgfältig und versuchte dessen Gesichtsausdruck zu deuten. Er wusste, dass Stephens wusste, dass Randall Brown in Urlaub war, und er wollte sehen, wie Stephens darauf reagierte. Würde er weitere Fragen stellen oder so tun, als wäre Brown doch anwesend? Oder etwas ganz Unerwartetes sagen?

Es war eines von vielen Machtspielchen, die Livingston so gern mit seinen Angestellten spielte, denn er liebte es, zuzusehen, wie sie sich wanden und sich um die richtige Antwort bemühten.

Als Livingston zum Ende kam, stand Stephens sofort auf. »Kapiert, Sir.«

Livingston war enttäuscht, Stephens hatte wirklich ein fantastisches Pokerface.

»Prima.« Livingston sah wieder auf seinen Computerbildschirm und gab vor, seine E-Mails zu checken. Er wartete, bis Stephens sein Büro verlassen hatte, und ging dann zu einem Schränkchen an der hinteren Wand.

Dort holte er eine Karaffe heraus und schenkte sich einen Scotch ein. Im Mitarbeiterhandbuch hatte er zwar ausdrücklich festgelegt, dass Alkohol im Büro nicht erlaubt war, aber er glaubte, dass es als Büroleiter durchaus sein Recht war, die schönen Dinge des Lebens zu genießen. Er hätte sich sogar eine Zigarre angezündet, wenn es die kleine Räumlichkeit nicht zu einer Räucherkammer gemacht hätte.

DER ENIGMA-VIRUS

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