Читать книгу Das Herz der Feuerinsel - Nicole-C. Vosseler - Страница 11

6

Оглавление

Die Morgenluft auf dem leeren Deck war von einer belebenden Frische wie der Duft von Minze. Zaghaft atmete Jacobina sie ein, als ob sie fürchten musste, ihr könnte erneut schwindelig werden. Doch ihr Kopf blieb klar, und sie holte tiefer Atem. Sie fühlte sich noch etwas wackelig auf den Beinen, aber ungleich lebendiger als am Vortag, beinahe wie neugeboren.

Die Raserei des Meeres hatte sich erschöpft. Munter tanzte die Prinses Amalia auf den Wellen, die den Rumpf des Dampfers umspielten. Mit einer ruppigen Zärtlichkeit, wie entschuldigend, dass er an den Tagen zuvor so ungestüm gewesen war, zupfte der Wind an Jacobinas Rocksaum und an den Kanten ihrer offenstehenden Jacke. Erst als er einzelne Strähnchen aus ihrer strengen Frisur löste und damit herumtändelte, merkte Jacobina, dass sie ihren Hut vergessen hatte. Deshalb umzukehren lohnte sich nicht, schließlich würde wohl zu dieser frühen Stunde niemand außer ihr hier oben sein, und die Sonne des jungen Tages war noch blass und schwach. Jacobinas Mund verzog sich zu einem kleinen Schmunzeln angesichts ihrer Nachlässigkeit; sie trat unter dem Schattendach hervor, blieb aber nach wenigen Schritten wieder stehen.

Gegen den gläsernen Himmel zeichnete sich Floortjes Gestalt ab. Vornübergebeugt stand sie an der Reling, die Arme aufeinandergelegt und die Wange dagegen ruhend; ihr in die Höhe gerecktes Hinterteil pendelte hin und her und ließ den Rock ihres Kleides, blau wie das Meer und von einer scharlachroten Bordüre geziert, mitschwingen. Wie in einem Tanz kreuzte sie ein Bein hinter das andere, stellte den Fuß auf der Spitze ab und ließ die Ferse rhythmisch auf und ab wackeln, und ihr Haar, das ihr über den Rücken und die Schultern fiel, bewegte sich in der Brise, als führte es ein Eigenleben. Unvermittelt richtete sie sich auf, stützte sich auf den obersten Holm, stieg mit beiden Füßen auf die unterste Querstrebe und reckte sich zum Himmel, als wollte sie jeden Augenblick davonfliegen.

Jacobina machte auf Zehenspitzen einen Schritt rückwärts, hielt inne, konnte sich aber auch nicht dazu durchringen, auf Floortje zuzugehen. Die wohltuende Nähe zu ihr, die ihr am Vortag in der Enge der Kabine schließlich so natürlich vorgekommen war, schien ihr heute fast wie ein Fiebertraum. Unschlüssig, was sie tun sollte, verlagerte sie das Gewicht von einem Bein aufs andere.

Floortjes Kopf fuhr herum, dass ihr das Haar um die Schultern tanzte.

»Jacobina!«, rief sie, und ihre Stimme schlug dabei einen Purzelbaum. Auf ihrem Gesicht, von der Sonne blassgolden getönt, sprang ein Strahlen auf, und ihre Augen funkelten mit dem Meer um die Wette. »Guten Morgen!«

Jacobinas Herz machte einen kleinen Satz, und verlegen ging sie zur Reling. »Guten Morgen«, erwiderte sie leise.

»Ist das schön, dich wieder wohlauf zu sehen!« Schwungvoll hüpfte Floortje auf die Decksplanken herunter und pustete sich eine lose Strähne aus dem Gesicht. »Bisschen blass bist du allerdings noch … Dir geht’s doch wieder gut, oder?« Liebevoll strich sie Jacobina über den Arm.

Jacobina nickte. Scheu sah sie auf die gekräuselte Oberfläche des Meeres hinaus. »Ich … ich wollte mich noch bei dir bedanken. Dafür, dass du gestern … ich meine …« Sie warf Floortje unstete Seitenblicke zu.

Floortje klemmte die Unterlippe zwischen die Zähne und lächelte verhalten, aber die Freude war ihr anzusehen. »Hab ich doch gern gemacht!« Sie senkte den Kopf und fügte leiser hinzu. »Dafür sind Freundinnen doch da. Oder etwa nicht?« Offen sah sie Jacobina wieder an, eine unausgesprochene Bitte im Blick.

Jacobina wich dem Blick aus und stopfte bemüht sorgfältig mit dem Zeigefinger eine Falte ihrer Bluse fester in den Bund des Rocks, während sie krampfhaft nach den richtigen Worten suchte. »Sieh mal, Floortje, es ist so. Also … Ich … ich fürchte, ich bin nicht sonderlich begabt, was Freundschaften angeht.« Sie presste den Mund zusammen.

Floortje lachte leise und sah Jacobina verschmitzt an. »Ich fürchte, ich auch nicht!«

Jacobina musterte sie fragend. In ihrer Vorstellung war Floortje eines dieser besonders niedlichen kleinen Mädchen gewesen, die stets im Mittelpunkt standen, umringt von anderen, die sich um den Platz der besten Freundin drängelten. Eines jener Mädchen, die kichernd zusammengluckten, in ihren duftigen Kleidern so hübsch anzusehen und vor Lebenslust, vor Sorglosigkeit und einer leichtherzigen Seelenverwandtschaft vibrierend wie Schmetterlinge.

Die Heiterkeit auf Floortjes Zügen verlosch; stattdessen schob sich ihr zierliches Kinn vor, und um ihren Mund, um ihre Brauen zuckte es. »Bei uns zu Hause …« Sie zögerte, und als sie fortfuhr, klang ihre Stimme aufgeraut. »Bei uns war manches anders. Anders jedenfalls, als es sich die braven Bürger von Leeuwarden für ihresgleichen vorstellten.«

»Das rote Kleid?«, riet Jacobina. Wenn sie sich ihre eigene Kindheit in Erinnerung rief, wenn sie an die kleinen Mädchen in den Straßen Amsterdams dachte oder an Kaatje, Tressje und Lijsje hier an Bord, sah sie nur Kleidchen in gedeckten Farben vor sich, in dunklem Blau, in Grau, Braun und Schwarz, allenfalls noch in Weiß.

Floortjes Mundwinkel krümmten sich aufwärts, eher bitter denn vergnügt, und sie nickte bedächtig. »Das rote Kleid. Das türkisblaue. Das leuchtend grüne. Ich hatte irgendwie immer die falschen Kleider an. Und auch sonst …« Sie blies den Atem aus und klopfte unruhig mit dem Handballen auf die Reling.

Die Bürger von Leeuwarden hatten sich die Mäuler zerrissen über Claas Dreessen, den schmucken Vertreter von Kurzwaren, der auf der Durchreise eine Tochter der Stadt gefreit und flugs geheiratet hatte und sich mit einem Laden, vom Geld des Schwiegervaters bezahlt, niederließ. Der sein Töchterchen in unmögliche Kleider steckte und es verzog, indem er ihm einflüsterte, etwas Besonderes, etwas Besseres zu sein; der hochfliegende Pläne hegte von einem größeren Laden, einem eleganteren Leben in Amsterdam.

»Jedenfalls«, fuhr Floortje angespannt fort, »hielten es all die besorgten Mütter für besser, wenn ihre kleinen Mädchen nicht mit der Tochter von Claas Dreessen spielten.« In ihren Augen glitzerte es. »Wer weiß, welche Flausen sie sonst mit nach Hause gebracht hätten! Seltsam – den Zwirn, die Knöpfe und die Spitzen, die es bei uns im Laden gab, die haben sie trotzdem immer gern gekauft.« Die Iris ihrer Augen verdunkelte sich, und ihr Blick glitt ins Leere.

Sie sah sich wieder auf dem Hof der Mädchenschule stehen, am ersten Tag nach den Sommerferien, in ihrem schönen neuen Kleid aus steifem grünem Stoff, der in der Sonne glänzte, eine passende große Schleife im dunklen Haar, den Tornister zu ihren Füßen und in den Händen eine Schachtel mit Schokolade, die sie einladend hochhielt. Erwartungsfroh lächelnd hatte sie zu den anderen Mädchen hinübergesehen, die unter der Linde versammelt standen und ihr teils neugierig und verlangend, teils feindselig entgegenblickten. Mädchen, die über den Sommer in die Länge geschossen, und solche, die noch recht klein waren, zierliche, schmale und pummelige Mädchen, alle in den gleichen dunkelblauen Kleidchen, weißen Schürzen und dicken, schwarzen Strümpfen, das semmelblonde, flachshelle oder strohgelbe Haar zu zwei strammen Zöpfen geflochten. Eines der größten Mädchen war auf dem Absatz herumgewirbelt, dass seine Zöpfe flogen, und davonmarschiert, quer über den Hof auf das Schulhaus zu, und ein Mädchen nach dem anderen war ihm gefolgt, bis der Platz unter der Linde leer war. Die Schulglocke hatte geschrillt und zur Stunde gerufen, Stimmengewirr und Fußgetrappel aufleben lassen, dann war mit einem Schlag Stille eingekehrt. Das Lächeln auf dem Gesicht eingefroren, hatte Floortje auf dem Hof ausgeharrt, unfähig, sich zu rühren, und Tränen waren aus ihren Augen getropft.

Bedrückt sah Jacobina, wie Floortjes Augen feucht schimmerten; sie fühlte sich hilflos und auf schmerzliche Weise an ihren eigenen Kummer erinnert.

»Das tut mir sehr leid«, flüsterte sie und hörte selbst, wie schwach und dahingesagt diese Worte klangen. Floortje nickte, einen festen Zug um den Mund.

»Gibt Schlimmeres«, presste sie hervor und rubbelte gedankenverloren mit dem Daumen über die Reling. Einige Augenblicke sah es so aus, als würde sie mit sich ringen und noch etwas sagen wollen; dann schien in ihr etwas zurückzuschnappen, und sie warf mit vergnügt blitzenden Augen den Kopf zurück. »Du musst doch umkommen vor Hunger!«

»Es … es geht«, erwiderte Jacobina, verwirrt vom abrupten Umschlagen der Stimmung. Ihr Magen fühlte sich flau an; nachdem die wilde See ihr derart zugesetzt hatte, hatte sie am Vortag mit Floortjes Unterstützung nur Tee, ein bisschen klare Brühe und Zwieback zu sich genommen. Wie auf Geheiß gab er nun ein hörbares Knurren von sich, und mit hochroten Wangen presste Jacobina die Hand vor den Bauch, um ihn zum Verstummen zu bringen.

»Dann lass uns frühstücken!« Floortje schickte sich an vorauszugehen, aber Jacobina zögerte noch.

»Ich weiß nicht, ob das schon so eine gute …«

»Sicher ist das eine gute Idee! Du musst doch wieder zu Kräften kommen!« Lachend packte Floortje sie bei der Hand.

Dieses Mal ließ Jacobina sich bereitwillig mitziehen, ein kleines freudiges Kitzeln irgendwo hinter ihrem leeren Magen.

Das Licht der Abenddämmerung hing wie Lavendelstaub über dem Hafen von Colombo und verlor rasch weiter an Farbe. Die ersten Lichter flammten auf und raubten der Stadt nach und nach ihre Tiefe, verflachten sie zu einem Scherenschnitt wie aus dem Märchenbuch. Auch wenn man in der einbrechenden Dunkelheit kaum noch etwas von der Insel sah, so spürte man doch, wie grün Ceylon war, an der tropischen Wärme und Feuchtigkeit, die sich hier im Hafen mit der salzigen Frische des Meeres verband, an einer würzigen Saftigkeit, die in der Luft lag. Räderknirschen und Hufgeklapper brandeten an den Dampfer heran, all die Klänge einer belebten Stadt, das Murmeln und Brausen von tausend Stimmen, Schritten und Handgriffen, und manchmal flatterten Wortfetzen in einer fremden Sprache herüber.

Vor Freude kieksend hing der kleine Joost Verbrugge am Arm seines Vaters; er konnte nicht schnell genug an Land gehen und war kaum zu bändigen, während seine Schwester sich schüchtern an die Seite ihrer Mutter drückte und mit großen Augen zu der exotischen Stadt hinübersah, in der sie die Nacht verbringen würden.

»Und Sie möchten wirklich nicht mitkommen?« Frau Ter Steege hielt Floortje bei den Ellenbogen und lächelte sie mit schräg gelegtem Kopf einladend an. Ihre beiden Mädchen sprangen um die Röcke ihrer Mutter herum, in aufgeregter Erwartung des bevorstehenden abendlichen Ausflugs.

»Wirklich nicht«, erwiderte Floortje mit freundlichem Nachdruck. »Ich schlafe sehr gut hier an Bord, ich möchte eigentlich nicht nur für eine Nacht in ein Hotel umziehen.«

»Dann wünsche ich Ihnen schon jetzt eine gute Nacht, meine Liebe.« Frau Ter Steege streichelte Floortje über die Oberarme, bevor sie ihre beiden Töchter bei der Hand nahm.

»Ihnen auch eine gute Nacht – und viel Spaß an Land!«, erwiderte Floortje fröhlich. Sie lehnte sich an die Reling und winkte Frau Ter Steege zu, die sich oben an der Landungsbrücke noch einmal nach ihr umdrehte. Auf Geheiß ihrer Mutter wandten sich auch Lijsje und Kaatje um und winkten gehorsam zurück, während Herr Ter Steege seiner Schwiegermutter fürsorglich den Arm bot.

Fräulein Lambrechts schien nicht schnell genug von Bord kommen zu können; mit gerafften Röcken marschierte sie eilig voraus, hinter Herrn Aarens her, der im Gehen immer wieder über seine Schulter hinweg zu Floortje hinsah. Die Rosendaals und die Teuniszens saßen bereits in den unten am Kai bereitstehenden offenen Kutschen, und die vier Rekruten standen in einigen Schritten Entfernung beisammen. Eine Hand lässig in der Hosentasche vergraben, in der anderen die qualmende Zigarette und neugierig nach allen Seiten blickend, sahen sie allerdings nicht so aus, als wollten sie auf direktem Wege ins Hotel.

Jacobina hatte der Szenerie an Deck eine Weile zugesehen; ihre lederne Reisetasche in der Hand, trat sie zu Floortje. »Du kommst nicht mit?«

Floortje schüttelte lächelnd den Kopf. »Nein, ich bleibe lieber hier.«

Enttäuschung machte sich in Jacobina breit; fraglos war sie davon ausgegangen, Floortje würde mitkommen, weil alle Passagiere die Nacht an Land verbringen wollten. Sie hatte es sich schön vorgestellt, mit Floortje zum Hotel zu fahren und am Morgen nach dem Frühstück wieder zurück und dabei vielleicht ein paar Blicke auf die Stadt zu erhaschen. »Aber warum denn? So schön ist es auf dem Schiff ja nun auch wieder nicht!«

»Ich …« Floortje schaute auf die Landungsbrücke hinunter, auf die sich entfernenden Silhouetten der Ter Steeges und der Verbrugges, dann auf ihre Schuhspitzen. »Um ehrlich zu sein – ich muss ein bisschen sparen.« Den Kopf gesenkt, rieb sie über den obersten Holm der Reling. »Bitte … bitte erzähl das niemandem, ja?«

»Nein, natürlich nicht«, kam es mechanisch von Jacobina, während sie in Gedanken schon einen Schritt weiter war. Sie dachte an das Sträußchen, das Floortje ihr in Neapel geschenkt hatte. Sie dachte oft daran, obwohl es längst verwelkt und der klägliche Überrest von einem der Kabinenstewards weggeräumt worden war. Ein paar der Blüten hatte sie zwischen den unbedruckten Seiten eines ihrer Bücher gepresst. Und sie dachte daran, wie Floortje sich um sie gekümmert hatte, als sie seekrank gewesen war; sie schuldete ihr etwas. »Du … du kannst ja vielleicht bei mir schlafen – also, falls du das möchtest.«

Ungläubig sah Floortje sie an, und ein Strahlen zog auf ihrem Gesicht auf. »Wirklich?! Oh danke! Danke, Jacobina! Das ist so lieb von dir!« Jacobina hielt erschrocken die Luft an, als Floortje ihr um den Hals fiel, und atmete erleichtert aus, als sie sie wieder losließ. »Ich packe nur schnell ein paar Sachen zusammen. Ich beeil mich auch!«

Jacobina sah ihr nach, wie sie davonhastete, und erst dann begann sie darüber nachzudenken, was dieses Angebot, so schnell und unüberlegt ausgesprochen, wirklich bedeuten würde. Sie hatte noch nie mit jemandem zusammen in einem Zimmer geschlafen und eigentlich auch kein Verlangen danach. Und sie wusste nicht, wie groß die Zimmer im Grand Oriental waren und ob mit einem oder zwei Betten ausgestattet. Bei der Vorstellung, womöglich mit Floortje das Bett teilen zu müssen, wurde ihr bang. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Buttergelb fiel das Licht der Öllampe auf dem Nachttisch durch das feine Gewebe des Moskitonetzes, flackerte über die hohen Pfosten mit aufwändiger Schnitzerei und fing sich unter dem gemusterten Seidenstoff des Baldachins. Den Kopf in eine Hand gestützt, ein aufgeschlagenes Buch auf dem Leintuch neben sich, lauschte Jacobina den Geräuschen, die durch die geöffneten Flügeltüren des Balkons in das Hotelzimmer fluteten. Der wehmütige Abendgesang eines tropischen Vogels und das metallene Lied der Zikaden; das sanfte Rauschen in den Baumwipfeln, vielleicht auch das des nahen Meeres und die lebhaften Klänge der noch immer umtriebigen Stadt. Eine Stadt, von der sie auf der Fahrt vom Hafen hierher nur wenig gesehen hatte, im Zwielicht von Dunkelheit und Laternenschein, nur die beleuchteten Fassaden von Kontoren, Lagerhäusern und von eleganten Geschäftshäusern, und doch war die Stimmung eine von fremdartigem Zauber gewesen. Sie freute sich auf den Morgen, wenn sie alles noch einmal bei Tageslicht, in Farben und allen Details sehen würde.

Es war seltsam, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, und herrlich war es, wieder in einem richtigen Bett zu liegen, auf einer dicken, luxuriösen Matratze, die sich kein bisschen bewegte oder gar schaukelte, und mit einem wohligen Seufzen streckte Jacobina ihre Beine von sich. Nach der engen Schiffskabine kam ihr der großzügige Raum vor wie ein Ballsaal. Das Grand Oriental machte seinem Namen alle Ehre; die schweren Möbel aus dunkel schimmerndem Holz und die bunt gemusterten Seidenteppiche, die fremdartigen Gemälde in ihren Goldrahmen und die in üppige Falten drapierten Vorhänge in leuchtenden Farben, mit Borten und Troddeln aus goldfarbenem Garn erinnerten an die Pracht indischer Paläste. Ebenso die Chaiselongue mit ihrem seidig glänzenden Bezug, auf die Floortje für die Nacht zu verbannen Jacobina nicht übers Herz gebracht hatte.

Das Öffnen und Schließen der Tür zum Badezimmer schreckte Jacobina auf, und durch das Moskitonetz hindurch sah sie Floortjes Silhouette, wie sie auf bloßen Füßen durch das Halbdunkel zum Bett huschte. Jacobina wartete, bis Floortje unter dem Netz hindurch ins Bett geschlüpft war; dann streckte sie den Arm aus, um das Licht auf dem Nachttisch zu löschen.

»Du kannst ruhig noch lesen«, kam es hastig von Floortje. »Mich stört das nicht!«

»Nein, ich wollte ohnehin schlafen.«

»Jacobina …«

Die Dringlichkeit in Floortjes Stimme ließ sie den Kopfwenden.

Floortje hielt das bis zum Hals hinaufgezogene Leintuch krampfhaft fest und sah sie aus großen Augen an. »Falls es dir nicht allzu viel ausmacht … Könnten wir das Licht bitte anlassen?«, wisperte sie. »Lach mich bitte nicht aus, aber … ich hab Angst im Dunkeln.«

Jacobina blinzelte verblüfft. »Wovor?«

Floortje schnaufte auf. »Das klingt jetzt bestimmt albern. Aber vor Dingen, die ich eigentlich vergessen möchte.«

Jacobina rollte sich auf den Rücken und stopfte sich das Kissen im Nacken zurecht. »Das kenne ich«, erwiderte sie langsam und dachte an ihre eigenen schlaflosen Nächte. Jene Nächte, in denen die vielen kleinen Demütigungen wieder aus der Tiefe ihrer Erinnerung aufgestiegen waren und sich wie Blutegel an sie geheftet hatten. »Am Tag denkt man nicht daran, aber im Dunkeln kommt die Erinnerung zurück. Und manchmal wird sie übermächtig, und man kann ihr nicht entfliehen, so sehr man das auch möchte. Bis das Herz wie verrückt schlägt und sich einem der Magen umdreht.« Sie warf Floortje einen Seitenblick zu, und einer ihrer Mundwinkel krümmte sich aufwärts. »Wir können das Licht gerne anlassen. Ich drehe die Lampe nur ein wenig herunter.« Sie rollte sich auf die Seite und fischte unter der Kante des Netzes hindurch, drehte das Rädchen der Lampe so weit herunter, dass noch ein zarter Schein über das breite Bett fiel. »Gut so?«

»Ja«, hauchte Floortje. »Danke.«

Ohne sich noch einmal umzuwenden, legte sich Jacobina auf ihrem Kissen zurecht und stopfte das Leintuch um sich herum fest. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht, Jacobina.«

Stille kehrte ein, und auch die Stadt schien allmählich zur Ruhe zu kommen; nur die Zikaden sirrten beharrlich ihr eintöniges Lied.

Mit offenen Augen lag Jacobina da, den Körper angespannt. Ihr war unwohl bei dem Gedanken, im Schlaf Floortje aus Versehen zu nahe zu kommen, und bei der Vorstellung, womöglich zu schnarchen und sich damit lächerlich zu machen.

»Jacobina«, flüsterte es irgendwann neben ihr, »schläfst du schon?«

Jacobina fühlte sich ertappt. »Ja«, rutschte es ihr heraus, und sogleich schoss ihr das Blut ins Gesicht; mit zusammengebissenen Zähnen schnitt sie sich selbst eine Grimasse.

Als Jacobina neben sich erstickte Laute hörte und sich zögerlich umdrehte, die beiden sich in die Augen sahen, sprang der Funke über. Floortje brach in schallendes Gelächter aus, ein Gelächter, das von den Wänden des hohen, weiten Raums widerhallte, und Jacobina konnte nicht anders, als einzustimmen. Sie hatte vergessen, wie es war, aus vollem Herzen zu lachen, bis der Bauch wehtat, ohne sich darum zu kümmern, wie sie dabei aussah und was ihr Gegenüber von ihr denken mochte. Leicht fühlte es sich an und lebendig; wie in einem Rausch, der bis in die Fingerspitzen und Zehen kribbelte und im Kopf angenehm vibrierte, und jung fühlte es sich an. Ein Gefühl, das noch anhielt, als das Gelächter abebbte und sie einander glucksend ansahen, außer Atem, die Wangen erhitzt, ihre Gesichter keine Handbreit voneinander entfernt.

»Du bist richtig hübsch, wenn du lachst«, sagte Floortje zwischen zwei Japsern mit blitzenden Augen.

Das Lächeln auf Jacobinas Gesicht schrumpfte, verschwand jedoch nicht ganz; lange hielt sie Floortjes forschenden Blick fest. Die Leidenschaftlichkeit, die Floortje versprühte, war wie ein heftiger Windstoß, der ein nur nachlässig angelehntes Fenster aufriss und den schlecht gelüfteten, muffigen Raum dahinter durchpustete und alles darin durcheinanderwirbelte. Nach Freiheit roch dieser Wind, der Freiheit, zu tun und zu lassen, was immer Jacobina wollte, und niemandem mehr Rechenschaft ablegen zu müssen. Ein Wind, der an ihr zerrte, sie umschmeichelte und lockte, je mehr Zeit sie mit Floortje verbrachte.

»Unsinn«, brachte sie schließlich hervor, und es geriet ihr weniger knurrig als unsicher. »Schlaf gut«, fügte sie hinzu und drehte sich wieder um.

»Du auch«, erwiderte Floortje weich.

Eine Zeit lang betrachtete sie den Rücken von Jacobinas Nachthemd, wie sich der feste Stoff unter ihren Atemzügen dehnte und wieder zusammenzog. Ihre Brust war ihr eng dabei; sie wünschte sich so sehr, dass es immer so weitergehen konnte, Jacobina immer da wäre, und der Gedanke, bald vielleicht schon ohne sie sein zu müssen, krampfte ihre Brust enger zusammen.

»Jacobina«, raunte sie ihr zu, »wir werden uns doch auch in Batavia noch sehen, oder?«

Als von Jacobina nichts anderes kam als gleichmäßige Atemzüge, kuschelte sich Floortje tiefer in die Kissen. »Ich hab dich nämlich sehr gern, weißt du«, wisperte sie, kaum noch hörbar.

Jacobina kniff die Augen zusammen; sie musste sich alle Mühe geben, ruhig zu atmen, und das Herz schlug ihr bis zum Hals vor Glück.

Ich hab dich auch gern, Floortje.

Das Herz der Feuerinsel

Подняться наверх