Читать книгу Das Herz der Feuerinsel - Nicole-C. Vosseler - Страница 16

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»Haben Sie vielen Dank.« Floortje lächelte dem Kellner in seiner weißen Uniform zu, der ihr im Schatten der Veranda den Tee servierte; freundlich, aber nicht zu strahlend, sie wollte es nicht übertreiben. Der Kellner erwiderte ihr Lächeln geschäftsmäßig, murmelte ein paar höfliche Worte und zog sich dann wieder in seinen Winkel neben der Tür zurück, um mit aufmerksamer Miene bereitzustehen, sollte einer der Gäste etwas wünschen.

Floortje setzte sich im Schaukelstuhl aufrecht hin, kreuzte geziert die Knöchel und zupfte am Rock ihres leichten, cremehellen Sommerkleids herum, bis er sich duftig ausgebreitet hatte, bevor sie die Untertasse aufnahm, an ihrem Tee nippte und den Blick zufrieden durch den Innenhof des Hotels wandern ließ. Bungalows und das zweigeschossige Haupthaus gruppierten sich um den luftigen, unbefestigten Platz, und hohe Bäume beschatteten ihn an den Rändern. Den Kuppelbau des artesischen Frischwasserbrunnens umgab eine niedrige, akkurat in Form gestutzte Buchsbaumhecke, und überall sorgten Blumenkübel für Farbtupfer und Topfpalmen für eine zusätzliche exotische Note.

Das Hotel gefiel ihr mit seinen hübschen Zimmern, die eigentlich kleine Suiten waren, mit Bett und Waschgelegenheit im rückwärtigen, einem Tisch und Stühlen im vorderen Raum, der auf die Veranda führte. Sie mochte den großen, eleganten Speisesaal und dass das Personal die Gäste vornehm mit Mademoiselle, Madame und Monsieur ansprach. Sie liebte das Essen, das Frühstück mit starkem Kaffee, Eiern mit Speck, Toast und Obst, die rijsttafel zu Mittag, die Teestunde mit Sandwiches und Kuchen und das mehrgängige Menu am Abend und dass sie so oft in das Badehaus gehen und so lange schlafen konnte, wie sie wollte, und nachts die Lampe auf ihrem Nachttisch brennen lassen konnte, ohne dass sich jemand beschwerte. Es war ein kluger Schachzug gewesen, sich hier einzumieten und nicht im nobleren Hotel der Nederlanden, das als erstes Haus am Platz galt. Denn wer von weiter weg kam und geschäftlich in Batavia zu tun hatte, stieg hier, im Des Indes ab, das hatte sie schnell herausgefunden. Nur Ausländer und Touristen wohnten im Nederlanden, und die waren uninteressant für Floortje, ebenso wie die noch zur Sparsamkeit gezwungenen Pflanzer in spe wie Herr Aarens, die fürs Erste in der Nähe des Hafens unterkamen wie in der Stadsherberg. So nett Floortje Herrn Aarens auch fand, so hoffte sie doch inständig, er würde ihr hier nicht seine Aufwartung machen; ein Mann, der für sie nicht in Frage kam, ihr aber womöglich wie ein Schatten folgte, passte nicht in ihre Pläne.

Auf der Veranda gegenüber saß ein älterer Herr und las in einer Ausgabe des Java Bode, eine altmodische Meerschaumpfeife in den Mundwinkel geklemmt; am Nachbartisch brüteten zwei nur unwesentlich jüngere Männer über dem nächsten Zug auf dem Schachbrett und sogen dabei gedankenvoll an ihren Zigarren, ein Glas Hochprozentiges in der Hand. Floortje fand es lustig, dass die Herren fast den ganzen Tag locker fallende Anzüge aus dünnen Stoffen trugen, die Pyjamas ähnelten, die wenigen Damen Wickelröcke und leichte Blusen und entweder barfuss gingen oder Sandalen oder Pantoffeln trugen. Sie selbst sah jedoch keinen Grund, dieser legeren Mode nachzueifern, und sie genoss die neidischen Blicke der Damen und die bewundernden der Herren, wenn sie in ihren pastellfarbenen oder weißen Sommerkleidern an ihnen vorüberging, in denen sie an eine zarte Blüte in der Sommerbrise erinnerte.

Im Stillen amüsierte sie sich köstlich bei der Vorstellung, was wohl die Bürger von Sneek, bei denen schon ein schiefer Kragen oder ein lose herabhängendes Schleifenband Stirnrunzeln hervorrief, von der legeren Mode Ostindiens halten würden, und jedes Mal aufs Neue genoss sie das Gefühl des Triumphs, dass die Hoekstras, Rijnders und Dijkstras das alles hier niemals zu Gesicht bekommen würden. Während sie, Floortje, es hierher geschafft hatte und es noch viel weiter bringen wollte. Weiter als irgendwer in Sneek mit seinen giebeligen Backsteinhäuschen und den weißen Spitzengardinen, hinter denen es sich so vortrefflich hervorspähen und tuscheln ließ, es Floortje Dressen je zugetraut oder gar gegönnt hätte.

Die ersten Tage hatte Floortje nur damit verbracht, zu essen und zu schlafen, all die Spuren der Reise von sich abzuschütteln und wegzuwaschen und sich von einer Einheimischen den Rücken durchkneten zu lassen. Heute, mit dem gebührenden zeitlichen Abstand, hatte sie auf dem feinen Briefpapier des Hotels an die Ter Steeges, Verbrugges und Rosendaals geschrieben, sich für ihre Gesellschaft während der Reise bedankt und zwischen den Zeilen einfließen lassen, wie gern sie sie wiedersehen würde. Und nach einem Besuch des Friseurs, der in einem Bungalow ein paar Schritte neben dem Empfangshaus untergebracht war und ihr das Haar zu einem Bouquet zierlicher Kringel und Schlaufen aufgesteckt hatte, tat Floortje das, was sie am besten konnte: gut aussehen.

Sie stellte die Untertasse auf den Tisch neben sich, nahm stattdessen ihren Fächer zur Hand und lehnte sich zurück, und während sie sich zufächelte, ließ sie den Schaukelstuhl sanft vor und zurück wippen und schloss mit einem wohligen Seufzen die Augen.

Ihrer Tante dafür dankbar zu sein, dass sie ihr an jenem Tag aufgetragen hatte, die Fenster zu putzen, wäre Floortje zu weit gegangen; schließlich hatte sie sie andauernd Fenster putzen, Böden schrubben und Besteck und Lampen polieren lassen, um ihr die Eitelkeit und den Stolz auszutreiben. Damit Floortje Buße tat für ihre Sünden und Reue lernte und nie wieder auf dumme Gedanken kam. Dennoch war es das Beste, was Tante Cokkie jemals für sie getan hatte, ihr Eimer, Lappen und einen Stapel alter Zeitungen in die Hand zu drücken und sie an die Arbeit zu schicken. Floortje hatte gerade einen der Zeitungsbögen zerknüllt, um das feuchte Glas damit abzureiben, als ihr Blick auf die Ecke einer Zeichnung fiel, ein Stück einer baumbestandenen hügeligen Landschaft, hinter der sich hohe Berge erhoben, dann auf den Textausschnitt daneben. Vorsichtig hatte sie das Knäuel wieder auseinandergezogen und die Zeilen überflogen; langsam hatte sie sich dann auf dem Boden niedergelassen und die Zeitungsseite glattgestrichen, während sie wieder und wieder den Artikel las und sich das Bild besah. Es ging um einen Niederländer, der als einer der Ersten auf Java Land von den Einheimischen gepachtet hatte, um eine Plantage darauf anzulegen. Rund vierzig Jahre lang waren die Bauern Javas nach Anweisung der Kolonialverwaltung verpflichtet gewesen, ein Fünftel ihres Bodens mit Indigo oder Zuckerrohr statt mit Reis zu bepflanzen und den Ertrag anstelle einer Pacht abzuliefern; wer kein Land besaß, leistete stattdessen sechsundsechzig Arbeitsstunden im Jahr zugunsten der niederländischen Regierung. Erst mit der Abschaffung dieses cultursteelsel 1870 konnten niederländische Privatmänner Land pachten, und nicht wenige waren mit den Erträgen schnell reich geworden. So wie dieser eine Niederländer, über den Floortje auf dem Boden der Stube von Tante Cokkie las, und ein Satz in diesem Artikel hatte es ihr dabei besonders angetan: die Klage des Pflanzers, dass die Regierung zwar inzwischen die Einreise alleinstehender niederländischer Frauen genehmigte, aber keine kommen wollten, dabei wünschten er und die anderen Pflanzer der Gegend sich doch, zu heiraten und Familien zu gründen. Der ungeduldige Ruf ihrer Tante hatte Floortje aufgeschreckt; hastig hatte sie die Zeitungsseite zusammengefaltet, in ihrer Schürze versteckt und sich wieder an die Arbeit gemacht. Und während sie die Fenster auf Hochglanz polierte und sich auch in den folgenden Wochen und Monaten in der Buße übte, die Tante Cokkie ihr auferlegt hatte, träumte Floortje sich nach Java, an die Seite eines vermögenden, aber einsamen Pflanzers, und ein kühner Plan reifte in ihr heran, von dem nichts und niemand sie abbringen würde. Dafür war sie zu schlau und zu entschlossen. Vielleicht auch zu verzweifelt, endlich aus Sneek fortzukommen.

»Verzeihen Sie, Mademoiselle.«

Floortje öffnete blinzelnd die Augen. Der Kellner stand neben ihr, ein Tablett mit einem Glas Champagner auf den Fingerspitzen balancierend, und verneigte sich. »Das ist von Monsieur dort drüben.«

Floortje schaute in die Richtung, in die er genickt hatte. Einige Tische weiter saß ein noch recht junger, blonder Mann in einem blassgelben Anzug, der ebenfalls ein Glas Champagner vor sich stehen hatte und Floortje nun damit zuprostete. Hastig sah sie weg.

»Nehmen Sie das bitte wieder mit«, flüsterte Floortje mit flehendem Blick. »Und richten Sie diesem … diesem Herrn«, sie zog eine ihrer Brauen nach oben, »von mir aus, was ihm denn einfällt, mich derart zu beleidigen.«

»Sehr wohl, Mademoiselle«, erwiderte der Kellner mit einer Verbeugung und beeilte sich, den Auftrag auszuführen.

Floortje hörte, wie die beiden Männer sich einen gedämpften Wortwechsel lieferten, der dann abrupt abbrach. Sie pustete sich eine nicht vorhandene Haarsträhne aus dem Gesicht und fächelte sich schneller zu, als sei ihr vor Fassungslosigkeit und Empörung plötzlich sehr heiß geworden.

Wenige Augenblicke später hörte sie, wie sich jemand neben ihr räusperte, und sie sah auf.

»Ich … ich bitte Sie untertänigst um Verzeihung, gnädiges Fräulein«, stotterte der junge Mann im gelben Anzug und verbeugte sich unsicher. »Ich wollte Sie ganz gewiss nicht beleidigen, nichts lag mir ferner! Ich sah Sie nur hier sitzen und fand … naja, ich dachte …« Sein glattrasiertes, rosiges Gesicht wirkte tatsächlich noch sehr jung, wenn sich auch sein Haar bereits lichtete. Das Strohblond biss sich mit der ohnehin geschmacklosen Farbe des Anzugs; offenbar hatte er niemanden, der ein Auge auf seine Garderobe warf, zumindest niemanden mit weiblicher Stilsicherheit. Und obwohl die Weste an Brust und Bauch spannte, sah der Anzug gut geschnitten und teuer aus, genau wie die braunen Schnürschuhe.

»Für mich ist es keineswegs schmeichelhaft, was Sie da dachten«, hauchte Floortje, und ihre Augen füllten sich mit Tränen, die sie heftig wegblinzelte, während sie an ihm vorbeisah und ihren Fächer schneller bewegte.

»Nicht doch! Nein«, beteuerte er rasch. »Das habe ich gewiss nicht von Ihnen gedacht!« Er zog ein Taschentuch hervor und wischte sich über den Nacken; sein Gesicht hatte inzwischen die Färbung eines überreifen Sterappels von Bauer Wesendonks Obstwiesen angenommen. »Ich fürchte, mir sind draußen im Preanger die Manieren verloren gegangen. Wissen Sie, wenn man jahrelang kaum über seine Plantage hinauskommt …«

Floortje schnaubte, aber der Takt ihres Fächers verlangsamte sich ein wenig.

»Sehen Sie – ich habe mich noch nicht einmal vorgestellt«, rief er erschrocken und verbeugte sich erneut. »Eduard van Tonder.« Mit ungeschickten Fingern nestelte er aus seiner Westentasche eine Karte hervor und hielt sie Floortje hin, die diese geflissentlich ignorierte. Er hatte kräftige Hände, aber ohne sichtbare Schwielen, wie die eines Mannes, der es gewohnt gewesen war, tüchtig zuzupacken, es mittlerweile aber nicht mehr nötig hatte. »Vielleicht … vielleicht für später«, raunte er heiser und legte die Karte zittrig neben die Teetasse. Floortje würdigte sie keines Blickes.

»Kann ich das irgendwie wiedergutmachen?«, flüsterte er mit kläglicher Stimme. »Bitte?«

Floortje reckte ihr Näschen in die Luft.

»Hm«, Eduard van Tonder blies die Wangen auf und strich sich über die Brust, während er überlegte. »Mit einem Abendessen vielleicht?«

»Hören Sie«, erwiderte Floortje mit einem steifen Lächeln und ließ ihren Fächer zuschnappen, »Sie können doch nicht …«

»Im Cavadino«, rief er mit einer schwungvollen Geste aus. »Ein sehr feines Restaurant im gleichnamigen Hotel mit vorzüglicher Küche. Was halten Sie davon?«

»Eigentlich …«, setzte Floortje an.

»Bitte«, sagte er leise und mit Nachdruck. »Ich möchte das so gerne wiedergutmachen. Ich habe mir wirklich nichts Unehrenhaftes dabei gedacht. Ich habe Sie hier sitzen sehen und wollte Sie einfach nur kennenlernen.« Als Floortje mit gesenktem Kopf schwieg, ihre Lider mit den langen Wimpern aber auf und ab flatterten, fügte er hoffnungsvoll hinzu: »Gestehen Sie mir wenigstens zu, es zu versuchen.«

Floortje seufzte tief auf und sah ihn mit halb gelangweilter, halb nachsichtiger Miene an. »Also schön. Meinetwegen. Wenn Ihnen so viel daran liegt …«

Das Herz der Feuerinsel

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