Читать книгу Soziale Arbeit und Polizei - Norbert Pütter - Страница 41

Primäre Kriminalisierung

Оглавление

Diese »primäre Kriminalisierung « unterliegt historischen und gesellschaftlichen Wandlungen. In dem Unter-Strafe-Stellen kommt ein besonderes Unwerturteil zum Ausdruck. Die verbotene Handlung gilt als so schädlich, dass sie mit den Mitteln des Strafrechts unterbunden werden bzw. – wenn das nicht gelingt – bestraft werden soll. Ob eine Handlung mit Strafe bedroht wird, hängt von einer Reihe von Faktoren ab. Die wichtigsten sind die Folgenden.

• Die gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen über die Schädlichkeit oder Verwerflichkeit von Handlungen: Dass Betteln keine Straftat, sondern Ausdruck einer sozialen Notlage ist, setzte sich erst 1974 in der Bundesrepublik durch; besonders im Sexualstrafrecht (z.B. Strafbarkeit der Homosexualität) fanden die dominierenden moralischen Überzeugungen einen strafrechtlichen Ausdruck.

• Der technische und soziale Entwicklungsstand einer Gesellschaft, der es erst ermöglicht, Dinge zu tun, durch die anerkannte (Rechts-)Güter beeinträchtigt werden: Der internationale Rauschgifthandel ist an die Existenz globaler Handelsströme gebunden; »Cyber-Mobbing« ist ohne das Internet undenkbar.

• Die gewandelten Formen der Begehung von Straftaten: Die Strafbarkeit der Geldwäsche soll verhindern, dass illegal erworbene Reichtümer in legalen Besitz überführt werden; wenn Personen sich zu Gruppen zusammenschließen, um Anschläge zu verüben, dann liegt es nahe, bereits die Bildung dieser Gruppe und nicht erst die Vorbereitung eines Anschlags unter Strafe zu stellen.

Schließlich sind es politische Entscheidungen, die bewirken oder verhindern können, dass sich die gewandelten Herausforderungen, Anforderungen und Anschauungen im positiven Recht niederschlagen.

»Kriminalität« ist eine soziale Tatsache, die erst dadurch entsteht, dass bestimmte gesellschaftliche Überzeugungen und Einrichtungen unter staatlichen Schutz gestellt werden. Sie ist deshalb Ausdruck der Macht- und Herrschaftsverhältnisse in einer Gesellschaft. Wem es gelingt, seine Ansichten (über ›anständiges‹ Verhalten) oder seine Interessen (über den Schutz von Eigentum oder Gesundheit) unter den Schutz des Strafrechts zu stellen, der/die hat den Staat als unmittelbar eingreifenden Staat, mit Polizei und Strafjustizsystem, auf seiner/ihrer Seite.

Die Wandlungen dessen, was »Kriminalität« bedeutet, resultieren aus drei Prozessen, die zu unterschiedlichen Zeiten, aber auch gleichzeitig in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern stattfinden können.

1. Prozesse der Kriminalisierung: Vormals straffreies, legales Verhalten wird unter Strafe gestellt. Beispiele: Geldwäsche, terroristische Vereinigung, Stalking, Cyber-Mobbing, Vermummung bei Demonstrationen.

2. Prozesse der Entkriminalisierung: Vormals unter Strafe gestelltes Verhalten wird legalisiert, d.h. nicht weiter mit Strafe bedroht. Beispiele: Betteln, Kuppelei.

3. Prozesse der Entpönalisierung: Ein Verhalten wird weiterhin mit Strafe bedroht, aber diese Strafe (lat. poena) wird nicht verhängt. Beispiele: Besitz von Betäubungsmitteln zum »Eigenbedarf«; Abtreibung (§ 218 StGB).

Mit der primären Kriminalisierung legt der Gesetzgeber jene gesellschaftlichen Ausschnitte fest, in denen den Strafverfolgungsbehörden Eingriffe erlaubt sind. Dabei ist in Deutschland eine dreistufige Hierarchie verbotener Handlungen entstanden. In diesen Abstufungen soll der unterschiedliche Grad der Verwerflichkeit, der Schädlichkeit oder der Gefährlichkeit einer Tat zum Ausdruck gebracht werden, indem die Stufen mit abgestuft hohen Strafandrohungen versehen werden. Zugleich sind die Stufen mit unterschiedlichen Zuständigkeiten, Verfahrensgrundsätzen und Eingriffsbefugnissen verbunden ( Kap. 1.1).

Die unterste Stufe rechtswidrigen Verhaltens sind Ordnungswidrigkeiten. Sie werden definiert als »rechtswidrige und vorwerfbare Handlungen«, die (maximal) mit einer Geldstrafe geahndet werden können (§ 1 Abs. 1 OWiG). Im Rahmen von Kriminalisierungs-/Entkriminalisierungsprozessen kann es geschehen, dass Ordnungswidrigkeiten zu Straftaten ›hochgestuft‹ oder Straftaten zu Ordnungswidrigkeiten ›herabgestuft‹ werden.

§ 12 StGB unterscheidet zwischen »Verbrechen und Vergehen«. Als Verbrechen werden solche Handlungen definiert, »die im Mindestmaß mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr oder darüber bedroht sind«. »Verbrechen« sind demnach besonders schwere Straftaten. Insgesamt ist deren Zahl im Strafgesetzbuch überschaubau. Es handelt sich vor allem um Delikte aus dem Bereich des Staatsschutzes (Hochverrat, Landesverrat, terroristische Vereinigung) und um schwere Delikte gegen Menschen (Mord, Totschlag, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung, sexueller Missbrauch) oder Sachwerte (Raub, Brandstiftung, Geldfälschung).

Die meisten Straftatbestände in Deutschland sind Vergehen. § 12 StGB definiert sie als rechtswidrige Taten, »die im Mindestmaß mit einer geringeren Freiheitsstrafe (also einem Jahr, NP) oder die mit Geldstrafe bedroht sind«.

Der Raum des Strafbaren wird durch das Strafgesetzbuch und die »strafrechtlichen Nebengesetze« bestimmt. Mit diesem Ausdruck werden Strafbestimmungen überschrieben, die in den Regulierungen bestimmter Bereiche enthalten sind. Prominente Beispiele sind das Betäubungsmittelgesetz oder Umweltschutzgesetze.

Soziale Arbeit und Polizei

Подняться наверх