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Polizeiliche Kriminalstatistik

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In der Öffentlichkeit wird die »Polizeiliche Kriminalstatistik« (PKS) als wichtigster Indikator für die Kriminalitätsentwicklung wahrgenommen. Dies ist ein Missverständnis, denn in Wirklichkeit ist die PKS eine Statistik über die strafverfolgende Arbeit der Polizei. Wegen des ungeklärten, von Delikt zu Delikt wechselnden, von strategischen Wandlungen, von zivilrechtlichen und gesellschaftlichen Kontexten beeinflussten Relationen zwischen dem PKS-erfassten Hellfeld und dem Dunkelfeld taugt sie nicht, um ein verlässliches Bild des Kriminalitätsgeschehens zu geben.

Selbst in Bezug auf die bekanntgewordene Kriminalität erfasst die PKS nur einen Ausschnitt. Sie enthält keine Strafverfahren, die bei der Staatsanwaltschaft zur Anzeige gebracht wurden und bei deren Ermittlung die Polizei nicht eingeschaltet wurde. Durch Übereinkunft werden zwei Deliktsfelder in der PKS nicht ausgewiesen: Delikte im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr und sog. Staatsschutzdelikte, also Handlungen, die sich gegen den Bestand oder die Verfassung der Bundesrepublik oder der Bundesländer richten. Beide Bereiche sind in gesonderten Statistiken ausgewiesen, die aber von der Öffentlichkeit weitaus weniger Beachtung finden als die PKS.

Hinzu kommt ein weiterer Umstand: Bei der PKS handelt es sich um eine Anzeige- und Verdachtsstatistik. Hier werden die Ermittlungen ausgewiesen, mit denen sich die Polizei beschäftigt und die sie nach Abschluss ihrer Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Die Polizei ist eine Einrichtung der Exekutive, sie ermittelt im Auftrag der Staatsanwaltschaft, die der rechtsprechenden Gewalt (Judikative) zugeordnet ist. Erst auf dieser Ebene findet eine juristische Würdigung der polizeilichen Ermittlungsergebnisse statt. Die Polizei kann Ermittlungen nur ablehnen, wenn offenkundig keine Straftat vorliegt (also die »zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte« nicht ersichtlich sind, Kap. 1.3.1). Ob die strafrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind (die strafrechtlichen Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, die Beweislage den rechtlichen Anforderungen genügt etc.), das prüft die Staatsanwaltschaft. Selbst wenn sie sich zur Anklageerhebung entscheidet, gelten die Angeklagten bis zu einem Gerichtsurteil rechtlich als unschuldig. Erst in den Entscheidungen der Staatsanwaltschaft (Einstellung mit oder ohne Auflagen, Strafbefehl, Anklageerhebung) oder am Ende des Gerichtsverfahrens stellt sich heraus, ob es sich bei den in der PKS ausgewiesenen Ermittlungsverfahren tatsächlich um Kriminalität oder nur um den Verdacht auf eine kriminelle Handlung handelte.


Abb. 3: Kriminalität, Kriminalisierung und PKS

Obwohl die PKS ein unzureichendes Mittel ist, das Ausmaß und die Formen strafrechtlich verbotener Normübertretungen zu erfassen, wird sie regelmäßig für diese Zweck genutzt. Um den Stellenwert der PKS-Zahlen zu verdeutlichen, wird gerne auf verschiedene »Stufen« im Umgang mit Kriminalität verwiesen ( Abb. 4): Den Ausgangspunkt bildet dabei die Summe aller begangenen strafbaren Handlungen. Werden diese nicht bemerkt (die unauffindbare Geldbörse glaubt man verloren zu haben, obwohl sie gestohlen wurde …), bleiben sie für das Strafverfolgungssystem (und die öffentlichen Debatten) folgenlos. Werden sie bemerkt, steht die Frage im Raum, ob sie zur Anzeige gebracht werden. Hier spielen die genannten Faktoren eine Rolle, die die Anzeigebereitschaft beeinflussen. Erst wenn die Taten angezeigt werden, tauchen sie in der PKS auf. Im Rahmen der polizeilichen Ermittlung wird versucht, die Sachverhalte aufzuklären. Das Ermittlungsergebnis wird an die Staatsanwaltschaft übermittelt. Werden keine Tatverdächtigen ermittelt oder sind die vorgelegten Beweise nicht ausreichend, wird das Verfahren eingestellt. Trotz erwiesener Tat kann die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren mit oder ohne Auflagen einstellen. Oder sie entscheidet sich für die Erhebung der Anklage, die das Gericht ablehnen oder


Abb. 4: Ausfilterung im Ermittlungs- und Strafverfahren (leicht modifiziert nach: Steffen, Wiebke, Kriminalitätsanalyse I: Dunkelfeldforschung und Kriminologische Regionalanalysen. Lehr- und Studienbriefe Kriminologie Nr. 4, Verlag Deutsche Polizeiliteratur, Hilden 1993; s.a. mit Zahlengaben: Statistisches Bundesamt 2019a, S. 321, für das Jugendstrafverfahren: Heinz 2019, S. 424)

zulassen kann. Die »Aburteilungen« am Ende von Gerichtsverfahren bestehen aus Freisprüchen oder Verurteilungen. Die Verurteilungen können in Auflagen, Erziehungsmaßnahmen, Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bestehen. Ggf. können sie zur Bewährung ausgesetzt werden.

Je nachdem auf welche Stufe man sich bezieht, hat man einen anderen Kriminalitätsbegriff vor Augen. Die eingestellten Verfahren, die nicht erhobenen Anklagen, die Freisprüche betreffen Sachverhalte, die nach rechtlichen Kriterien keine Kriminalität darstellen. Auflagen, Geld- und Bewährungsstrafen deuten auf unterschiedliche Schwere- oder Gefährdungsgrade hin. Vorsicht ist deshalb geboten, wenn die Zahlen der PKS als Indikator für die »Kriminalitätsentwicklung« genommen werden.

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