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Ankündigung der Geburt Jesu

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18 Mit der Geburt Jesu Christi war es so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt; noch bevor sie zusammengekommen waren, zeigte sich, dass sie ein Kind erwartete – durch das Wirken des Heiligen Geistes. 19 Josef, ihr Mann, der gerecht war und sie nicht bloßstellen wollte, beschloss, sich in aller Stille von ihr zu trennen. 20 Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist. 21 Sie wird einen Sohn gebären; ihm sollst du den Namen Jesus geben; denn er wird sein Volk von seinen Sünden erlösen. 22 Dies alles ist geschehen, damit sich erfüllte, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: 23 Seht, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, / einen Sohn wird sie gebären, / und man wird ihm den Namen Immanuel geben, / das heißt übersetzt: Gott ist mit uns. 24 Als Josef erwachte, tat er, was der Engel des Herrn ihm befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. 25 Er erkannte sie aber nicht, bis sie ihren Sohn gebar. Und er gab ihm den Namen Jesus. (Mt 1,18–25)

Matthäus hatte die Generationsfolge im Stammbaum Jesu mit der umständlichen Formulierung abgeschlossen: „Jakob war der Vater von Josef, dem Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren, der der Christus (der Messias) genannt wird.“ Durch die Verwendung des Passivums hatte er angedeutet, dass es mit der Geburt Jesu etwas ganz Besonderes auf sich hat. Nun redet er Klartext: Josef ist nicht der Vater. Das von Maria erwartete Kind ist „vom Heiligen Geist“. Jesus wird von einer Jungfrau geboren.

Paulus, die gesamte übrige neutestamentliche Briefliteratur und die Evangelien nach Markus und Johannes wissen davon nichts. Nur im Matthäus- und Lukasevangelium ist an gerade einmal zwei Stellen die Rede von der Geburt Jesu durch die „Jungfrau“ Maria.29 An anderer Stelle bezeichnen Matthäus und Lukas Jesus als „den Sohn des Zimmermanns“30 bzw. als „einen Sohn Josephs“.31 Matthäus weiß auch noch von Geschwistern Jesu zu berichten: „Ist das nicht der Sohn des Zimmermanns? Heißt nicht seine Mutter Maria, und sind nicht Jakobus, Josef, Simon und Judas seine Brüder? Leben nicht seine Schwestern unter uns?“32

In der katholischen Tradition werden bis in die Gegenwart hinein aus dogmatischen Gründen die Brüder und Schwestern Jesu als seine Vettern und Basen ausgegeben – unter anderem mit der Begründung, die hebräische und aramäische Sprache hätten kein eigenes Wort für Vettern und Basen. Das ist zwar zutreffend, aber die Evangelien sind ursprünglich weder in hebräischer noch in aramäischer, sondern in griechischer Sprache abgefasst. Und da gibt es sehr wohl ein eigenes Wort für Vetter und Base (anepsiós bzw. anepsiá). Außerdem kennt der Kirchenschriftsteller Eusebius († 339) neben dem Herrenbruder Jakobus33 auch Judas als „leiblichen Bruder unseres Erlösers“ und Symeon, den Sohn des Klopas, „eines Onkels des Herrn“, also einen „Vetter des Herrn“.

Eine weitere wichtige historische Tatsache kommt hinzu: Nach hellenistischer und römischer Mythologie wurden die Könige und die Großen der Geschichte immer von einer „Jungfrau“ geboren. Von Sargon, dem König von Babylon, wird das ebenso erzählt wie vom Kaiser Augustus. In der altägyptischen Königsideologie gilt der König als „Sohn der Götter“, weil ein „göttlicher Geist sich einer Frau nähert und ein paar Keime des Werdens in sie hineinlegt.“34 In einem ägyptischen Text mit dem Titel „Segnungen des Gottes Ptach für Ramses II.“ heißt es: „Ich (= Ptach) bin dein Vater, ich erzeugte dich, so dass dein ganzer Körper göttlicher Natur ist. Denn ich verwandelte meine Gestalt in die des Bockes von Mendes und wohnte deiner Mutter bei.“35 Die Rede von der Jungfrauengeburt ist das Merkmal einer über die biblische Tradition hinausweisenden Metaphernsprache. In Ägypten haben die Ideen von der wunderbaren Empfängnis und Geburt eines Gotteskindes eine uralte Tradition. Sie zeigen den Anspruch des regierenden Königs auf göttliche Erwählung.36 Diese Beobachtungen lassen die Frage aufkommen, ob Matthäus (und ähnlich auch Lukas) angesichts dieser allgemein verbreiteten Vorstellung sich nicht geradezu genötigt sah, auch für Jesus die Geburt aus einer „Jungfrau“ zu reklamieren. Jemand so Großes, Erhabenes und Heiliges wie Jesus von Nazaret kann nicht von Menschen allein hervorgebracht werden. Matthäus wollte ein Evangelium nicht nur für Juden, sondern auch für Heiden schreiben. Wenn er aber Griechen, Ägypter und Römer dazu bringen will, an Jesus, den wahren König der Menschen und den Retter der Welt aus aller Schuld, zu glauben, dann muss dieser von einer „Jungfrau“ geboren sein. Da muss Gott schon von Anfang an die alles entscheidende Rolle spielen.

Wir dürfen also mit Fug und Recht annehmen, dass Matthäus und Lukas mit der „Jungfrauengeburt“ keine physiologische, sondern eine theologische und christologische Aussage machen wollten. Diese könnte man so umschreiben: Der Jude Jesus ist der Höhepunkt all der bedeutenden Männer in Israel. In ihm findet darüber hinaus die Sehnsucht aller Völker nach unlösbarer Verbindung des Göttlichen mit dem Menschlichen ihre Erfüllung. Jesus ist das Geschenk Gottes an die Menschheit. So etwas konnten Menschen aus sich heraus nicht zustande bringen. Hier musste der Gottesgeist selbst tätig werden. Deshalb muss die Mutter Jesu „Jungfrau“ sein. Jungfrau sein bedeutet nämlich: in Erwartung sein, frei für das Leben, offen für das Empfangen. Es gibt nichts im Schoß der Menschheit, nichts in der menschlichen Fruchtbarkeit, das diesen Jesus hätte hervorbringen können.

Sicherlich wusste Matthäus andererseits auch, dass sich seine jüdischen Leserinnen und Leser mit der Geburt Jesu aus einer „Jungfrau“ schwertun würden. Denn die Juden erwarteten den Messias als Kind aus einer ganz normalen Ehe. Deshalb war die Gründung einer Familie für jeden jüdischen Mann geradezu eine göttliche Pflicht. Der Evangelist fand einen Ausweg aus diesem Dilemma. Er griff dazu auf eine Stelle beim Propheten Jesaja zurück. Hier wird – in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der „Septuaginta“ – der Gedanke einer jungfräulichen Geburt des Messias nahegelegt: „Siehe, die Jungfrau wird ein Kind empfangen, sie wird einen Sohn gebären, und sie wird ihm den Namen Immanuel (Gott mit uns) geben.“37 Das hier verwendete griechische Wörtchen „parthénos“ meint eine „junge Frau“ oder – häufiger – eine „Jungfrau“. Im hebräischen Urtext des Propheten Jesaja steht allerdings an dieser Stelle das Wort „almáh“. Und das kann nur mit „junge Frau“ übersetzt werden.38 Für „Jungfrau“ gibt es ein eigenes hebräisches Wort „bethuláh“. Durch diesen Rückgriff auf den Text der Septuaginta konnte es Matthäus gelingen, die Tradition und das Empfinden seiner jüdischen Leserschaft nicht zu verletzen oder zu irritieren.

Matthäus wollte mit seinem Evangelium das, was alle Evangelisten mit ihren Schriften intendieren: Sie wollen keinen Tatsachenbericht und schon gar keine Sensationsstory liefern. Sie wollen vielmehr ihren Glauben an Jesus, den Christus, bezeugen und andere dafür gewinnen. Sie wollen nicht nüchtern-sachlich („objektiv“) informieren, was Jesus da oder dort tatsächlich so und nicht anders getan oder gesagt hat. Sie wollen vielmehr die Bedeutung Jesu für Juden und Heiden bekennend aufzeigen.

Jesus von Nazaret

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