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Erzählungen von der Geburt des Täufers und von der Geburt Jesu

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Der Text von der Geburt des Täufers wird hier etwas gekürzt wiedergegeben. Die Auslassung betrifft einen längeren Lobgesang des Zacharias.

57 Für Elisabet kam die Zeit der Niederkunft, und sie brachte einen Sohn zur Welt.58 Ihre Nachbarn und Verwandten hörten, welch großes Erbarmen der Herr ihr erwiesen hatte, und freuten sich mit ihr. 59 Am achten Tag kamen sie zur Beschneidung des Kindes und wollten ihm den Namen seines Vaters Zacharias geben. 60 Seine Mutter aber widersprach ihnen und sagte: Nein, er soll Johannes heißen. 61 Sie antworteten ihr: Es gibt doch niemand in deiner Verwandtschaft, der so heißt. 62 Da fragten sie seinen Vater durch Zeichen, welchen Namen das Kind haben solle. 63 Er verlangte ein Schreibtäfelchen und schrieb zum Erstaunen aller darauf: Sein Name ist Johannes. 64 Im gleichen Augenblick konnte er Mund und Zunge wieder gebrauchen, und er redete und pries Gott. 65 Und alle, die in jener Gegend wohnten, erschraken, und man sprach von all diesen Dingen im ganzen Bergland von Judäa. 66 Alle, die davon hörten, machten sich Gedanken darüber und sagten: Was wird wohl aus diesem Kind werden? Denn es war deutlich, dass die Hand des Herrn mit ihm war. 67 Sein Vater Zacharias wurde vom Heiligen Geist erfüllt und begann prophetisch zu reden […]. (Lk 1,57–80)

Anders als bei der Ankündigung der Geburt, bei der Johannes ausführlicher behandelt wurde, erzählt Lukas nun die Geburt Jesu breiter und ausladender.60

1 In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen. 2 Dies geschah zum erstenmal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien. 3 Da ging jeder in seine Stadt, um sich eintragen zu lassen. 4 So zog auch Josef von der Stadt Nazaret in Galiläa hinauf nach Judäa in die Stadt Davids, die Betlehem heißt; denn er war aus dem Haus und Geschlecht Davids. 5 Er wollte sich eintragen lassen mit Maria, seiner Verlobten, die ein Kind erwartete. 6 Als sie dort waren, kam für Maria die Zeit ihrer Niederkunft, 7 und sie gebar ihren Sohn, den Erstgeborenen. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, weil in der Herberge kein Platz für sie war.8 In jener Gegend lagerten Hirten auf freiem Feld und hielten Nachtwache bei ihrer Herde. 9 Da trat der Engel des Herrn zu ihnen, und der Glanz des Herrn umstrahlte sie. Sie fürchteten sich sehr, 10 der Engel aber sagte zu ihnen: Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude, die dem ganzen Volk zuteil werden soll: 11 Heute ist euch in der Stadt Davids der Retter geboren; er ist der Messias, der Herr. 12 Und das soll euch als Zeichen dienen: Ihr werdet ein Kind finden, das, in Windeln gewickelt, in einer Krippe liegt. 13 Und plötzlich war bei dem Engel ein großes himmlisches Heer, das Gott lobte und sprach:14 Verherrlicht ist Gott in der Höhe, / und auf Erden ist Friede / bei den Menschen seiner Gnade.15 Als die Engel sie verlassen hatten und in den Himmel zurückgekehrt waren, sagten die Hirten zueinander: Kommt, wir gehen nach Betlehem, um das Ereignis zu sehen, das uns der Herr verkünden ließ. 16 So eilten sie hin und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Krippe lag. 17 Als sie es sahen, erzählten sie, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war. 18 Und alle, die es hörten, staunten über die Worte der Hirten. 19 Maria aber bewahrte alles, was geschehen war, in ihrem Herzen und dachte darüber nach. 20 Die Hirten kehrten zurück, rühmten Gott und priesen ihn für das, was sie gehört und gesehen hatte; denn alles war so gewesen, wie es ihnen gesagt worden war. (Lk 2,1–20)

Gegenüberstellung: Geburt des Täufers und Geburt Jesu

Ort der Geburt nicht angegeben Zu Betlehem, in der Stadt Davids
Geburt vor Repräsentanten der irdischen Welt
Zeit des Herodes, des Königs von Judäa (Herodes ist nur ein „kleiner König“) Als Augustus Kaiser und Quirinius Statthalter waren (Kaiser Augustus ist viel bedeutender als Herodes, er ist Weltherrscher)
Auftreten von Repräsentanten der himmlischen Welt
keine Erscheinung von Engeln gewaltige Engelerscheinung
Lobgesang (nur) des Zacharias Lobgesang der Engel
Nachbarnbesuche Hirtenbesuche (Hirten als Repräsentanten der Führungs- und der Unterschicht in Israel)

Auch hier, wie schon in den beiden vorangegangenen Erzählungen, hält Lukas an seiner überbietenden Parallele fest. Jetzt müsste es eigentlich jeder Leserin und jedem Leser des Evangeliums aufgegangen sein: Jesus ist mehr als Johannes. Das braucht der Evangelist gar nicht ausdrücklich zu betonen. Die aufmerksamen Leserinnen und Leser bekommen das schon selbst mit und können daraus ihre Schlüsse ziehen.

Die Steuerschätzung

Lukas stand vor einem Problem. Er wusste, dass Jesus in Nazaret geboren worden war. Aber er wusste auch, dass in der Überlieferung Betlehem als Geburtsort genannt wird, weil es die Davidsstadt ist und Jesus als Spross aus dem Haus des Königs David gelten soll. Wie sollte er aber die Familie Jesu von ihrem Wohnsitz Nazaret zu dem „Geburtsort“ Jesu, Betlehem, bringen? Das ist immerhin eine Entfernung von etwa 200 Kilometern. Aus freien Stücken hätten Maria und Josef diesen weiten Weg sicher nicht auf sich genommen. Also musste ein „offizieller Anlass“ dafür gefunden werden.

Lukas wusste von einer Steuerschätzung im Jahre 7 nach der Zeitenwende. Denn die erwähnt er in seiner Apostelgeschichte: „in den Tagen der Volkszählung“.61 Offensichtlich wusste jedermann, wann das war. Und vielleicht kannte Lukas auch einen Bericht seines Zeitgenossen, des jüdischen Historikers Flavius Josephus, der über diese Steuerschätzung schreibt, sie sei ein bisher unbekanntes (!), geradezu als unerhört empfundenes Ereignis gewesen.62 Lukas brauchte etwas Derartiges für die Zeit der Geburt Jesu. Doch dafür gab es nichts. Jedenfalls wissen wir bis heute nichts davon. Und wir dürfen getrost annehmen, dass der Evangelist auch nicht besser informiert war als wir heute.

Lukas hatte gute Gründe anzunehmen, dass auch die Adressaten seiner Aufzeichnungen nicht so genau Bescheid wussten. Also verlegte er die historisch gesicherte Steuerschätzung aus dem Jahr 7 nach der Zeitenwende in das Jahr der Geburt Jesu – vermutlich 7 vor der Zeitenwende.63

Damit konnte Lukas gleich noch ein weiteres, ihm wichtig erscheinendes Anliegen unterbringen. Um Josef und Maria nach Betlehem zu bringen, hätte nämlich schon die Erwähnung eines Zensus genügt, der nur Palästina betraf, nicht aber „alle Bewohner des Reiches“. Lukas spricht nämlich vollmundig von einer Steuerschätzung, die „zum ersten Mal“ geschah und die Kaiser Augustus für alle Bewohner des Reiches anordnete. Die Annahme eines solchen, das ganze damalige „Weltreich“ gleichzeitig umfassenden Zensusaktes ist jedoch historisch völlig unhaltbar. Doch gerade dieser Gedanke eines universalen Reichszensus scheint dem Evangelisten wichtig gewesen zu sein. Denn auf diese Weise gelang es ihm, das nach profanen Maßstäben bedeutungslose Ereignis der Geburt Jesu in die Weltgeschichte einzuordnen. Nur dieser Evangelist stellt dem Auftreten des Täufers und dem Auftreten Jesu eine Zeitangabe voraus, die nicht nur den kleinen Landstrich Palästina betrifft: „Im 15. Jahre der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter von Judäa war […]“ und „In jenen Tagen erließ Kaiser Augustus den Befehl, alle Bewohner des Reiches in Steuerlisten einzutragen. Dies geschah zum ersten Mal; damals war Quirinius Statthalter von Syrien.“64 Durch diese zeitliche Fixierung kann Lukas die weltweite Bedeutung der Geschehnisse betonen.

Bemerkenswert ist schließlich noch, dass der Zensus im Fortgang der Erzählung überhaupt nicht mehr erwähnt wird. So wird nichts darüber gesagt, ob sich Josef und Maria vor oder nach der Geburt Jesu vor einem Zensor oder dessen Beauftragten in Betlehem gemeldet haben. Lukas erwähnt nur, dass sie „nach 8 Tagen“ das Kind zur Beschneidung in den Jerusalemer Tempel brachten und dann „nach Galiläa in ihre Stadt Nazaret“ zurückkehrten.65

„Herbergssuche“ und Krippe Wenden wir uns nun wieder der Erzählung über die Geburt Jesu zu! Lukas schreibt, dass Josef und Maria in der örtlichen „Herberge“ nicht unterkommen konnten, weil „kein Platz für sie war“. Von einer „Herbergssuche“, einem Umherirren von Haus zu Haus und einer rigorosen Abweisung des fremden Mannes mit seiner hochschwangeren Frau ist nirgends die Rede. Auch von einer Geburt im „Stall“ weiß Lukas nichts, nur von einer „Krippe“, in die Maria den Neugeborenen legte.

Das Wickeln des Kindes könnte als Zeichen für die Hirten verstanden werden: „Sie sollen einen Säugling suchen, ein erst kürzlich geborenes Kind, eben ein ‚Wickelkind‘ […] Das so bedeutsame Ereignis wird unglaublich schlicht erzählt, damit kein ausmalendes Wort das eigentlich Gemeinte verdunkele.“66 Unter der „Krippe“ dürfen wir uns eine mit Häcksel oder Lehm und Stein ausgemauerte Futtermulde am Boden oder erhöht in der Wand vorstellen. Jedenfalls war es „in Palästina niemals ein auf Füße gestellter hölzerner Kasten“.67

Die Hirtengeschichte

Die Hirtengeschichte bildete vermutlich ursprünglich eine geschlossene literarische Einheit, die Lukas bei seinen Recherchen vorfand oder die ihm von irgendjemand zugespielt wurde.68

An der Geschichte ist einiges bemerkenswert, und vieles davon erscheint uns heute geradezu märchenhaft. Da sind zuerst die Hirten, die „auf freiem Feld Nachtwache bei ihrer Herde“ halten. Plötzlich tritt „der Engel des Herrn“ zu ihnen und hat eine Botschaft zu verkünden, die alle scheinbar selbstverständlich gut hören und verstehen können. Gleichzeitig werden die Hirten vom „Glanz des Herrn“ umstrahlt. „Und plötzlich“, sobald der eine Engel die unerhörte Nachricht verkündet hat, gesellt sich zu ihm ein „großes himmlisches Heer“. Nirgends sonst in den Evangelien ist von einer derart massiven Engelerscheinung die Rede.

Merkwürdig ist die Selbstverständlichkeit, mit der himmlische Wesen auf Augenhöhe zu den offensichtlich völlig ahnungslosen Hirten treten und sie mit einer unerhörten Botschaft ansprechen, ohne dass bei ihnen irgendwelche Zweifel an der Realität der Engelerscheinungen aufkommen. Kaum vorstellbar erscheint auch die selbstverständliche Unmittelbarkeit, mit der sich die Hirten „eilends“ nach Betlehem aufmachen, ohne überhaupt erfahren zu haben, wo die „Krippe“ stehen soll. Eine Futtermulde ist in jedem betlehemitischen Bauernhaus zu finden, weil meist Menschen und Tiere in einem Raum zusammenleben. Eine Krippe lässt sich aber auch in einem angebauten Stall, sogar in einer Hürde im Freien antreffen, zumal die Erzählung keineswegs die winterliche Regenzeit voraussetzt. Dennoch finden sie sofort die Krippe und das Kind.

Das alles zeigt, wie wenig Interesse der Evangelist an einem möglicherweise konkreten historischen Geschehen erkennen lässt. Denn sonst müsste er doch wohl darauf achten, dass seine zukünftigen Leserinnen und Leser sich nicht fragen müssen, ob sich derart Unwahrscheinliches, Widersprüchliches und Ungereimtes wirklich zugetragen haben soll.

Doch die Absicht des Evangelisten, die er mit der Erwähnung der Hirten und der Krippe verfolgt, geht in eine andere Richtung: Hirtenmilieu und Krippe entsprechen einem Bild, mit dem Lukas vielleicht die Geburt des Sohnes Davids in der „Stadt Davids“ illustrieren möchte. Der berühmte König David war nämlich selber ein betlehemitischer Hirte, bevor er zum König auserwählt wurde.69

Die Erzählung will also sicher kein Offenbarungserlebnis berichten, das irgendwelchen ahnungslosen Hirten damals zuteil wurde. Es ist auch kaum vorstellbar, dass die Hirten ein derart spektakuläres Ereignis nicht so schnell wie möglich überall weitererzählt hätten. Sie waren ja von dem Engel dazu indirekt aufgefordert worden, weil die „große Freude“, die ihnen verkündet worden war, „dem ganzen Volke“ gelten sollte. Ebenfalls kaum denkbar, dass das Geschehen nicht sehr rasch auch dem misstrauischen Herodes zu Ohren gekommen wäre, der in Sichtweite des heutigen Hirtenfeldes eine seiner Zwingburgen, das Herodion, hatte errichten lassen. Nichts von alledem. Die spektakulären Ereignisse finden keinerlei Erwähnung – weder in den gerade für diese Zeit ziemlich reichlich vorhandenen jüdischen Quellen noch in den neutestamentlichen Zeugnissen über das spätere Auftreten Jesu. Im Johannesevangelium wird Jesus von „den Juden“ sogar seine für den Messias unmögliche Herkunft aus Galiläa, aus Nazaret, vorgehalten.70

Und weiter: Weder das Markus- noch das Matthäus- oder das Johannesevangelium wissen davon, dass Jesus jemals den Anspruch erhoben hätte, schon bei seiner Geburt sei eine gewaltige Engelerscheinung erfolgt oder darüber hinaus noch eine feierliche Proklamation, dass „der Retter, der Messias, der Herr“ geboren ist.

Kurioserweise sollen die Hirten dieses für die ganze Welt höchst bedeutsame Kind nicht in einem vornehmen Palast, sondern in einer Krippe finden. Wie passt das zusammen? Man muss sich überhaupt fragen: Wozu ein derart massives Offenbarungswunder, wenn dieses die folgenden 30 Jahre bis zum öffentlichen Auftreten Jesu in der hintersten Provinz, in Galiläa, und sogar in seiner öffentlichen Predigt keine Aufmerksamkeit findet?

Merkwürdig ist auch, dass die Engel einfach auf die Geburt „in der Stadt Davids“ hinweisen. Warum nicht einfach: „in Betlehem“? Woher wussten die Hirten, dass mit der „Stadt Davids“ Betlehem und nicht Jerusalem gemeint war? Denn als „Stadt Davids“ gilt im Alten Testament wie im damaligen Judentum stets Jerusalem, die Residenz des Königs David. Eigentlich hätten die Hirten schnurstracks nach Jerusalem aufbrechen müssen.

Jesus von Nazaret

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