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Tiefenpsychologische Aspekte

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Bei Matthäus sind hier vor allem die Motive des Traums und der rettenden Flucht zu nennen.

Zweimal erzählt der Evangelist von einem Traum Josefs. Seit Urzeiten haben sich die Menschen mit Traumdeutung beschäftigt. Die alten Auffassungen gingen dahin, dass Götter oder Dämonen die Träume verursachen, wobei Götter die guten Träume eingeben. In den frühen antiken Kulturen erhoffte man sich von Träumen in erster Linie rettende Warnungen vor künftigen Ereignissen. Meist richtete man sich in seinem Handeln nach dem, was man im Traum erfahren hatte.75

Die Flucht führt beispielsweise im Märchen von Brüderchen und Schwesterchen zur Rettung. Da ergreift der Mann (hier das Brüderchen) die Initiative zur Flucht aus der Fron einer unerträglichen Situation (hier die Schikanen der Hexenstiefmutter). Durch die Flucht schafft der Mann (= Brüderchen) unbewusst die Voraussetzung zur Rettung. Diese geschieht im Märchen in der Annäherung des Königs (= Gott). Nach vielen Wirrungen und Irrungen führen Geduld, Hellhörigkeit und Sorgsamkeit schließlich zum Sieg des Guten über das Böse, über Neid und Intrige. Auch das aus der Liebe zwischen dem König (= Gott) und dem Schwesterchen hervorgegangene Kind wird aus den Klauen des mörderischen Lügengeistes gerettet.

Lukas bringt in seinem Kindheitsevangelium eine Fülle von (auch) tiefenpsychologisch zu deutenden Bildern und archetypischen Symbolen: Nacht und Licht, Feld und Stall, Hirten und Tiere, Kind und Mutter, Geborgenheit und Obdachlosigkeit, Kaiser und armer Mann.

Die Nacht ist seit alters her die Zeit der dunklen, unheimlichen Wesen und der Dämonen. „Nacht“ steht für das Dunkel des Lebens: für Angst, Verlassenheit, Bedrohtsein, Ausgeschlossensein, Chaos. Die Nacht symbolisiert aber auch eine Zeit der Ruhe und Entspannung. Für die (christlichen) Mystiker kann die Nacht schließlich für die Dunkelheit stehen, die der Wiedergeburt und dem Beginn von etwas Neuem, Besseren, der Erleuchtung vorangeht.

In diese „Nacht“ strahlen die Herrlichkeit Gottes und die Botschaft vom Frieden. Die Dämonen werden gebannt. Ein neues Zeitalter bricht an. Die Finsternis der Gottesferne und der Sünde muss weichen. Menschen und Tiere erfahren davon. Beiden wird der Friede verkündet.

Die Krippe mit dem friedlich darin liegenden und von seinen Eltern behüteten Kind steht nicht im Freien, schutzlos der Unbill der Natur ausgesetzt, sondern offensichtlich in einem Gebäude mit einem Dach darüber. Das assoziiert Geborgenheit, Umsorgtsein und Schutz.

Und schließlich gehören auch die von den Hirten vermutlich nicht allein auf den Feldern zurückgelassenen Schafe dazu. Die Tradition führt sogar noch Ochs und Esel hinzu. Wahrscheinlich verdanken wir die beiden Tiere einem nicht in den christlichen Kanon aufgenommenen „apokryphen“ Evangelium. Dort werden sie unter Berufung auf die Erfüllung einer Stelle aus dem Buch des Propheten Jesaja an die Krippe gestellt: „Ich habe Söhne großgezogen und emporgebracht, doch sie sind von mir abgefallen. Der Ochse kennt seinen Besitzer und der Esel die Krippe seines Herrn. Israel aber hat keine Erkenntnis, mein Volk hat keine Einsicht.“76 Ochs und Esel werden zu Bildern derer, die ihren Herrn kennen und ihn nicht vergessen haben.

Menschen und Tiere gemeinsam an der Krippe – vielleicht deuten sie (dem Lukas höchst wahrscheinlich so noch nicht bewusst) auf die Integration des Triebhaften, des Animalischen, in das menschliche Ich hin. Und damit auf den Frieden des Menschen mit sich selbst.

Jesus von Nazaret

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